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Aufbruch Gemeinde - Pfarrer- und Pfarrerinnenverein

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dem schon genannten Impulspapier derEKD »Kirche der Freiheit« wieder auftauchen?(ebd.37, 50, 53) Es ist die behauptete»Milieuverengung«, die denOrtsgemeinden vorgeworfen wird. In ihrsei eine »vereinsmäßige Ausrichtungmit deutlicher Milieuverengung« (54)festzustellen. Man wünschte sich, dassdie Planer am grünen Tisch nur eineWoche lang einmal an der Seite einer<strong>Gemeinde</strong>pastorin mitgingen, von einemGeburtstagsbesuch über einenVormittag im Lehrerzimmer der Schulezum Konfirmandenunterricht am Nachmittagbis zu einem Beerdigungsgesprächam Abend oder einer Sitzung imKirchenvorstand, von einer Trauung amSamstag über einen Festgottesdienstam Sonntag bis zu einer Beerdigung amMontag. Dann könnten sie mitverfolgen,wie hier ständig die Milieuswechseln <strong>und</strong> ein vielfältiges Beziehungsnetzgeknüpft wird. 7Treffend gibt der Bochumer EthikerGünter Thomas in seinem Aufsatz »10Klippen auf dem Reformkurs der EKDoder: Warum die Lösungen die Problemevergrößern« gegenüber dem Vorwurfeiner Milieuverengung der Ortsgemeindenzu bedenken: Der geplanteAusbau der Profilgemeinden auf 25%der Gesamtkirche sei »nichts anderes alseine konsequente <strong>und</strong> programmatischvorangetriebene Milieuverengung: Wereinmal in einer Kulturkirche war, werdie Besucher von Citykirchen beobachtenkonnte, wer das Akademieleben voninnen kennt oder das Angebot einesTouristenpfarrers, der weiß, was die imZukunftspapier nur den Ortsgemeindenangehängte vereinsmäßige Ausrichtungmit deutlicher Milieuverengung ist.«Demgegenüber stelle die Ortsgemeinde»die integrativste Sozialform der Kirche«8 dar.»Liebhaber« der <strong>Gemeinde</strong>kircheam OrtMit meinem Referat möchte ich gerndie Ortsgemeinden mitsamt ihren <strong>Pfarrer</strong>n<strong>und</strong> <strong>Pfarrer</strong>innen wie auch ihrenKirchenvorstehern <strong>und</strong> Kirchenvorsteherinnenzu einem neuen Selbstbewusstseinermutigen, damit sie denpermanenten Diffamierungen der Ortsgemeindewiderstehen können, die sichdann auch handfest in Stellenkürzungen<strong>und</strong> verminderten Mittelzuweisungenauswirken. 9 Schlimmer aber als dieseKürzungen erscheint mir die Resignation,die häufig durch die Ortsgemeindenschleicht <strong>und</strong> dazu führt, dasseiner nach der anderen sich zu fragenS. 184 KORRESPONDENZBLATTNr. 12 Dez. 2008beginnt: Vielleicht sind wir ja wirklich»milieuverengt«, »immobil« <strong>und</strong> zu wenig»professionell«? Vielleicht sind wirja wirklich nur »Amateure«, die mit denProfis nicht mithalten können!?Bei einem »<strong>Aufbruch</strong> <strong>Gemeinde</strong>« könnteetwas Ähnliches wie in Max FrischsTheaterstück »Andorra« geschehen, woeinem Jungen permanent vorgeworfenwird, er sei wie ein Jude. Schließlichbricht es aus diesem Jungen heraus:»Dann bin ich eben ein Jude!« In dieserWeise könnten die Ortsgemeinden aufbrechen<strong>und</strong> sagen: »Dann sind wir ebenAmateure!« Und das heißt im ursprünglichenSinn des Wortes nichts anderesals Liebhaber, Liebhaber der Kirche amOrt! Die <strong>Gemeinde</strong>briefe von Amateurenmüssen nicht professionelle Hochglanzbroschürensein, sondern dürfengern einfachen Briefen ähneln, die vonLiebhabern an mögliche Liebhaber geschriebensind. Kirchenchöre von Amateurenmüssen keine Konzertchöre sein,sondern dürfen gern den Gesangvereinenim Dorf ähneln oder Gospelchörevon begeisterten Anfängern sein. Gottesdienstevon Amateuren sind keine1 Vgl.auch G.Holtz, Die Parochie. Geschichte<strong>und</strong> Problematik, HfG 40, 1967; U.Pohl-Patalong, Von der Ortskirche zukirchlichen Orten. Ein Zukunftsmodell,Göttingen 2006.2 Natürlich sammeln <strong>und</strong> bauen sich die<strong>Gemeinde</strong>n der ersten Christen in derVerfolgungszeit der ersten drei Jahrh<strong>und</strong>ertenoch ganz vielfältig, wie es die jeweiligeSituation vor Ort jeweils zulässt.Daraus nun aber den mit normativem Interessegeleiteten Schluss zu ziehen: »DieChristenheit ist also in den ersten beidenJahrh<strong>und</strong>erten nicht systematisch<strong>und</strong> schon gar nicht territorial organisiert.Eine verbindliche Sozialform gibt esnicht« ( Pohl-Patalong(38), liest das NTetwa so ungeschichtlich, als wenn mandie im NT noch nicht vorhandene Trinitätslehrein Frage stellen oder durch einenUnitarismus pluralisieren wollte. Sobalddas Christentum als öffentliche Religionim 3. <strong>und</strong> 4. Jh. zugelassen wurde,strebte es die territorial verfasste Kircheals Sozialform an, um Kirche für alle jeweilsan ihrem Ort zu werden. Wer dieBibel nicht wirkungsgeschichtlich liest,verfällt zwangsläufig einem beliebig benutzbarenBiblizismus.3 WA 11, 408-416. (Ich zitiere alle dreiSchriften Luthers an die Stadt Leisnig ausInselausgabe Frankfurt 1982, Bd.V, 7-32)4 Es trifft nicht zu, Luther habe »die kirchlichenOrdnungen <strong>und</strong> Strukturen als irdischzweckmäßige, nicht aber als theologischeFragen betrachtet« (Pohl-Patalong,48). Wie es eine »theologische Frage«für Luther ist, wenn er die Ordensgemeindeverwirft, weil sie zu einem bigottenChristsein verführt, so ist es ebenso»eine theologische Frage«, wenn Lutherdie in seiner Vorrede zur Deutschen Messeerwogene Idee einer Hausgemeindewieder verwirft, »denn ich habe die Leutenicht.« Diese Begründung ist keineswegsquantitativer, sondern qualitativerArt <strong>und</strong> blickt auf die in jedem Sündersteckende Gefahr der »Rotterei«.(WA 19,75ff.) Luther blieb ausschließlich (<strong>und</strong>keineswegs zufällig) bei der »christlichenGemeine« am Ort, weil ihre Struktur amehesten dem corpus permixtum von CAVIII entspricht, Kirche für alle ist <strong>und</strong> dasEvangelium in seiner alltäglichen <strong>und</strong>nächstliegenden Weise zur Geltung bringt,wie es ja auch dem sachlichen Ursprungvon »gemeyne« entspricht: das, was allenam Ort »gemeyne« ist, wie es dasdeutsche Wort »Allmende« heute nochweiss.5 Aus Platzgründen wird Wilhelm Löhes Arbeitin Neuendettelsau übergangen, diedeshalb eine so tiefgehende <strong>und</strong> langfristigeWirkung hat, weil sie von der Ortsgemeindeausgeht <strong>und</strong> mit der Kraft derOrtsgemeinde rechne. Vgl. G. Schoenauer,Kirche lebt vor Ort. Wilhelm Löhes <strong>Gemeinde</strong>prinzipals Widerspruch gegenkirchliche Großorganisation, Stuttgart1990.6 Helmut Hild (Hg.), Wie stabil ist die Kirche?Bestand <strong>und</strong> Erneuerung. Ergebnisseeiner Meinungsbefragung, 1974. Natürlichlassen sich die Fragen auch andersstellen, damit die Antworten nichtso eindeutig sind, wie weitere Mitgliederbefragungenvon 1994 <strong>und</strong> 2004 zeigen.7 Natürlich hat es im Laufe der Kirchengeschichteimmer wieder Zeiten gegeben,in denen dieses oder jenes Milieu in dieseroder jener Ortsgemeinde zurücktratoder ganz verschwand, bis dann eineneue Konstellation oder neue Personendafür sorgten, dass neue oder gar alleMilieus wieder zur Geltung kamen. Austemporär defizitären Erscheinungen nunaber gleich zu gr<strong>und</strong>sätzliche Feststellungeneiner »deutlichen Milieuverengung«der Parochie zu kommen, aus denenauch noch praktische Konsequenzenfür den Umbau der Kirche gezogen werden,erscheint mir als ein Trugschluss, derdie biblisch-reformatorische Idee derParochie als Kirche für alle am Ort gleichmit vernichtet.8 Ev Theol 67, 2007, 361-387, ebd. 3649 Hilfreich gegen das Kaputtreden derOrtsgemeinde erscheint mir das neueBuch von W.Härle, J.Augenstein, S.Rolf<strong>und</strong> A. Siebert, Wachsen gegen denTrend. Analysen von <strong>Gemeinde</strong>n, mit denenes aufwärts geht, Leipzig 2008. Hierwird erfolgreiche <strong>Gemeinde</strong>arbeit vor Ortnachgezeichnet, so dass deutlich wird,welche Zukunftschancen die Ortsgemeindehat.10 Das scheint mir auch die Gefahr des inAnm. 9 genannten Buches »Wachsen gegenden Trend« zu sein. Hilfreich erscheintmir dagegen Reiner Knieling, Plädoyerfür unvollkommene <strong>Gemeinde</strong>n.Heilsame Impulse, Göttingen 2008.

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