recher che-stipendium - Otto Brenner Shop
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BEST OF<br />
<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preis 2006<br />
Kritis<strong>che</strong>r Journalismus –<br />
Gründli<strong>che</strong> Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong> statt bestellter Wahrheiten:<br />
Preisträger 2006 · Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>-Stipendien · Weitere nominierte<br />
Beiträge · Begründung der Jury · Ausschreibung 2007
INHALT<br />
2
4<br />
8<br />
16<br />
20<br />
Vorwort<br />
Elke Eller<br />
Begrüßung und Eröffnung<br />
Jürgen Peters<br />
Interview<br />
Dr. Heribert Prantl / Dr. Thomas Leif<br />
Festrede<br />
Frank A. Meyer<br />
3<br />
36<br />
40<br />
48<br />
52<br />
68<br />
72<br />
78<br />
102<br />
110<br />
116<br />
Die Preisträger 2006<br />
Redaktion „Der Tag“ – hr2*<br />
Frank Jansen<br />
„Wenn keiner nach den Rechten<br />
sieht“<br />
Redaktion „Zapp“ – NDR*<br />
„Verdeckt, versteckt, verboten –<br />
Schleichwerbung und PR in den<br />
Medien“<br />
Newcomer-Preis<br />
Lutz Mükke<br />
„Der Parlaments-Broker“<br />
Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>-Stipendien<br />
Boris Kartheuser<br />
Melanie Zerahn<br />
Auswahl weiterer nominierter<br />
Beiträge<br />
Susanne Lang<br />
„So regiert Frank Schirrma<strong>che</strong>r“<br />
Thorsten Schmitz<br />
„Der Krieg der Bilder“<br />
Hubert Seipel, Jürgen Thebrath<br />
„Und Du bist raus – Wie Investoren<br />
die Traditionsfirma Grohe<br />
auspressen“<br />
Die Jury<br />
* Audiovisuelle Beiträge auf beiliegender DVD
VORWORT<br />
4
Der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preis für kritis<strong>che</strong>n Journalismus<br />
wurde am 8. November 2006 zum zweiten Mal verliehen.<br />
War der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preis im letzten Jahr selbst noch ein „Newcomer“ unter<br />
den Journalistenpreisen, ist er nun dabei sich zu etablieren.<br />
Über 200 eingegangene Beiträge aus allen Mediengattungen und Genres belegen<br />
ein zunehmendes Interesse des ausgeschriebenen Preises.<br />
„Der Zustand des kritis<strong>che</strong>n Journalismus in Deutschland ist dramatisch“, sagte<br />
Frank A. Meyer in seiner Festrede anlässlich der Preisverleihung. Die aktuellen<br />
Entwicklungen und Diskussionen um den deuts<strong>che</strong>n Journalismus ma<strong>che</strong>n deutlich,<br />
wie elementar Haltung und Professionalität in diesem Berufsstand geworden sind.<br />
„Nicht Ruhe, nicht Unterwürfigkeit sind des Bürgers erste Pflicht, sondern demokratis<strong>che</strong><br />
Wachsamkeit“ – dies war der Leitgedanke <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong>s und drückte<br />
eine Haltung aus, die sein Lebenswerk prägte. Die Stiftung hat diese Haltung zur<br />
Philosophie des Preises gemacht.<br />
Deshalb waren für die Jury bei der Auswahl der Preisträger folgende Kriterien<br />
maßgebend:<br />
Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>leistung (Aufwand, persönli<strong>che</strong>r Einsatz, Überwindung von<br />
Widerständen)<br />
Themenauswahl (Relevanz der Stoffe und Vernachlässigung in den Medien)<br />
Journalistis<strong>che</strong> Qualität (Spra<strong>che</strong> und Umsetzung)<br />
Persönli<strong>che</strong>r Einsatz (Hartnäckigkeit, „Dranbleiben“ an den Themen)<br />
Im folgenden werden die Preisträger und ihre prämierten Beiträge sowie die<br />
weiteren Nominierungen des Wettbewerbes vorgestellt.<br />
Unser besonderer Dank gilt Herrn Frank A. Meyer für die eindringli<strong>che</strong> Festrede<br />
anlässlich der Preisverleihung und den Jurymitgliedern für ihre engagierte Arbeit<br />
und exzellente Auswahl.<br />
Elke Eller, Geschäftsführerin<br />
5
ERÖFFNUNG
Jürgen Peters<br />
Zur Preisverleihung des<br />
<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preises für<br />
Kritis<strong>che</strong>n Journalismus 2006
Eröffnungsrede zur Preisverleihung<br />
des <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preises für<br />
Kritis<strong>che</strong>n Journalismus 2006<br />
Gründli<strong>che</strong> Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong> statt<br />
bestellter Wahrheiten<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
herzlich willkommen zur zweiten Preisverleihung<br />
des <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preises<br />
für Kritis<strong>che</strong>n Journalismus. Die heutige<br />
Preisverleihung ist nur der Höhepunkt<br />
einer intensiven Beschäftigung mit<br />
kritis<strong>che</strong>n, journalistis<strong>che</strong>n Beiträgen,<br />
die bei uns während der Ausschreibungsphase<br />
in den letzten Monaten<br />
eingegangen sind.<br />
Rund 210 Beiträge aus allen Medienberei<strong>che</strong>n<br />
und über alle Genres hinweg,<br />
wurden sortiert, gesichtet und<br />
von der Jury fachkundig bewertet.<br />
Die Jury hat ihre Wahl getroffen. Und<br />
die Wahl war nicht einfach. Die Beiträge<br />
hatten ein hohes Niveau. Das hat<br />
die Aufgabe für die Jury nicht einfa<strong>che</strong>r<br />
gemacht, aber interessanter.<br />
Die Preisträger sollen Ihnen und Euch<br />
heute Abend vorgestellt werden.<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
besonders begrüßen möchte ich unseren<br />
heutigen Festredner:<br />
Herrn Frank A. Meyer, den Publizisten<br />
des Ringier-Verlags.<br />
Herzlich Willkommen.<br />
Ich denke, dass wir mit ihm nicht nur<br />
einen profunden Kenner der Szene<br />
gewinnen konnten, sondern auch<br />
jemanden für unser Anliegen. Zudem<br />
kommt Herr Meyer aus der Schweiz.<br />
Man darf trotz der Nähe unterstellen,<br />
dass er Deutschland von außen betrachtet.<br />
Und von außen fällt die Diagnose oft<br />
klarer und treffender aus.<br />
Herr Meyer, herzli<strong>che</strong>n Dank, dass Sie<br />
heute Abend bei der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />
zu Gast sind!<br />
Es freut mich besonders, dass unser<br />
<strong>Brenner</strong>-Preis so viel Interesse geweckt<br />
hat und heute Abend so viele hierher<br />
zu uns nach Berlin zur Preisverleihung<br />
gekommen sind.<br />
Dies ist keine Selbstverständlichkeit!<br />
Keine Selbstverständlichkeit deshalb,<br />
8
weil es Journalistenpreise und Preisverleihungen<br />
zuhauf gibt.<br />
Da hat sich man<strong>che</strong>r gefragt, warum<br />
jetzt auch noch die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung?<br />
Das Interesse, dass Sie, dass Ihr uns<br />
heute Abend zeigt, macht deutlich,<br />
dass wir richtig gelegen haben.<br />
Richtig gelegen mit dem Anliegen auf<br />
den Zustand des deuts<strong>che</strong>n Journalismus<br />
aufmerksam zu ma<strong>che</strong>n.<br />
Richtig gelegen haben mit dem Anliegen,<br />
junge Journalistinnen und Journalisten<br />
zu fördern bzw. öffentlich zu<br />
beglückwüns<strong>che</strong>n für den Mut, das<br />
Engagement und die Hartnäckigkeit,<br />
die es heute erfordert, um sich dem<br />
breiten neoliberalen Mainstream, der<br />
längst auch schon den Journalismus<br />
erfasst hat, zu widersetzen.<br />
Lassen Sie mich an dieser Stelle die<br />
Jury ganz besonders begrüßen, ohne<br />
deren Unterstützung der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong><br />
Preis für Kritis<strong>che</strong>n Journalismus heute<br />
nicht das wäre, was er in kurzer Zeit<br />
geworden ist.<br />
Vor allem danke ich Herrn Thomas Leif,<br />
der uns mit Rat und Tat bei der Auslo-<br />
9<br />
bung des <strong>Brenner</strong>-Preises stets fachkundig<br />
unterstützt hat.<br />
Herzli<strong>che</strong>n Dank Herr Leif.<br />
Begrüßen möchte ich Heribert Prantl,<br />
den Innenpolitik-Chef der Süddeuts<strong>che</strong>n<br />
Zeitung.<br />
Sie lieber Herr Prantl, haben im letzten<br />
Jahr mit Ihrer Laudatio fasziniert und<br />
vielen von uns die Relevanz und Notwendigkeit<br />
eines Preises für Kritis<strong>che</strong>n<br />
Journalismus in der aktuellen Medienlandschaft<br />
mit allem Nachdruck deutlich<br />
gemacht. Auch dafür gilt Ihnen<br />
unser ganz besonderer Dank.<br />
Herzlich begrüßen möchte ich außerdem<br />
Herrn Harald Schumann vom<br />
Berliner Tagesspiegel.<br />
Sie, Herr Schumann, haben die<br />
Preisträger in ihrer unnachahmli<strong>che</strong>n<br />
Art vorgestellt und mit ihrem Sachverstand<br />
unsere Arbeit unterstützt.<br />
Auch Ihnen herzli<strong>che</strong>n Dank!<br />
Last but not least, möchte ich Herrn<br />
Dr. Volker Lilienthal vom Evangelis<strong>che</strong>n<br />
Pressedienst – Medien begrüßen, der<br />
mit ruhiger und pointierter Sachkunde<br />
zur Auswahl der Preisträger beigetragen<br />
hat.
Nicht begrüßen kann ich leider Frau<br />
Sonia Mikich von der Monitor-Redaktion.<br />
Sie ist heute leider verhindert,<br />
aber auch an ihre Adresse:<br />
Vielen Dank für die Mühe und Unterstützung!<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
lassen Sie mich zu Beginn unserer<br />
heutigen Abendveranstaltung drei<br />
Bemerkungen ma<strong>che</strong>n, die mir als Gewerkschaftsvertreter<br />
in der Jury, in den<br />
letzten Monaten in der Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema in besonderem<br />
Maße erwähnenswert ers<strong>che</strong>inen:<br />
1. Medien werden immer wichtiger. Sie<br />
werden kommerzieller und sie prägen<br />
die Politik stärker als früher. Wel<strong>che</strong><br />
Rolle Medien mittlerweile in unserer<br />
Demokratie spielen, war vor der Bundestagswahl<br />
2005 monatelang zu<br />
„erleben“. Ich weiß nicht, wie viele<br />
von uns Anhänger von Frau Christiansen<br />
sind. Diese Sendung hat in unserer<br />
Gesellschaft eine Aufmerksamkeit<br />
von der man<strong>che</strong>r nur träumen kann.<br />
Gleichzeitig – und das ist die eigentlich<br />
dramatis<strong>che</strong> Entwicklung daran –<br />
schwindet die gesellschaftli<strong>che</strong> Verantwortung<br />
der Medien. Medienpolitik ist<br />
mittlerweile vor allem zur Macht- und<br />
Standortpolitik in unserem Land geworden.<br />
Dabei bleibt dann auch noch<br />
zu allem Überdruss die Qualität allzu<br />
oft auf der Strecke.<br />
Dass zum Beispiel bei den kommerziellen<br />
Sendern „Quote vor Qualität“<br />
geht, hat uns nicht mehr sonderlich<br />
gewundert. Dass aber mittlerweile<br />
auch bei den öffentlich-rechtli<strong>che</strong>n<br />
Rundfunk- und Fernsehanstalten das<br />
Profil durch Imitation der kommerziellen<br />
Programme immer weiter verwässert<br />
– das darf uns alle alarmieren.<br />
Kürzlich war in der Programmzeitschrift<br />
„Hörzu“ eine bemerkenswerte<br />
Analyse des Schauspielers Edgar Selge<br />
zu lesen, die – so hoffe ich – vielen<br />
Programmverantwortli<strong>che</strong>n anregende<br />
Impulse vermittelt hat!<br />
„Es gibt ganze Senderflure mit Leuten,<br />
die im Voraus befinden, was Quote<br />
bringt und was nicht“, erläutert Selge.<br />
„Der Fehler liegt darin, vorher zu manipulieren.<br />
Das Publikum wird weit unterschätzt<br />
und wir müssen aufpassen,<br />
dass Fernsehen nicht zu einer gewalti-<br />
10
gen Verdummungsmaschinerie wird<br />
gegenüber einem Publikum, das sich<br />
ganz gern wecken lassen würde.“<br />
Der Autor nennt diese Entwicklung<br />
„Brutalen Quotenkapitalismus“ und<br />
spricht aus, was viele in Politik, Wirtschaft,<br />
Kultur und Gesellschaft denken.<br />
Statt aber diese Entwicklung öffentlich<br />
zu debattieren und zu reflektieren,<br />
haben es kritis<strong>che</strong> und analytis<strong>che</strong><br />
Beiträge in den Medien immer schwerer.<br />
Allzu oft wird versucht, sie in eine<br />
Nis<strong>che</strong>nexistenz abzudrängen. Das ist<br />
wieder und wieder im persönli<strong>che</strong>n<br />
Gespräch mit Journalisten zu hören.<br />
2. Die Produktion von Medien entwickelt<br />
sich immer mehr zu einer kommerziellen<br />
Dienstleistung und entfernt<br />
sich weiter von ihrem gesellschaftli<strong>che</strong>n<br />
Auftrag. Der Markt allein bestimmt<br />
das Ges<strong>che</strong>hen.<br />
Der erfahrene Journalist, der aus eigener<br />
Anschauung Prozesse analysiert,<br />
gut <strong>re<strong>che</strong>r</strong>chiert und kommentiert, wird<br />
immer seltener gebraucht. Die zunehmende<br />
Pressekonzentration und die<br />
Überkreuzverhältnisse in der Medienlandschaft<br />
s<strong>che</strong>inen niemanden zu<br />
11<br />
stören. Eine öffentli<strong>che</strong> Debatte über<br />
die Veränderung auf den Medienmärkten<br />
gibt es nicht.<br />
Immerhin: Es gibt einige Beobachter,<br />
die vor einer Kartellbildung von Spiegel,<br />
FAZ und Springer warnen.<br />
Und während die Praktiken der Bild-<br />
Zeitung in den 80er Jahren noch zu einem<br />
gesellschaftli<strong>che</strong>n Aufschrei geführt<br />
haben, gilt die Bild-Zeitung heute<br />
als das zentrale Leitmedium ohne dass<br />
ihre zweifelhaften Praktiken von der<br />
Konkurrenz unter die Lupe genommen<br />
würden.<br />
Und der Spiegel?<br />
Der Spiegel hat für uns alle früher eine<br />
große Rolle gespielt. Er hat längst nicht<br />
mehr diese herausragende Rolle, sondern<br />
reiht sich allzu oft in den breiten<br />
Strom der Mittelmäßigkeit ein.<br />
3. Gerade wir als Gewerkschafter erleben<br />
es tagtäglich, dass es hauptsächlich<br />
um große Gefühle, große Skandale<br />
und s<strong>che</strong>inbar eindeutige Vorverurteilungen<br />
geht und längst nicht mehr<br />
um die nüchterne Relevanz von Ereignissen.<br />
Daraus ergibt sich eine einfa<strong>che</strong><br />
Logik, die auf Personen setzt und
nicht mehr auf die Aufklärung von<br />
Strukturen.<br />
Im Zuge dieser Entwicklung wächst<br />
freilich die Bedeutung von Bildern und<br />
Überschriften. Die Verdichtung der Realität<br />
auf eine Schlagzeile auf wenige<br />
Buchstaben ist offenbar nicht mehr<br />
aufzuhalten.<br />
Wie oft geben meine Kolleginnen und<br />
Kollegen und ich Interviews, manchmal<br />
reibt man sich die Augen was daraus<br />
gemacht wurde. Zwis<strong>che</strong>n Textfreigabe<br />
und Ers<strong>che</strong>inungstermin wird oftmals<br />
dem Stück eine ganz bestimmte Note<br />
durch die Überschrift und Bebilderung<br />
gegeben. Es ist nicht verwunderlich,<br />
dass kritis<strong>che</strong> Einschätzungen von Gewerkschaften,<br />
wie wir sie etwa am<br />
heutigen Nachmittag zu Europa gehört<br />
haben, es immer schwerer haben vor<br />
diesem Hintergrund der Entwicklung<br />
sich überhaupt noch Gehör zu verschaffen.<br />
Wir erleben es tagtäglich, Medien werden<br />
immer wichtiger, aber sie werden<br />
auch kommerzieller, was ihre Qualität<br />
nicht automatisch verbessert.<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
die <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung will mit dem<br />
Preis für kritis<strong>che</strong>n Journalismus ganz<br />
im Sinne von <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> den aufrechten<br />
Gang, das Schwimmen gegen<br />
den Strom in der aktuellen Medienlandschaft<br />
belohnen.<br />
Heute Abend wollen wir Ihnen unsere<br />
Auswahl vorstellen!<br />
Ich wüns<strong>che</strong> uns einen angenehmen<br />
Abend mit einem abwechslungsrei<strong>che</strong>n<br />
Programm und anschließend vielen<br />
guten Gesprä<strong>che</strong>n.<br />
12
Jürgen Peters ist 1. Vorsitzender der<br />
IG Metall und Vorsitzender des<br />
Verwaltungsrats der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />
13
INTERVIEW
Dr. Thomas Leif / Dr. Heribert Prantl<br />
Kritis<strong>che</strong>r Journalismus in Deutschland
„Qualität kommt von Qual“<br />
Fragen von Dr. Thomas Leif an Dr. Heribert Prantl<br />
TL:<br />
Wo sehen Sie die größten Defizite im<br />
deuts<strong>che</strong>n Journalismus?<br />
HP:<br />
Ich rede primär vom politis<strong>che</strong>n Journalismus:<br />
Der deuts<strong>che</strong> Journalismus<br />
ist hier kurzatmig geworden, er ist viel<br />
zu oft viel zu oberflächlich; er dringt<br />
nicht in die Materie ein, er setzt sich<br />
nur drauf. Er fliegt, wenn man es beschönigend<br />
sagen will, wie ein Schmetterling,<br />
von Blüte zu Blüte, ob es nun<br />
eine Sumpfdotterblume oder eine Nelke<br />
ist. Da muss man dagegen halten.<br />
Es gibt vier gefährli<strong>che</strong> Tendenzen:<br />
Erstens die Vermischung von Journalismus<br />
und PR; es macht die Pressefreiheit<br />
kaputt, wenn sich unter ihrem<br />
Mantel Werbung, Promotion und Product<br />
Placement verbergen.<br />
Zweitens die Vermischung von Journalismus<br />
und Unterhaltung, von Information<br />
und Unterhaltung. Wenn Journalismus<br />
immer unterhaltend sein soll, verflacht<br />
er: weil er dann schwierige Materien<br />
vermeidet oder sie so personalisiert,<br />
dass sie unterhaltend werden.<br />
Drittens die Vermischung von Journalis-<br />
mus und Politik. Journalisten dürfen sich<br />
nicht zu Handlangern oder Büchsenspannern<br />
von Parteien ma<strong>che</strong>n lassen.<br />
Viertens die Vermischung von Journalismus<br />
und Ahnungslosigkeit: Ein Journalismus<br />
muss von den Subjekten und<br />
Objekten, mit denen er sich befasst,<br />
viel wissen. Das erfordert gute Ausbildung<br />
und gründli<strong>che</strong> Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>. Die<br />
Gefahr wächst, dass das unter Kostendruck<br />
mehr und mehr verloren geht.<br />
TL:<br />
Warum wird nicht intensiver <strong>re<strong>che</strong>r</strong>chiert<br />
und mutiger analysiert und bewertet?<br />
HP:<br />
Intensive Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong> ist teuer. Sol<strong>che</strong><br />
Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n leiden unter Sparzwängen.<br />
Im übrigen ist auch das Rechtsstreitrisiko<br />
gestiegen – auch Prozesse sind<br />
teuer; Redaktionsleitungen s<strong>che</strong>uen<br />
angesichts knapper Etats die Kostenrisiken.<br />
Und mutiger Analyse und mutiger<br />
Kommentar? Mut braucht man<br />
eigentlich nicht, man darf nur nicht<br />
bequem sein.<br />
TL:<br />
Haben sich die Medien als Abnehmer<br />
verändert oder sind die Journalisten<br />
16
mutloser und angepasster geworden?<br />
HP:<br />
Beides. Die größere Angepasstheit hat<br />
etwas mit dem schwierigen Arbeitsmarkt<br />
zu tun. Wer einen Job braucht,<br />
wer Aufträge braucht, wer sich irgendwie<br />
über Wasser halten muss, der wird<br />
sich nicht dadurch hervortun, dass er<br />
gegen den Strom schwimmt.<br />
TL:<br />
Wie bewerten Sie den Wirtschaftsjournalismus<br />
in Deutschland?<br />
HP:<br />
Er steht seinen Subjekten und Objekten<br />
ziemlich nahe, betrachtet sich oft<br />
selber als Teil der Wirtschaft und steht<br />
ihrem Mainstream ziemlich nahe. Die<br />
Meinungsvielfalt, die es ansonsten bei<br />
fast allen politis<strong>che</strong>n Streitfragen gibt,<br />
ist im Bereich des Wirtschaftsjournalimus<br />
beschränkt. Der deuts<strong>che</strong> Wirtschaftsjournalismus<br />
ers<strong>che</strong>int mir als<br />
ziemlich monolithis<strong>che</strong>r Block.<br />
TL:<br />
In Großbritannien wird darüber diskutiert,<br />
dass die (Boulevard-)Medien die<br />
eigentli<strong>che</strong> Opposition wären. Sehen<br />
Sie diese Tendenz auch in Deutsch-<br />
17<br />
land, in Zeiten der großen Koalition?<br />
HP:<br />
Presse ist immer Opposition, nicht<br />
Fundamental-Opposition, aber Opposition.<br />
Wenn sie nur als Lautsp<strong>re<strong>che</strong>r</strong><br />
der Mächtigen fungiert, widerspricht<br />
das der Pressefreiheit. Wenn in Zeiten<br />
von großen Koalitionen der politis<strong>che</strong><br />
Chor sehr einheitlich wird, hört man<br />
die Stimme der Opposition Presse<br />
umso lauter.<br />
TL:<br />
Wie kann man junge Leute für den<br />
Journalismus begeistern?<br />
HP:<br />
Das muss man nicht erst, sie sind es.<br />
Man muss ihnen aber klarma<strong>che</strong>n,<br />
dass Journalismus nichts mit Schnick-<br />
Schnack, Schi-Schi und Promi-Getue<br />
zu tun hat, sondern harte Arbeit ist.<br />
TL:<br />
Journalistis<strong>che</strong> Lebensweisheit?<br />
HP:<br />
Qualität kommt von Qual.<br />
Guter Journalismus ist anstrengend.
FESTREDE
Frank A. Meyer<br />
anlässlich der Verleihung des<br />
<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preises 2006<br />
für kritis<strong>che</strong>n Journalismus
Sehr verehrte Damen und Herren,<br />
am 28. September war in der „Frankfurter<br />
Allgemeinen Zeitung“ folgende<br />
Schlagzeile zu lesen: „Erkennen die<br />
Regierenden die Flammenschrift an<br />
der Wand?“<br />
Der „Spiegel“ vom 30. September gab<br />
unter dem Titel „Die Koalition der<br />
Kraftlosen“ die ätzend-vernichtende<br />
Antwort, flammend formuliert und an<br />
Boshaftigkeit kaum mehr zu überbieten:<br />
Nein! Die Politiker der Grossen<br />
Koalition erkennen das Menetekel<br />
nicht.<br />
Wenn sie überhaupt regieren! Denn<br />
genau das stellte das Nachrichtenmagazin<br />
in Frage – mit der Verkaufszeile:<br />
„Wer regiert Deutschland?“ Und für<br />
alle, die es noch immer nicht verstanden<br />
haben, karikierte die Titelseite<br />
Angela Merkel und Franz Müntefering<br />
in der Rolle des verschrobenen Don<br />
Quichotte und seines tumb-schlauen<br />
Partners Sancho Pansa, auf deren Mienen<br />
sich Verblüffung und Überforderung<br />
spiegeln.<br />
Ebenfalls zu lesen war im „Spiegel“,<br />
dass immer mehr Deuts<strong>che</strong> ihr Land<br />
verlassen, weil sie diese deuts<strong>che</strong>n<br />
Verhältnisse nicht mehr ertragen.<br />
Mehr noch: Die Auszehrung Deutschlands<br />
steht bevor, mit den Emigranten<br />
„verschwindet wertvolles Wissen, die<br />
wirtschaftli<strong>che</strong>n Folgen sind fatal“, wie<br />
der „Spiegel“ konstatiert.<br />
So vollziehen, aus journalistis<strong>che</strong>r<br />
Sicht jedenfalls, die einfa<strong>che</strong>n Deuts<strong>che</strong>n,<br />
was der hochmögende Chef des<br />
Springer-Verlags, Matthias Döpfner,<br />
auch gern täte: „Wenn ich jünger wäre<br />
und diese Aufgabe nicht hätte, wäre<br />
ich längst weg.“<br />
Es ist ein Wunder, sehr verehrte<br />
Damen und Herren, dass ich unter<br />
diesen Umständen überhaupt hier<br />
vor Ihnen stehe.<br />
Denn wenn man liest, was in Deutschland<br />
über Deutschland geschrieben<br />
wird, geklagt wird, gehöhnt und<br />
geschimpft wird, dann bliebe man<br />
doch am besten zu Hause in der<br />
Schweiz, noch besser in Thomas<br />
Manns letztem deutschlandfernen<br />
Domizil Kilchberg am Zürichsee, wo<br />
ich wohne – in jeder Hinsicht si<strong>che</strong>r<br />
und durch die Schweizer Luftwaffe<br />
geschützt.<br />
20
Ein Vers der alten schweizeris<strong>che</strong>n<br />
Nationalhymne lautete: „Nie vor Gefahren<br />
bleich.“ Ich sang diese Nationalhymne<br />
noch. Und ich halte mich an die<br />
todesmutige Devise der alten Eidgenossen.<br />
Darum, meine sehr verehrten<br />
Damen und Herren, bin ich heute<br />
trotzdem hier.<br />
Reden soll ich über Journalismus. Eine<br />
Festrede soll es sein. In höchst unfestli<strong>che</strong>r<br />
Zeit, wie ich an Schlagzeilen und<br />
Titelbildern der deuts<strong>che</strong>n Presse<br />
erkennen muss.<br />
Was fällt mir zum deuts<strong>che</strong>n Journalismus<br />
ein? Oder, konkreter: Was fällt mir<br />
am deuts<strong>che</strong>n Journalismus auf?<br />
Es fällt mir auf, und zwar nicht erst<br />
heute, sondern seit einigen Jahren,<br />
ganz besonders in den letzten beiden:<br />
Die Politikfeindlichkeit der Medien.<br />
Liest man die Zeitungen und Zeitschriften,<br />
schaut man Fernsehen, so ers<strong>che</strong>inen<br />
die deuts<strong>che</strong>n Politiker als notoris<strong>che</strong><br />
Lügner, als skrupellose Geldverschwender,<br />
als machtversessene Hallodris,<br />
kurzum als Angeklagte, die es<br />
zu verhören gilt, wie die „Bild-Zeitung“,<br />
diese Staatsanwaltschaft aus<br />
21<br />
eigenem Recht, es vor einiger Zeit mit<br />
Norbert Blüm vorexerzierte.<br />
Die Politik in Deutschland taugt also<br />
nichts. Sie löst nicht die Probleme, sie<br />
bringt stattdessen Gesetzesmonster<br />
zur Welt. Ein offenbar besonders abschreckendes<br />
Beispiel: die Gesundheitsreform.<br />
Auch sieht diese Politik nicht – wie<br />
einst am Vorabend des Ersten Weltkriegs<br />
Wilhelm II. – „nur noch Deuts<strong>che</strong>“,<br />
nein, sie ist parteiisch. Ich<br />
zitiere noch einmal den „Spiegel“, der<br />
in einem Artikel über die Partner der<br />
Grossen Koalition vorwurfsvoll befand:<br />
„Zuerst die Partei, dann das Land.“<br />
Als politis<strong>che</strong>r Journalist, seit bald 40<br />
Jahren akkreditiert im Berner Bundeshaus,<br />
erlaube ich mir die Frage: Gibt<br />
es Demokratie ohne Parteien? Und<br />
gibt es Parteien ohne Parteilichkeit?<br />
Wo bin ich, wenn ich in Deutschland<br />
bin? In einer Demokratie? Oder in<br />
einem Land voll unerfüllter Sehnsucht<br />
nach dem politis<strong>che</strong>n Führertum?<br />
Ich komme aus einem Land, das seit<br />
1959 nicht nur mit einer Grossen Koali-
tion, sondern mit einer grössten Koalition<br />
lebt: Vier Parteien, die sich Jahr<br />
um Jahr raufen und zusammenraufen.<br />
Und wie sieht es aus in diesem meinem<br />
Land? Steht die Schweiz vor dem<br />
Untergang?<br />
Die Schweiz ist das Land, wo der politis<strong>che</strong><br />
Berg immer wieder Mäuse gebiert,<br />
wo Kompromiss und Konsens<br />
und Konkordanz zur politis<strong>che</strong>n Kultur<br />
geworden sind. Doch mehr und mehr<br />
Deuts<strong>che</strong>, von meinem Taxi-Chauffeur<br />
bis zum Manager, wollen nichts wie<br />
weg in die Schweiz. Begreife ich da<br />
etwas nicht?<br />
Doch ich soll hier ja vom Journalismus<br />
reden ...<br />
Erlauben Sie mir also, meine Damen<br />
und Herren, über die Rolle der Journalisten<br />
in unserer modernen und medial<br />
total vernetzten Gesellschaft nachzudenken<br />
– und zwar laut!<br />
Es ist richtig, dass der Journalismus<br />
untrennbar verbunden ist mit der<br />
Demokratie, genauer: mit der Politik<br />
in der Demokratie.<br />
Denkt man sich in der offenen Gesellschaft<br />
die Medien weg, gibt es nämlich<br />
die offene Gesellschaft nicht mehr.<br />
Das verleiht uns Journalisten Bedeutung,<br />
lässt uns geradezu staatstragend<br />
ers<strong>che</strong>inen, irgendwie sogar ...<br />
ehrwürdig. Vielleicht macht es uns<br />
auch eitel.<br />
Aber sei’s drum, wer nicht eitel ist, der<br />
gehört nicht in diesen Beruf.<br />
Nur eine einzige kleine Bes<strong>che</strong>idenheit<br />
wäre von uns Journalisten und Journalistinnen<br />
vielleicht doch einzufordern:<br />
Die Einsicht, dass wir nicht die Demokratie<br />
selbst sind, ja nicht einmal das<br />
Volk selbst, das schliesslich in der<br />
Demokratie bis jetzt – auch in Deutschland!<br />
– noch mit dem Wahlzettel über<br />
die Ausrichtung der Politik zu bestimmen<br />
hat.<br />
Aber was sind wir, wenn wir weder die<br />
Demokratie selbst noch das Volk<br />
selbst sind? Diener oder Herren? Wir<br />
sollten keinen Herren dienen, das vor<br />
allem. Aber: Auch als Herren sollten<br />
wir uns nicht aufspielen.<br />
Ich bin nun seit einiger Zeit, nicht<br />
zuletzt auf Grund von Beobachtungen<br />
in diesem Ihrem Deutschland, ein<br />
wenig unsi<strong>che</strong>r, ob sich die Medien<br />
22
und ihre Journalisten hier zu Lande der<br />
Pflicht zu sol<strong>che</strong>r Bes<strong>che</strong>idenheit auch<br />
wirklich bewusst sind – und zwar im<br />
Alltag bewusst: beim Schreiben in der<br />
Zeitung, beim Reden im Rundfunk und<br />
im Fernsehen.<br />
Wenn ich die Medien in ihrer Omnipräsenz<br />
beobachte, dann überkommt<br />
mich der ungute Eindruck von Macht.<br />
Von gewaltiger Macht. Von lückenlos<br />
vernetzter Macht. Von letztlich weltumspannender<br />
Macht. Und von gesellschaftsumklammernder<br />
Macht.<br />
Ich weiss, das Bild vom Netz der<br />
Medien, in dem die Bürger zappeln,<br />
ist ein böses Bild, denn angetreten<br />
sind die Journalisten in der Geschichte<br />
von Freiheit und Demokratie stets als<br />
Feinde der Macht, als Bezwinger der<br />
Macht. Als Dra<strong>che</strong>ntöter.<br />
Und die jüngste Geschichte kennt ja<br />
das grosse Beispiel dafür, wie die<br />
Medien dieser Rolle gerecht wurden:<br />
Die „Spiegel“-Affäre mit dem Dra<strong>che</strong>n<br />
Franz-Josef Strauss und dem Dra<strong>che</strong>ntöter<br />
Rudolf Augstein.<br />
Das war der ents<strong>che</strong>idende Durchbruch<br />
zur modernen demokratis<strong>che</strong>n Gesell-<br />
23<br />
schaft in Deutschland. Und Journalisten<br />
waren es, die diesen Durchbruch<br />
erkämpften.<br />
Ich war damals 18-jährig. Ich wusste<br />
schon, dass ich Journalist werden wollte,<br />
schrieb wö<strong>che</strong>ntlich eine Kolumne<br />
in der sozialdemokratis<strong>che</strong>n „Seeländer<br />
Volkszeitung“ meiner zweisprachigen<br />
Heimatstadt Biel-Bienne. Ich fieberte<br />
mit den „Spiegel“-Leuten. Sie<br />
waren für mich Helden. Ich fühlte mich<br />
sogar ein biss<strong>che</strong>n als Mit-Held.<br />
Was hat sich seither verändert? Hat<br />
sich überhaupt etwas verändert?<br />
Ich glaube schon.<br />
Die Medien sind, nicht nur in Deutschland,<br />
zu einer Macht herangewachsen.<br />
Der Dra<strong>che</strong>ntöter droht selbst zum<br />
Dra<strong>che</strong>n zu werden.<br />
Ich werde seit dem nahezu geschlossenen<br />
Wahlkampf der Medien gegen<br />
die rot-grüne Regierung vor über<br />
einem Jahr und seit Beginn des nahezu<br />
geschlossenen Kampfs der Medien<br />
gegen die schwarz-rote Regierung den<br />
Eindruck nicht los, in den Redaktionsstuben<br />
sässen lauter Bundeskanzlerin-
nen und Bundeskanzler – statt lauter<br />
kritis<strong>che</strong>, aber auch selbstkritis<strong>che</strong><br />
Journalisten.<br />
Leide ich unter Sinnestrübung, gar<br />
unter helvetis<strong>che</strong>r Anmassung, wenn<br />
ich die deuts<strong>che</strong> Politik einem Mahlstrom<br />
vernichtender Urteile durch ihre<br />
Medien ausgesetzt sehe?<br />
Oh, ich selbst bin nicht zimperlich,<br />
wenn ich Politik und Politiker kritisiere!<br />
Meine wö<strong>che</strong>ntli<strong>che</strong> Kolumne in der<br />
grössten Sonntagszeitung der Schweiz<br />
provoziert nahezu immer Widerspruch<br />
und Anfeindungen, auch durch Kolleginnen<br />
und Kollegen.<br />
Hier spre<strong>che</strong> ich an, was mir in Deutschland<br />
fehlt: Widerspruch und Streit zwis<strong>che</strong>n<br />
den Kollegen. Heftigen Widerspruch<br />
und heftigen Streit!<br />
Es fehlen mir die journalistis<strong>che</strong>n<br />
Krähen, die andern journalistis<strong>che</strong>n<br />
Krähen ein Auge aushacken.<br />
Es fehlt mir der Pluralismus der Meinungen,<br />
insbesondere unter den Grossmedien,<br />
insbesondere unter den Grossjournalisten,<br />
insbesondere unter den zahllosen<br />
Grosskanzlern in den Redaktionen.<br />
Steckt böse Absicht, gar Ideologie hinter<br />
all den selbstgerechten journalistis<strong>che</strong>n<br />
Richtersprü<strong>che</strong>n? Ich hoffe<br />
nicht. Ich vermute, dass wir, die wir<br />
gewohnt sind, die Anderen, vor allem<br />
die Politiker zu durchschauen, uns<br />
selbst nicht mehr durchschauen.<br />
Was wäre denn bei uns Journalisten zu<br />
durchschauen? Zunächst das Anwachsen<br />
unserer Macht durch Omnipräsenz<br />
rund um die Uhr und rund um den Erdball.<br />
Die Medien haben Zeit und Raum<br />
vereinnahmt. Wir Journalisten haben<br />
Zeit und Raum vereinnahmt.<br />
Die Medien sind vollständig globalisiert.<br />
Wir Journalisten sind vollständig<br />
globalisiert. Niemand ist so vollständig<br />
globalisiert wie wir – auch nicht die<br />
Wirtschaft, auch nicht die Manager.<br />
Unserem Zugriff entgeht keiner.<br />
Wir, die wir einst mit unserem Beruf<br />
für die Freiheit der Mens<strong>che</strong>n standen,<br />
überziehen die Mens<strong>che</strong>n jetzt mit<br />
unserem Netz. Von uns frei zu sein, ist<br />
unmöglich geworden.<br />
Freilich, es ist die unschuldige Technik,<br />
die uns diese Allgegenwart bes<strong>che</strong>rt<br />
24
hat. Aber sind auch wir selber unschuldig?<br />
Sind wir uns nicht wenigstens selbst<br />
ein biss<strong>che</strong>n unheimlich?<br />
Die Politik in der Demokratie, über die<br />
wir berichten und richten, ist eine<br />
langsame Angelegenheit. Sie ist der<br />
Ort der langen Weile ... wohlgemerkt<br />
lange Weile – in zwei Wörtern.<br />
Die Politik in der Demokratie ist ein<br />
mühsames Gestalten mit unablässigem<br />
Streit und unablässiger Quälerei<br />
um Kompromisse, ein mühseliger Prozess<br />
von Versuch und Irrtum.<br />
Wir Medien aber, wir Journalisten sind<br />
schnell, schneller geht es gar nicht:<br />
Rasch, rasch fällen wir unsere Verrisse<br />
und Verdikte; mit elektronis<strong>che</strong>r<br />
Geschwindigkeit verbreiten wir sie.<br />
Haben wir etwas geschrieben, haben<br />
wir etwas gesagt, ist unser Handwerk<br />
getan. Wir haben gehandelt.<br />
Das Handeln in der Demokratie dagegen<br />
ist nahezu immer stockend. Darum<br />
hält die Demokratie mit unserer Geschwindigkeit<br />
nicht Schritt.<br />
25<br />
Muss sich die Demokratie den Medien<br />
anpassen? Schnell im Handeln – ruckzuck<br />
– sind nur autoritäre Systeme.<br />
Die Demokratie macht uns ungeduldig,<br />
macht uns unwirsch. Wir lechzen<br />
nach Dramatik und Tempo, nicht nach<br />
Ausdifferenzierung und zäh erhandelten<br />
Kompromissen.<br />
Unser Geschäft ist der Showdown. Das<br />
Leitmedium Fernsehen macht es uns<br />
vor: Wer gegen wen? Wer gewinnt?<br />
Wer wird Millionär? Und natürlich:<br />
Wer ist der grösste Kra<strong>che</strong>r in der Talk-<br />
Runde?<br />
Im „Spiegel“ stand über Franz Müntefering<br />
der Satz: „Er reitet der Abendsonne<br />
entgegen.“ Das ist die Politik<br />
als Western-Szene, wie wir sie mögen.<br />
So stellen wir Politik dar, und so lesen<br />
es dann die Bürgerinnen und Bürger.<br />
Ich weiss, meine Ausführungen klingen<br />
wie eine Klagerede, wie Jammern<br />
über das eigene Metier. Aber bitte,<br />
reden und richten wir nicht täglich<br />
über andere? Sind wir nicht geübt im<br />
Zerlegen und Zerfetzen wie kein zweiter<br />
Berufsstand?<br />
Warum nehmen wir uns nicht aus-
nahmsweise einmal selbst ins Gebet?<br />
Ich habe schon von der grossen Stunde<br />
des deuts<strong>che</strong>n Journalismus gespro<strong>che</strong>n:<br />
von der „Spiegel“-Affäre<br />
1962, die ja auch die grosse Stunde<br />
der deuts<strong>che</strong>n Demokratie war. Rudolf<br />
Augstein hat damals den Begriff<br />
geprägt, sein Magazin sei das „Sturmgeschütz<br />
der Demokratie“.<br />
Was aber, wenn „der Spiegel“ heute<br />
nur noch ein Sturmgeschütz wäre? Aus<br />
purer Lust am Kanonendonner? Und<br />
wir Journalisten nur noch Kanoniere in<br />
eigener Sa<strong>che</strong>?<br />
Ich will das jetzt nicht einfach krude<br />
behaupten. Aber ich wage es dennoch,<br />
provokativ darüber nachzudenken.<br />
Und ich weiss, wel<strong>che</strong>r Gefahr ich mich<br />
dabei aussetze, denn seit der „Spiegel“-<br />
Affäre gilt der deuts<strong>che</strong> Journalismus<br />
als geheiligt. Wer Kritik daran übt, begeht<br />
ein Sakrileg, wird sofort der undemokratis<strong>che</strong>n<br />
Mentalität bezichtigt.<br />
Was wir täglich, stündlich, online<br />
sogar minütlich dürfen, nämlich<br />
lamentieren und kritisieren, das dürfen<br />
die Anderen uns gegenüber noch<br />
lange nicht. Am wenigstens die Politiker.<br />
Also müssten wir es eigentlich selber<br />
tun.<br />
Wir müssten uns fragen: Wie viel Loyalität<br />
darf die Demokratie von uns erwarten?<br />
Darf sie überhaupt Loyalität<br />
erwarten? Verdienen die Institutionen<br />
der Demokratie unseren Respekt? Die<br />
Regierung zum Beispiel? Oder das Parlament?<br />
Womöglich gar die Parteien?<br />
Wären wir Journalisten mit den Politikern<br />
ganz allein auf der Welt, hätten<br />
wir keinerlei Rücksichten zu nehmen.<br />
Doch wir sind mit den Politikern nicht<br />
allein. Wir schreiben für Leser, wir<br />
spre<strong>che</strong>n zu Zuhörern und Zuschauern.<br />
Und unsere Leser und Zuhörer<br />
und Zuschauer sind Bürger.<br />
Was stellen wir mit ihnen an? Dies nur<br />
mal ketzerisch vor mich hin gefragt ...<br />
Wenn auf einer Titelseite die ganze<br />
deuts<strong>che</strong> Politik als Lachnummer verhöhnt<br />
wird, dann höhnen Millionen<br />
über die Politik.<br />
Wenn die Politiker in einem Fernsehbeitrag<br />
pauschal als Lügner diffamiert<br />
werden, dann verlieren Millionen ihren<br />
Glauben.<br />
26
Wenn Minister und Parlamentarier in<br />
Millionenauflage als raffgierige Clique<br />
hingestellt werden, dann fühlen sich<br />
Millionen betrogen.<br />
Selbstverständlich müssen wir Kritik<br />
üben. Das ist seit jeher unsere Aufgabe.<br />
Daran hat sich auch nichts verändert.<br />
Doch unsere Kritik darf nicht die Demokratie<br />
selbst treffen. Das ist die heikle<br />
Seite unserer Aufgabe: Wie kritisieren<br />
wir Politik und Politiker, ohne Demokratieverdrossenheit<br />
zu provozieren?<br />
In der „Welt am Sonntag“ las ich am<br />
letzten Sonntag den Titel: „Ist die<br />
Demokratie als sol<strong>che</strong> in Gefahr? Die<br />
Anzei<strong>che</strong>n mehren sich.“<br />
Die „Financial Times Deutschland“ lieferte<br />
mir am Montag die Zahlen zum<br />
Titel in der „Welt am Sonntag“: Mehr<br />
als die Hälfte der Deuts<strong>che</strong>n zweifelt<br />
an der Demokratie. 38 Prozent sind<br />
weniger zufrieden, 13 Prozent sind gar<br />
nicht zufrieden. Das ergibt addiert<br />
eine Mehrheit, die der Demokratie<br />
politis<strong>che</strong> Misserfolge anlastet.<br />
Sind wir an diesem höchst bedenkli<strong>che</strong>n<br />
Resultat unbeteiligt? Unschuldig?<br />
27<br />
Wir gehen über einen sehr schmalen<br />
Grat: zwis<strong>che</strong>n Liebedienerei und Politik-Bashing.<br />
Mir s<strong>che</strong>int, dass seit<br />
einiger Zeit das Politik-Bashing massiv<br />
überwiegt.<br />
Könnte es sein, dass wir uns in die<br />
Rolle der „Vierten Gewalt“ im Staat<br />
verliebt haben? Auch die Politiker<br />
bezeichnen uns ja schon so. Und die<br />
Bezeichnung schmei<strong>che</strong>lt unserer<br />
Eitelkeit: Wir sind nicht nur mächtig,<br />
wir werden auch noch als Machtträger<br />
anerkannt, sogar hofiert.<br />
Ich halte die uns zugeschriebene Rolle<br />
der „Vierten Gewalt“ für fatal. Was<br />
nämlich heisst „Vierte Gewalt“? Die<br />
drei anderen Gewalten, auf die sich<br />
der Begriff bezieht, sind Staatsgewalten:<br />
Legislative, Exekutive und Judikative.<br />
Sind wir – die Medien, die Journalisten<br />
– auch eine Staatsgewalt?<br />
Da muss doch jedem von uns mulmig<br />
werden. Staatsgewalt passt in keiner<br />
Weise zu uns: nicht der Begriff<br />
„Staat“, schon gar nicht der Begriff<br />
„Gewalt“.
Staatsgewalt in der Demokratie legitimiert<br />
sich durch Wahl und Pflichtenheft<br />
und institutionelle Kontrolle. Also<br />
auch durch Sanktion und Wegwahl.<br />
Wollen wir wirklich eine Art Staatsgewalt<br />
sein?<br />
Was hätten wir in dieser Welt der<br />
streng geregelten und beaufsichtigten<br />
Institutionen zu su<strong>che</strong>n? Nichts.<br />
Wir gehören dort hin, wo unsere<br />
Gesellschaft noch frei ist von institutionellen<br />
Zwängen: in die „Zivilgesellschaft“,<br />
also mitten hinein ins anarchis<strong>che</strong>,<br />
weil staatsfreie Alltagsgetümmel.<br />
Das gibt es. Sogar in Deutschland.<br />
Unsere angeschwollene Macht aber<br />
birgt für den journalistis<strong>che</strong>n Berufsstand<br />
noch andere Gefahren als nur<br />
die Verführung zur „Vierten Gewalt“.<br />
Wir sind neuerdings auch im Geschäft:<br />
Als journalistis<strong>che</strong> Marken, als hoch<br />
dotierte Stars der Medienszene, als<br />
Geschäftema<strong>che</strong>r.<br />
Ehedem waren Fernsehmoderatoren<br />
nur Fernsehmoderatoren, angestellte<br />
Journalisten mit einem ordentli<strong>che</strong>n<br />
Lohn, dem Kodex einer öffentlich-<br />
rechtli<strong>che</strong>n Fernsehanstalt unterworfen.<br />
Das ist alles ganz anders geworden:<br />
Heute haben Talk-Moderatoren eigene<br />
Produktionsfirmen. Sie vermarkten<br />
sich selbst als Werbeträger. Sie verdienen<br />
damit Millionen; siehe Beckmann,<br />
Jauch oder Kerner.<br />
In einer Welt, in der rastlos nach neuen,<br />
sensationellen Inhalten für die<br />
modernsten Kommunikationsträger<br />
gesucht wird, in einer Welt, in der<br />
Medienunternehmen per Rasterfahndung<br />
die neusten Stars aufspüren, in<br />
dieser Welt wittern auch die Journalisten<br />
ihr Geschäft.<br />
Ja, Journalismus als Geschäft: Das ist<br />
neu. Aber ist es auch vertretbar? Passt<br />
es zu unserer Aufgabe? Ist es – jetzt<br />
werde ich ganz altmodisch – überhaupt<br />
vereinbar mit unserer Arbeit an der<br />
Demokratie und für die Demokratie?<br />
Ich nenne diese Frage „altmodisch“,<br />
weil mir bewusst ist, wie wenig gegen<br />
die fortschreitende Kommerzialisierung<br />
der Medienberufe unternommen<br />
werden kann.<br />
Ich ma<strong>che</strong> mir Sorgen um die journalistis<strong>che</strong><br />
Unabhängigkeit: um die Unab-<br />
28
hängigkeit vom Staat und seinen Institutionen,<br />
aber auch um die Unabhängigkeit<br />
von der Wirtschaft und ihren<br />
Mechanismen. Nicht zuletzt um die<br />
Unabhängigkeit von unserer eigenen<br />
Gier!<br />
Denn diese unsere Unabhängigkeit ist<br />
Voraussetzung für das Funktionieren<br />
der doch sehr unübersichtlich gewordenen<br />
Demokratie. An uns wäre es, die<br />
Übersichtlichkeit wieder herzustellen.<br />
Bedingung dafür wäre dann allerdings<br />
auch, dass für die Bürger überhaupt<br />
erst ersichtlich würde, wer wir sind,<br />
wo wir herkommen, wo wir stehen.<br />
Glauben Sie im Ernst, dass die Mens<strong>che</strong>n<br />
in dieser unübersichtli<strong>che</strong>n Zeit<br />
eine Ahnung davon haben, wie es in<br />
unserem Beruf zugeht? Weil sie die<br />
nicht haben, nicht haben können, sind<br />
sie misstrauisch geworden.<br />
Ja, uns Journalisten schlägt Misstrauen<br />
entgegen!<br />
Es herrscht die Meinung: Die Journalisten<br />
schreiben sowieso, was sie wollen.<br />
Der Satz passt zu einem anderen<br />
berühmten Klis<strong>che</strong>e: Die Politiker<br />
ma<strong>che</strong>n sowieso, was sie wollen.<br />
29<br />
Misstrauen in die Berufsleute der<br />
Demokratie, und das sind nun mal<br />
Journalisten wie Politiker, schwächt<br />
die Demokratie. Dauerndes Misstrauen<br />
unterhöhlt sie. Grundsätzli<strong>che</strong>s<br />
Misstrauen zerstört sie.<br />
Demokratie, sehr verehrte Damen und<br />
Herren, ist nämlich nie gesi<strong>che</strong>rt. Sie<br />
ist höchstens ein biss<strong>che</strong>n si<strong>che</strong>rer, so<br />
lange sie gelebt wird, so lange sie von<br />
einer engagierten Elite von Bürgern<br />
leidenschaftlich vorgelebt wird.<br />
Das wäre dann die wahre Elite einer<br />
demokratis<strong>che</strong>n Gesellschaft: Bürgerinnen<br />
und Bürger aus allen sozialen<br />
Schichten, die sich dem demokratis<strong>che</strong>n<br />
Ges<strong>che</strong>hen mit heiligem Feuer,<br />
mit „feu sacré“ verschreiben.<br />
Dazu aber zählen vorab die Journalisten.<br />
Sie ma<strong>che</strong>n Stimmung für die<br />
Demokratie – oder sie ma<strong>che</strong>n sie<br />
kaputt.<br />
Weshalb, sehr verehrte Damen und<br />
Herren, werde ich hier so eindringlich,<br />
so leidenschaftlich, ja so streng?<br />
Anmassend will ich nicht sein. Aber<br />
erlauben Sie mir, aus Schweizer Sicht
doch etwas zur deuts<strong>che</strong>n Demokratie<br />
zu sagen: Sie ist ja nicht, wie die<br />
schweizeris<strong>che</strong>, Resultat einer bürgerli<strong>che</strong>n<br />
Revolution. 1848 s<strong>che</strong>iterte das<br />
deuts<strong>che</strong> Bürgertum in der Paulskir<strong>che</strong>.<br />
Im selben Jahr, am 12. September, eroberten<br />
die Schweizer Freisinnigen die<br />
Macht. Sie stellten dem restaurativen<br />
Europa einen modernen und für damalige<br />
Verhältnisse sensationell demokratis<strong>che</strong>n<br />
Bundesstaat entgegen.<br />
Die Schweiz war die demokratis<strong>che</strong><br />
Avantgarde; Deutschland dagegen<br />
blieb, über Generationen hinweg, die<br />
Arrièregarde: eine verspätete Nation<br />
mit einem ges<strong>che</strong>iterten Bürgertum,<br />
das zwar unter der wilhelminis<strong>che</strong>n<br />
Monarchie die wirtschaftli<strong>che</strong>, wissenschaftli<strong>che</strong><br />
und kulturelle Vorherrschaft<br />
errang, jedoch auf die politis<strong>che</strong><br />
Macht verzichten musste.<br />
Ja, das deuts<strong>che</strong> Bürgertum war ein<br />
schwer gedemütigtes Bürgertum. Und<br />
weil es unter dieser Demütigung litt,<br />
log es sich eine ästhetisierte Kultur<br />
zurecht, die für die Demokratie nur<br />
Verachtung übrig hatte.<br />
Thomas Manns „Betrachtungen eines<br />
Unpolitis<strong>che</strong>n“, geschrieben in der Zeit<br />
des Ersten Weltkriegs, ist das Manifest<br />
dieses ges<strong>che</strong>iterten deuts<strong>che</strong>n Bürgertums:<br />
Eine Streitschrift gegen die<br />
wels<strong>che</strong> und deshalb verachtenswerte<br />
Zivilisation, womit alles Republikanis<strong>che</strong><br />
und Demokratis<strong>che</strong> des französis<strong>che</strong>n<br />
Erzfeindes gemeint war. Gleichzeitig<br />
überhöhte Thomas Mann die<br />
deuts<strong>che</strong> Kultur zur Gegenwelt der – in<br />
seinen Augen – wertearmen westli<strong>che</strong>n<br />
Gesellschaften von Paris über<br />
London bis Washington.<br />
Mann selbst wandelte sich zwar zum<br />
entschlossenen und mutigen, weil<br />
öffentli<strong>che</strong>n Verteidiger der Weimarer<br />
Republik. Doch das dünkelhaft Unpolitis<strong>che</strong><br />
als Ausdruck der Demokratie-<br />
Verachtung blieb typisch für das deuts<strong>che</strong><br />
Bürgertum.<br />
Nur so ist zu erklären, dass es die<br />
Weimarer Demokratie nicht als seine<br />
Chance begriff. Nur so ist zu erklären,<br />
dass die bürgerli<strong>che</strong>n Parteien geschlossen<br />
für die Ermächtigungsgesetze<br />
und dadurch für Hitler stimmten.<br />
Erlauben Sie mir eine kurze Anmerkung<br />
zu dieser dramatischsten Stunde<br />
in der unglückli<strong>che</strong>n Geschichte der<br />
deuts<strong>che</strong>n Demokratie: Die Rede des<br />
30
Sozialdemokraten <strong>Otto</strong> Wels gegen die<br />
Ermächtigungsgesetze, also gegen<br />
Hitler – gehalten unter Gefahr für Leib<br />
und Leben – ist das bisher mutigste<br />
Bekenntnis zur bürgerli<strong>che</strong>n Demokratie<br />
in Deutschland.<br />
Auch die heutige deuts<strong>che</strong> Demokratie,<br />
vielleicht die modernste Europas, ist<br />
nicht durch das deuts<strong>che</strong> Bürgertum<br />
errungen worden. Sie wurde ihm vielmehr<br />
verordnet.<br />
Doch sie wurde bis heute gut gelebt,<br />
vielleicht sogar vorbildhaft gelebt.<br />
Von wem wurde sie so gelebt? Von<br />
einem Klein- und Mittelbürgertum,<br />
von Arbeitnehmern und Beamten, von<br />
Linken und von Rechten, die sich darauf<br />
geeinigt hatten: Deutschland<br />
muss anders werden als es je war –<br />
nämlich wahrhaft demokratisch.<br />
Und die Leistung, die daraus folgte, ist<br />
ja auch gewaltig: Keine Nation, die<br />
schuldhaft aus dem Faschismus und<br />
dem Zweiten Weltkrieg hervorging, hat<br />
sich so sehr mit der eigenen Schuld<br />
befasst wie Deutschland.<br />
Freilich, Deutschland trug die Hauptschuld,<br />
doch hätte es sich auch weg-<br />
31<br />
ducken können. Es hat es nicht getan.<br />
Seit Jahrzehnten gehören Fragen nach<br />
der Verantwortung für den grössten<br />
Schrecken, für die grössten Verbre<strong>che</strong>n<br />
der Weltgeschichte zum Deuts<strong>che</strong>n<br />
Alltag: in den Medien, in der Politik,<br />
in der Kultur, in der Wissenschaft.<br />
Wohl kein Volk hat sich so sehr in so<br />
kurzer Zeit selbst zur Demokratie<br />
erzogen wie das deuts<strong>che</strong>.<br />
Die deuts<strong>che</strong>n Medien haben grossen<br />
Anteil an dieser Entwicklung, die ganz<br />
Europa mit Bewunderung verfolgte.<br />
Und doch ist eine Feuerprobe noch<br />
nicht bestanden.<br />
Bis vor kurzem war die deuts<strong>che</strong><br />
Demokratie identisch mit dem deuts<strong>che</strong>n<br />
Erfolg, dem ökonomis<strong>che</strong>n wie<br />
dem individuellen.<br />
Das ist inzwis<strong>che</strong>n anders: Deutschland<br />
muss ungewohnte Probleme meistern.<br />
Probleme der Globalisierung, wie<br />
sie ganz Europa treffen. Aber auch<br />
Probleme, die sich aus der Wiedervereinigung<br />
ergeben und nur Deutschland<br />
treffen.<br />
Deutschland soll wettschwimmen –
mit einem Mühlstein am Hals. Das ist<br />
das Bild, das sich von aussen bietet.<br />
Es geht also jetzt darum, demokratis<strong>che</strong><br />
Politik bei schlechtem Wetter zu<br />
leben. Vor allem geht es darum, die<br />
Demokratie vor Verdrossenheit und<br />
Unlust in Schutz zu nehmen. Denn es<br />
ist ja nicht die Demokratie, die für die<br />
Probleme verantwortlich ist. Sie ist nur<br />
die Werkstatt, in der sie behoben werden<br />
sollen.<br />
Das Bewusstsein dafür aber können<br />
nur die Medien schaffen, nur wir, die<br />
Journalisten.<br />
Deutschland s<strong>che</strong>itert nicht.<br />
Deutschland ist Export-Weltmeister,<br />
Deutschland steht nach einer Erhebung<br />
des Word Economic Forum sogar auf<br />
Platz acht der wettbewerbsfähigsten<br />
Nationen der Welt.<br />
Die Flammenschrift an der Wand ist<br />
eine journalistis<strong>che</strong> Erfindung. Eine<br />
originelle, eine sensationelle, eine<br />
wirksame – aber keine konstruktive.<br />
Ja, ich sage ganz bewusst:<br />
keine konstruktive!<br />
Es ist seit einiger Zeit wieder viel vom<br />
Patriotismus die Rede in den deuts<strong>che</strong>n<br />
Medien, und zwar nicht erst seit<br />
der Weltmeisterschaft. Man fordert<br />
wieder mehr Emotion fürs Land. Die<br />
Deuts<strong>che</strong>n sollen ihr Land lieben: das<br />
Land, nicht nur seine Verfassung.<br />
Weiss Gott, sehr verehrte Damen und<br />
Herren, die Schweiz ist schön!<br />
Am schönsten ist meine Heimat im<br />
Schweizeris<strong>che</strong>n Seeland, am Fuss des<br />
Jura, dessen widerspenstiglibertären<br />
Mens<strong>che</strong>nschlag ich ganz besonders<br />
mag.<br />
Aber was wäre all die Schönheit der<br />
Schweiz, wenn die Demokratie nicht<br />
wäre?<br />
Sie kennen alle das Unbehagen, das<br />
sich einstellt, wenn man in einem wunderschönen<br />
Land Ferien macht, dessen<br />
Bürger in Unfreiheit leben.<br />
Ja, was wäre all die Schönheit Deutschlands,<br />
die ich mehr und mehr entdecke,<br />
wenn die deuts<strong>che</strong> Demokratie<br />
nicht wäre?<br />
Sehr verehrte Damen und Herren, als<br />
Demokrat liebt man doch die Demo-<br />
32
kratie. Also ist man Verfassungspatriot.<br />
Ich bin ein Schweizer Verfassungspatriot.<br />
Meiner journalistis<strong>che</strong>n Arbeit<br />
merkt man das an.<br />
Journalisten sollten auf jeden Fall Verfassungspatrioten<br />
sein.<br />
Und ihre Leserinnen und Leser, ihre<br />
Zuschauerinnen und Zuschauer sollten<br />
es merken.<br />
33<br />
Frank A. Meyer ist Chefpublizist des<br />
Ringier-Verlags (Zürich).
DIE PREISTRÄGER 2006
Redaktion „Der Tag“ – hr2<br />
Frank Jansen – Der Tagesspiegel<br />
Redaktion „Zapp“ – NDR
1. PREIS<br />
36
Alf Mentzer (Redaktionsleiter)<br />
Rainer Dachselt Peter Ochs<br />
Gregor Praml Dorothea Schuler<br />
Kathrin Fis<strong>che</strong>r Florian Schwinn<br />
Angela Fitsch Berndt Seidl<br />
Oliver Glapp Rainer Weber<br />
Dr. M. Barbara Henke Uwe Westphal<br />
Markus Hürtgen Dr. Peter Zudeick<br />
Lionel van der Meulen<br />
37<br />
Redaktion „Der Tag“ – hr2<br />
1. Preis
Der Tag<br />
Redaktion „Der Tag“ – hr2<br />
„Der Tag“ ist eine monothematis<strong>che</strong>, werktägli<strong>che</strong> Hintergrundsendung, die sich<br />
seit nunmehr zehn Jahren in Beiträgen, Gesprä<strong>che</strong>n, Glossen, literaris<strong>che</strong>n Texten<br />
jeweils einem – akut oder latent – aktuellen Thema widmet. Die Themenbreite<br />
reicht von der Globalisierungskritik (oder auch dem Lob der Globalisierung),<br />
über die Infantilisierung der Gesellschaft bis zum Lob der Faulheit.<br />
Bei der Behandlung seiner Themen nimmt „Der Tag“ sich Zeit: 55 Minuten für<br />
ein Thema pro Werktag, keine Musik: Das erlaubt es uns, Zusammenhänge<br />
detailliert darzustellen, Hintergründe gründlich auszuleuchten, Experten wirklich<br />
zu Wort kommen zu lassen und kritisch zu befragen.<br />
Zugleich ist „Der Tag“ eine dramaturgisch durchgestaltete Sendung. „Der Tag“<br />
bildet ein Thema nicht nur ab, er geht mit diesem Thema um, dreht es, perspektiviert<br />
es neu, versucht neue Herangehensweisen zu erproben, neue Fragen zu<br />
testen.<br />
Das Besondere „Des Tags“ besteht darin, dass die Sendung dazu anregen will,<br />
anders mit einem Thema umzugehen, als das normalerweise geschieht. „Der<br />
Tag“ überhöht Themen (verglei<strong>che</strong>n die Angst vor den Vogelgrippeträgern aus<br />
Russland mit der ewigen Furcht vor der Bedrohung aus dem Osten) oder<br />
unterläuft sie (wenn die Redaktion in einer Sendung zum rechtsextremistis<strong>che</strong>n<br />
Nachwuchs Rezepte für die Zubereitung eines „Kleinen Braunen“ – Kaffeespezialität<br />
aus Österreich – anbietet).<br />
„Der Tag“ versucht, jeweils neue Perspektiven anzubieten, und das geschieht<br />
aus einer eminent aufkläreris<strong>che</strong>n Einstellung heraus: Keine Sa<strong>che</strong> ist so wichtig,<br />
ernsthaft, selbstverständlich, dass man sich nicht seine eigene Meinung<br />
dazu bilden könnte. „Der Tag“ ist die Aufforderung, selbst mal anders zu denken,<br />
tiefer, hintergründiger, schräger, leichter, anders eben.<br />
„Der Tag“ ist eine Sendung für Mens<strong>che</strong>n, die Lust haben, sich ihres eigenen<br />
Verstandes zu bedienen.<br />
38
Begründung der Jury<br />
»Erstklassiges verdient den ersten Preis. Mit „Der Tag“ sendet der Hessis<strong>che</strong><br />
Rundfunk seit nunmehr zehn Jahren eine vorbildli<strong>che</strong>, maßstabsetzende<br />
Radiosendung, die weit mehr ist als die Chronik der laufenden Ereignisse,<br />
vielmehr eine monothematis<strong>che</strong> Tiefenanalyse mit oft überras<strong>che</strong>nden<br />
Erkenntnissen und stets vielfältiger Formenspra<strong>che</strong>: Korrespondentenbericht,<br />
Kommentar, Atmosphäre, Expertengespräch, Kritik und Satire –<br />
alles hat hier seinen Platz und hilft dem Hörer, von der Redaktion sorgsam<br />
aufeinander abgestimmt, die Wirklichkeit (in Politik, Wirtschaft, Kultur usw.<br />
usf.) besser zu verstehen.<br />
„Der Tag“ – das ist modernes Gegenwartsradio für kluge Köpfe, innovativ in<br />
der Gestaltung, unkonventionell in der Deutung der Wechselfälle des<br />
Aktuellen und häufig sogar amüsant. Hörfunk zum Aufhor<strong>che</strong>n, öffentlichrechtli<strong>che</strong>s<br />
Zeitgespräch in Spitzenform und Reinkultur.«<br />
39<br />
Auf der beiliegenden DVD befindet sich ein Hörbeitrag als Beispiel für das<br />
prämierte Sendeformat.
2. PREIS<br />
40
Frank Jansen<br />
2. Preis<br />
Langzeit-Reportagen über die Opfer<br />
rechtsextremer Gewalt in Deutschland<br />
41
Wenn keiner nach den Rechten sieht<br />
Der nachfolgende Artikel, veröffentlicht im Tagesspiegel am 5. Dezember 2005,<br />
ist einer von vielen Beiträgen des Autors, die letztlich dazu geführt haben, dass<br />
die behördli<strong>che</strong>n Ermittlungen im Fall Rico R. in Gang gesetzt wurden.<br />
Es geht um Nazis, Gewalt, den Osten und die Polizei. Am Ende klingt alles<br />
wie ein Krimi, bei dem der Autor übertrieben hat<br />
Eine Sommerkirmes, wie sie überall sein könnte. Karussells quiets<strong>che</strong>n und rattern,<br />
johlende Jugendli<strong>che</strong> fahren Autoscooter, Live-Musik schallt aus dem Bierzelt.<br />
Ein paar Punks schlendern herum, am Autoscooter bleibt ein 16-Jähriger mit<br />
Irokesenschnitt etwas zurück.<br />
Andreas Müller (Name geändert) trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Gegen<br />
Nazis“, das gefällt einem anderen Besu<strong>che</strong>r nicht. Der Mann hat ein Bierglas in<br />
der Hand und raunzt: „Was soll’n das, gegen Nazis?“ Der Punk weicht zurück,<br />
der Mann schlägt zu. Mit dem Bierglas in Müllers Gesicht. Das Glas zersplittert,<br />
Müller blutet stark und taumelt, doch der Schläger prügelt weiter und zwingt<br />
den Punk, das T-Shirt auszuziehen. Dann lässt er von ihm ab. Holt sich das<br />
nächste Bier.<br />
Es geschah nicht überall, sondern in Zerbst, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt.<br />
Und es geht um mehr als typisch rechtsextreme Randale Ost. Die Tat hat für das<br />
Opfer noch härtere Folgen als sonst in sol<strong>che</strong>n Fällen üblich. Und der Part der<br />
Polizei ist bizarr. Es klingt, als habe ein überdrehter Autor einen prallen Ossi-<br />
Krimi geschrieben. Da müssen Nazis rein, überforderte Polizisten, eine herzlose<br />
Stadtverwaltung, ein junges Opfer mit allein erziehender Mutter, die von Arbeitslosengeld<br />
II lebt. Zerbst ist Klis<strong>che</strong>e real. Andreas Müller und seine Mutter<br />
sagen: bloß weg hier.<br />
Der Punk ist seit dem Angriff auf dem Zerbster „Heimatfest“ am Abend des<br />
30. Juli halb blind. Bei dem Schlag mit dem Bierglas drang ein Splitter ins rechte<br />
42
Auge ein. Es war trotz dreier Operationen in der Universitätsklinik Magdeburg<br />
nicht zu retten. Im Januar, sagt Müller, „wird mir ’ne Prothese eingesetzt“. Das<br />
Auge ist halb geschlossen, die rechte Gesichtshälfte voller Schnittnarben. Wel<strong>che</strong>n<br />
Beruf er einmal wird ausüben können, ob er jemals ein Auto fahren wird –<br />
Müller weiß es nicht. Doch es gehe ihm „ganz gut“, sagt er tonlos am Kü<strong>che</strong>ntisch<br />
in der Wohnung der Mutter. Er hat für das, was sich seit dem 30. Juli abgespielt<br />
hat, offenbar nur noch Fatalismus übrig.<br />
Noch am Abend des Tattages nimmt die Polizei den Schläger in Gewahrsam. Ein<br />
Freund des Opfers und ein Wachdienstmann haben Nico K. auf dem Heimatfest<br />
aufgespürt und festgehalten. Nico K., 28 Jahre alt und mehrfach vorbestraft,<br />
erzählt den Beamten, er habe sich nur verteidigt. Die Polizisten verzichten darauf,<br />
Müllers Freund zu befragen. Routinemäßig nehmen sie die Personalien von<br />
Nico K. auf und fahren ihn zum Krankenhaus, wo für einen Alkoholtest Blut entnommen<br />
wird. Dann bringen die Beamten Nico K. zum Bahnhof, wo er in den<br />
letzten Zug zu seinem Wohnort einsteigt, dem nahen Roßlau. Die Beamten fahren<br />
nicht mit. So kann K. nochmal zuschlagen. Im Zug sieht er einen Augenzeugen<br />
des Angriffs auf Müller. Nico K. versetzt dem jungen Zeugen einen Fausthieb<br />
an den Kopf. Und steigt unbehelligt in Roßlau aus.<br />
Andreas Müller liegt da schon in der Universitätsklinik. Sechs Tage später kommt<br />
ein Beamter der Polizeidirektion Magdeburg ins Krankenhaus, um den Punk zu<br />
befragen. Amtshilfe für das Revier in Zerbst. Müller sagt aus. Das Protokoll der<br />
Vernehmung kann der Polizist allerdings von seinem Laptop im Klinikum nicht<br />
ausdrucken. Eine knappe Wo<strong>che</strong> passiert nichts, dann ers<strong>che</strong>int der Beamte am<br />
11. August wieder im Krankenhaus und geht, ohne einen Arzt oder eine Schwester<br />
zu informieren, zu Müller ins Zimmer. Der Punk hat bereits ein Beruhigungsmittel<br />
genommen, da eine weitere Operation bevorsteht. Doch der Polizist lässt sich<br />
das Protokoll unterschreiben – ohne dass der benommene Jugendli<strong>che</strong> es gelesen<br />
hat. Auch die Mutter, die ihren Sohn täglich besucht, ist nicht mehr da. Als<br />
der Stationsarzt von dem Verhalten des Beamten erfährt, fehlt ihm jedes Verständnis:<br />
„Das war nicht korrekt.“<br />
43
In Zerbst selbst wird die Gewalttat heruntergespielt. Kulturamtsleiter Andreas<br />
Dittmann freut sich in einem Interview mit der Regionalzeitung, das am 6. August<br />
ers<strong>che</strong>int, die Stimmung der Gastronomen auf dem noch laufenden Heimatfest<br />
sei „heiter gelassen“. Und er verurteilt eine Demonstration von 50 jungen Linken,<br />
die fünf Tage nach der Gewalttat in Zerbst ein „nazifreies Heimatfest“ forderten.<br />
Der Protest hat Folgen: Die Staatsanwaltschaft im nahen Dessau leitet ein Verfahren<br />
gegen den mutmaßli<strong>che</strong>n Anführer der Demonstration ein, wegen Verstoßes<br />
gegen das Versammlungsgesetz.<br />
Die Zerbster Polizei gibt sich auch anderthalb Wo<strong>che</strong>n nach dem Angriff auf<br />
Müller ahnungslos. Das Revier lässt am 9. August über die Regionalzeitung verbreiten,<br />
man könne keine „Gerüchte“ bestätigen, ein junger Mann habe bei<br />
einer Auseinandersetzung auf dem Heimatfest ein Auge verloren. Inzwis<strong>che</strong>n hat<br />
die in Magdeburg sitzende „Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt“<br />
von dem Fall erfahren. Sp<strong>re<strong>che</strong>r</strong>in Heike Kleffner ruft Journalisten an und klagt,<br />
was sich in Zerbst abspiele, erinnere an die „Zustände in den wirren Zeiten nach<br />
der Wende“. Dann kommt am 12. August plötzlich Bewegung in den Fall –<br />
offenbar durch eine fals<strong>che</strong> Auskunft.<br />
Da sagt der Sp<strong>re<strong>che</strong>r</strong> der Polizei Zerbst dem Tagesspiegel, die Staatsanwaltschaft<br />
Dessau habe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dort heißt es jedoch,<br />
man kenne den Vorgang gar nicht. Sofort wendet sich die Staatsanwaltschaft<br />
an die Polizei in Zerbst. Und wie der Zufall so will, trifft am Nachmittag des<br />
12. August in Zerbst ein Fax der Polizeidirektion Magdeburg ein – in dem über<br />
die eine Wo<strong>che</strong> alte Vernehmung von Andreas Müller berichtet wird. Nun gibt<br />
es doch den Verdacht auf eine brutale rechtsextreme Straftat.<br />
Das Staatsschutz-Kommissariat der Polizeidirektion Dessau wird eingeschaltet.<br />
Es hält den Fall für so gravierend, dass mit Beamten aus Zerbst eine „Ermittlungsgruppe<br />
Schlossgarten“ gebildet wird. Jetzt werden Zeugen befragt. Am<br />
17. August nehmen Beamte Nico K. fest. Er legt ein Geständnis ab, gibt auch den<br />
Faustschlag im Zug nach Roßlau zu – und sagt, er habe sich längst von der rechten<br />
Szene gelöst. Am nächsten Tag schickt ihn das Amtsgericht Zerbst in Unter-<br />
44
suchungshaft. Mitte Oktober erhebt die Staatsanwaltschaft Dessau Anklage,<br />
wegen schwerer und einfa<strong>che</strong>r Körperverletzung. Nico K. drohen nun bis zu zehn<br />
Jahre Haft. In den nächsten Tagen wird das Landgericht Dessau vermutlich die<br />
Anklage zulassen.<br />
Für die Polizei ist der Fall jedoch nicht erledigt. „Es gab Kommunikationsbruchstellen“,<br />
sagt Sven Gratzik, Chef des Staatsschutz-Kommissariats in Dessau. Für<br />
einen Polizeiführer äußert er sich erstaunlich offen. Schon bei der Festnahme<br />
des Schlägers auf dem Heimatfest hätten sich die Beamten per Funk erkundigen<br />
sollen, ob Nico K. polizeilich bekannt ist, sagt Gratzik. Sie hätten auch gleich<br />
den Freund von Müller befragen können, der mit dem Wachdienstmann den<br />
Gewalttäter auf dem Heimatfest aufgespürt hatte. „Ich verstehe nicht, warum<br />
man nicht alles tat, um den politis<strong>che</strong>n Hintergrund aufzuklären“, Gratzik hebt<br />
die Arme. „Man hat Routine an den Tag gelegt, aber Routine kann tödlich sein.“<br />
Er hat nun die Beamten im Einzugsbereich der Polizeidirektion Dessau vergattert,<br />
sich auch beim geringsten Verdacht auf eine politis<strong>che</strong> Straftat sofort bei<br />
ihm zu melden. „Jetzt werde ich öfter angerufen“, Gratzik lä<strong>che</strong>lt. Eher drohend<br />
als ironisch.<br />
Der Staatsschützer wundert sich auch, warum der Magdeburger Beamte nicht<br />
sofort berichtete, was der verletzte Punk im Krankenhaus ausgesagt hatte.<br />
„Auch wenn das Protokoll noch nicht unterschrieben war, hätten wir einen<br />
Ermittlungsansatz gehabt“, sagt Gratzik. Dass der Polizist später Andreas Müller<br />
das Protokoll ungelesen abzeichnen ließ, hält Gratzik für weniger schlimm. „Er<br />
hat nichts Fals<strong>che</strong>s unterschreiben lassen“, außerdem habe der Beamte direkt<br />
nach der Vernehmung den Text vom Laptop vorgelesen. Was den vibrierenden<br />
Kriminalrat viel stärker nervt, sind die zwei Wo<strong>che</strong>n Verzögerung beim Zugriff<br />
auf den Gewalttäter.<br />
Das Revier in Zerbst bleibt gemächlich. Der Fall vom Sommer sei noch nicht ausgewertet,<br />
sagt der Leiter Einsatzdienste, Mike Reiß. Weiter gehende Fragen will<br />
er nicht beantworten. Auch in der Stadtverwaltung ist die Neigung gering, sich<br />
zu äußern. Eine Sp<strong>re<strong>che</strong>r</strong>in sagt Anfang November, zu dem Fall gebe nur Kultur-<br />
45
amtsleiter Dittmann Auskunft, er habe das Heimatfest organisiert. Aber Dittmann<br />
sei im Urlaub. Als er dann Ende November zu errei<strong>che</strong>n ist, verweist der Kulturamtsleiter<br />
zunächst auf eine Presseerklärung der Stadt. Dann gibt er zu, er habe<br />
schon am Tag nach der Gewalttat gewusst, dass das Opfer eine schwere Verletzung<br />
erlitten hatte. Warum die Stadt dennoch bis heute keinen Kontakt zu der<br />
Familie gesucht hat, kann Dittmann nicht erklären. Er zögert und sagt dann: „Es<br />
ist nachvollziehbar, daran Kritik zu üben.“<br />
„Wir gehen wieder zurück nach Leipzig“, sagt Müllers Mutter. Auch wenn sie<br />
nicht weiß, wie sie den Umzug finanzieren soll. Doch in Zerbst „fühlen wir uns<br />
im Stich gelassen“. Die Stadtverwaltung zeige kein Mitgefühl, auf der Straße<br />
blickten die Leute ihrem Sohn hinterher, „was ist das denn für einer?“ Und es<br />
quält die Angst: „Was passiert als Nächstes?“<br />
Eine Ahnung davon, was noch ges<strong>che</strong>hen könnte, bekam man Anfang November<br />
am Bahnhof. Die Eingangstür war mit Hakenkreuzen, SS-Runen und Nazi-Parolen<br />
beschmiert. Schon seit Tagen, sagte die Betreiberin des Bistros im Bahnhof.<br />
Zuständig sei die Bahn, „ich denke, die weiß auch Bes<strong>che</strong>id“. Die Polizei hatte<br />
allerdings keiner informiert, dem Revier waren die Schmierereien nicht bekannt.<br />
46
Begründung der Jury<br />
»Sie haben Brandnarben oder mühsam geheilte Schädelbrü<strong>che</strong> und fast<br />
immer die lebenslange Angst, es könnte noch einmal ges<strong>che</strong>hen:<br />
Längst gibt es mehrere tausend Opfer von rechtsextremen Gewalttätern in<br />
Deutschland, doch ihr Schicksal ist kaum bekannt. Frank Jansen, Reporter<br />
beim Tagesspiegel, ist einer von den wenigen, denen das keine Ruhe lässt.<br />
Seit 10 Jahren schreibt er immer wieder über jene, die von den Schlägern<br />
für’s Leben gezeichnet wurden. Seine einfühlsamen Reportagen stemmen<br />
sich gegen die verzerrte Medienperspektive, die den Tätern öffentli<strong>che</strong><br />
Aufmerksamkeit verschafft, während ihre Opfer ihr Trauma meist allein<br />
bewältigen müssen.<br />
Sol<strong>che</strong>s Engagement braucht nicht nur die Hartnäckigkeit, das Thema im<br />
Redaktionsalltag immer wieder durchzusetzen, sondern auch den Mut, sich<br />
von den Drohungen aus der Naziszene nicht abschrecken zu lassen. Frank<br />
Jansen erhält daher den zweiten Preis für seine Reportagen über den Fall<br />
des 16-jährigen Ricco R., der in Zerbst im Sommer 2005 sein rechtes Auge<br />
nach einem Schlag mit einem Bierglas verlor, weil dem Schläger die Aufschrift<br />
seines T-Shirts „Gegen Nazis“ nicht passte. Den örtli<strong>che</strong>n Polizisten<br />
war das zunächst nicht mal eine Zeugenbefragung wert. Erst durch Jansens<br />
Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n kam die Ermittlung in Gang.«<br />
47
3. PREIS<br />
48
49<br />
Redaktion „Zapp“ – NDR<br />
3. Preis<br />
Kuno Haberbusch<br />
(Redaktionsleiter)<br />
Robert Bongen Grit Fis<strong>che</strong>r<br />
Sven Lohmann Maike Rudolph<br />
Julia Salden Larissa S<strong>che</strong>ler<br />
Christoph Schmidt Kathrin Walter
Verdeckt, versteckt, verboten –<br />
Schleichwerbung und PR in den Medien<br />
Verdeckt, versteckt, verboten – Schleichwerbung und PR in den Medien<br />
Gesendet am 2. November 2005 im NDR<br />
Im Privatfernsehen, bei den öffentlich-rechtli<strong>che</strong>n Sendern, im Radio und in der<br />
Zeitung – immer wieder sind Fälle versteckter Werbebotschaften aufgetaucht.<br />
Pharmakonzerne produzieren Filmbeiträge, die im Fernsehen laufen. Automobilkonzerne<br />
verstecken ihre Werbung in redaktionellen Beiträgen. Tatort-Kommissare<br />
werben für Hustenbonbons. Arbeitgeberverbände platzieren ihre Botschafter<br />
in Talkshows. So umfangreich die Beispiele, so raffiniert die Arbeit der Agenturen.<br />
Die Trennung zwis<strong>che</strong>n Werbung und Journalismus ist immer weniger<br />
erkennbar. Das System funktioniert, weil viele profitieren: Die Firmen bekommen<br />
Werbeflä<strong>che</strong> im „seriösen“ redaktionellen Teil, den Journalisten wird die Arbeit<br />
abgenommen – Verlage und Sender sparen viel Geld.<br />
Der Verlierer ist der Zuschauer. Er kann kaum erkennen, wel<strong>che</strong> Interessen bei<br />
der Berichterstattung eine Rolle spielen. Während der Zuschauer sich in Service-<br />
Sendungen Rat holen will, versu<strong>che</strong>n Firmen mit aller Raffinesse, ihre Produkte<br />
dort zu platzieren. Zapp zieht in einer Spezial-Ausgabe eine Bilanz der bisherigen<br />
Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n, enthüllt neue Fälle, zeigt die Hintergründe und erklärt, wie das<br />
System funktioniert. Das NDR-Medienmagazin nennt Täter und Profiteure und<br />
dokumentiert die geheu<strong>che</strong>lte Empörung so man<strong>che</strong>s Ertappten. Der Skandal<br />
um die Schleichwerbung hat eine lange Vorgeschichte.<br />
50
Begründung der Jury<br />
»Das ARD-Medienmagazin ZAPP ist ein Ausnahmeformat im deuts<strong>che</strong>n<br />
Fernsehen, das Wo<strong>che</strong> für Wo<strong>che</strong> den Mächtigen und Einflussrei<strong>che</strong>n in den<br />
Medien in die Karten schaut und sich kein X für ein U vorma<strong>che</strong>n lässt.<br />
Damit liefert das Redaktionsteam besten Hintergrundjournalismus:<br />
unerschrocken, <strong>re<strong>che</strong>r</strong><strong>che</strong>stark und meinungsfreudig. Ein medienkritis<strong>che</strong>s<br />
Magazin, das den Vergleich mit anderen politis<strong>che</strong>n Magazinen nicht<br />
s<strong>che</strong>uen muss.<br />
ZAPP wird in diesem Jahr mit dem Dritten Preis des <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preises für<br />
kritis<strong>che</strong>n Journalismus für die Sondersendung zum Thema „Versteckt, verdeckt,<br />
verboten – Schleichwerbung und PR in den Medien“ ausgezeichnet.<br />
Die Ausstrahlung dieser informativen, analytisch dichten und mit zahlrei<strong>che</strong>n<br />
unveröffentlichten Dokumenten belegten Dokumentation verdient besondere<br />
Anerkennung, weil seriöse Kritik und besonnene Analyse „aus der ARD über<br />
die ARD“ von den politisch Verantwortli<strong>che</strong>n nicht gerne gesehen werden.<br />
Die Arbeit der ZAPP-Redaktion ist vorbildlich und sollte Maßstab auch für<br />
andere Redaktionen sein, so die Bewertung der Jury.«<br />
51<br />
Auf der beiliegenden DVD befindet sich der prämierte Beitrag.
NEWCOMER-PREIS<br />
52
53<br />
Lutz Mükke<br />
Newcomer-Preis<br />
Medienmagazin „Message“<br />
Beitrag Ausgabe 4. Quartal 2005
Der Parlaments-Broker<br />
Elmar Brok ist nicht nur ein mächtiger Europa-Parlamentarier, sondern auch<br />
Bertelsmann-Lobbyist. Gegen Journalisten, die Licht in sein zwielichtiges<br />
Treiben bringen wollen, geht er hart zur Sa<strong>che</strong>.<br />
Vielleicht argumentierte Brüssel-Korrespondent Hajo Friedrich für die Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung zu geradlinig. Jedenfalls wundern sich etli<strong>che</strong> Brüsseler Kollegen,<br />
warum Friedrich seit Ers<strong>che</strong>inen seines Artikels über den CDU-Europaparlamentarier<br />
Elmar Brok mit dem Titel „Nebeneinnahmen im Zwielicht“ am<br />
11. Januar 2005 nicht mehr für das FAZ-Politikressort schreiben darf. Friedrich<br />
selbst gibt darauf keine Antwort, bestätigt jedoch Broks Anrufe bei ihm, die zum<br />
Ziel hatten, seine Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n zu stoppen. Korrespondentenkollegen indessen<br />
sind überzeugt, Brok habe seine guten Beziehungen in die FAZ-Herausgeberetage<br />
genutzt und dort gegen Friedrich interveniert.<br />
Bertelsmann-Lobbyist mit Volksmandat<br />
Elmar Brok kommt in Friedrichs Beitrag denkbar schlecht weg. Denn er leitet im<br />
EU-Parlament den Auswärtigen Ausschuss, führt als Vorstandsmitglied die konservative<br />
Europäis<strong>che</strong> Volkspartei und ist gleichzeitig ‘Senior Vice President<br />
Media Development’ der Bertelsmann AG. Hinsichtlich dieser Doppeltätigkeit<br />
lasse er „keine rechtli<strong>che</strong>n noch moralis<strong>che</strong>n Bedenken erkennen“. Auch versu<strong>che</strong><br />
Brok seinen Einfluss auf EU-Ents<strong>che</strong>idungen kleinzureden. Obwohl er in den<br />
90er Jahren seine Einwirkung auf den geplanten Zusammenschluss von Kirch,<br />
Bertelsmann und Telekom beim digitalen Bezahlfernsehen herausgestellt habe.<br />
Damals sei er durch ein Gespräch mit EU-Wettbewerbskommissar Karel Van<br />
Miert indirekt an verlässli<strong>che</strong> Vorabinformationen gelangt.<br />
Friedrich, der seit knapp zehn Jahren als fester Freier FAZ-Mitarbeiter in Brüssel<br />
<strong>re<strong>che</strong>r</strong>chiert, zitiert im Wirtschaftsteil auch die US-Handelsvertretung in Brüssel:<br />
„Einen Politiker – gar noch für einen verkappten Lobbyauftrag – auf der<br />
Gehaltsliste zu haben, das widerspre<strong>che</strong> dem Verhaltenskodex amerikanis<strong>che</strong>r<br />
Unternehmen.“ Ein Wechseln zwis<strong>che</strong>n Politik und Wirtschaft sei zwar leicht<br />
möglich, aber gleichzeitig auf den Gehaltslisten zweier Herren zu stehen, bleibe<br />
unakzeptabel.<br />
54
Bislang alles abprallen lassen<br />
Zunächst ein Rückblick: Als zum Jahreswechsel 2004/2005 in Deutschland die<br />
Debatten um Nebentätigkeiten von Bundes- und Landespolitikern in vollem<br />
Gange waren und Journalisten allerorten <strong>re<strong>che</strong>r</strong>chierten, geriet auch der mächtige<br />
Brok ins Fadenkreuz. Der Vorwurf: Brok missbrau<strong>che</strong> sein Mandat als Volksvertreter<br />
zur Lobbyarbeit für die Bertelsmann AG, dem größten Medienkonzern<br />
Europas.<br />
Für den EU-Parlamentarier waren die Anwürfe einiger Brüsseler Korrespondenten<br />
zwar nichts Neues. Der stämmige Ostwestfale und sein Arbeitgeber Bertelsmann<br />
hatten bis dato jedoch jegli<strong>che</strong> Anwürfe abprallen lassen. Aus Broks Posten bei<br />
Bertelsmann hätten sie nie einen Hehl gemacht, seit Anfang der 90er Jahre sei<br />
publik, dass er aus zwei Quellen schöpfe. Wenn im Parlament über Medienfragen<br />
abgestimmt werde, enthalte Brok sich zudem freiwillig der Stimme. In Parlamentsausschüssen,<br />
in denen Interessenkonflikte möglich seien, arbeite er auch nicht<br />
mit. Er vermis<strong>che</strong> nichts, trenne „messerscharf“. Wer Gegenteiliges behauptet,<br />
solle das erst einmal beweisen. Auskünfte darüber, was genau der CDU-Politiker<br />
bei Bertelsmann treibe, blieben weitschweifig. Er beobachte „die internationalen<br />
gesetzli<strong>che</strong>n und politis<strong>che</strong>n Rahmenbedingungen“ und bewerte diese „mit<br />
Blick auf Investitionen“, erklärten Bertelsmann-Sp<strong>re<strong>che</strong>r</strong> und Brok (Der Spiegel,<br />
39/1997; taz, 10. Dezember 2004).<br />
Journalistis<strong>che</strong>r Burgfrieden in Brüssel<br />
Diese Offensiv-Strategie verschaffte dem 59-Jährigen Bertelsmannmanager Brok<br />
lange Jahre einen relativen Burgfrieden in Brüssel, zu dem er auch gekommen<br />
sein mag, weil er für viele EU-Korrespondenten ein wahrer Segen ist. Denn als<br />
ständig sprudelnde, unkompliziert anzuzapfende Quelle wird Brok weithin<br />
geschätzt. Zumal der gesellige Busenfreund Helmut Kohls einer der mächtigsten<br />
EU-Parlamentarier mit exzellenten Kontakten in höchste europäis<strong>che</strong> Politikerund<br />
Wirtschaftskreise ist und sich in diesen Höhenlagen nur wenige Deuts<strong>che</strong><br />
tummeln. Besonders Journalisten einflussrei<strong>che</strong>r Zeitungen und Zeitschriften<br />
verstehe der „Meister im Mens<strong>che</strong>ln“ an sich zu binden, meinen Brüsseler Beobachter.<br />
Broks Handy ist immer mobil. Klar, dass man<strong>che</strong>r Journalist Beißhem-<br />
55
mungen entwickelt. Seine oft erwähnten guten Beziehungen in deuts<strong>che</strong> Chefredakteurs-<br />
und Herausgeberetagen tragen dazu wohl noch bei. – Trotz allem, dieses<br />
Mal sollte die Situation für den Medienroutinier Brok richtig brenzlig werden.<br />
Denn erstmals tauchten interne Bertelsmann-Papiere in Belgien auf, die Broks<br />
Brüsseler Lobby-Arbeit für den Konzern dokumentieren.<br />
Auch Michael Grytz, Brüssel-Korrespondent der ARD, wollte wissen, worin Broks<br />
Bertelsmann-Arbeit exakt bestehe, was von seinen Tätigkeiten nun eigentlich<br />
Haupt- und was Nebenjob sei und wie er mit etwaigen Interessenkonflikten<br />
umgehe. „Allergisch und unwirsch, übergehend in Verunglimpfungen“, so Grytz,<br />
schmetterte Brok schon die erste ARD-Anfrage nach einem Interview ab. „Allenfalls<br />
wollte er ein Statement geben, das später nicht mehr geschnitten werden<br />
dürfe. Nachfragen wollte er nicht zulassen“, erinnert sich Grytz. Nach der Interview-Anfrage<br />
versuchte Brok die Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n des ARD-Korrespondenten zu stoppen,<br />
indem er dessen Vorgesetzten, den Chef des Brüsseler ARD-Studios anrief<br />
und wissen wollte, warum man in dieser Sa<strong>che</strong> denn immer noch berichten wolle.<br />
Damit könne man aufhören, alles sei doch klar und transparent. Der Westdeuts<strong>che</strong><br />
Rundfunk, der das Brüsseler ARD-Studio betreut, sendete am 25. Januar<br />
2005 gleichwohl einen ersten Beitrag unter dem Titel ‘Die Nebentätigkeiten der<br />
Europaabgeordneten’.<br />
„Geradezu um sich schlagend“<br />
Neben Grytz nahmen nun auch etli<strong>che</strong> andere Brüsseler Journalisten den bislang<br />
mediensouverän agierenden Brok als „geradezu um sich schlagend“ wahr,<br />
wenn sie ihn auf seinen Bertelsmannposten anspra<strong>che</strong>n. Dieses Überreagieren<br />
ermunterte einige Korrespondenten zwar, dran zu bleiben, doch wirklich Verwertoder<br />
gar Belegbares gegen Brok bekamen sie zunächst nicht in die Hände. Dies<br />
änderte sich, als Hans Leyendecker im fernen Mün<strong>che</strong>n Neues ans Licht brachte.<br />
Er zitierte in der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung (28. Januar 2005) aus internen Bertelsmann-Papieren,<br />
die deutlich ma<strong>che</strong>n, wie Brok arbeitet: Interessenvertretung für<br />
Bertelsmann und Lobbying gegen den öffentlich-rechtli<strong>che</strong>n Rundfunk. Im Interesse<br />
der Bertelsmann AG, Mehrheitsgesellschafter des Privatsenders RTL, sei<br />
1998 eine ‘Task-Force’ damit beauftragt worden, in Brüssel eine Debatte über<br />
56
den öffentlich-rechtli<strong>che</strong>n Rundfunk anzuschieben. Brok habe dieser Task-Force<br />
zugearbeitet, seinen Einfluss geltend gemacht und „sein als Abgeordneter<br />
erworbenes Wissen an den Arbeitgeber“ weitergegeben. Man könnte auch<br />
sagen: verkauft.<br />
Gleichzeitig zu Leyendeckers Enthüllungen <strong>re<strong>che</strong>r</strong>chierte die ARD in Brüssel mit<br />
zwei Journalisten weiter. Zwar intervenierte Brok etli<strong>che</strong> Male bei deren Vorgesetzten,<br />
sie sollten dies sein lassen. Dies war ab jenem Zeitpunkt gänzlich<br />
wirkungslos, als den ARD-Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>uren kompromittierende Interna zugespielt<br />
wurden. In den Vierteljahresberichten des Brüsseler Bertelsmann-Büros, dem<br />
Brok vorstand, an die Zentrale in Gütersloh ist einführend zu lesen: „Der Europa-<br />
Beauftragte des Vorstandes, Herr Elmar Brok, wird quartalsweise über aktuelle<br />
Themen und Entwicklungen in Brüssel sowie die Ergebnisse seiner Arbeit berichten.“<br />
Dem folgen seitenweise Informationen zum Stand des Bertelsmann-Lobbyings<br />
in Brüssel: Einflussnahme auf die Gesetzgebung zum Urheberrecht, zur<br />
Fernsehrichtlinie und zum „Aufbau weiterer Kontakte“. In den ‘Bertelsmann<br />
Euro-Info Quarterly, Liaison Office Brussels’ heißt es etwa unter dem Stichwort<br />
Medienkonzentration: „Wir haben erreicht, dass die ursprüngli<strong>che</strong> Formulierung<br />
der ‘cross-ownership’-Beschränkungen abgeschwächt wurde und dass die<br />
Beschränkungen der Verflechtungen zwis<strong>che</strong>n Programmzulieferern, -rechteinhabern<br />
und Rundfunkveranstaltern ausschließlich dem Wettbewerbsrecht<br />
unterliegen sollten.“ Die Dokumente strotzen vor Selbstbewusstsein: Schnell sei<br />
es gelungen ein „Netzwerk mit externen Kontakten zu knüpfen“, dem Schloß<br />
Verlag verschaffe man Zugang zu Staatssekretären und stellvertretende Fraktionsvorsitzende<br />
des EU-Parlaments „erhielten Gelegenheit“ sich auf der Chefredakteurskonferenz<br />
der Bertelsmann-Tochter Gruner & Jahr zu äußern. Der<br />
„Berichterstatter selbst“ habe aus dem Europäis<strong>che</strong>n Parlament einen Bericht<br />
zum Sponsoring zurückgezogen. Zum Thema Sponsoring nahm das Brüsseler<br />
Büro außerdem „erfolgreich am Diskussionsprozess teil, der zu einer liberalen<br />
Neufassung beider Berichte im Europäis<strong>che</strong>n Parlament führte“. Unterschrift:<br />
Elmar Brok.<br />
57
Kein Interview für die ARD<br />
Korrespondent Grytz konfrontierte Brok mit den Papieren aus den Jahren<br />
1993/94. Brok sei daraufhin sehr lautstark geworden und wandte sich prompt<br />
wieder an Grytz’ Vorgesetzten, der zum x-ten Male beteuern musste, es sei doch<br />
besser, mit den Korrespondenten direkt zu spre<strong>che</strong>n. Ein Interview bekam die<br />
ARD nicht. Brok habe abermals nur Statements angeboten, die weder geschnitten<br />
noch hinterfragt werden dürften. Telefonisch erläuterte Brok, er selbst habe die<br />
in den Dokumenten erwähnten Vorgänge gar nicht in die Wege geleitet, seine<br />
Brüsseler Bertelsmann-Mitarbeiter hätten das erledigt. Die Frage nach seiner<br />
Unterschrift habe Brok nicht gelten lassen, so Grytz. Stattdessen klingelte beim<br />
ARD-Studioleiter Brüssel ein weiteres Mal das Telefon.<br />
Mit einer Energie, die einige Journalisten als „cholerisch“, „aufdringlich“ oder<br />
„radikal“ bezeichnen, kämpfte Brok in diesen Tagen an vielen Medienfronten. Zu<br />
dieser Vehemenz dürfte beigetragen haben, dass die Diener zweier Herren offenbar<br />
auch CDU-intern in die Schusslinie geraten waren. Hermann-Josef Arentz und<br />
Laurenz Meyer mussten wegen ihrer windigen Nebenjobs kurz zuvor abdanken.<br />
Der öffentli<strong>che</strong> Druck auf Politiker mit Doppeleinkommen stieg enorm.<br />
Einer, der Broks Treiben seit längerem kritisiert, der Staats- und Verfassungsrechtler<br />
Hans Herbert von Arnim, griff immer wieder scharf die deuts<strong>che</strong> und<br />
europäis<strong>che</strong> Gesetzgebung an, die Beamten Nebentätigkeiten zwar streng<br />
untersagt, Parlamentarier jedoch gewähren lässt. Broks Doppeltätigkeit bezeichnete<br />
von Arnim als „legale Korruption“. Wer Geld von großen Unternehmen nehme,<br />
könne sein Mandat gar nicht frei und unabhängig ausüben, denn er verkaufe<br />
seinen Einfluss. Von Arnim stuft bereits den mit politis<strong>che</strong>n Führungspositionen<br />
verbundenen Zugang zu Machthabern, das Türenöffnen, als geldwerten Vorteil<br />
ein. Um diese Zustände zu beseitigen, müsste das EU-Parlament jedoch gegen<br />
sich selbst strengere Regelungen erlassen. Von Arnim: „Halbherzige Versu<strong>che</strong><br />
dazu werden aber immer wieder ganzherzig zurückgedrängt.“<br />
Auch Michael S<strong>che</strong>erer, Korrespondent des Handelsblatts, kann von der Schlacht<br />
mit Brok berichten: „Ja, auch ich landete zeitweise auf der schwarzen Liste von<br />
Elmar Brok.“ Der Handelsblatt-Korrespondent kommentiert den Stress in der Rückschau<br />
allerdings mit einem Schulterzucken. So genau will er sich zu seinem Zusam-<br />
58
menstoß mit Brok nicht mehr äußern. Mittlerweile ist er zum Brüsseler Büroleiter<br />
aufgestiegen. S<strong>che</strong>erer und Brok kommen nun nicht mehr aneinander vorbei.<br />
Die Abwehrschlacht im Wahlkreis<br />
Nachdem der WDR einen zweiten Beitrag über Brok ausgestrahlt hatte (‘Die<br />
Interessenkonflikte des Elmar Brok’, WDR 15. Februar 2005), drehte das Bielefelder<br />
WDR-Studio das Thema auf regionaler Ebene weiter. Ostwestfalen ist Broks Heimat.<br />
Sein Wahlkreis ist sein Fürstentum. Hier in Gütersloh residiert auch Bertelsmann,<br />
einer der größten Arbeitgeber der Region. Beflissentlich kümmert sich<br />
der Konzern um die regionalen und lokalen Medien.<br />
In heimatli<strong>che</strong>n Gefilden brennt für Brok selten etwas an. Doch als er nun auch<br />
hier nach seiner Doppeltätigkeit befragt wird, gerät er außer sich. Zig Mal habe<br />
er WDR-Mitarbeiter angerufen, habe lautstark mit dem Chefredakteur, dem<br />
Intendanten, dem Rundfunkrat gedroht. „Er baut Druck auf und droht mit seinen<br />
wunderbaren Kontakten“, berichtet WDR-Studioleiter Michael Thamm. – Und<br />
Bertelsmann unterstützt Brok dabei. So habe ein Bertelsmann-Sp<strong>re<strong>che</strong>r</strong> Thamm<br />
am Rande einer Konferenz „zur Seite genommen“ und „massive Vorwürfe“ erhoben,<br />
der WDR fahre eine Kampagne gegen den Bertelsmann-Angestellten Brok.<br />
Auch die Regionalzeitungen Neue Westfälis<strong>che</strong> und Westfalenblatt nahmen den<br />
EU-Parlamentarier und seine Doppelfunktion aufs Korn. Brok ist bei beiden<br />
Zeitungen gefürchtet für Anrufe, bei denen er darauf po<strong>che</strong>, dass seine Themen<br />
ins Blatt kommen. Nun aber lesen seine Wähler über die Finessen der<br />
Brok’s<strong>che</strong>n Abwehrschlacht. Die Neue Westfälis<strong>che</strong> beschäftigt sich am 19.<br />
Februar 2005 mit den internen Bertelsmann-Quartalsberichten aus Brüssel und<br />
Broks Erklärungen, er habe damit nur bedingt zu tun: „Brok schreibt (...) deutlich:<br />
„Wir erreichten, wir knüpften, wir verhinderten ...“ Wir? Schließt das im<br />
Sprachgebrauch nicht jeden ein, also auch den, der unterzeichnet? Broks klare<br />
Antwort wider die deuts<strong>che</strong> Semantik: ‚Nein!’“<br />
Zudem geht die Neue Westfälis<strong>che</strong> Broks Behauptung nach, selbst Transparency<br />
International (TI) erkläre, sein Tun sei nicht illegal. TI sieht das so eindeutig<br />
allerdings nicht. Unbeeindruckt vom Carl Bertelsmann-Preis (inklusive 150.000<br />
Euro), den Peter Eigen, der TI-Gründervater, 2002 verliehen bekam, kommentiert<br />
59
die Antikorruptions-Organisation die Bertelsmann-Dokumente als Beleg für<br />
Broks Doppelgesicht: „Nach Vorlage des Papiers ist seine Aussage falsch, er<br />
ma<strong>che</strong> eine messerscharfe Trennung zwis<strong>che</strong>n seiner Arbeit für Bertelsmann<br />
und seiner Tätigkeit als Europaabgeordneter.“ Im WDR wird Transparency International<br />
noch deutli<strong>che</strong>r. Dort heißt es, sol<strong>che</strong>s Verhalten sei eine „Gefahr für<br />
die Demokratie“.<br />
Bekannte Verhaltensmuster<br />
Die Lektüre des Artikels der Neuen Westfälis<strong>che</strong>n aktivierten bei Brok bekannte<br />
Verhaltensmuster: „lautstarke, äußerst unfreundli<strong>che</strong>“ Anrufe, warum man denn<br />
über ihn berichte, alles sei doch offen gelegt ... Offen gelegt ist freilich wenig.<br />
Deshalb zitiert die Neue Westfälis<strong>che</strong> auch Spekulationen über die Höhe der<br />
jährli<strong>che</strong>n Bertelsmann-Überweisungen an den CDU-Parlamentarier. 180.000<br />
Euro stehen im Raum. Brok dementiert.<br />
ARD-Korrespondent Grytz schickte unterdessen seine „letzte Anfrage“ an Brok.<br />
Er wolle wissen, wer Broks Auto und Wohnung bezahle und warum Brok für die<br />
einflussrei<strong>che</strong> Arbeit an der europäis<strong>che</strong>n Verfassung einen Mitarbeiter vom<br />
Brüsseler Bertelsmann-Büro engagiert habe, wo doch alle Konventsmitglieder<br />
eine Vielzahl von Mitarbeitern gestellt bekamen. Brok habe daraufhin einige<br />
CDU-Parteifreunde aktiviert, die ihm seinen tadellosen politis<strong>che</strong>n Einsatz<br />
bes<strong>che</strong>inigen. Hartmut Nassauer, Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament,<br />
weist unter anderem darauf hin, Broks Bertelsmann-Job sei parteiintern nie<br />
„Gegenstand von Auseinandersetzung“ gewesen. Brok schickte diese Referenzen<br />
weiter an die ARD und antwortete, seine Wohnung bezahle er selbst. Über seinen<br />
Vertrag mit Bertelsmann müsse er keine Auskunft geben. Zum Auto kein Wort.<br />
Der freie Brüssel-Korrespondent Marcello Faraggi verfolgt den Fall Brok seit langem.<br />
Er hält es „für einen schlechten Treppenwitz“, dass sich einer der höchstrangigen<br />
Europapolitiker immer wieder wegen seiner Lobby-Tätigkeiten rechtfertigen<br />
muss. „Wenn Brok wirklich ein so exzellenter Politiker ist, wie er immer vorgibt,<br />
dann kann er das doch auch ohne Bertelsmann. Oder? Brok sollte sich ents<strong>che</strong>iden,<br />
für die Polit-Karriere oder für Bertelsmann. Beides zusammen ist unvereinbar.“<br />
60
Erfolgrei<strong>che</strong> Intervention bei der FAZ<br />
Günther Nonnenma<strong>che</strong>r, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und<br />
zuständig für das FAZ-Politikressort, bestätigt derweil: „Mit Brok habe ich in der<br />
Tat gespro<strong>che</strong>n.“ Brok habe nach dem kritis<strong>che</strong>n Friedrich-Artikel angefragt, wieso<br />
in diesem Zusammenhang ausgerechnet über ihn berichtet werde, wo es doch<br />
so viele andere Fälle gebe. Nonnenma<strong>che</strong>r sprach im Anschluss mit dem Brüsseler<br />
FAZ-Büro und bat darum, „sich an die Aufgabenteilung zu halten.“ Friedrich<br />
war ursprünglich als fester freier Mitarbeiter für das Wirtschaftsressort engagiert<br />
worden, schrieb mittlerweile jedoch auch für andere Ressorts. Seit Broks<br />
Intervention waren die FAZ-Politikseiten für ihn tabu.<br />
Unterdessen habe sich der Fall Friedrich-Brok-Nonnenma<strong>che</strong>r zum Zankapfel in<br />
der FAZ-Chefetage ausgewachsen. Das Wirtschaftsressort schütze Friedrich,<br />
erklären FAZ-Redakteure und hoffen, dass ihr Brüsseler Kollege diese Spannungen<br />
trotz Broks gutem Draht in die Herausgeberetage journalistisch in ihrem<br />
Haus überlebt.<br />
Elmar Brok wollte zu all dem nichts sagen. Der Message-Redaktion ließ er über<br />
sein Brüsseler Büro mitteilen, „zu erledigten Sa<strong>che</strong>n äußern wir uns nicht.“<br />
Bertelsmanns langer Arm in die Chefetagen<br />
„Mir ist es wurscht, ob ich mit Bertelsmann Ärger bekomme. Die können meinen Chefredakteur<br />
ruhig anrufen. Aber viele deuts<strong>che</strong> Kollegen spekulieren ja darauf, später mal bei<br />
Bertelsmann einzusteigen und sind allein deshalb schon relativ unkritisch“, meint Matthew<br />
Karnitschnig, Deutschland-Korrespondent des Wall Street Journal. Karnitschnig spielt auf den<br />
ehemaligen Wirtschaftsredakteur und Bertelsmann-Beobachter der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung<br />
Ulf Brychcy und den Börsenzeitung-Wirtschaftsexperten Andreas Grafemeyer an, die unlängst<br />
in die Öffentlichkeitsabteilung des Bertelsmann-Konzerns wechselten.<br />
Karnitschnig selbst kam mit dem Bertelsmann-Myzel in Berührung, als er in der Affäre um<br />
den einstigen ZDF-Intendanten Stolte noch einmal herumwühlte. Das war 2002, zu einem<br />
Zeitpunkt, als deuts<strong>che</strong> Kollegen den Fall längst abgeschlossen glaubten. Stolte sollte 1999<br />
61
versucht haben, die Berichterstattung der 3Sat-Redaktion Kulturzeit zu unterbinden. Die<br />
3Sat-Redakteure wollten über die Bedeutung des Bertelsmann-Konzerns im Dritten Reich<br />
berichten. Stolte saß damals im Vorstand der allgegenwärtigen Bertelsmann-Stiftung. Die<br />
Einflussnahme auf die Journalisten, über die damals etwa das ARD-Magazin Monitor berichtete,<br />
dementierte der ZDF-Intendant jedoch heftig. Schuss und Gegenschuss – damit schienen<br />
sich die deuts<strong>che</strong>n Journalisten zu begnügen. Karnitschnig allerdings <strong>re<strong>che</strong>r</strong>chierte weiter,<br />
auch in der Schweiz. Dort bestätigte ihm schließlich Martin Eggenschwyler vom Schweizer<br />
Fernsehen Stoltes Interventionen. Die deuts<strong>che</strong>n Kulturzeit-Journalisten mussten damals in<br />
die Schweiz auswei<strong>che</strong>n, um dem „Druck von ganz oben“ zu entkommen. Das Schweizer<br />
Fernsehen finanzierte schließlich die Produktion.<br />
Stoltes Einmischung sei vor allem mit der damals von Bertelsmann geplanten Übernahme des<br />
New Yorker Random-House-Verlags zu begründen, der mehrheitlich in Besitz von Juden war,<br />
so Karnitschnig. Kritis<strong>che</strong> Berichterstattung über Bertelsmann im Dritten Reich drohten die<br />
Verhandlungen zu gefährden (Wall Street Journal, 23. Dezember 2002).<br />
Auch dem Publizisten und Historiker Hersch Fischler versuchte das Medienimperium Bertelsmann<br />
seine Grenzen aufzuzeigen (Cover 1/2005). Fischler hatte 1998 aufgedeckt, dass Bertelsmann<br />
sich „eine geschäfts- und vertrauensfördernde Widerstandslegende“ für seine<br />
gleichgeschaltete NS-Vergangenheit zugelegt hatte. – Eine große Story, die sich eigentlich<br />
weder der Spiegel noch der Stern entgehen lassen dürften, meinte Fischler damals. Doch seine<br />
Beiträge erschienen bei keinem der sich sonst so aufklärerisch gebenden Hamburger<br />
Nachrichtenmagazine. Im Gegenteil: Bestürzt wurden Fischler die wirtschaftli<strong>che</strong>n Verfilzungen<br />
klar, als er sein an den damaligen Stern-Chefredakteur Werner Funk gerichtetes Artikel-<br />
Angebot wiedersah. – Und zwar nur wenig später in den Händen von Manfred Harnischfeger,<br />
dem PR-Chef von Bertelsmann. Bertelsmann führt sowohl den Stern als auch den Spiegel in<br />
seinem Portfolio. Dennoch: dass die redaktionelle Unabhängigkeit des Stern dermaßen direkt<br />
von Konzerninteressen überformt werde, habe er nicht für möglich gehalten, so Fischler.<br />
Unliebsame Berichterstattung aus Brüssel<br />
Wie gelingt es Politikern, EU-Nachrichten zu beeinflussen oder negative Berichte<br />
zu verhindern? Drei Brüsseler Korrespondenten berichten.<br />
Nachrichtenkontrolle ist in Brüssel schwieriger als in London. In Brüssel arbeiten 600 Parlamentarier<br />
aus 25 Mitgliedsstaaten und eine riesige EU-Exekutive – jeder kann eine Quelle<br />
sein. Ein Politik-Redakteur in London kann nicht auf so viele Quellen zurückgreifen. Dort ist<br />
62
es für die Regierung wesentlich leichter, die Ausrichtung der Nachrichten zu kontrollieren.<br />
Um Nachrichten aus Brüssel dennoch zu manipulieren, ma<strong>che</strong>n britis<strong>che</strong> Politiker, allen voran<br />
Finanzminister Gordon Brown, folgendes: Um seine Version der Ereignisse darzustellen und<br />
ihnen den Medien beherrs<strong>che</strong>nden Dreh zu geben, unterrichtet er in London zunächst Korrespondenten<br />
der Times oder des Guardian – Leute, zu denen er einen guten Draht hat.<br />
Mit Gordon Brown als einzige Quelle läuft dann beispielsweise in England morgens vor dem<br />
EU-Treffen der Finanzminister eine Riesen-Geschichte. In der erzählt er, dass er seine europäis<strong>che</strong>n<br />
Kollegen auffordern wird, endlich ihre wirtschaftli<strong>che</strong> und finanzielle Lage nach dem<br />
Vorbild von Großbritannien zu verbessern.<br />
Beim Finanzminister-Treffen selbst sagt er dann häufig nichts derglei<strong>che</strong>n oder nur in abgemilderter<br />
Form. Aber die Geschichte lief in England und er weiß, dass es zeitlich sehr schwer<br />
für Korrespondenten ist, das Treffen zu besetzen um herauszubekommen, was nun wirklich<br />
von ihm auf die Agenda gesetzt wurde.<br />
Stephen Castle EU-Korrespondent, The Independent, London<br />
Österreichis<strong>che</strong> Politiker versu<strong>che</strong>n Druck auszuüben, in dem sie bei Pressegesprä<strong>che</strong>n Autoren<br />
unliebsamer Berichte beim Namen nennen. Diese Strategie wendet besonders Bundeskanzler<br />
Wolfgang Schüssel und seit neuestem auch seine Außenministerin an.<br />
Bei Politikern in Brüssel läuft das subtiler. Sie versu<strong>che</strong>n über Pressegesprä<strong>che</strong>, Einladungen<br />
und eine Informationsflut Geschichten einen gewissen Drall zu geben. Ein aktuelles Beispiel:<br />
Das Bundesland Niederösterreich will ab 1. Januar 2006 eine Handy-Massen-Steuer einführen.<br />
Um sich dafür EU-Rückendeckung zu holen, besuchte Vize-Kanzler Hubert Gorbach<br />
(BZÖ) im September EU-Kommissarin Viviane Reding, zuständig für Telekommunikation. Übli<strong>che</strong>rweise<br />
gibt es nach sol<strong>che</strong>n Treffen ein Pressegespräch mit den österreichis<strong>che</strong>n Korrespondenten.<br />
Weil nicht klar war, wie das Gespräch mit der Kommissarin laufen würde, wurden<br />
alle österreichis<strong>che</strong>n Printmedien bewusst ausgeklammert. Nur mit dem ORF und einer<br />
Nachrichtenagentur sprach Herr Gorbach.<br />
Ich habe mir ein Interview mit Kommissarin Reding besorgt und ihren Standpunkt gebracht.<br />
Dabei ging die Sa<strong>che</strong> für den Vize-Kanzler eher negativ aus: Die EU-Kommissarin hatte ihn<br />
kritisiert, weil er es nicht geschafft hatte, das Thema in der Bundesregierung behandeln zu<br />
lassen.<br />
Dr. Alexandra Föderl-Schmid, EU-Korrespondentin, DER STANDARD, Wien<br />
63
Bis jetzt ist es mir weder hier noch in der Zentrale in Rom passiert, dass ein EU-Politiker aus<br />
Italien oder einer anderen Nation wegen eines bevorstehenden negativen Artikels über ihn<br />
versucht hat zu intervenieren, um die Geschichte zu verhindern.<br />
So waren wir mit unter den Ersten, die über Rocco Buttiglione als fehlbesetzten EU-Kommissar<br />
berichteten. Darüber waren nicht alle erfreut.<br />
Was bei der Medien-Berichterstattung des Berlusconi-Konzerns aus Brüssel stattfindet, weiß<br />
ich nicht konkret. Es kann sein, dass unliebsame Berichte unterdrückt werden und beim<br />
staatli<strong>che</strong>n Fernsehsender RAI ein gewisser Druck entsteht. Aber kein Kollege von RAI hat mir<br />
das je direkt bestätigt.<br />
Wie alle italienis<strong>che</strong>n Medien wird auch ADN-Kronos mit öffentli<strong>che</strong>n Geldern unterstützt.<br />
Trotzdem ist uns noch nie gedroht worden, dass wir etwas nicht veröffentli<strong>che</strong>n sollten.<br />
– Italien ist immer noch ein demokratis<strong>che</strong>s Land. Wir sind nicht in Lateinamerika.<br />
Giovanni del Re, Brüsseler-Büro<strong>che</strong>f der Nachrichtenagentur ADN Kronos, Rom<br />
64
Begründung der Jury<br />
»Auch Journalisten brau<strong>che</strong>n den „Adlerblick“, um die eigene Arbeit immer<br />
wieder kritisch zu überprüfen. WER will, dass ich WAS glaube und WARUM.<br />
Hierzu gibt das Medienprojekt Message wichtige Impulse. Es diskutiert professionelle<br />
und ethis<strong>che</strong> Standards und macht internationale Debatten<br />
zugänglich. Ein typis<strong>che</strong>s Beispiel ist der Artikel von Lutz Mükke über die<br />
Grauzone von Lobbyismus und Politik im EU-Parlament. Mükke analysiert<br />
sachlich und kritisch die Doppeltätigkeiten des Abgeordneten Elmar Brok<br />
und dessen Druck auf Korrespondenten vor Ort. In schöner Klarheit lernt der<br />
Leser, warum guter Journalismus nicht nur abbildet und informiert sondern<br />
Machtstrukturen durchleuchten will. Message ist eine gute Dosis Sauerstoff<br />
für müde gewordene Medien.«<br />
65
RECHERCHE-STIPENDIEN
Boris Kartheuser<br />
Melanie Zerahn
RECHERCHE-STIPENDIUM<br />
68
69<br />
Boris Kartheuser
Zitat aus dem Exposé:<br />
„Dank massiver Lobbyarbeit und verstärktem wirtschaftli<strong>che</strong>n Druck ist der<br />
Siegeszug des RFID-Chips trotz massiver datenschutzrechtli<strong>che</strong>r Bedenken und<br />
technis<strong>che</strong>r Probleme in Deutschland kaum mehr aufzuhalten. Als treibende<br />
Kraft gilt hierzulande die Metro Group Future Store Initiative, die gemeinsam mit<br />
Partnern wie SAP, IBM und Intel neue technologis<strong>che</strong> Konzepte entwickelt. So<br />
testet die Metro Group in ihrem RFID Innovation Center bereits seit Juli 2004<br />
auch den Einsatz von Funkchips. Hierbei wurden zeitweilig bewusst die Möglichkeiten<br />
der gezielten Datenspionage ausgenutzt. So konnte der Verein zur Förderung<br />
des öffentli<strong>che</strong>n bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V. (FoeBuD)<br />
bereits im Februar 2004 nachweisen, dass Metro in seiner Payback Kundenkarte<br />
einen RFID-Chip versteckt hatte und somit alle ausgelesenen Daten eindeutig<br />
verknüpfbar waren mit der Person, die Waren und Karte trägt. [...]<br />
RFID-Chips dringen in immer mehr Berei<strong>che</strong> unseres Lebens ein. Das dabei verfolgte<br />
Ziel der Industrie ist das Schaffen einer Datensammlung, in der eine ständig<br />
wachsende Vielzahl von Berei<strong>che</strong>n des menschli<strong>che</strong>n Lebens protokolliert<br />
wird. Das Interesse gilt nicht länger nur noch dem Konsumbereich, auch das alltägli<strong>che</strong><br />
Verhalten soll mit Funkchips in Gelds<strong>che</strong>inen und anderen Mitteln<br />
erfasst werden. Obwohl dieses Vorgehen oftmals nicht in Einklang zu bringen ist<br />
mit den bestehenden Datenschutzgesetzen, sieht die Bundesregierung diesem<br />
Vorgang zu und fördert ihn darüber hinaus aus Eigeninteresse. Die Rechte der<br />
Bürger auf Privatsphäre und Datenschutz werden massiv aufgeweicht. Bedenken<br />
werden zerstreut durch eine Allianz von Hardware-Herstellern, Anwendern aus<br />
der Industrie, einer breiten PR-Lobby und Politikern.“<br />
Boris Kartheuser will untersu<strong>che</strong>n, wie datenschutzrechtli<strong>che</strong> Bestimmungen<br />
umgangen werden und wer davon profitiert. Er will zeigen, wie Bedenken in der<br />
Öffentlichkeit durch gezielte Lobbyarbeit zerstreut werden und wel<strong>che</strong> Folgen<br />
eine massive Verbreitung von RFID-Chips hätte.<br />
70
Boris Kartheuser<br />
Geboren 1976 in Malmedy (Belgien)<br />
Werdegang:<br />
• 2005 bis 2006 Redaktionsvolontariat Medienhaus Verlag mit Veröffentlichungen<br />
‘IT-Director’und ‘IT-Mittelstand’<br />
• 2004 bis 2005 freie Mitarbeit Krautgarten Verlag<br />
• 1994 bis 2004 Studium Germanistik und Anglistik in Köln und Dublin<br />
Veröffentlichungen:<br />
• Ab 2006 Veröffentlichungen ‘Manager Magazin Online’ und<br />
‘T-Online Business’<br />
• Als ehrenamtli<strong>che</strong>s Redaktionsmitglied der Mens<strong>che</strong>nrechtsorganisation FIAN<br />
mitverantwortlich für eine Sonderbeilage in der ‘tageszeitung’ sowie für<br />
Artikel im Mitgliedermagazin ‘Food First’<br />
71
RECHERCHE-STIPENDIUM<br />
72
73<br />
Melanie Zerahn
Zitat aus dem Exposé:<br />
„Jährlich erwerben 200.000 junge Mens<strong>che</strong>n einen Hochschulabschluss. Sie sind<br />
hoch qualifiziert, mobil, mehrsprachig, ideologisch unverdorben und stehen<br />
informationstechnisch auf dem neuesten Stand. Die Welt steht ihnen offen –<br />
sollte man meinen. Doch anstatt einer gut bezahlten Anstellung kommt oft der<br />
„zweite Bildungsweg“ – der Einstieg in den Beruf. Meist mühsam, selten geradlinig<br />
und fast immer schlecht bezahlt, kämpfen sich die Meister der Anpassung<br />
durch Übergangsjobs, Werk- und Honorarverträge, selbständige Tätigkeiten und<br />
Praktika. Für Unternehmen sind die jungen, unverbrauchten Arbeitskräfte ein<br />
Geldsegen: Sie „brennen“ nach Arbeit, wollen sich beweisen, ringen um Anerkennung.<br />
Sie wüns<strong>che</strong>n sich nichts sehnli<strong>che</strong>r als eine feste Stelle und angemessene<br />
Bezahlung. Dafür akzeptieren sie wenig Geld und lange Arbeitszeiten.<br />
Die Grenze zur Ausbeutung ist fließend, eine Meldepflicht gibt es nicht. Die<br />
Wirtschaft baut längst auf diese Kräfte, der Einsatz ist einkalkuliert.<br />
Mit der Begründung Praxis, ja, Aufwandsentschädigung, nein, zahlt beispielsweise<br />
das ZDF an keinen seiner Praktikanten einen Cent, unerheblich, ob Hochschulabschluss<br />
oder nicht. Die Universitätsabsolventen lernen dazu und arbeiten<br />
voll mit. Ein lukratives Geschäft von dem s<strong>che</strong>inbar alle profitieren – auf den<br />
ersten Blick. Doch wie sind die Auswirkungen tatsächlich? [...]“<br />
Dieser Frage möchte die Journalistin Melanie Zerahn auf den Grund gehen. Wie<br />
sehen die tatsächli<strong>che</strong>n politis<strong>che</strong>n und wirtschaftli<strong>che</strong>n Konsequenzen aus?<br />
Dabei soll auch die Situation im europäis<strong>che</strong>n Ausland untersucht werden. In<br />
Frankreich heißen die Geburtenjahrgänge der späten 70er und 80er Jahre<br />
„Géneration precaire“ – Generation heikel. In Spanien gibt es eine ähnlich<br />
geführte Diskussion. Nur in Deutschland verläuft die Debatte eher zahm.<br />
An dieser Stelle möchte Melanie Zerahn mit ihrer Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong> ansetzen.<br />
74
Melanie Zerahn<br />
Geboren 1974 in Ulm/Donau,<br />
Journalistin und Rechtsanwältin<br />
Werdegang:<br />
• Seit 2005 freie Journalistin in Mün<strong>che</strong>n<br />
• 2002 bis 2004 Rechtsanwältin Kanzlei Maly & Häcker in Mün<strong>che</strong>n<br />
• 2001 bis 2003 Referendarin am Oberlandesgericht in Mün<strong>che</strong>n<br />
• 2001 PriceWaterhouseCoopers and Veltins in Mün<strong>che</strong>n<br />
• 1996 bis 1997 University of Canterbury, School of Law, Christchurch,<br />
New Zealand<br />
• 1993 bis 2000 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten<br />
Freiburg und Mün<strong>che</strong>n<br />
Praktika:<br />
Sueddeuts<strong>che</strong>.de Mün<strong>che</strong>n, ZDF.newmedia Mainz, Dean Lester & Associates<br />
Anwaltskanzlei Kapstadt (Südafrika), Friedrich-Ebert-Stiftung Harare (Simbabwe),<br />
Lewis, D’Amato, Brisbois & Bisgaard Anwaltskanzlei Los Angeles (USA)<br />
75
NOMINIERTE BEITRÄGE
Die folgenden Beiträge<br />
gehörten zu der Auswahl der<br />
Nominierungen und verdienen<br />
besondere Beachtung.
79<br />
Susanne Lang<br />
„So regiert Frank Schirrma<strong>che</strong>r“<br />
erschienen im taz mag –<br />
Wo<strong>che</strong>nendmagazin der taz<br />
am 24./25. Juni 2006
So regiert Frank Schirrma<strong>che</strong>r<br />
Er ist einer der fünf Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.<br />
Er schreibt einen Bestseller nach dem nächsten. Er gilt als Meinungsführer<br />
Nummer eins in Deutschland. Wie mächtig ist Frank Schirrma<strong>che</strong>r tatsächlich?<br />
Als das Podest mit den Jurymitgliedern endlich aus dem Untergrund auf die<br />
Theaterbühne gefahren ist, versucht der mächtigste Feuilletonist dieser Republik<br />
ein Lä<strong>che</strong>ln. Etwas schief sieht es aus, aber es gelingt. Frank Schirrma<strong>che</strong>r, der<br />
fürs Feuilleton zuständige Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,<br />
steht ganz außen in der Reihe, links außen aus der Perspektive auf die Bühne,<br />
rechts außen aus seiner eigenen.<br />
Eine perfekte Position für den Mann, der von ideologis<strong>che</strong>n Lagern nie viel hielt,<br />
es sei denn, um die Fronten wechseln und die Lager gegeneinander ausspielen<br />
zu können. Je nachdem, wel<strong>che</strong> Perspektive Lohn und Unterhaltungswert verspricht.<br />
Eine passende Position, ganz außen und doch dabei – für den Künstler<br />
unter den Chefredakteuren.<br />
46 Jahre ist Schirrma<strong>che</strong>r nun alt, und dass er, damals mit 34 Jahren jüngster je<br />
inthronisierter Mitherausgeber aller FAZ-Zeiten, hier, bei dieser jährli<strong>che</strong>n<br />
Selbstpreisung der Bran<strong>che</strong>, bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises in<br />
Hamburg, ganz selbstverständlich in der Reihe all der anderen Chefredakteure<br />
und Herausgeberinnen stehen würde, mit seinem schiefen Lä<strong>che</strong>ln und seinem<br />
Smoking, daran hätte vor genau zehn Jahren niemand mehr geglaubt.<br />
In jenem Mai 1996, zwei Jahre nach Schirrma<strong>che</strong>rs Wahl zum Herausgeber, hatte<br />
der Spiegel die Seriosität seiner Doktorarbeit angezweifelt und eine FAZ-Führungskrise<br />
heraufbeschworen. Seither hat Schirrma<strong>che</strong>r nicht nur die schwerste Zeitungskrise<br />
der Bundesrepublik 2002 mit dem daraus resultierenden Ende seines<br />
Prestigeprojekts, der Berliner Seiten, überstanden, seither hat er auch intellektuelle<br />
Größen in Deutschland wie Martin Walser oder Ignatz Bubis desavouiert<br />
und seinen eigenen Namen mit Penetranz in den Bestsellerlisten als Marke<br />
etabliert. Nun steht der intellektuelle Marktschreier also hier, auf der Bühne des<br />
80
Deuts<strong>che</strong>n Schauspielhauses, und überreicht den Preis für den besten Reporter<br />
der Bran<strong>che</strong>.<br />
Und so wie er ungeduldig von den Fußsohlen auf die Zehenspitzen wippt und<br />
wieder zurück, wie er den Preis, die Henri-Nannen-Büste, fest umgriffen hält,<br />
macht er wieder einmal eher die Figur des Schuljungen, der sich gerade selbst<br />
ein Sonderlob abholt. Das unbewegli<strong>che</strong> Lä<strong>che</strong>ln bleibt, auch als er zur Laudatio<br />
anhebt und es Zeit wird für eine seiner legendären Übertreibungen, als er von<br />
der Mehrheit stottert, die alle eingereichten Reportagen problemlos hätten<br />
bekommen können. Aber diese eine habe doch die „überwältigende Mehrheit“<br />
sofort ergattert.<br />
Dieser Auftritt, die offiziöse Bühne und das glamouröse Event der Bran<strong>che</strong> liegen<br />
ihm immer noch nicht. Frank Schirrma<strong>che</strong>r, der noch vor acht Jahren im letzten<br />
der Langzeitinterviews mit der Fotografin Herlinde Koelbl (‘Spuren der Macht’),<br />
betont hatte: „Es bleibt bei der Regel: Wenn da steht, man muss im Smoking<br />
kommen, gehe ich nicht hin.“ Ebenso wenig wie er, Frank Schirrma<strong>che</strong>r, ins Fernsehen<br />
gehe, weil er sich nicht inflationieren wolle, weil er hier, in der FAZ, sein<br />
Forum habe, das er beherrs<strong>che</strong>, „das andere beherrs<strong>che</strong> ich nicht, da werde ich<br />
beherrscht“.<br />
Heute, im Frühsommer 2006, beherrscht er es problemlos. Er ist zu Gast in<br />
seriösen Talkshows bei Phönix ebenso wie bei der Intimkus<strong>che</strong>lei von ARD-<br />
‘Beckmann’ , wo er im März auch seinen zweiten Bestseller ‘Minimum’ der Erregungsöffentlichkeit<br />
antrug. 150.000 Exemplare sind nach Auskunft des Karl<br />
Blessing Verlags bislang verkauft worden, von seinem ersten Bestseller, ‘Methusalem-Komplott’,<br />
mittlerweile insgesamt eine halbe Million Hardcoverausgaben<br />
und zweihunderttausend Tas<strong>che</strong>nbü<strong>che</strong>r.<br />
Mit der ihm qua Amt übertragenen Macht bestimmt er das Feuilleton und seine<br />
entideologisierten Gefechte. Sein popkulturelles Projekt, das Feuilleton der<br />
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, gilt als Leitmedium des Wo<strong>che</strong>nendes.<br />
81
Die Bild-Zeitung druckt seine Bü<strong>che</strong>r vorab und adelt ihn seit sechs Jahren regelmäßig<br />
in ihrer Rubrik zu den ‘Gewinnern des Tages’. In diesem Jahr wurde er im<br />
März für den Bestseller ‘Minimum’ auf deren Seite eins platziert, im Jahr 2004<br />
insgesamt fünfmal für ‘Methusalem-Komplott’ und seine Folgen.<br />
Er beeinflusst, so suggeriert es zumindest der Meinungsmarkt, das Leben im<br />
Alter, die „umprogrammierte“ Gesellschaft und das Gebärverhalten der Frauen –<br />
sogar den familienpolitis<strong>che</strong>n Richtungsstreit zwis<strong>che</strong>n den Flügeln der CDU, wie<br />
Mitstreiter im Kollegium seines Hauses ernsthaft glauben ma<strong>che</strong>n wollen.<br />
Heute also sieht es ganz so aus, als wäre dieser Frank Schirrma<strong>che</strong>r dort angekommen,<br />
wo er, wie sich Weggefährten aus Studienzeiten erinnern, immer schon<br />
ankommen wollte: an der Macht oder was so viele Medienma<strong>che</strong>rmens<strong>che</strong>n für<br />
sie halten, der Meinungsführerschaft. Wer sie innehat, bestimmt, worüber die<br />
Gesellschaft debattiert. Was bei ihr zählt, ist auch die Performance, der Coup,<br />
der kra<strong>che</strong>nde Auftritt – nicht notwendig das Interesse an Erkenntnis.<br />
Viele beneiden ihn, ebenso viele bewundern ihn, einige sind ihm in glühendem<br />
Hass verbunden, viele in existenzieller Angst vor dem Mann, der über Karrieren,<br />
über Geburt und Tod von Autoren, über Starfeuilletonisten und sol<strong>che</strong>, die es<br />
werden wollen, ents<strong>che</strong>ide. Der in einer in der Medienlandschaft neuartigen<br />
Allianz mit Spiegel und Springer-Verlag kurz davor gestanden habe, die Rechtschreibreform<br />
zu verhindern, wie man es im Männerbund Stefan Aust, Chefredakteur<br />
des Spiegels, Mathias Döpfner, Springer-Vorstand, und Frank Schirrma<strong>che</strong>r<br />
forciert habe.<br />
Der es nicht dulde, wenn in anderen Zeitungen wie der Welt am Sonntag in einer<br />
Beilage zur Frankfurter Buchmesse 2005 seiner Lebensgefährtin Rebecca Casati,<br />
stellvertretende Leiterin der Wo<strong>che</strong>nendbeilage der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung, ein<br />
Satz aus ihrem Roman („Ich fick mich durchs Alphabet“) als Originalzitat untergejubelt<br />
wird. Seither vermissen Leser beider Zeitungen einige Namen freier<br />
Autoren, die noch im Impressum der Buchmessenbeilage aufgelistet waren.<br />
82
Diese und andere, sehr viele andere Geschichten sind es, die man sich über<br />
Frank Schirrma<strong>che</strong>r erzählt. Die seine Wirkungsmacht mit jeder neuen Erzählung<br />
ein wenig größer, beängstigender und willkürli<strong>che</strong>r ers<strong>che</strong>inen lassen.<br />
Politiker müssen sich an Wahlergebnissen messen lassen, Manager an Unternehmensgewinnen.<br />
Und Meinungsführer? Ihr Erfolg lebt davon, dass die Gesellschaft,<br />
in der sie agieren, an sie glaubt.<br />
An Frank Schirrma<strong>che</strong>r jedenfalls glaubt sie. An den Aufsteiger, der einst von seiner<br />
Geburtsstadt Wiesbaden auszog, um die Welt, also Frankfurt am Main, und die<br />
intellektuelle Macht, also das Feuilleton der FAZ, zu erobern. Die Gesellschaft<br />
glaubt an den biografis<strong>che</strong>n Künstler, dessen Eintrag zu seiner Person im Onlinelexikon<br />
Wikipedia sich zeitweise geschönt las – etwa mit Auszeichnungen, die<br />
später wieder gelöscht waren.<br />
Die Gesellschaft glaubt an den Literaturliebhaber und Autofantasten, der es von<br />
Beginn an mit Größen wie Thomas Mann hielt, über den Schirrma<strong>che</strong>r im August<br />
2005 in der FAZ schrieb: „Er hat die deuts<strong>che</strong> Geistes- und Bildungsgeschichte<br />
mit Helden und Bösen versehen, er hat sehr viel weggelassen und sehr viel<br />
dazuerfunden – und das ist alles, was noch da ist.“ Helden und Böse, erfinden<br />
und weglassen – ein erster Schlüssel zu jenem Mann, der die deuts<strong>che</strong> Feuilletongeschichte<br />
wie keiner zuvor umgeschrieben hat.<br />
Eine persönli<strong>che</strong> Gesprächsanfrage läuft Mitte Mai, als sich die Bran<strong>che</strong> im<br />
Deuts<strong>che</strong>n Schauspielhaus trifft, seit gut zwei Wo<strong>che</strong>n. Die Sekretärin, Monika<br />
Stützel, verspricht, Tag für Tag, sich um den Wunsch zu kümmern. Bis dahin lässt<br />
sich die professionell inszenierte Warteschleife gut überbrücken. Frank Schirrma<strong>che</strong>r,<br />
der ‘Felix Krull’ unter den Mächtigen, wie ihn unter anderem Klaus<br />
Harpprecht, ehemaliger Redenschreiber von Willy Brandt und einer seiner<br />
gepflegten Exklusivfeinde, bezeichnet, ein einnehmender Trickser also, hat genügend<br />
Fährten gelegt für eine Annäherung. Es sind die Spuren eines Aufsteigers,<br />
dessen Werdegang ohne den Bedeutungsverlust von Intellektuellen in den vergangenen<br />
zwanzig Jahren nicht denkbar wäre.<br />
83
Heidelberg, Anfang der Achtzigerjahre. Der Sturm, der seit den späten Sechzigerjahren<br />
durch die Universitäten fegte, hat sich nach und nach gelegt, jetzt sitzen<br />
andere Professoren auf den Lehrstühlen – jedoch keine besseren aus der Sicht<br />
des Germanistikstudenten, der seinen Frust über die Betonköpfe in Grün aus der<br />
Universität mit ins Leben tragen wird. Den politisch korrekten Diskurs, hier die<br />
Guten, dort die Schlechten, hier die Progressiven, dort die Reaktionären, empfindet<br />
er als langweilend und unergiebig – wie so viele aus der nachfolgenden<br />
Generation. Der kulturkritis<strong>che</strong>n Pose kann er nichts abgewinnen.<br />
Frank Schirrma<strong>che</strong>r verliert sich lieber in Literatur. Liest, bis die Seiten aus den<br />
Bü<strong>che</strong>rn fallen. Ernst Jünger, Gottfried Benn, Stefan George, Thomas Mann,<br />
Franz Kafka – und Joachim Fests Hitler-Biografie, die rasch zum Standardwerk<br />
avanciert. Ein sehr ausgewählter Kanon, den er noch heute zelebriert. „Man<br />
hatte keine Lust, in der Germanistik die Zwis<strong>che</strong>nprüfung über Habermas zu<br />
ma<strong>che</strong>n, sondern interessierte sich für Thomas Mann“, so beschreibt er die eigene<br />
Motivation, als er längst FAZ-Literatur<strong>che</strong>f ist.<br />
Als Lebensprinzip entdeckt Schirrma<strong>che</strong>r bereits in der Jugend die literaris<strong>che</strong><br />
Überformung der eigenen Biografie. „Ich habe wie in einem Bildungsroman<br />
gelebt. Das konstituierte mein Bewusstsein. Schon in sehr jungen Jahren habe<br />
ich mich aufgemacht und mir Vaterfiguren zusammengesucht. Früher habe ich<br />
mein Selbstbewusstsein von diesen Figuren abgeleitet.“ 1991 wird er diese Fährte<br />
legen, im ersten Interview mit Herlinde Koelbl über die Spuren der Macht. Seine<br />
Antworten aus dieser Zeit sind eine aufschlussrei<strong>che</strong> Quelle für den Code Schirrma<strong>che</strong>r,<br />
der mittlerweile über seine Person samt Privatleben nur noch selten<br />
spricht. Als unseriös empfinde er dies, wie es in einem Porträt des Deuts<strong>che</strong>n<br />
Allgemeinen Sonntagsblatts heißt.<br />
Schirrma<strong>che</strong>rs fasziniertes Interesse gilt neben Ernst Jüngers ‘In Stahlgewittern’<br />
dem George-Kreis, der sich aus Künstlern und Wissenschaftlern um Stefan George<br />
in männerbündis<strong>che</strong>r und autoritärer Hierarchie sammelte. Ihr Podium sind die<br />
1892 gegründeten Blätter für die Kunst, die unter strenger Aufsicht von George<br />
84
is 1919 publiziert wurden und sich laut literaturtheoretis<strong>che</strong>m Programm der<br />
„künstleris<strong>che</strong>n Umformung des Lebens“ widmen sollten. Strenger Ästhetizismus<br />
hatte über allen politis<strong>che</strong>n oder sozialen „Weltverbesserungen“ zu stehen.<br />
Der Dichter als Führer mit seinen Blättern als Podium – heute hieße das wohl<br />
Meinungsführer mit den Blättern des FAZ-Feuilletons.<br />
Dass Schirrma<strong>che</strong>r später vehement mit Dichterinnen wie Christa Wolf abrechnet<br />
und Günter Grass bis heute zu seinen intellektuellen Intimfeinden zählt, ist da<br />
nur konsequent. An einem wie Grass muss er sich abarbeiten, an dem späteren<br />
Nobelpreisträger, dem Literaten aus Danzig, der in den Fünfzigerjahren zunächst<br />
einen Bonus hatte: Er verkörpert einen neuen Typus des Intellektuellen. Im<br />
Gegensatz zum großbürgerli<strong>che</strong>n Dandy, wie ihn etwa Joachim Fest repräsentiert,<br />
steht Grass für den nahbaren Rotweintrinker, der sich bis heute, als kämpferis<strong>che</strong>r<br />
Sozialdemokrat, unermüdlich in den politis<strong>che</strong>n Diskurs einmischt. Figuren wie<br />
Grass müssen bei einem Ästhetizisten wie Schirrma<strong>che</strong>r auf Verachtung stoßen<br />
– gerade weil er selbst mit seiner so oft als kindlich beschriebenen Statur, über<br />
die schon so viele hilflos gespottet haben, dem asketis<strong>che</strong>n Ideal des George-<br />
Bundes kaum entspricht und die ersehnte intellektuelle Aura beim öffentli<strong>che</strong>n<br />
Auftritt vermissen lässt.<br />
Umso glückli<strong>che</strong>r fügt sich die Öffnung der deuts<strong>che</strong>n Germanistik in den Achtzigerjahren<br />
für den Dekonstruktivismus. Franz Kafka, über den Schirrma<strong>che</strong>r seine<br />
Magisterarbeit verfasst und 1988 promoviert, wird völlig neu erschlossen. Der<br />
Prozess des Schreibens als selbstschöpferis<strong>che</strong>r Lebensakt, als Ersatz und<br />
gleichsam Tod des realen Ichs – ein Faszinosum für Schirrma<strong>che</strong>r.<br />
Also studiert Schirrma<strong>che</strong>r mit Verve, tummelt sich im Kreis der Studienstiftung<br />
des Deuts<strong>che</strong>n Volkes und macht sich bei seinen Professoren einen Namen als<br />
Vorzeigestudent und Ausnahmetalent. Bei einem seiner Literaturprofessoren<br />
zählt er schnell zu den Freunden des Hauses.<br />
85
Vor allem beeindruckt der Student Schirrma<strong>che</strong>r schon damals mit seiner Begeisterungsfähigkeit<br />
und Neugier, die viele ansteckt. Als die neue Computergeneration<br />
mit Basic-Programmierspra<strong>che</strong> aufkommt, sitzt Schirrma<strong>che</strong>r stundenlang<br />
vor seinem Armstrat, programmiert und programmiert, bis so man<strong>che</strong>r Zigarettenbrandfleck<br />
die Tastatur ziert. Das Neue beherrs<strong>che</strong>n, die neue Technik, das<br />
ist es, was zählt.<br />
Ein Emphatiker sei er, sagen Mens<strong>che</strong>n, die ihm nahe stehen, eine Kategorisierung,<br />
die erst jüngst heftig diskutiert wurde in einer Debatte über Literaturkritik<br />
und wie sie sich zu positionieren habe, am Beispiel des stellvertretenden Leiters<br />
des FAS-Feuilletons Volker Weidermann und dessen Literaturgeschichte von<br />
1945 bis heute. Begeisterung statt geistiger Askese. Schirrma<strong>che</strong>r gibt den<br />
Emphatiker, der jedoch nie sein eigentli<strong>che</strong>s Ziel aus den Augen verliert: Spuren<br />
zu hinterlassen. Schon früh beschäftigt Schirrma<strong>che</strong>r der Topos der Vergänglichkeit,<br />
wie er in den Interviews mit Herlinde Koelbl beschreibt: „Was mich immer<br />
schon geängstigt hat, ist das Problem der Vanitas, der Vergänglichkeit. Es ist der<br />
Tod, der alles in Bewegung setzt. Ein Nie-da-gewesen-Sein, darauf läuft es hinaus.<br />
Nicht nichts zu sein, sondern nie da gewesen zu sein.“<br />
Im Umkehrschluss sind es die Spuren der Unvergänglichkeit, die ihn auch in<br />
nichtliteraris<strong>che</strong>n Berei<strong>che</strong>n faszinieren. Als er die Noten einiger der verschollen<br />
geglaubten 109 Flötensonaten von Friedrich dem Großen zu sehen bekommt, die<br />
ein Freund und Musiker in einem Archiv in Ostberlin entdeckt und abgeschrieben<br />
hat, pocht er mit Vehemenz darauf, dass die Sonaten doch auch unbedingt aufgeführt<br />
werden müssten. Als größte Genugtuung wird er 1997 einen Tagebu<strong>che</strong>intrag<br />
von Ernst Jünger beschreiben, der ihn, Frank Schirrma<strong>che</strong>r, in sein<br />
biografis<strong>che</strong>s Werk aufnahm. „Es war immer ein infantiler Traum von mir“,<br />
gesteht Schirrma<strong>che</strong>r, „jetzt ist ein Fäser<strong>che</strong>n meiner Existenz in dieses Werk<br />
eingewoben.“<br />
Aus Sicht des Mittzwanzigers kann es in den Achtzigerjahren kaum eine angemessenere<br />
biografis<strong>che</strong> Möglichkeit zur geistigen Unsterblichkeit geben als die<br />
86
Eroberung des FAZ-Feuilletons, das zu dieser Zeit wie kein anderes das intellektuelle<br />
Leben in Deutschland bestimmt. 1984 bietet Joachim Fest, damaliger Mitherausgeber<br />
der Zeitung, auf Empfehlung des Heidelberger Politologen Dolf<br />
Sternberger Schirrma<strong>che</strong>r eine Hospitanz an. Im Juli 1985 ist er Feuilletonredakteur.<br />
Mit 26 Jahren. Jetzt beginnt der Kampf nach oben.<br />
Frankfurt, Ende der Achtzigerjahre. Man muss nur kurz die Augen schließen,<br />
einmal tief einatmen, die klare Luft zwis<strong>che</strong>n den grünen Bäumen, die neben all<br />
den Kaffeehaustis<strong>che</strong>n am Rande der kopfsteingepflasterten Fußgängerzonen in<br />
dieser BRD-Kus<strong>che</strong>lstube Frankfurt am Main gepflanzt sind. Man muss nur einmal<br />
das Vogelzwits<strong>che</strong>rn um die roten Sandsteinfassaden der übrig geblieben<br />
Altbauten und der vielen grauen Nachkriegsbauten ausblenden, kurz die Familienchinarestaurants<br />
und die grell blinkenden ‘Erotic Center’-Schriftzüge in den<br />
Straßen am Bahnhof vergessen und sagen: Das ist Frankfurt. Aber uns gehört<br />
die Welt.<br />
Plötzlich ist das Gefühl nachvollziehbar, das die Clique der jungen FAZ-Feuilletonredakteure<br />
antreibt, als sie abends nach Redaktionsschluss durch die Straßen<br />
Frankfurts laufen. ‘Wir’, das sind die Jungen, der Nachwuchs, den Herausgeber<br />
Joachim Fest nach und nach in sein Feuilleton geholt hat, in erster Linie aus dem<br />
Umfeld der Studienstiftung des Deuts<strong>che</strong>n Volkes. Frank Schirrma<strong>che</strong>r, Gustav<br />
Seibt, Jens Jessen, Jan Roß, Stephan Spei<strong>che</strong>r, Patrick Bahners. Die Rebellen im<br />
lange Zeit nationalbürgerlich ausgerichteten Feuilleton, die für ein modernes<br />
zeitgenössis<strong>che</strong>s Feuilleton stehen und die Achtundsechzigergeneration im<br />
Haus gezielt überspringen sollen. Die Selbstbewussten, die das Benjamin- und<br />
Kracauer-Feuilleton der Zwanzigerjahre in einem Verbund ausdrücklich ohne<br />
Frauen wiederbeleben wollen. Die aus Übermut gerne in so man<strong>che</strong>r Redaktionskonferenz<br />
mit den Fingern Vögel<strong>che</strong>n hinter den Köpfen der Altgedienten zeigen<br />
oder S<strong>che</strong>rzanrufe aus der Redaktion bei diversen Professoren tätigen.<br />
Jungs, von denen einer von Anfang an mehr wollte: den Stuhl von Marcel Reich-<br />
Ranicki. Er setzt alles daran, den Literatur<strong>che</strong>f zu beerben, der auf die FAZ-übli<strong>che</strong><br />
87
Altersgrenze von 68 Jahren zuschreitet. Schirrma<strong>che</strong>r, der kleine George im jungen<br />
Männerbund. Das „Benjamin-Aufbackbröt<strong>che</strong>n“, wie sie ihn später nennen<br />
werden. Ein Publizist im Umfeld der Zeitschrift Merkur beschreibt die Konstellation<br />
mit einem psychoanalytis<strong>che</strong>n Szenarium, der Freud’s<strong>che</strong>n Brüderhorde: Einer<br />
wird sich hervorheben und die Horde zerstören, die Brüder ermorden.<br />
Frank Schirrma<strong>che</strong>r weiß als an Literatur geschulter Realist, dass Macht nie ein<br />
reiner Selbstläufer ist. Er buhlt um die Gunst von Joachim Fest, der 1986 in dem<br />
von ihm verantworteten FAZ-Feuilleton den Historikerstreit nicht nur um Ernst<br />
Nolte und seine provozierenden vergangenheitspolitis<strong>che</strong>n Thesen austrägt,<br />
sondern auch um einen nationalen Patriotismus versus den von Jürgen Habermas<br />
in Anschlag gebrachten Verfassungspatriotismus.<br />
Noltes verglei<strong>che</strong>nde Pointierung, der Holocaust sei als eine abwehrende Reaktion<br />
auf die „Vernichtungsvorgänge der Russis<strong>che</strong>n Revolution“ und somit als<br />
nicht einzigartiges Ereignis zu werten, spaltet auch das Feuilleton der FAZ. Fest<br />
und die so genannte Viererbande, unter anderem der Historiker Michael Stürmer,<br />
damaliger Berater von Helmut Kohl, gegen den Rest. Aber auch gegen<br />
Reich-Ranicki, der sich als Holocaust-Überlebender heftig gegen die Position<br />
Noltes verwahrt.<br />
Schirrma<strong>che</strong>r, der 1994 im Interview mit Herlinde Koelbl betonen wird, dass er<br />
„den Historikerstreit nicht für eine Sternstunde der Menschheit halte“, speziell<br />
das Debattenniveau bestimmter „fals<strong>che</strong>r Freunde“, die dachten, „mit dieser<br />
Zeitung könne man ganz besonders schön in nationalistis<strong>che</strong>n Träumen schwelgen“,<br />
dieser Schirrma<strong>che</strong>r hält sich damals bedeckt und macht den Streit kurzerhand<br />
zu seiner persönli<strong>che</strong>n Sternstunde. Er nutzt die wohl einmalige Gelegenheit,<br />
die Differenz zwis<strong>che</strong>n Fest und Reich-Ranicki, und positioniert sich zwis<strong>che</strong>n<br />
den ideologis<strong>che</strong>n Lagern.<br />
Den Instinkt für den richtigen Moment, das vorausschauende Gespür für den<br />
idealen Zeitpunkt – diese Gabe besitzen nicht viele. Frank Schirrma<strong>che</strong>r hat sie<br />
88
und wird sie bis heute, bei jedem noch so kleinen vermeintli<strong>che</strong>n Coup, erneut beweisen.<br />
Schneller, geschickter, konsequenter und mitunter brutaler als die anderen.<br />
Als der Zeitpunkt günstig s<strong>che</strong>int, bittet Schirrma<strong>che</strong>r Joachim Fest, eine Rede<br />
gegenzulesen, die er nach eigener Aussage auf Wunsch der Society of Fellows<br />
an der amerikanis<strong>che</strong>n Harvard University halten solle, anlässlich der geschichtspolitis<strong>che</strong>n<br />
Debatte in Deutschland, am Beispiel eines epo<strong>che</strong>nprägenden<br />
Werkes: Fests Hitler-Biografie, die er in der Rezeptionsbedeutung zu einem<br />
Generationenprojekt, seinem Generationenprojekt, stilisiert.<br />
Im Skript der mündli<strong>che</strong>n Fassung, das der taz vorliegt, führt er es so aus: „Und<br />
hier muss ich mit einem persönli<strong>che</strong>n Geständnis beginnen, ein Geständnis, das<br />
ich im Augenblick in Deutschland noch nicht so ohne weiteres ablegen könnte,<br />
weil ich gewissermaßen in Berufsbeziehung zum Verfasser stehe und man mir<br />
deshalb die Objektivität bestritte: Joachim Fests ‘Hitler’-Biografie gehört zu<br />
meinen großen, unübertroffenen Lektüreerfahrungen. Das Werk, von dem noch<br />
methodis<strong>che</strong> Gegner wie Hans-Ulrich Wehler sagen, es gehöre zu den bedeutendsten<br />
Analysen Hitlers und des Dritten Reichs, hat eine Wirkung nicht nur<br />
über meine Generation erlangt, eine Wirkung, die in allen Debatten noch nicht<br />
erklärlich ist [...].“<br />
Bis heute ist ungeklärt, ob Schirrma<strong>che</strong>r diese Rede tatsächlich gehalten hat, ob<br />
es überhaupt einen entspre<strong>che</strong>nden Auftrag und eine Einladung gab. Die Society<br />
selbst hat es nie bestätigt, Schirrma<strong>che</strong>r dagegen findet einen gewichtigen Zeugen:<br />
den Kunsthistoriker und Freund Joseph Koerner, der seine Aussage bestätigt.<br />
Sein Ziel hatte Schirrma<strong>che</strong>r mit der Vorlage des Manuskripts indes erreicht:<br />
Fest durfte eine Lobhudelei auf sich selbst erfahren, die Schirrma<strong>che</strong>r über seinen<br />
unmittelbaren Vorgesetzten sonst schwerlich offiziell hätte halten können.<br />
Der Kniff ist genial, gerade weil er so platt inszeniert wird. Damit hätte in der<br />
elitären und auf Understatement getrimmten FAZ so schnell wohl niemand<br />
gerechnet. Er kommt damit durch.<br />
89
Am 1. Januar 1989 übernimmt Schirrma<strong>che</strong>r die Leitung der FAZ-Redaktion<br />
‘Literatur und Literaris<strong>che</strong>s Leben’. Fest spricht sich dezidiert gegen die Generation<br />
der Achtundsechziger in seinem Haus aus, die natürli<strong>che</strong>rweise am Zug<br />
gewesen wäre. Ab jetzt geht es Schirrma<strong>che</strong>r ums Ganze, um die Formung eines<br />
Feuilletons nach seinem Bilde. Um den Weg zur Herausgeberschaft. Und um die<br />
Wiederannäherung an Marcel Reich-Ranicki, den selbst ein Frank Schirrma<strong>che</strong>r<br />
nicht als Feind wissen möchte, wie er lange vor seiner Verteidigung von Martin<br />
Walsers Paulskir<strong>che</strong>nrede 1998, dem Lamento über die „moralis<strong>che</strong> Keule Auschwitz“,<br />
ahnt.<br />
Und lange bevor er jenen Martin Walser 2002 mit einem öffentli<strong>che</strong>n Brief anlässlich<br />
des noch unveröffentlichten Bu<strong>che</strong>s ‘Tod eines Kritikers’ mit schweren<br />
Antisemitismus-Vorwürfen, gegen die er ihn zuvor verteidigt hatte, gleichsam<br />
selbst hinzurichten versucht. Eine Debatte, die wegen ihres Tabubruchs einschlug:<br />
Zum ersten Mal in der deuts<strong>che</strong>n Verlagsgeschichte wurde ein noch<br />
unveröffentlichtes Buch heftig diskutiert. Ein Coup. Aus seiner, aus Schirrma<strong>che</strong>rs<br />
Sicht.<br />
Hamburg, Mitte Mai 2006. Was Frank Schirrma<strong>che</strong>r heute wie damals wirklich<br />
liegt, ist die Party nach jeder offiziösen Feierlichkeit, wie auch diese in der Kantine,<br />
im Keller des Deuts<strong>che</strong>n Schauspielhauses, wo beim Dinner Kerzenleuchter<br />
künstli<strong>che</strong>n Glanz auf so manch schweißperlende Stirn zaubern. Von jetzt an<br />
wird es auch sein Abend sein, auf der inoffiziellen Bühne, zwis<strong>che</strong>n den runden<br />
Tis<strong>che</strong>n, an denen nun die Mitglieder der Mediengesellschaft ihre Plätze einnehmen.<br />
Nur einer wird beständig zwis<strong>che</strong>n allen Tis<strong>che</strong>n herumflitzen, die aus der<br />
Vogelperspektive wie die Knotenpunkte eines Netzwerks aussehen, das sich<br />
informell über den Abend spannt. Frank Schirrma<strong>che</strong>r wird seine Reise nach<br />
Jerusalem spielen. An jedem Tisch ein Stuhl, der frei ist, kurz auch für ihn.<br />
Als Helmut Markwort, Focus-Chefredakteur, vom Buffet zurückkehrt und seinen<br />
Platz einnehmen will, steht Schirrma<strong>che</strong>r auf. Die Männer la<strong>che</strong>n. Selbstverständlich<br />
dürfe Schirrma<strong>che</strong>r seinen Stuhl kurz haben. Machtkoketterie.<br />
90
Schirrma<strong>che</strong>r stromert weiter. An den Nebentisch, an dem Joachim Fest mit<br />
Tischgesellschaft residiert, der an diesem Abend zuvor für sein Lebenswerk ausgezeichnet<br />
wurde. Schirrma<strong>che</strong>r begrüßt seinen lange Zeit bewunderten<br />
Vorgänger mit einem Händedruck. Fest bleibt sitzen. Sie reden. Schirrma<strong>che</strong>r<br />
steht. Und leiht sich dann einen freien Stuhl vom Nebentisch.<br />
Als sich Joachim Fest auf der offiziellen Bühne zuvor für die Auszeichnung seines<br />
Lebenswerks bedankt, zieht er ein schönes Lebensfazit: Gelassener sei er geworden<br />
im Alter, nun ertrage er die Clowns, von denen es sehr viel mehr unter<br />
den Mens<strong>che</strong>n gebe, als man vermutet hätte. „Man muss sie als sol<strong>che</strong> erkennen.“<br />
Der Bruch mit Fests ehemaligem Schützling Schirrma<strong>che</strong>r habe sich bereits<br />
Anfang der Neunzigerjahre abgezeichnet, erzählt ein enger Vertrauter von Fest,<br />
der 1994 als FAZ-Mitherausgeber auss<strong>che</strong>idet. Von nun an zählen für Schirrma<strong>che</strong>r<br />
andere: Hugo Müller-Vogg, damaliger CDU-naher Mitherausgeber der FAZ,<br />
zuständig für den Regionalteil und später die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.<br />
Und Helmut Kohl, Bundeskanzler mit Wendebonus.<br />
Frankfurt, Mitte der Neunzigerjahre. Die Redaktion der FAZ, dieser vermeintlich<br />
unbewegli<strong>che</strong>n Institution, wechselt ihr Gesicht. Sie zieht in einen Neubau auf<br />
der gegenüber liegenden Seite der Hellerhofstraße, mitten im Gallusviertel,<br />
einem Arbeiterviertel mit damals vielen leer stehenden Lagerhallen und schmutzigen<br />
Fassaden. Nun residiert sie in einem hellen Bau, in der Form eines lang<br />
gezogenen L, wie am Modell gut zu erkennen ist. Das Tageslicht fällt durch ein<br />
Glasdach in den Empfangsraum. Es ist still, ab und an verlassen Mitarbeiter zum<br />
Feierabend das Gebäude. Man grüßt, freundlich. Von der so oft beschriebenen<br />
Trutzburg ist wenig zu spüren.<br />
Im Trakt des vierten Stockes, wo nach klarer Hierarchie das Feuilleton residiert –<br />
die Wirtschaft im dritten und die Politik im zweiten –, arbeitet zum damaligen<br />
Zeitpunkt einer an einer noch bedeutenderen Veränderung des Hauses. Frank<br />
Schirrma<strong>che</strong>r wird sich nicht mit dem Posten des Literatur<strong>che</strong>fs begnügen, den<br />
91
er zum damaligen Zeitpunkt nach eigenem Empfinden immer noch als „Ausnahmezustand“<br />
erlebe, wie er im Gespräch mit Herlinde Koelbl bekennt.<br />
Es ist sein Hang zur Koketterie, den Schirrma<strong>che</strong>r bei Bekundungen dieser Art<br />
ausspielt, nicht etwa Selbstironie. Er inszeniert sein Amt und seine Person als zu<br />
wichtig, als dass er sie tatsächlich hinterfragen wollte. So habe die „Vorstellung,<br />
dass ich vierzig Jahre lang Literatur<strong>che</strong>f der FAZ bleiben könnte, ja durchaus<br />
etwas Beängstigendes, vielleicht nicht nur für mich, auch für meine Umwelt.“<br />
Wie sehr er damit Recht haben sollte, zeigt sich 1996, als er seit zwei Jahren<br />
Mitherausgeber der FAZ ist und der Spiegel über den „Überflieger im Abwind“<br />
schreibt. Schirrma<strong>che</strong>rs Doktorarbeit, die formalen Universitätsregeln angeblich<br />
nicht genüge, weil sie bereits im Suhrkamp Verlag publiziert war, ist nur der Aufhänger<br />
für die Spiegel-Geschichte, die ein klares Ziel hat: seinen Sturz. Das FAZinterne<br />
Unbehagen an Schirrma<strong>che</strong>r ist zu groß geworden.<br />
Schirrma<strong>che</strong>r gibt den Chef nach allen Regeln der Führungskunst; ein Tabubruch<br />
im bis dahin bis zur Selbstverleugnung beherrschten Umgang innerhalb der FAZ.<br />
Schirrma<strong>che</strong>r lebt von der Aura, die eine Institution wie die ‘Zeitung für Deutschland’<br />
(FAZ-Selbstverständnis) und ein Amt wie das des Herausgebers auf seine<br />
Person übertragen, und reizt sie aus. Gerade weil ihm das natürli<strong>che</strong> Charisma<br />
eines Chefs fehlt.<br />
Was Schirrma<strong>che</strong>r rettet, ist ein Statement, das ihn nach außen hin absi<strong>che</strong>rt.<br />
Von jenem Mann, der 1994, unter anderem mit Unterstützung von Helmut Kohl,<br />
Schirrma<strong>che</strong>rs Inthronisierung als Herausgeber forciert hat. Gegenüber dem<br />
Magazin Focus lässt Hugo Müller-Vogg am 20. Mai 1996 wissen, dass die<br />
Herausgeber der FAZ natürlich zu Frank Schirrma<strong>che</strong>r stünden. „Das sollten alle<br />
Spiegel-IMs genau wissen.“<br />
Fünf Jahre später wird Hugo Müller-Voggs Arbeitsverhältnis in einem ebenso<br />
Aufsehen erregenden Zug beendet, unter Zustimmung aller Herausgeber.<br />
92
Schirrma<strong>che</strong>r macht von seinem Vetorecht keinen Gebrauch. „Ohne mich wäre<br />
Schirrma<strong>che</strong>r nicht Herausgeber geworden“, betont Müller-Vogg. Bis heute<br />
nimmt er, mittlerweile bei der Bild-Zeitung als Kolumnist tätig, Schirrma<strong>che</strong>r das<br />
damalige Verhalten übel.<br />
Was Schirrma<strong>che</strong>r bleibt, ist nicht nur die Herausgeberschaft. Mens<strong>che</strong>n, die ihn<br />
damals erlebt haben, spre<strong>che</strong>n von einem tiefen Trauma, von Psychoszenen und<br />
Besserungsgelöbnissen. Es ist der Moment, von dem an Schirrma<strong>che</strong>r sein<br />
Augenmerk sehr genau auf seine Feinde und jene, die er als sol<strong>che</strong> ausmacht,<br />
richten und gegebenenfalls mit aller Härte zurückschlagen wird. In den folgenden<br />
Jahren verlassen nach und nach Feuilletonmitarbeiter das Blatt – ein bis dahin<br />
undenkbarer Vorgang.<br />
Eine FAZ-Anstellung, das bedeutete lebenslänglich. Bis heute ziehen sich die<br />
Spuren jener alten Feindschaften durch die Feuilletons, wenn etwa ein Buch eines<br />
Abtrünnigen von Schirrma<strong>che</strong>rs Doktorvater und Förderer Hans Ulrich Gumbrecht<br />
mit persönli<strong>che</strong>r Verve statt mit Augenmaß im FAZ-Feuilleton verrissen wird.<br />
Nach der Krise legt Schirrma<strong>che</strong>r alle Kraft in die konzeptionelle Neuausrichtung<br />
des Feuilletons, die ebenfalls einem Tabubruch innerhalb der FAZ gleichkommt.<br />
Er öffnet es für die Naturwissenschaften, denen er im Jahr 2000 besondere Aufmerksamkeit<br />
verschaffen wird, als er den gesamten Code des entschlüsselten<br />
menschli<strong>che</strong>n Genoms mit weitgehendem Verzicht auf Kommentar oder Einordnung<br />
im Feuilleton abdrucken wird – und wieder einmal für eine aufgeregte<br />
Kurzweildebatte sorgt.<br />
Auch zur Zeit der Berliner Seiten, seines ehrgeizigen Hauptstadtkulturprojekts,<br />
wird er dieser Linie treu bleiben und Journalisten wie den Biologen Cord Rie<strong>che</strong>lmann<br />
ans Blatt binden, der sich noch gut an einen seiner ersten Aufträge erinnert:<br />
Eines Tages bekam er einen Anruf von Frank Schirrma<strong>che</strong>r, der nach diversen<br />
Zoobesu<strong>che</strong>n mit seinem Sohn das Gefühl habe, dass die Giraffe ihn wiedererkenne.<br />
Ob dies denn wohl sein könne?<br />
93
Rie<strong>che</strong>lmann schätzt das persönli<strong>che</strong> Interesse Schirrma<strong>che</strong>rs an Themen. Auch<br />
wenn er von dessen Ansatz, Natur und Biologie metaphorisch auf politis<strong>che</strong> Verhältnisse<br />
zu übertragen, nicht viel hält. „Aber meine Einstellung hat er immer<br />
akzeptiert“, meint Rie<strong>che</strong>lmann, der die Horrorszenarien vom willkürli<strong>che</strong>n Eingreifen<br />
Schirrma<strong>che</strong>rs in Inhalte des Blattes nicht bestätigen kann. Schirrma<strong>che</strong>r<br />
schätze Leute, die sich nicht von den Verhältnissen dominieren ließen, solange<br />
dies kompatibel sei mit dem bürgerli<strong>che</strong>n Leben. „Er ist ein guter Blattma<strong>che</strong>r.“<br />
Und als sol<strong>che</strong>r öffnet Schirrma<strong>che</strong>r auch nach und nach das Rezensionsfeuilleton<br />
für politis<strong>che</strong> Debatten. Joschka Fis<strong>che</strong>r und Gerhard Schröder sind die neuen<br />
Figuren, die seine Neugier geweckt haben. Wieder einmal setzt er mit seinem<br />
Instinkt auf die Richtigen zum richtigen Zeitpunkt.<br />
Zur vollen Geltung kommt die Neuausrichtung seines Feuilletons allerdings erst<br />
heute, in der Medienrepublik Berlin, in der sich auch in anderen Zeitungen<br />
zunehmend die Grenzen zwis<strong>che</strong>n klassis<strong>che</strong>n Ressorts vermis<strong>che</strong>n und sich<br />
ausgezeichnete Politikredakteure schon mal zu einem Ausflug in die Magazine<br />
ihrer Blätter verführen lassen, mit Geschichten aus der Kindheit im Keller oder<br />
dem ersten Urlaub auf dem Balkan.<br />
Im Feuilleton dagegen finden die oftmals schärferen, gesellschaftspolitis<strong>che</strong>n<br />
Analysen und Auseinandersetzungen statt, auch die Dramatisierung und Personalisierung<br />
der Debatten, ihre Literarisierung, Helden und Böse. Als Gerhard<br />
Schröder 2005 nach der Bundestagswahl in der Fernsehrunde Angela Merkel<br />
den Sieg abspricht, ist es Frank Schirrma<strong>che</strong>r, der am nächsten Tag die „Entgleisung<br />
des Aufputs<strong>che</strong>rs“ kommentiert. Und er ist es, der im vorausgegangenen<br />
Wahlkampf in die Welt des Paul Kirchhof eintauchte und die CDU-Professoren-<br />
Hoffnung einen Tag lang begleitete. Der diesmal von der Realität geschaffene<br />
Ausnahmezustand ist zu gut, als dass Schirrma<strong>che</strong>r ihn unkommentiert lassen<br />
könnte.<br />
34 Jahre jung war Schirrma<strong>che</strong>r, als er das Amt übertragen bekam. Viele der<br />
Geschichten und Debatten, die in den bis heute vergangenen zwölf Jahren statt-<br />
94
fanden, folgten dem glei<strong>che</strong>n Prinzip: der Lust am Tabubruch, an gedankli<strong>che</strong>r<br />
Unkonventionalität. Dem nie saturierten, napoleonis<strong>che</strong>n Streben nach Bedeutung,<br />
dem unbedingten Willen zur Meinungsführerschaft. Dem Mut zur Lücke,<br />
wie man<strong>che</strong> aus Erfahrung sagen.<br />
Schirrma<strong>che</strong>r lebt und genießt die selbst verursachten Stahlgewitter<strong>che</strong>n.<br />
Berlin, 2006. Auch wenn Mens<strong>che</strong>n, die ihm heute beruflich nahe stehen, bereits<br />
von Altersmilde reden, die im Umgang mit seinen Mitarbeitern immerhin eingesetzt<br />
habe – das Freund-Feind-S<strong>che</strong>ma gilt. Mit einem Unterschied: Schirrma<strong>che</strong>rs<br />
Kreis hat sich für einen intermedialen Allianzenbund geöffnet, für Männer aus<br />
Konkurrenzverlagen und Zeitungen: Mathias Döpfner, Springer-Vorstand; Stefan<br />
Aust, Spiegel-Chefredakteur; Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung;<br />
Matthias Matussek, Kultur<strong>che</strong>f des Spiegels; Paul Sahner, Chefreporter der Bunten;<br />
Helmut Markwort, Focus; Christoph Keese, Chefredakteur der Welt am Sonntag;<br />
Matthias Landwehr, Chef der Literaturagentur Eggers & Landwehr.<br />
Ein Foto in seinem Herausgeberbüro in Frankfurt symbolisiert sehr schön,<br />
worum es Schirrma<strong>che</strong>r in diesem neuen Bund geht, gemeinsam mit den neuen<br />
Jungs: Es zeigt ihn mit Stefan Aust und Norbert Körzdörfer, dem Bild-Reporter,<br />
bei einem Ausflug nach Camp David. Mit in der Runde: Bill Clinton, ehemaliger<br />
Präsident der USA.<br />
Heute gilt es, an jedem Tisch der Mächtigen einen freien Stuhl zu wissen, wenn<br />
auch nur kurz. Heute gilt es, die Welt, also den Markt, zu erobern. Und wie so oft<br />
in der Medienbran<strong>che</strong> sind es informelle Abspra<strong>che</strong>n, die den Bund zusammenhalten.<br />
Selbstverständlich betont ein Alexander Gorkow, Leiter der SZ-Wo<strong>che</strong>nendbeilage,<br />
im Hinblick auf das kolportierte Schreibverbot für WamS-Autoren nach<br />
dem Eklat der Buchmessenbeilage, dass auf sein Ressort seine SZ-Kollegen und<br />
er selbst Einfluss ausübe, niemand sonst. Und selbstverständlich äußern sich<br />
weder Mathias Döpfner noch Matthias Matussek noch Matthias Landwehr offiziell<br />
zu Frank Schirrma<strong>che</strong>r.<br />
95
Rückschlüsse lassen sich jedoch aus den Inhalten der Zeitungen und Magazine<br />
ziehen. Dort ist die Kooperation oftmals unmittelbar nachzuvollziehen, nicht nur<br />
anhand der Bild-Zeitung. So auch im Spiegel, der unter Regie von Matthias<br />
Matussek Schirrma<strong>che</strong>rs Buch ‘Minimum’ ein Forum gibt, in Form eines wohlgesinnten<br />
Interviews, ergänzt mit einer Buchrezension durch den Kultur<strong>che</strong>f selbst.<br />
Im Gegenzug bezieht sich Matussek in seinem aktuellen Auchbestseller ‘Wir<br />
Deuts<strong>che</strong>n’ nicht nur einmal auf Schirrma<strong>che</strong>r und lobt seinen „kalten soziobiologis<strong>che</strong>n<br />
Blick auf die Welt“. Die FAS wiederum bietet eine Seite im Feuilleton<br />
für ein ausführli<strong>che</strong>s Gespräch mit Matussek, flankiert von einer Werbeanzeige<br />
drei Seiten weiter. Mit einem kleinen Wermutstropfen allerdings: Das Interview<br />
fällt kritisch aus, und Matussek, heißt es, fühlte sich prompt verraten.<br />
Schließlich übernimmt als Vierte im Bunde die Welt am Sonntag die eigentlich<br />
für den Spiegel geplante, dort aber nach Widerstand in der Chefredaktion abgelehnte<br />
Titelgeschichte von Matussek: ein Paket aus bearbeitetem Buchvorabdruck<br />
und Umfragen unter Intellektuellen zum Nationalstolz der Deuts<strong>che</strong>n.<br />
Als heeres Ziel des feuilletonistis<strong>che</strong>n Trommelwirbels, dieses ausgeklügelten<br />
Eigen-PR-Systems, proklamieren die Akteure unter Federführung von Mathias<br />
Döpfner und Frank Schirrma<strong>che</strong>r indes etwas anderes, Größeres. Das Feuilleton<br />
solle wieder zurückkehren zum klassis<strong>che</strong>n Kulturjournalismus, zum Genre der<br />
Rezension. Der Kritiker brau<strong>che</strong> folgende Qualitäten: „Mut, Hybris, einen leichten<br />
Hauch von Größenwahn“, so sieht es Schirrma<strong>che</strong>r. Und so werde es am Feuilleton<br />
liegen, die gesamte Zeitung zu verbessern, so sieht es Döpfner.<br />
Die Zukunft des Journalismus wiederum liege angesichts des Mediums Internet<br />
in der Autorität der Journalisten, die den Weg durch die neue Dimension von<br />
Öffentlichkeit, die so genannte Informationsflut, weisen müssten. „Wenn jede<br />
Information für jedermann jederzeit überall verfügbar ist, dann wächst das<br />
Bedürfnis nach Orientierung, Auswahl oder dem, was den guten Zeitungsjournalisten<br />
ausmacht: Führung“, schreibt Döpfner in einem Essay in der Welt am<br />
8. Mai dieses Jahres. Der Journalist als „Führer“. Wieder einmal diese eine, alte Idee.<br />
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Da erstaunt es nicht mehr, dass jemand wie Thierry Chervel, Gründer und Chef<br />
des Metafeuilletons ‘Perlentau<strong>che</strong>r’, das täglich im Internet eine kommentierte<br />
Zusammenschau der deutschsprachigen Kulturteile erstellt, nicht immer gern<br />
gesehen wird. „Was die Hierar<strong>che</strong>n an Perlentau<strong>che</strong>r stört“, meint Chervel, „ist,<br />
dass wir die Spiel<strong>che</strong>n transparent ma<strong>che</strong>n, dass sie dadurch Macht über Themen<br />
einbüßen.“ Ihn stört vor allem, dass die Zeitung als Institution morsch werde<br />
und zu einem Forum der Selbstinszenierung von Journalismus. „Die Feuilletons<br />
haben nicht selten den Wahrheitsanspruch von Journalismus aufgegeben.<br />
Ob Peter Handke tatsächlich historis<strong>che</strong> Tatsa<strong>che</strong>n leugnet, hat in der jüngsten<br />
Debatte um den Heine-Preis niemand gefragt. Lieber gibt man ihm gleich einen<br />
Geniebonus.“ Darum verlieren die Feuilletons Einfluss aufs Publikum, meint<br />
Chervel. „Aber bei den Institutionen bleibt ihr Einfluss bestehen.“ So erklärt sich<br />
Chervel auch, dass die FAZ den Perlentau<strong>che</strong>r in dem Moment scharf angriff, als<br />
er von der Bundeskulturstiftung Subventionen für das englischsprachige Magazin<br />
signandsight.com bekam.<br />
Nicht immer sind Kampagnen dieser Art jedoch erfolgreich. Die Rechtschreibreform<br />
ist das prominenteste Beispiel, an deren Rücknahme sich der Verbund<br />
vergebens abarbeitete. Oftmals reicht jedoch das Fehlen gegenseitiger Kritik<br />
aus, die spürbare Beißhemmung gegenüber den anderen Medien, um eine ausgewogene<br />
öffentli<strong>che</strong> Meinungsbildung zu erschweren. Investigativjournalist<br />
Hans Leyendecker, der nach Meinungsverschiedenheiten mit Stefan Aust und<br />
der Kündigung beim Spiegel nun für die Süddeuts<strong>che</strong> Zeitung arbeitet, beobachtet<br />
die Allianz „der jungen Wichtigen“ zwis<strong>che</strong>n Springer und Spiegel mit Sorge. Die<br />
Folgen habe man zuletzt bei der geplanten Übernahme von ProSieben und Sat.1<br />
durch Spinger erleben können: „Arschzahme Geschichten im Spiegel, aus Rücksichtnahme“,<br />
sagt Leyendecker.<br />
Den Feuilletonisten Frank Schirrma<strong>che</strong>r jedoch, den er privat sehr schätzt, unter<br />
anderem weil er dessen Vorliebe für Gottfried Benn teile, sieht er nicht als<br />
Gefahr. „Er ist ein wunderbarer Paradiesvogel in dem Zirkus.“ Man müsse froh<br />
sein, wenn er gemeinsam mit Spiegel-Chefredakteur Aust Interviews führe, wie<br />
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etwa bei der DVD-Reihe ‘100 Jahre Deutschland’, dann stelle wenigstens einer<br />
interessante Fragen.<br />
Mit dem Fall der Mauer, dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin und der<br />
Etablierung dessen, was gerne Talkshowrepublik genannt wird, sind Projektionsflä<strong>che</strong>n<br />
wie die Figur Schirrma<strong>che</strong>r unersetzlich geworden. Figuren, die Themen<br />
nicht erfinden, sondern ihnen einen griffigen Namen geben, sie mit der nötigen<br />
Dramatisierung unterfüttern und dadurch aus den geschlossenen Zirkeln der<br />
Feuilletons hinaustragen auf die Talkshowbühne. Schirrma<strong>che</strong>r gibt den Themen<br />
Dringlichkeit.<br />
Wie gut sich die Dramaturgie seiner Bü<strong>che</strong>r eignet, um deren Themen der<br />
Öffentlichkeit anzutragen, zeigen auch seine Lesungen vor Publikum. Als Schirrma<strong>che</strong>r<br />
im Mai bei einer Aufzeichnung für NDR Kultur las, kokettierte er damit,<br />
dass der NDR auf die „etwas dramatis<strong>che</strong>ren“ Passagen in seinem Buch gedrungen<br />
habe, wahrs<strong>che</strong>inlich auch deshalb, weil man die Hörer am Radio halten wolle.<br />
Schirrma<strong>che</strong>r schätzt die Macht des Boulevards, dieser großen Unterhaltungsund<br />
Skandalmaschine. Und er nutzt sie, nicht zuletzt für sein eigenes Image.<br />
„Unter all den Medienmächtigen“, so erklärt Peoplejournalist Paul Sahner den<br />
Erfolg und die Wirkung Schirrma<strong>che</strong>rs, sei er der volksnächste. „Als Herausgeber<br />
einer der wichtigsten Zeitungen ist er ein ganz normaler Mensch geblieben.“<br />
Frankie-Boy, wie man ihn unter Freunden nenne.<br />
Paul Sahner selbst gehört zum kollegialen Freundeskreis, nicht zuletzt ein Resultat<br />
der Aufgeschlossenheit von Schirrma<strong>che</strong>r gegenüber Klatsch- und Promijournalismus.<br />
„Er unters<strong>che</strong>idet zwis<strong>che</strong>n Profis und Nichtprofis, er hat keinen Dünkel“,<br />
sagt Sahner. Unter Profis verbringt man denn auch gemeinsame Grillabende auf<br />
dem Land, wo Sahner ein Bauernhäus<strong>che</strong>n besitzt, und philosophiert stundenlang,<br />
über Literatur und über die jüngere Geschichte, oft über Hitler. Unter kollegialen<br />
Freunden sieht man sich, wenn Schirrma<strong>che</strong>r in Mün<strong>che</strong>n sei, im Mün<strong>che</strong>ner<br />
Lokal ‘Schumann’s’, gerne auch mit Alexander Gorkow, erzählt Sahner.“<br />
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‘Schumann’s’, ‘Borchardt’ und all die anderen Orte der Medienrepublik sind es,<br />
ohne die jene tragenden Netzwerke nicht denkbar wären. Vom George-Bund zum<br />
Sahner-Kreis ist es nur auf den ersten Blick ein seltsamer Schritt. Tatsächlich ist<br />
er nur zeitgemäß. Nicht nur die Zeitungskrise 2002 hat aus ökonomis<strong>che</strong>n Gründen<br />
die einst konkurrierenden Verlagshäuser näher zusammenrücken lassen.<br />
Auch der Bedeutungsverlust von ideologis<strong>che</strong>n Positionen hat den Bedarf an<br />
einer unterhaltenden Aufwertung der Themen forciert.<br />
Und es ist Frank Schirrma<strong>che</strong>r, der mit dem Nimbus der FAZ meisterhaft auf allen<br />
Boulevards spazieren geht. So war es im Fall seines ersten Bestsellers ‘Methusalem-Komplott’,<br />
in dem er alarmistisch gegen die Diskriminierung des Alters in<br />
einer demografisch veränderten Gesellschaft trommelte – zu einem Zeitpunkt,<br />
als das Thema bereits gut zwei Jahre die Debatten- und Kulturteile der Medien<br />
beschäftigt hatte. Und so ist es in ‘Minimum’, der „Fortsetzung“, wie er sein<br />
aktuelles Buch bezeichnet, in dem er alle momentan ohnehin debattierten Themen<br />
– Kinderlosigkeit, Familienpolitik und Integration – im Bewusstsein hält. „Es<br />
hätte schlimmer kommen können“, meint ein Feuilletonist lapidar, man müsse<br />
sich nur die jüngste Welle von Deutschland- und Nationalbewusstseinsbü<strong>che</strong>rn<br />
ansehen.<br />
Wohl gemeinte Ratschläge, sein Buch vom ‘Minimum’ nicht in der Bild-Zeitung<br />
vorabdrucken zu lassen, schlägt Schirrma<strong>che</strong>r aus. Zu wichtig ist mittlerweile<br />
das Massenpublikum, als dass er es missachten könnte. Eine Haltung, die bisweilen<br />
auch direkt auf die FAZ Einfluss hat, wenn etwa in den Wo<strong>che</strong>n vor Schirrma<strong>che</strong>rs<br />
Auftritt in der Gesprächssendung ‘Beckmann’ keine Zeile und schon gar<br />
keine kritis<strong>che</strong> über die ARD-Sendung zu lesen ist. Obwohl er immer wieder und<br />
insbesondere vor seinen Redakteuren betont, dass das Alleinstellungsmerkmal<br />
der stiftungsgetragenen FAZ ihre Unabhängigkeit von Unternehmen oder Parteien<br />
sei, von Schirrma<strong>che</strong>r bleibt sie abhängig.<br />
Für seine gesellschaftlich relevante Leistung erhält Schirrma<strong>che</strong>r 2004 die<br />
‘Goldene Feder’ des Heinrich-Bauer-Verlags und den ‘Corine-Sachbuch-Preis’ für<br />
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sein ‘Methusalem-Komplott’. Im Dezember des glei<strong>che</strong>n Jahres wird der Themensetzer<br />
von der Bran<strong>che</strong>nzeitschrift Medium-Magazin zum Journalisten des Jahres<br />
gewählt, nicht ohne die süffisante Anerkennung seiner „meisterhaften Vermarktungsstrategie<br />
des Themas und der eigenen Person“.<br />
Als guten Journalisten und Blattma<strong>che</strong>r, als originellen Krachma<strong>che</strong>r sehen ihn<br />
in der Tat auch andere – deren Respekt ihm, dem kleinen George, eigentlich<br />
wichtig sein müsste. Die wie Kurt S<strong>che</strong>el, Mitherausgeber der ‘Zeitschrift für<br />
europäis<strong>che</strong>s Denken’, Merkur, in dem etwas gelasseneren bürgerli<strong>che</strong>n Berlin-<br />
Charlottenburg residieren, in einem Altbau mit knarzenden Dielen und einem<br />
Berliner Zimmer mit einem großen, runden Tisch für Gesprächsabende mit ausgewählten<br />
Teilnehmern – ohne Kameras. „Schirrma<strong>che</strong>r ist ja nicht dumm“, sagt<br />
S<strong>che</strong>el, „aber er schreibt Bü<strong>che</strong>r unter seinem Niveau.“ Hysteris<strong>che</strong>n Quatsch.<br />
S<strong>che</strong>el findet ein schönes Bild für seinen Unmut angesichts der verhassten so<br />
genannten Debattenkultur: „Aus Luft wird heißer Föhn.“ Dabei betont er: „Aus<br />
Schirrma<strong>che</strong>r hätte ein Intellektueller werden können“, er habe sich jedoch für<br />
die „Machtmaschine Zeitung“ entschieden. „Und dort füllt er die Rolle gut aus,<br />
die er spielt. Eigentlich“, so S<strong>che</strong>els Fantasie, „eigentlich ist es doch höchste<br />
Zeit, dass sich Dieter Wedel in einem Fernsehmehrteiler oder Helmut Dietl in<br />
einer Serie um den Stoff Schirrma<strong>che</strong>r kümmert.“ Ein ‘Kir Royal’-Follow-up in<br />
Berlin/Frankfurt. Baby Frankie-Boy.<br />
Hamburg, Mitte Mai 2006. Die Tis<strong>che</strong> im Deuts<strong>che</strong>n Schauspielhaus sind alle<br />
abgeklappert. Frankie-Boy ist in seinem Element. Nun steigt mit ausgewählten<br />
Gesprächspartnern die Verweildauer. Ulrich Wickert, Noch- ‘Tagesthemen’<br />
-Moderator, Autor und Lebemann. Matthias Matussek. Zwis<strong>che</strong>ndurch Moritz<br />
von Uslar, 100-Fragen-Interview-Erfinder und jetzt Literat. Ab und zu hört man<br />
ein „Hey, geil!“. So darf man sich auch das ausgiebig zelebrierte Berliner Partyleben<br />
vorstellen, bei dem lange Zeit die Literaturagentur ‘Eggers & Landwehr’<br />
mit Regie führte.<br />
100
So darf man sich Schirrma<strong>che</strong>r auf der Berliner Bühne vorstellen, der Cornelia<br />
Pieper, der ehemaligen FDP-Generalsekretärin, schon mal in ebendiesen Männer-<br />
Small-Talks glauben machte, dass seine neue Sekretärin Traudl Junge wirklich<br />
gute Arbeit leiste. Und es ist Cornelia Pieper, die nicht über den Namen der<br />
Sekretärin Adolf Hitlers stolpert – einer der winzigen Coups.<br />
Als noch einmal Zeit ist für das Buffet, läuft Frank Schirrma<strong>che</strong>r von einem Ende<br />
zum anderen des Raumes. Unentschlossen. Kein schlechter Moment, um sich<br />
nach der Gesprächsanfrage zu erkundigen. Wo, wenn nicht hier, beim Bran<strong>che</strong>ntreff.<br />
Sein Blick wird sofort ernst, das Lä<strong>che</strong>ln verschwindet. Davon wisse er<br />
nichts, er werde sehen, ob er Zeit habe, aber eigentlich habe er wenig Zeit.<br />
Gleich am folgenden Montag meldet sich die Sekretärin Monika Stützel. Ob man<br />
die Mail noch einmal schicken könne, ein Versehen, manchmal würden Dinge<br />
gelöscht, aber das passiere selten. Man werde sich melden. Gleich morgen.<br />
Selbstverständlich gilt ihr unter anderem Schirrma<strong>che</strong>rs Danksagung in ‘Minimum’,<br />
für die „organisatoris<strong>che</strong> Unterstützung“.<br />
Drei Tage später übermittelt die Sekretärin des Frank Schirrma<strong>che</strong>r die Absage,<br />
bis auf weiteres, aus rein terminli<strong>che</strong>n Gründen. Frank Schirrma<strong>che</strong>r hat viel zu tun.<br />
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102
103<br />
Thorsten Schmitz<br />
„Der Krieg der Bilder“<br />
erschienen in der<br />
Süddeuts<strong>che</strong>n Tageszeitung<br />
am 16. Juni 2006
Krieg der Bilder<br />
Sieben Tote am Strand von Gaza: War es ein Granatenangriff Israels? Oder<br />
eine explodierende palästinensis<strong>che</strong> Landmine? Ein Beispiel, wie Palästinenser<br />
manchmal die Wahrheit verbiegen.<br />
Am vergangenen Freitag stand die zehn Jahre alte Huda Ghalija schon früh auf,<br />
obwohl sie gar nicht in die Schule musste. Sie war aufgeregt. Die letzten Examen<br />
waren geschrieben, und die großen Sommerferien hatten gerade begonnen.<br />
Hudas Vater Ali hatte seinen Kindern verspro<strong>che</strong>n, an jenem Freitag voriger<br />
Wo<strong>che</strong> am Strand im Norden des Gaza-Streifens ein Picknick zu veranstalten.<br />
Huda ist nach den Worten eines Cousins eine der Klassenbesten, sie liebe<br />
Mathe, Biologie und Lesen. Ihr Lieblingsgedicht stammt aus der Feder Mahmud<br />
Darwischs, „Identitätskarte“ heißt es, ein trauriges Poem über einen heimatlosen<br />
Palästinenser und dessen Hass auf den Besatzer.<br />
Beladen mit Plastiktis<strong>che</strong>n und -stühlen, mit gekochten Maiskolben und Pitabroten<br />
machte sich die große Familie aus der 35.000-Einwohner-Stadt Beit Lahija<br />
auf den kurzen Weg zum Strand. Beit Lahija ist für seine Erdbeeren bekannt,<br />
aber auch dafür, dass von hier aus Kurzstreckenraketen auf Israel abgefeuert<br />
werden.<br />
Für den Vater, eine seiner zwei Ehefrauen und fünf seiner Söhne und Töchter<br />
sollte das Picknick tödlich enden. Gegen 17 Uhr explodierte eine Granate inmitten<br />
der Familie. Sieben Mens<strong>che</strong>n verloren an diesem Freitagnachmittag<br />
noch im Sand oder im Krankenwagen ihr Leben.<br />
Das blutige Picknick machte Huda Ghalija innerhalb weniger Stunden weltweit<br />
bekannt. Das hat sie dem Kameramann Zakarija Abu Harbed zu verdanken. Nur<br />
wenige Augenblicke nach der Explosion der Schrapnell, einer mit Metallkugeln<br />
gefüllten Granate, befand sich der 36 Jahre alte Kameramann aus Gaza-Stadt<br />
samt Kamera und vollen Akkus am Ort des Unglücks.<br />
104
Ein lukrativer Job<br />
Harbed arbeitet für die arabis<strong>che</strong> TV-Produktionsfirma Ramattan News Agency.<br />
Die Agentur verfügt über Büros in Ramallah im Westjordanland und in Gaza-<br />
Stadt, der Hauptstadt des Gaza-Streifens.<br />
Die großen TV-Sender aus aller Welt, CNN und ABC, Nachrichtenagenturen wie<br />
Reuters und Associated Press, auch deuts<strong>che</strong> TV-Anstalten arbeiten fast ausschließlich<br />
mit palästinensis<strong>che</strong>n Kameramännern, wenn es um Berichte aus<br />
dem Gaza-Streifen geht.<br />
Die Bilder von der hoffnungslosen Welt im Gaza-Streifen werden in erster Linie<br />
von Palästinensern gemacht. Als Kameramann für westli<strong>che</strong> Medien zu arbeiten<br />
gilt als einer der lukrativsten Jobs in den Palästinensergebieten. Man<strong>che</strong> verdienen<br />
bis zu 250 US-Dollar am Tag. Soviel verdienen man<strong>che</strong> palästinensis<strong>che</strong><br />
Großfamilien nicht einmal in einem halben Jahr.<br />
Kameramann Harbed hatte am vergangenen Freitag Berufsglück: Er war als<br />
Erster am Ort des Unglücks. Seine Agentur Ramattan News Agency verkaufte die<br />
herzzerreißenden Bilder der hysterisch und in Tränen aufgelösten Huda Ghalija<br />
an Fernsehsender in der ganzen Welt. In Australien wie in Indien, in Europa wie<br />
in den USA wurden Harbeds Aufnahmen von Huda gezeigt: Wie sie sich die<br />
Haare rauft und auf die Brust schlägt, wie sie neben ihrem toten Vater in den<br />
Sand versinkt, wie sie ganz alleine Dutzende Meter durch den Sand rennt.<br />
In der arabis<strong>che</strong>n Welt und in den Palästinensergebieten stand die Ursa<strong>che</strong> der<br />
Tötung der Ghalija-Familienmitglieder schon am Freitag fest: Granaten Israels.<br />
Zu dieser Behauptung beigetragen haben auch Archivbilder israelis<strong>che</strong>r Soldaten,<br />
die Artilleriegeschosse abfeuern, die man<strong>che</strong> arabis<strong>che</strong> Fernsehsender in<br />
den Film von Kameramann Harbed hineingeschnitten haben.<br />
Nach Ansicht der von der Hamas geführten Autonomiebehörde, aber auch nach<br />
Auffassung von Fatah-Chef und Präsident Machmud Abbas sind die Ghalijas<br />
105
durch israelis<strong>che</strong>n Beschuss getötet worden. Sie benutzten beide das Wort von<br />
einem „Massaker“. In seltener Einigkeit erklärten Hamas-Regierungs<strong>che</strong>f Ismail<br />
Hanija und Abbas noch am Samstag, sie würden Huda symbolisch adoptieren<br />
und für den Rest ihres Lebens für ihren Lebensunterhalt aufkommen.<br />
Ein palästinensis<strong>che</strong>s Kind, das seinen Vater verloren hat, gilt als Waise. (Hudas<br />
leibli<strong>che</strong> Mutter Hamdia überlebte die Detonation verletzt.) Auch die Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n<br />
eines Teams der US-Mens<strong>che</strong>nrechtsgruppe Human Rights Watch führten zu<br />
dem vorläufigen Ergebnis, dass Israel für die Granatenexplosion verantwortlich sei.<br />
Die Gruppe formuliert allerdings vorsichtig und weniger apodiktisch: Nach Interviews<br />
mit Opfern, Augenzeugen, Polizisten und Ärzten und einem Besuch des<br />
Unglücksorts hege man „starke Vermutungen“, dass israelis<strong>che</strong> Artillerie für das<br />
Unglück haftbar sei. Der Bericht der Mens<strong>che</strong>nrechtsgruppe erwähnt allerdings<br />
nicht, dass deren Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>ure erst einen Tag nach dem Unglück am Strand<br />
nach Beweisen gefahndet haben – genug Zeit also, um wichtige Beweisstücke<br />
zu entfernen.<br />
Das israelis<strong>che</strong> Verteidigungsministerium hat nach ersten Auswertungen von<br />
Radar- und Satellitenbildern erklärt, das Geschoss, das zum Tod der sieben<br />
Palästinenser geführt hat, stamme nicht von der Armee. Generalstabs<strong>che</strong>f Dan<br />
Halutz sagt, Israel bedauere den Tod der sieben Palästinenser, dies bedeute<br />
aber nicht „dass wir dafür verantwortlich sind“.<br />
Nach Ermittlungen der israelis<strong>che</strong>n Armee, die sich nur auf Bilder und Arztbefunde,<br />
nicht aber auf Re<strong>che</strong>r<strong>che</strong>n vor Ort beziehen, hat die israelis<strong>che</strong> Armee an<br />
jenem Freitagnachmittag sechs Granaten in Richtung Gaza-Strand abgefeuert.<br />
Nach Angaben von Halutz schlugen fünf der sechs Granaten in der Zeit zwis<strong>che</strong>n<br />
16.31 und 16.48 Uhr ein – rund 250 Meter nördlich jener Stelle, an der das Familienpicknick<br />
stattgefunden hatte. Mit dem Artilleriebeschuss sollten palästinensis<strong>che</strong><br />
Raketenwerfer abgehalten werden.<br />
106
Ein unbemanntes Flugzeug der israelis<strong>che</strong>n Armee hat den Gaza-Streifen zum<br />
Zeitpunkt des Beschusses aus der Luft gefilmt. Auf den Filmen sieht man einerseits<br />
fünf Einschlaglö<strong>che</strong>r der Granaten im Strand, aber auch 250 Meter südlich<br />
davon Mens<strong>che</strong>n. Nach Angaben der Armee muss die Explosion an dem Strandabschnitt,<br />
an dem die Ghalijas picknickten, zwis<strong>che</strong>n 16.57 und 17.10 stattgefunden<br />
haben. Vor 16.57 ist auf dem Film der Armee normales Strandtreiben zu<br />
sehen.<br />
Dass die Mens<strong>che</strong>n auf die fünf Granateinschläge in 250 Metern Entfernung<br />
nicht mit überstürzter Flucht reagiert haben, ist seltsam. Die nächste Aufnahme<br />
auf dem Armeefilm zeigt Krankenwagen, wie sie am Strand ankommen. Das ist<br />
um 17.15 Uhr. Das Krankenhaus, wo die Krankenwagen herkamen, liegt fünf<br />
Minuten vom Explosionsort entfernt.<br />
Mögli<strong>che</strong>r Blindgänger<br />
Über den Einschlagsort der sechsten Granate, die nach Aussagen der Mens<strong>che</strong>nrechtsgruppe<br />
und der Palästinenserregierung als Blindgänger den Tod der sieben<br />
Familienmitglieder herbeigeführt habe, kann die israelis<strong>che</strong> Armee keine<br />
Angaben ma<strong>che</strong>n. Sie hält es aber für „ausgeschlossen“, dass die Granate<br />
ganze 250 Meter von ihrem Ziel abgewi<strong>che</strong>n sein soll.<br />
Als weiteren Beweis führt Israel an, dass es vier Verletzte vom Strand in Krankenhäusern<br />
in Tel Aviv behandelt. Aus dem Körper eines der Verwundeten seien<br />
Splitter geborgen worden, die nicht von Waffen aus dem Arsenal der israelis<strong>che</strong>n<br />
Armee stammen könnten.<br />
Die israelis<strong>che</strong> Armee schließt nicht aus, dass es sich bei der Detonation auch<br />
um eine Mine gehandelt haben könnte, die von Palästinensern dort vergraben<br />
worden sei, um israelis<strong>che</strong> Marinesoldaten daran zu hindern, im Gaza-Streifen<br />
an Land zu gehen.<br />
Angesichts der sich widerspre<strong>che</strong>nden Aussagen kommt Harbeds Fernsehbil-<br />
107
dern große Bedeutung zu. Diese allerdings werfen mehr Fragen auf, als dass sie<br />
zur Klärung beitragen. Die Originalaufnahmen sind inzwis<strong>che</strong>n so fragwürdig,<br />
dass CNN sie auf seiner Website nur noch sehr verkürzt zeigt.<br />
Der SZ erklärte Harbed, er sei von den Rettungssanitätern über die Explosion<br />
unterrichtet worden und im eigenen Wagen den Krankenwagen hinterhergefahren.<br />
Auf seinen Bildern allerdings filmt Harbed die Hysterie der zehnjährigen<br />
Huda, als sei er Zeuge der Detonation gewesen. Auch filmt er die Ankunft der<br />
Sanitäter, er muss also schon vorher am Strand gewesen sein. Zudem sind man<strong>che</strong><br />
der Toten und Verletzten mit Tü<strong>che</strong>rn abgedeckt – wer hat das getan?<br />
Harbed erklärt, Huda sei kaum verletzt worden, da sie im Meer gebadet habe.<br />
Auf seinen Bildern allerdings läuft Huda in trockener Straßenkleidung herum.<br />
Minutenlang rennt Harbed der schreienden Huda hinterher und schwenkt mit<br />
seiner Kamera zu den Toten und Verletzten.<br />
Plötzlich ist ein Mann neben Hudas totem Vater zu erkennen, der eben noch<br />
zugedeckt reglos dalag und nun aufsteht, in der Hand ein Maschinengewehr. Auf<br />
den Bildern des Kameramanns sind auch Sanitäter in grüner OP-Kleidung zu<br />
erkennen sowie Dutzende Männer, die meisten mit Hamas-typis<strong>che</strong>n Vollbärten,<br />
die offenbar Beweisstücke si<strong>che</strong>rstellen.<br />
Allerdings muss man fragen, weshalb die Sanitäter sich nicht um die Verletzten<br />
kümmern und keine Polizisten den Ort si<strong>che</strong>rn. Haben die Hamas-Männer, wie<br />
israelis<strong>che</strong> Medien palästinensis<strong>che</strong> Augenzeugen zitieren, Beweisstücke entfernt?<br />
Auswei<strong>che</strong>nde Antworten des Kameramanns<br />
Seltsam ist auch, weshalb auf den Bildern Harbeds kein Krater zu erkennen ist.<br />
Je mehr Kameramann Harbed von der SZ beim Telefoninterview gefragt wird,<br />
desto mehr weicht er aus. War er vor der Ambulanz am Unglücksort? Wer sind<br />
die Zivilisten, die den Strand säubern? Wer ist der bewaffnete Mann am Boden,<br />
der plötzlich aufsteht? Wenn es eine Granate der israelis<strong>che</strong>n Armee war, die die<br />
108
Ghalija-Familienmitglieder getötet hat, weshalb präsentieren die Palästinenser<br />
dann nicht deren Splitter?<br />
Und: Warum kam Harbed nicht auf die Idee, die hysteris<strong>che</strong> Huda zu beruhigen,<br />
anstatt sie minutenlang mit seiner Kamera zu verfolgen? Harbed sagt: „Sie hat<br />
mich gebeten, sie zu filmen. Sie wollte mit ihrem Vater gesehen werden und der<br />
Welt zeigen, wel<strong>che</strong> Verbre<strong>che</strong>n Israel begeht.“ Die in Trauer aufgelöste zehnjährige<br />
Huda, die eben sieben Familienmitglieder verloren hat, soll Harbed<br />
Regieanweisungen erteilt haben?<br />
Pallywood<br />
Dass Palästinenser im Nahost-Krieg die Bilder fäls<strong>che</strong>n oder fals<strong>che</strong> Bilder in<br />
Umlauf bringen, ist nicht neu. In den Medien spricht man seit einer aufsehenerregenden<br />
Dokumentation des US-Magazins ‘60 Minutes’ von „Pallywood” – in<br />
Anlehnung an Hollywoods Filmindustrie. In der Dokumentation sind zum Beispiel<br />
Palästinenser aus der jüngsten Intifada zu erkennen, die einen Toten auf<br />
einer Trage tragen. Einer stolpert, der angebli<strong>che</strong> Tote fällt auf den Boden – und<br />
springt behend wieder zurück auf die Trage, legt sich hin und mimt einen Toten.<br />
Jüngstes Beispiel für den Versuch von Palästinensern, die Weltöffentlichkeit an<br />
der Nase herumzuführen, ist der Angriff der israelis<strong>che</strong>n Luftwaffe am vergangenen<br />
Dienstag auf drei Mitglieder des „Islamis<strong>che</strong>n Heiligen Kriegs“, bei dem<br />
acht Zivilisten, unter ihnen zwei Kinder, getötet wurden. Kurz nach dem Angriff<br />
auf das Auto, in dem die Mitglieder der Terrorgruppe saßen, sieht man drei Männer,<br />
wie sie in Windeseile eine Kurzstreckenrakete aus dem Auto entfernen.<br />
Seit zwei Tagen blinkt auf der Internetseite der TV-Produktionsfirma Ramattan<br />
News Agency der Satz „Dringend: Nachricht für unsere Kunden“. Als hätte die<br />
Firma Angst vor einer weiteren Verbreitung der Huda-Bilder, deren Authentizität<br />
von vielen Mens<strong>che</strong>n angezweifelt wird, weist sie darauf hin, dass sie die alleinigen<br />
Rechte an den Bildern besitzt. Niemand habe das Recht, die Bilder ohne Einwilligung<br />
von Ramattan News Agency weiterzuverbreiten.<br />
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110
111<br />
Hubert Seipel (WDR-Autor)<br />
Redaktion: Jürgen Thebrath<br />
„Und Du bis raus – Wie Investoren die<br />
Traditionsfirma Grohe auspressen“<br />
gesendet am 11. Januar 2006<br />
in der ARD
Wie Investoren die Traditionsfirma Grohe auspressen<br />
Der WDR-Autor Hubert Seipel erzählt die Geschichte des sauerländis<strong>che</strong>n Traditionsunternehmens<br />
‘Grohe’, das bis 1999 im Familienbesitz war. Dann wurde der<br />
Badezimmer-Armaturenhersteller zweimal innerhalb von fünf Jahren an internationale<br />
Investoren verkauft und steht unter doppeltem Druck:<br />
Die Kreditzinsen für die durch Banken finanzierte Übernahme müssen von der<br />
gekauften Firma aufgebracht werden. Zeitgleich fordern die Investoren eine<br />
Profiterhöhung von 20 % auf 28 % Rendite. Aus diesem Grund wurde beschlossen<br />
Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern und die Teilproduktion der Marke<br />
‘Grohe’ durch Massenproduktion in Asien zu ersetzen.<br />
Seipel thematisiert sehr einfühlsam und kritisch die Schattenseiten der Globalisierung<br />
am Beispiel des Schicksals der ‘Grohe’-Belegschaft. In sachli<strong>che</strong>m,<br />
manchmal auch ironis<strong>che</strong>m Ton stellt er dar, wie die Angestellten den Verkauf<br />
des Traditionsunternehmen miterleben und langjährige Mitarbeiter getäuscht<br />
und enttäuscht werden. So darf der 21 Jahre im Betrieb beschäftigte Gießer Lo<br />
Conte nach seiner Kündigung noch sechs Wo<strong>che</strong>n lang thailändis<strong>che</strong> Mitarbeiter<br />
im Metallschmelzen anlernen.<br />
Der Film zeigt die Entstehung neuer Arbeitsplätze in Thailand ebenso wie das<br />
ungewisse Schicksal der entlassenen Arbeiter in Deutschland und macht die<br />
Wucht des Zusammenpralls zweier Welten deutlich: der globalen Welt der internationalen<br />
Finanzstrategen der Texas Pacific Group und dem einstigen Familienbetrieb<br />
mit seinen Angestellten.<br />
Der Autor Hubert Seipel verliert niemals die Ernsthaftigkeit des Themas, das<br />
Schicksal der arbeitslos gewordenen Mitarbeiter, aus den Augen. Auch nicht<br />
durch die an Situationskomik grenzenden Szenen vom mit Blaskapellenmusik<br />
umrahmten Empfang thailändis<strong>che</strong>r Geschäftspartner im sauerländis<strong>che</strong>n<br />
Hemer.<br />
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Dies ist nur der Anfang der weltweit agierenden Investoren, deren einfa<strong>che</strong>s Ziel<br />
lautet: in kürzester Zeit höchstmögli<strong>che</strong>n Profit zu erzielen.<br />
In den nächsten Jahren wollen Private Equity-Firmen über 200 Milliarden für die<br />
Übernahme deuts<strong>che</strong>r Unternehmen ausgeben.<br />
113
DIE JURY
Sonja Mikich<br />
Dr. Heribert Prantl<br />
Harald Schumann<br />
Dr. Volker Lilienthal<br />
Dr. Thomas Leif<br />
Jürgen Peters
Sonia Mikich<br />
Geboren 1951 in Oxford, in London aufgewachsen<br />
Redaktionsleitung des ARD-Politmagazins Monitor<br />
Werdegang:<br />
Seit Februar 2004: Redaktionsleitung der ARD/WDR-Dokumentationsreihe „die story“<br />
Seit Januar 2002: Redaktionsleitung des ARD-Politmagazins Monitor, WDR Köln<br />
1998 bis 2001: Korrespondentin und Studioleitung des Deuts<strong>che</strong>n Fernsehens in Paris<br />
Ab 1995: Studioleitung<br />
1992 bis 1998: Korrespondentin des Deuts<strong>che</strong>n Fernsehens in Moskau<br />
1982 bis 1984: Volontariat beim Westdeuts<strong>che</strong>n Rundfunk, Redakteurin und Reporterin in der<br />
Programmgruppe Ausland Fernsehen des WDR.<br />
1979 bis 1981: wissenschaftli<strong>che</strong> Mitarbeiterin der Arnold-Gehlen-Forschungsgruppe am Institut<br />
für Soziologie an der RWTH Aa<strong>che</strong>n. Freie Journalistin für Zeitschriften, Tageszeitungen und<br />
Aufsatzsammlungen.<br />
1972 bis 1979: Studium Politologie, Soziologie und Philosophie an der RWTH Aa<strong>che</strong>n mit<br />
Magisterabschluss Februar 1979<br />
1970 bis 1972: Volontariat bei der Aa<strong>che</strong>ner Volkszeitung<br />
Auszeichnungen:<br />
1998 erhielt Sonia Mikich für ihre Arbeit als ARD-Korrespondentin in Russland das Bundesverdienstkreuz.<br />
Für ihre Russlandberichterstattung erhielt sie 1996 den Telestar, 2001 für ihre<br />
Berichterstattung aus Ts<strong>che</strong>ts<strong>che</strong>nien, Afghanistan und anderen Krisengebieten sowie für ihre<br />
Zeit als Leiterin des ARD-Studios Moskaus den Kritikerpreis 2001.<br />
Veröffentlichungen:<br />
„Der Wille zum Glück“ Lesebuch über Simone de Beauvoir (1986)<br />
„Planet Moskau – Geschichten aus dem neuen Russland“ (1998)<br />
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Dr. Heribert Prantl<br />
Geboren 1953 in Nittenau/Oberpfalz<br />
Ressort<strong>che</strong>f Innenpolitik bei der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung<br />
Werdegang:<br />
Seit 1995: Ressort<strong>che</strong>f Innenpolitik bei der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung<br />
Seit 1992: stellvertretender Ressortleiter<br />
1992: leitender Redakteur<br />
Seit 1988: politis<strong>che</strong>r Redakteur bei der Süddeuts<strong>che</strong>n Zeitung. Zunächst innenpolitis<strong>che</strong>r<br />
Kommentator und innenpolitis<strong>che</strong>r Redakteur mit Schwerpunkt Rechtspolitik<br />
1981 bis 1987: Richter an verschiedenen bayeris<strong>che</strong>n Amts- und Landgerichten<br />
sowie Staatsanwalt<br />
Studium der Philosophie, der Geschichte und der Rechtswissenschaften. Erstes und Zweites<br />
Juristis<strong>che</strong>s Staatsexamen, juristis<strong>che</strong> Promotion bei Professor Dr. Dieter Schwab<br />
in Regensburg, Juristis<strong>che</strong>s Referendariat. Parallel dazu journalistis<strong>che</strong> Ausbildung.<br />
Auszeichnungen:<br />
Thurn und Taxis- Preis für die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften/Universität Regensburg<br />
(1982); Franz Karl Meier Leitartikelpreis der Pressestiftung Tagesspiegel Berlin (1989); Pressepreis<br />
des Deuts<strong>che</strong>n Anwaltvereins (1992); Geschwister-Scholl-Preis der Landeshauptstadt Mün<strong>che</strong>n<br />
(1994); Kurt-Tucholsky-Preis für literaris<strong>che</strong> Publizistik (1996); Siebenpfeiffer-Preis (1998/99);<br />
Theodor-Wolff-Preis für essayistis<strong>che</strong>n Journalismus (2001); Rhetorikpreis für die Rede des Jahres<br />
2004 der Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />
117
Harald Schumann<br />
Geboren 1957<br />
Redakteur für besondere Aufgaben bei „Der Tagesspiegel“, Berlin<br />
Werdegang:<br />
Seit Oktober 2004: Redakteur „Der Tagesspiegel“ Berlin<br />
2003 bis 2004: Redakteur im Berliner Büro des SPIEGEL<br />
2000 bis 2002: Ressortleiter Politik bei SPIEGEL ONLINE<br />
1992 bis 2000: Redakteur im Berliner Büro des SPIEGEL<br />
1990 bis 1991: Leitender Redakteur beim Ost-Berliner „Morgen“<br />
1986 bis 1990: Wissenschaftsredakteur beim SPIEGEL<br />
1984 bis 1986: Redakteur für Umwelt und Wissenschaft bei der Berliner Tageszeitung<br />
Auszeichnungen<br />
Bruno-Kreisky-Preis für das politis<strong>che</strong> Buch, 1997<br />
Medienpreis Entwicklungspolitik, 2004<br />
Journalistenpreis „Unendlich viel Energie“, 2006<br />
Veröffentlichungen:<br />
Futtermittel und Welthunger, Reinbek, 1986<br />
Die Globalisierungsfalle (gemeinsam mit Hans-Peter Martin), Reinbek 1996<br />
attac – Was wollen die Globalisierungskritiker? (Gemeinsam mit Christiane Grefe und<br />
Mathias Greffrath), Berlin 2002<br />
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Dr. Volker Lilienthal<br />
Geboren 1959 in Minden/Westfalen<br />
Ressortleiter und Verantwortli<strong>che</strong>r Redakteur von „epd medien“<br />
Werdegang:<br />
Seit 2005: Ressortleiter und Verantwortli<strong>che</strong>r Redakteur von „epd medien“<br />
1997 bis 2005: stellvertretender Ressortleiter von „epd medien“<br />
Seit 1989: Redakteur beim Evangelis<strong>che</strong>n Pressedienst (epd)<br />
Seit 1999: Lehrbeauftragter für Medienkritik und Medienjournalismus, Goethe-Universität FfM<br />
1996 bis 1998: journalistis<strong>che</strong>r Berater und ständiger Autor der Hamburger Wo<strong>che</strong>nzeitung<br />
„DIE ZEIT“, dort Kolumnist für „Zeit-Takte“<br />
1988: Redakteur von „COPY“ (Handelsblatt-Verlag) u. fr. Fachautor für Hörfunk und Zeitschriften<br />
1983: Diplom-Journalist der Universität Dortmund<br />
1987: Dr. phil. in Germanistik der Universität-GH Siegen<br />
Auszeichnungen:<br />
2006: Leipziger Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien<br />
2005: „Reporter des Jahres“ u. „Fachjournalist des Jahres“, Donnepp-Preis für Medienpublizistik<br />
2004: Leuchtturm für besondere publizistis<strong>che</strong> Leistungen der Journalistenvereinigung „nr“<br />
2004: zweiter Preis „Bester wissenschaftli<strong>che</strong>r Zeitschriftenaufsatz“ der Deuts<strong>che</strong>n Gesellschaft<br />
für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK)<br />
2002: „Besondere Ehrung“ beim Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik<br />
1997: Hans-Bausch-Mediapreis des Süddeuts<strong>che</strong>n Rundfunks Stuttgart<br />
1991: Deuts<strong>che</strong>r Preis für Medienpublizistik der Freunde des Adolf-Grimme-Preises<br />
Veröffentlichungen:<br />
„Literaturkritik als politis<strong>che</strong> Lektüre, Am Beispiel der Rezeption der ,Ästhetik des Widerstands’<br />
von Peter Weiss“ (Volker Spiess: Berlin 1988) und „Sendefertig abgesetzt. ZDF. SAT.1 und der Soldatenmord<br />
von Lebach“ (Vistas-Verlag: Berlin 2001), TV-Dokumentation „Der Giftschrank des deuts<strong>che</strong>n<br />
Fernsehens“ 1994 auf VOX/DCTP.<br />
119
Dr. Thomas Leif<br />
Geboren 1959 in Daun/Eifel<br />
Chefreporter Fernsehen SWR, Landessender Mainz<br />
Vorsitzender netzwerk <strong>re<strong>che</strong>r</strong><strong>che</strong> e. V.<br />
www.netzwerk<strong>re<strong>che</strong>r</strong><strong>che</strong>.de<br />
Veröffentlichungen:<br />
Die fünfte Gewalt, Anatomie des Lobbyismus in Deutschland, Bonn 2006 (Hrsg. und Autor)<br />
Beraten & Verkauft, McKinsey & Co – der große Bluff der Unternehmensberater, Mün<strong>che</strong>n 2006<br />
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Jürgen Peters<br />
Geboren 1944 in Bolko/Oppeln, Oberschlesien<br />
1. Vorsitzender der IG Metall und Vorsitzender des Verwaltungsrates der <strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />
Werdegang:<br />
Seit 2003: 1. Vorsitzender der IG Metall<br />
Seit 2003: Präsident des Internationalen Metallerbundes (IMB)<br />
1998 bis 2003: 2. Vorsitzender der IG Metall<br />
1988 bis 1998: Bezirksleiter des Bezirks Hannover der IG Metall<br />
1976 bis 1988: Vorstand der IG Metall, Zweigbüro Düsseldorf<br />
1971 bis 1976: Lehrer IG Metall Bildungsstätte Lohr<br />
1969 bis 1971: Lehrerassistent in der IG Metall Bildungsstätte Lohr<br />
1964 bis 1968: Maschinenschlosser bei Rheinstahl Hanomag AG<br />
1968 bis 1969: Besuch der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main<br />
1961 bis 1964: Ausbildung als Maschinenschlosser bei Rheinstahl Hanomag AG in Hannover,<br />
in dieser Zeit: Besuch der Berufsaufbauschule mit Abschluss der Fachschulreife<br />
seit 1961 Mitglied der IG Metall, seit 1966 Mitglied der SPD<br />
Aufsichtsratsmandate:<br />
Volkswagen AG, Personal- Produktions- u. Servicegesellschaft mbH (PPS),<br />
Mannesmann-Röhren-Werke AG<br />
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OTTO-BRENNER-PREIS FÜR<br />
KRITISCHEN JOURNALISMUS 2007
„Nicht Ruhe und Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste<br />
Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratis<strong>che</strong> Wachsamkeit.“<br />
(<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> 1968)<br />
Ausschreibung<br />
<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Preis 2007<br />
Nähere Einzelheiten und<br />
Informationen für die Teilnahme<br />
am Wettbewerb unter<br />
www.otto-brenner-preis.de
Impressum<br />
Herausgeber<br />
<strong>Otto</strong> <strong>Brenner</strong> Stiftung<br />
Wilhelm-Leuschner-Straße 79<br />
60329 Frankfurt / Main<br />
Verantwortlich<br />
Elke Eller<br />
Redaktion<br />
Bianka Huber, Elke Eller<br />
Artwork<br />
N. Faber de.sign, Wiesbaden<br />
Druck<br />
ColorDruck Leimen GmbH<br />
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www.otto-brenner-preis.de