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lesen - Vatican magazin ::: Schönheit und Drama der Weltkirche

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disputa 45le Frage einer konziliaren Klärung des Offenbarungsverständnissessein.Zahlreiche Konzilsväter ließen sich von <strong>der</strong> These des TübingerDogmatikers Geiselmann blenden: Die Glaubensüberlieferungsei sowohl in <strong>der</strong> Schrift wie in <strong>der</strong> Tradition vollständigenthalten. Schlagwortartig sprach man damals von <strong>der</strong>„materialen Vollständigkeit“ <strong>der</strong> Heiligen Schrift <strong>und</strong> folgertedaraus, dass die Kirche nichts lehren könne, was nicht in<strong>der</strong> Schrift sicher bezeugt ist, womit man weithin die gängigenLehrmeinungen <strong>der</strong> Exegeten meinte. Viele Bischöfe ließen sichdamals von dieser scheinbar bibelfromm klingenden These beeindrucken<strong>und</strong> übersahen völlig, dass sie damit die Glaubenstraditionabgeschafft <strong>und</strong> das Lehramt durch Professorenhypothesenersetzt <strong>und</strong> Luthers Sola Scriptura in verschärfter Formeingeführt hätten.In seinem Vortrag am 10. Oktober 1962 im Kolleg SantaMaria dell’Anima vor den deutschsprachigen Bischöfen erläuterte<strong>der</strong> 35-jährige Bonner Ordinarius Joseph Ratzinger seinan Bonaventura gewonnenes Offenbarungsverständnis: „Offenbarung,das heißt das Zugehen Gottes auf den Menschen,ist immer größer als das, was in Menschenworte gefasst werdenkann, größer auch als die Worte <strong>der</strong> Schrift.“ Quellen <strong>der</strong> Offenbarungsind nicht, wie <strong>der</strong> Entwurf sagt, Schrift <strong>und</strong> Überlieferung,„son<strong>der</strong>n die Offenbarung Gottes ist die eine Quellevon Schrift <strong>und</strong> Überlieferung.“ Sollten durch das KonzilSchrift <strong>und</strong> Überlieferung als die beiden Quellen <strong>der</strong> Offenbarungfestgeschrieben werden, so bestehe die Gefahr, dass Schrift<strong>und</strong> Offenbarung gleichgesetzt werden: „Man braucht ja nur zubehaupten, dass die Überlieferung keine zusätzlichen Inhaltezur Schrift hinzubringe, dann ist die Schrift die ganze Offenbarung.“Demgegenüber sei aber festzuhalten, dass die Offenbarung„immer ein Mehr... gegenüber ihrer fixierten Bezeugungin <strong>der</strong> Schrift“ darstellt.Ratzinger bezog sich ausdrücklich auf das Dogma von1950 <strong>und</strong> dessen Begründungsproblem: Da keine Bezeugung<strong>der</strong> Lehre von <strong>der</strong> leiblichen Aufnahme Marien in den Himmelvor dem fünften Jahrh<strong>und</strong>ert nachgewiesen werden kann, wiekann man sie dann eine apostolische Überlieferung nennen?Wenn Tradition die außerbiblische mündliche o<strong>der</strong> schriftlicheWeitergabe von Sätzen bedeutet, dann ist dieses Dogmaeben nicht aus <strong>der</strong> Tradition zu begründen. Hier nun setzt<strong>der</strong> theologische Ertrag <strong>der</strong> Habilitation an: Nach <strong>der</strong> Definition<strong>der</strong> Väter von Bonaventura ist Tradition „Scriptura in Ecclesia.“In <strong>der</strong> Auslegung Ratzingers: „Schrift lebt in <strong>der</strong> lebendigenAneignung durch die geisterfüllte Kirche <strong>und</strong> nur so istsie sie selbst. Darum stehen Schrift, Tradition <strong>und</strong> Lehramt <strong>der</strong>Kirche nicht isoliert nebeneinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n man muss sie als„den einen lebendigen Organismus des Wortes Gottes betrachten,...das von Christus her in <strong>der</strong> Kirche lebt.“Selbstbewusst auf seiner Habilitationsthese bestehend for<strong>der</strong>teRatzinger die Väter auf, diesen Entwurf zurückzuweisen,da man schließlich „nicht im Namen <strong>der</strong> Tradition den größtenTeil <strong>der</strong> Tradition als falsch verdammen“ könne. Zumindestsollten die Väter eine einseitige Festlegung durch das Konzilverhin<strong>der</strong>n: „...anzustreben ist, dass weiterhin Offenheit bleibe,wie bisher, <strong>und</strong> dass das Konzil deutlich an <strong>der</strong> Offenheit fürden Weg eines Thomas <strong>und</strong> Bonaventura festhält.“Wohl auf eine Anregung von Kardinal Döpfner hin wurdeRatzinger mit Karl Rahner zur Ausarbeitung eines alternativenEntwurfs zusammengespannt. Das Ergebnis war eine ernüchterndeEinsicht bei Ratzinger: „Bei <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeitwurde mir klar, dass Rahner <strong>und</strong> ich ... theologisch auf zwei verschiedenenPlaneten lebten“ (AmL). Etwas resignativ heißt esrückblickend in den Erinnerungen: „In <strong>der</strong> allgemeinen Stimmungvon 1962, die sich <strong>der</strong> Thesen Geiselmanns... bemächtigthatte, war es mir unmöglich, diese meine aus den Quellen gewonneneSicht deutlich zu machen, mit <strong>der</strong> ich im übrigen jaschon 1956 nicht verstanden worden war“ (AmL).Aus den nachzu<strong>lesen</strong>den Wortmeldungen von KardinalFrings <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Vätern auf <strong>der</strong> Vollversammlung lässt sich<strong>der</strong> Einfluss Ratzingers allerdings klar erkennen. Damit ging das<strong>Drama</strong> <strong>der</strong> Habilitation in <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> DogmatischenKonstitution „Dei Verbum“ weiter. Von JohannesXXIII. wurde <strong>der</strong> Entwurf schließlich zurückgezogen <strong>und</strong> einerneuen, gemischten Kommission aus Theologischer Kommission<strong>und</strong> dem Sekretariat für die Einheit <strong>der</strong> Christen zur Neubearbeitungübertragen. Als offizieller Konzilstheologe (Peritus)war Ratzinger am gesamten Entstehungsprozess von „Dei Verbum“in <strong>der</strong> Kommission beteiligt. Auch <strong>der</strong> alte Wi<strong>der</strong>sacherSchmaus war auf dem Konzil, zog sich aber, wie Hans Küng inseiner Autobiographie überliefert, recht bald schmollend zurück:„Der Münchner ‚Dogmatikerpapst’ Michael Schmaus hattesich schon frühzeitig verabschiedet, weil seine neuscholastischeTheologie offensichtlich nicht gefragt ist; hier hätten nurdie ‚Teenager-Theologen’ etwas zu sagen: damit meinte er Ratzinger<strong>und</strong> mich.“Erst einen Monat vor Konzilsende am 11. November wurdedie Offenbarungskonstitution in <strong>der</strong> Schlussabstimmung mitgroßer Mehrheit angenommen. In seinen Erinnerungen nenntRatzinger die Offenbarungskonstitution einen <strong>der</strong> „herausragendenTexte des Konzils, <strong>der</strong> freilich noch nicht wirklich rezipiertist“. Erstmals wurde <strong>der</strong> Entwicklungsbegriff in ein Lehrdokumentaufgenommen: „Diese apostolische Überlieferungkennt in <strong>der</strong> Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einenFortschritt“(Dei Verbum II,8). Womit <strong>der</strong> bereits von KardinalNewman gewiesene Weg zur Überwindung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nismuskrisebeschritten war. Schrift <strong>und</strong> Tradition wurden nichtals die beiden Quellen <strong>der</strong> Offenbarung festgeschrieben, son<strong>der</strong>nwurden als „dem selben göttlichen Quell entspringend“(II,9) bezeichnet. Es leuchtet sogar einmal das dynamische Offenbarungsverständnisauf: „Es zeigt sich also, dass die HeiligeÜberlieferung, die Heilige Schrift <strong>und</strong> das Lehramt <strong>der</strong> Kirche ...10|2009

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