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Aufbruch Gemeinde - Pfarrer- und Pfarrerinnenverein

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logie auf ihr eigenes Gebiet an. Mehrnoch: so wie wir es von Paulus, von Luther<strong>und</strong> in jüngster Zeit sehr eindringlichbei Ernst Bloch oft schmerzlich lernenmussten, dass der Atheismus immerauch eine Dimension innerhalb desGlaubens ist, so wird Marxismus nunzum wesensnotwendigen Strukturelementvon Theologie. Von nun an wirdHelmut Gollwitzer auch terminologischmit größter Selbstverständlichkeit dieEbenen wechseln, die sich in einer Symbiosedurchdringen. Biblische Sachverhaltekann er ebenso mit marxistischenKategorien auf den Punkt bringen wieer Einsichten marxistischer Analyse mitbiblischen Bildern veranschaulicht; seinean der Dialektischen Theologie geschulteFähigkeit, sich in Widersprüchenzu bewegen, kam ihm dabei zugute– nie aber verlor er den Kompass:das Reich Gottes für diese Welt.Zeit seines Lebens war für Gollwitzerdas Lukasevangelium von existentiellerWichtigkeit <strong>und</strong> Dringlichkeit. Bereits1940 erschien unter dem Titel »DieFreude Gottes« seine Einführung <strong>und</strong>gepredigt hat er dieses Evangeliumschon während der 30er Jahre in seinerersten Berliner Zeit <strong>und</strong> dann immer<strong>und</strong> immer wieder bezogen auf die jeweiligenZeitumstände. Dabei hat Gollwitzerdas Geschehen um Kreuz <strong>und</strong>Auferstehung Jesu Christi immer in vollerbiblischer Radikalität behauptet <strong>und</strong>unter der Kategorie des Reiches Gottesals dessen Anspruch <strong>und</strong> Zuspruch aufdie konkrete Gegenwart bezogen. Ortbleibender Entscheidung ist eben das irdischeLeben; darin stimmt Jesus mitdem Alten Testament überein. KeinerleiMilderungen oder Projektionen in einSpäter wie Fegefeuer, Seelenwanderungoder Ähnliches mindern den kritischenErnst des irdischen AnspruchsGottes, der keinerlei abstrakte Trennungvon Kirchlichem <strong>und</strong> Weltlichem, vonReligion <strong>und</strong> Politik gelten lässt. Zuspruch<strong>und</strong> Anspruch des Reiches Gotteszielen auf Dienst. Gottesdienst ist»das reale, leibhaftige Leben der <strong>Gemeinde</strong>,durch ihre tätigen Entscheidungen<strong>und</strong> Bekenntnisse im Bereichder äußeren Wirklichkeit.« 6Krummes Holz – aufrechterGangS. 172 KORRESPONDENZBLATTNr. 12 Dez. 2008Mit der Erkenntnis der unausweichlichenVerstrickung von Kirche <strong>und</strong> Theologiein die jeweiligen gesellschaftlichenVerhältnisse werden deren Erforschung<strong>und</strong> damit die Einsicht in dieökonomischen <strong>und</strong> politischen Zusammenhängemehr <strong>und</strong> mehr zum zentralenArbeitsfeld Gollwitzers. Eine seinerwichtigsten Schriften, die »wie Leuchttürmeder Orientierung aus den Stürmen<strong>und</strong> Wogen theologischer Debatten«herausragen (J.M.Lochman), erscheint1970 mit »Krummes Holz–aufrechterGang«, in der er sich mit der»Frage nach dem Sinn des Lebens« beschäftigt.»Krummes Holz«, so sprachImmanuel Kant demütig vom Menschen.»Aufrechter Gang«, das ist ErnstBlochs Sinnbild für das stets anzustrebende,wohl niemals ganz zu erreichendeZiel geschichtlicher Menschwerdung.Zwischen beiden Polen oszilliertdie urmenschliche, nie erledigte Sinnfrage.Während Kant der Meinung war,dass aus krummem Holz letztlich nichtsGerades gezimmert werden könnte,versuchte Bloch mit diesem Begriff denMarxismus aus seiner intellektualistischenEngführung zu befreien <strong>und</strong> ihmeinen »utopischen Wärmestrom« zuzuführen.Gut lutherisch interpretiertGollwitzer diese Spannung als eine zwischen»Pessimismus des Verstandes <strong>und</strong>Optimismus des Willens« <strong>und</strong> fragt: Wiekommt krummes Holz zu aufrechtemGang?Ausgerechnet während seiner russischenGefangenschaft hatte Gollwitzersich dazu aufgerafft, die Bände vonMarx, Engels <strong>und</strong> Lenin zu studieren –oft unter dem Hohn vieler seiner Mitgefangener.Als Reaktion auch auf seineErfahrungen <strong>und</strong> Studien favorisierteer nach seiner Rückkehr als ordnungspolitischegesellschaftliche Option zunächsteinen »Kapitalismus mit menschlichemAntlitz«; er sah darin eine »durchrealistische Resignation sich empfehlendeHoffnung.« Diese Möglichkeitwird er später als untauglichen Reformversuchendgültig ablehnen, wobei seineUmorientierung entscheidend zusammenhängtmit Berichten <strong>und</strong> Analysen,die Gollwitzer durch ökumenischeKanäle <strong>und</strong> seine Verbindung mit »linken«Wissenschaftlern über die tödlichenAuswirkungen des Kapitalismus inder Dritten Welt erhielt. Das Ergebnisseiner Reflexionen legt er 1968 nachder Weltkirchenkonferenz in Uppsala inseiner Monographie »Die reichen Christen<strong>und</strong> der arme Lazarus« vor. Gollwitzerwidmet diese Schrift ausdrücklichden Studierenden der damaligenAPO – diesmal unter dem Hohn vielerseiner professoralen Kollegen <strong>und</strong> derb<strong>und</strong>esdeutschen Öffentlichkeit.Ohne seinen Blick hinaus über die»westliche Provinz der Arbeiteraristokratie«<strong>und</strong> hinein in die wirtschaftspolitischenZusammenhänge <strong>und</strong> Entwicklungenin der Dritten Welt wäreGollwitzers sozialistische Entscheidungnicht erklärlich. Mit ausgelöst wurde sieeben durch das Entsetzen über die Erkenntnisdarüber, was der gleiche Kapitalismus,dem wir in Europa doch auchsolche sozialen Errungenschaften zuverdanken haben, in der Dritten Weltanrichtet. Ein Schlüsselerlebnis war ihmdabei, als auf der Weltkonferenz für Kirche<strong>und</strong> Gesellschaft des ÖRK 1966 inGenf ein Kirchenvertreter aus Mozambiqueihm auf den Kopf zusagte: Du bistnicht mein Bruder, solange Du Dich ausDeinen Verstrickungen in das Ausbeutungssystemder Ersten Welt nicht lösenkannst. Und ein besonderes Lehrstückwar ihm hierbei der Militärputschin Chile von 1973 mit der Ermordungdes demokratisch gewählten PräsidentenSalvador Allende. Hier wurde Gollwitzerendgültig klar, dass »Klassenkampfnicht begonnen wird von irgendwelchenböswilligen Rädelsführern,nicht von den Sozialisten, er ist vonoben her ständig im Gange, mit denverschiedensten Methoden, unblutigen<strong>und</strong>, wenn es sein muss, blutigen...«Spätestens jetzt kann »jeder wissen,was Klassenkampf ist: immer zuerst derKlassenkampf von oben, der Klassenkampfder Privilegierten, zäh entschlossenzu jeder Brutalität, zu jedem Rechtsbruch,zu jedem Massaker, auch zur Abschaffungder Demokratie, wenn sienicht mehr zur Sicherung der Klassenherrschafttaugt... Kapitalismus greiftnotwendig zum Faschismus, wenn dieLage für ihn gefährlich wird....« 7 Nichtshat Gollwitzer jemals von der Schärfedieser Analyse zurückgenommen, lediglichmodifiziert hat er sie im Blick aufeuropäische Verhältnisse.Christ <strong>und</strong> SozialistVon vielen engagierten Theologen insbesondereder westlichen Welt unterscheidetsich Gollwitzer dadurch, dasser es nicht bei moralischer Empörungüber weltweites Unrecht beläßt, sonderneine Analyse des Ausbeutungssystemsvorlegt, die nicht von vornhereindavon ausgeht, dass es keine Alternativegibt, sondern allenfalls systemimmanenteVerbesserungen. »Sozialistenkönnen Christen sein, Christen müssenSozialisten sein« - mit diesem Zitat vonAdolf Grimme beginnt Gollwitzer 1972seine berühmt gewordene Streitschrift»Muss ein Christ Sozialist sein?« Unbestrittendabei ist wohl der erste Satz:

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