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Umwelt und Gesundheit - welche Rolle spielt hierbei soziale ...

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<strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit - <strong>welche</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>spielt</strong> <strong>hierbei</strong> <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit?<br />

Gabriele Bolte<br />

Zusammenfassung<br />

Soziale Unterschiede bei der Exposition gegenüber chemischen <strong>und</strong> physikalischen <strong>Umwelt</strong>belastungen<br />

sowie bei der Vulnerabilität tragen zu der <strong>soziale</strong>n Ungleichheit in Krankheitsrisiken <strong>und</strong><br />

in der Lebenserwartung bei. Das Konzept <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit ('Environmental Justice') geht von der<br />

Gr<strong>und</strong>annahme aus, dass <strong>Umwelt</strong>fragen nicht losgelöst von <strong>soziale</strong>n Fragen gesehen werden können.<br />

Das gr<strong>und</strong>legende Prinzip von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit ist das Recht jeder Person auf eine ges<strong>und</strong>e<br />

<strong>Umwelt</strong>. <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit beinhaltet die Aspekte Verteilungsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit,<br />

Vorsorgegerechtigkeit <strong>und</strong> Chancengerechtigkeit als substantive <strong>und</strong> prozedurale<br />

Rechte. In dem Beitrag werden die Situation in Deutschland <strong>und</strong> mögliche Handlungsperspektiven<br />

dargestellt. <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit ist eine umwelt- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitische Konkretisierung <strong>soziale</strong>r<br />

Gerechtigkeit, die mit dem Ziel der Reduzierung von <strong>Umwelt</strong>risiken für alle über eine Politik der<br />

reinen Umverteilung hinausgeht. Für eine Verwirklichung eines umweltbezogenen Ges<strong>und</strong>heitsschutzes<br />

für alle Bevölkerungsgruppen ist <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit essentiell.<br />

Zur Beantwortung der Frage, <strong>welche</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit im Themenfeld <strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>spielt</strong>, gehe ich in meinem Beitrag auf folgende Punkte ein:<br />

(1) derzeit diskutierte Mechanismen, wie Sozialfaktoren umweltbedingte Ges<strong>und</strong>heit<br />

beeinflussen können,<br />

(2) Entstehung <strong>und</strong> Zielsetzung der <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung in den USA,<br />

(3) Definition von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit <strong>und</strong> ihre Ziele,<br />

(4) Thesen zu <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit in Deutschland,<br />

(5) mögliche Handlungsperspektiven als Ausblick.<br />

1 Soziale Ungleichheit <strong>und</strong> umweltbezogene Ges<strong>und</strong>heit<br />

Der Zusammenhang zwischen der <strong>soziale</strong>n Lage <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heit lässt sich plakativ<br />

zusammenfassen:<br />

"lieber reich <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> als arm <strong>und</strong> krank"<br />

Eine Vielzahl von Erkrankungen sowie die Lebenserwartung an sich sind in Deutschland<br />

sozial ungleich verteilt (Mielck 2000). Das Thema "Krankheit <strong>und</strong> Armut" wurde jüngst auch<br />

auf dem Deutschen Ärztetag diskutiert.<br />

Was in den letzten Jahren wieder zunehmend in den Blick kam war, dass eine sozial<br />

ungleiche Verteilung der chemischen <strong>und</strong> physikalischen <strong>Umwelt</strong>belastungen eine der<br />

Ursachen sein kann für die beobachteten <strong>soziale</strong>n Unterschiede bei Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit<br />

(Evans <strong>und</strong> Kantrowitz 2002).<br />

Das Schema (Abb. 1) soll die zwei Hauptmechanismen verdeutlichen, auf <strong>welche</strong> Weise<br />

Sozialfaktoren bei umweltbezogener Ges<strong>und</strong>heit wirken. Angegeben sind die drei<br />

wesentlichen Indikatoren für den sozioökonomischen Status: Bildung, Beruf <strong>und</strong> Einkommen.


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

(1) Expositionsvariation<br />

Das Ausmaß von <strong>Umwelt</strong>belastungen ist nicht bei allen gleich, umweltbezogene<br />

Expositionen können nach der <strong>soziale</strong>n Lage variieren. Unter umweltbezogenen<br />

Expositionen sind Belastungen in der Wohnumgebung gemeint wie z.B. Luftschadstoffe<br />

<strong>und</strong> Lärm durch Straßenverkehr, <strong>und</strong> Belastungen in der Wohnung selbst wie z.B. aus<br />

Baumaterialien ausdünstende Chemikalien. Weitere mögliche Belastungsquellen sind die<br />

Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> Freizeitaktivitäten.<br />

(2) Effektmodifikation<br />

Eine bestimmte Schadstoffbelastung wirkt nicht bei allen Menschen gleich. Einige der<br />

Merkmale, die die Vulnerabilität gegenüber einer Schadstoffbelastung erhöhen, können<br />

sozial ungleich verteilt sein. Soziale Unterschiede können insbesondere dann zum Tragen<br />

kommen, wenn bei Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status die<br />

Ernährung unzureichend ist, Vorerkrankungen bestehen <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

aus finanziellen Gründen nicht adäquat in Anspruch genommen werden kann.<br />

Sozioökonomischer Status (SES)<br />

[Bildung, Beruf, Einkommen]<br />

<strong>Umwelt</strong>bezogene<br />

Expositionen<br />

� In der Wohnumgebung<br />

(z.B. durch Industrie,<br />

Straßenverkehr,<br />

Mülldeponien)<br />

� In der Wohnung<br />

(z.B. durch Möbel,<br />

Baumaterialien, Heizung<br />

<strong>und</strong> Kochen, Trinkwasser,<br />

Tabakrauch, Expositionen<br />

aus der Wohnumgebung)<br />

� Arbeitsbedingungen<br />

� Freizeitaktivitäten<br />

Vulnerabilität<br />

Variiert neben SES z.B. auch<br />

nach<br />

� Alter<br />

� Geschlecht<br />

� Ernährung<br />

� Immunsystem<br />

� ‚Stress‘<br />

� Vorerkrankungen<br />

� Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

2<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

� Symptome <strong>und</strong><br />

Krankheiten<br />

(z.B. Allergien, Erkrankun-<br />

gen der Atemwege <strong>und</strong><br />

Haut, Krebs)<br />

� Biomarker<br />

(z.B. korporale Schadstoff-<br />

belastungen, Immun-<br />

faktoren, Entzündungs-<br />

parameter)<br />

[Quelle: Mielck <strong>und</strong> Bolte 2004]<br />

Abbildung 1. Expositionsvariation <strong>und</strong> Effektmodifikation als Mechanismen, wie<br />

Sozialfaktoren umweltbedingte Ges<strong>und</strong>heit beeinflussen können.<br />

Für den zweiten Mechanismus, die Effektmodifikation, soll nachfolgendes Zahlenbeispiel zur<br />

Verdeutlichung dienen. In zwei großen Studien in den USA, der Harvard Six Cities Study <strong>und</strong><br />

der American Cancer Society Study, wurde der Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit<br />

<strong>und</strong> der Belastung mit partikulären Luftschadstoffen, sog. Feinstaub, untersucht. Das mit<br />

einer bestimmten Feinstaubkonzentration verb<strong>und</strong>ene Mortalitätsrisiko war umso höher, je


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

niedriger die Schulbildung war (Health Effects Institute 2000). Bei dieser Analyse wurden<br />

weitere Einflussfaktoren wie z.B. Alter <strong>und</strong> Geschlecht berücksichtigt (Tab. 1).<br />

Tabelle 1. Mit Feinstaubexposition verb<strong>und</strong>enes relatives Sterberisiko nach Schulbildung.<br />

American Cancer Society Study<br />

Harvard Six Cities Study<br />

Schulbildung<br />

niedrig mittel hoch<br />

1,35<br />

(1,17-1,56)<br />

1,45<br />

(1,13-1,85)<br />

3<br />

1,23<br />

(1,07-1,40)<br />

1,30<br />

(0,98-1,73)<br />

1,06<br />

(0,95-1,17)<br />

0,97<br />

(0,71-1,34)<br />

Angegeben sind Relative Risiken mit 95 % Konfidenzintervall bezogen auf einen Anstieg um 24,5<br />

µg/m³ PM2.5 (ACS Study) bzw. um 18,6 µg/m³ PM2.5 (HSC Study). [Health Effects Institute 2000].<br />

2 Die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung in den USA<br />

Von den beiden beschriebenen Mechanismen wurde bisher häufiger die Frage der sozial<br />

ungleichen Verteilung von <strong>Umwelt</strong>belastungen untersucht. Dies lässt sich anhand der<br />

Entstehung der <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung in den USA illustrieren.<br />

In den letzten Jahrzehnten ist in den Vereinigten Staaten eine <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung<br />

entstanden, in der sich ethnische Minoritäten <strong>und</strong> Geringverdienende gegen sozial ungerecht<br />

verteilte <strong>Umwelt</strong>belastungen <strong>und</strong> daraus resultierende ges<strong>und</strong>heitliche Risiken wehren. Sie<br />

hat ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre. Insbesondere geht es den in<br />

<strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsgruppen Engagierten um die <strong>Umwelt</strong>verschmutzung ihrer Wohngegend<br />

<strong>und</strong> gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen.<br />

Als ein Ausgangspunkt für diese Bewegung wird der Konflikt in Warren County, North<br />

Carolina, angesehen (Shrader-Frechette 2002, Frumkin 2005). Shocco Township, zu 75% von<br />

Afroamerikaner(inne)n bewohnt <strong>und</strong> mit einem sehr geringem Pro-Kopf-Einkommen, war mit<br />

Einverständnis der Regierung von North Carolina von der Industrie für eine Sondermülldeponie<br />

vorgesehen worden. Auf dieser Deponie sollten vor allem PCB-Altlasten gelagert<br />

werden. PCB, polychlorierte Biphenyle, sind synthetische Produkte, die als Schmier-,<br />

Imprägnier- <strong>und</strong> Flammschutzmittel eingesetzt wurden. Entgegen der sonst angewandten<br />

Vorschriften war hier ein nur geringer Abstand des Sondermülls zum Gr<strong>und</strong>wasser erlaubt<br />

worden. In den Jahren zuvor war in dieser Region bereits illegal Müll gelagert worden. Nach<br />

Bekanntwerden der Pläne protestierten 1982 r<strong>und</strong> 16.000 Einwohner/innen, vor allem<br />

schwarze Frauen, durch Demonstrationen <strong>und</strong> Blockaden der Zufahrt zu dem Gelände. Mehr<br />

als 500 Bewohner/innen wurden im Verlauf dieser Proteste eingesperrt. Ihr Protest war<br />

letztendlich nicht erfolgreich, da die Deponie doch in Betrieb genommen wurde.<br />

Aber der Protest bildete eine Gr<strong>und</strong>lage für die 1983 erschienene Studie des U.S. General<br />

Accounting Office 'Siting of Hazardous Waste Landfills and Their Correlation with Racial


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

and Economic Status of Surro<strong>und</strong>ing Communities'. Die Studie zeigte, dass 3 von 4<br />

Sondermülldeponien in den Südstaaten in überwiegend von Afroamerikaner(inne)n<br />

bewohnten Gemeinden lagen, obwohl Afroamerikaner/innen insgesamt nur 20 % der<br />

Bevölkerung dort ausmachten.<br />

Im Jahr 1987 wurde von der United Church of Christ der Bericht 'Toxic Wastes and Race in<br />

the United States' herausgegeben, der die ethnische Diskriminierung in Bezug auf die<br />

Platzierung von Sondermülldeponien belegte.<br />

Die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung in den USA basierte zu Beginn sehr stark auf der<br />

Standortdebatte von großen Anlagen wie Sondermülldeponien <strong>und</strong> auf der Frage der<br />

Diskriminierung bestimmter Ethnien ("black, brown, red, poor and poisened").<br />

Im Jahr 1991 fand das erste landesweite Treffen von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsgruppen statt (First<br />

People of Color National Environmental Leadership Summit). Auf diesem Treffen wurden 17<br />

Prinzipien von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit (Environmental Justice) verabschiedet.<br />

Wesentliche Punkte waren<br />

� das Recht aller Menschen auf saubere Luft, Boden, Wasser <strong>und</strong> Nahrung,<br />

� der Stopp der Produktion von giftigen Substanzen, gefährlichem Müll <strong>und</strong> radioaktivem<br />

Material,<br />

� das Recht aller Menschen auf selbstbestimmte Lebensgestaltung,<br />

� das Recht auf Partizipation als gleichberechtigte Partner in allen Schritten der<br />

Entscheidungsfindung,<br />

� die Forderung nach einer Politik, die auf Gerechtigkeit für alle Menschen beruht <strong>und</strong> frei<br />

ist von Diskriminierung jeglicher Art.<br />

Die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsgruppen in den USA haben sich deutlich von der klassischen<br />

Naturschutzbewegung abgegrenzt. Diese sei überwiegend von weißen <strong>und</strong> wohlhabenden<br />

Bevölkerungsschichten getragen, denen es um den Erhalt von unberührter Natur <strong>und</strong> um den<br />

Schutz gefährdeter Tiere <strong>und</strong> Pflanzen ginge, was unter Umständen auch auf Kosten der<br />

jeweiligen Wohnbevölkerung gehen könne.<br />

Demgegenüber definierte die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung <strong>Umwelt</strong> als den Bereich, wo<br />

Menschen leben, arbeiten <strong>und</strong> spielen. Eine Gr<strong>und</strong>annahme ist, dass <strong>Umwelt</strong>fragen nicht<br />

losgelöst von <strong>soziale</strong>n Fragen gesehen werden können. Ein Großteil der Aktivisten in der<br />

<strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung sind Frauen mit niedrigem Einkommen <strong>und</strong> farbige Frauen<br />

(Faber 1998).<br />

Die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung erreichte, dass 1992 in der obersten <strong>Umwelt</strong>behörde der<br />

USA, der Environmental Protection Agency (EPA), ein 'Office of Environmental Equity'<br />

eingerichtet wurde. Diese Abteilung hat zum Ziel, <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit als Thema in alle<br />

Programme, Aktivitäten <strong>und</strong> politischen Maßnahmen der Behörde zu integrieren.<br />

Und zum ersten Mal wurde auch von staatlicher Seite in der Studie 'Environmental Equity:<br />

Reducing Risk for All Communities' festgestellt, dass ein disproportionales Risiko in<br />

Gemeinden mit überwiegend nicht-weißer bzw. armer Bevölkerung besteht.<br />

Zahlen zu Beginn der 90er Jahre belegen, dass bezogen auf die gesamte USA 57% aller<br />

Weißen in Gebieten mit schlechter Luftqualität lebten, jedoch 80% aller Latinos. In Los<br />

4


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

Angeles lebten 71% aller afroamerikanischen Einwohner/innen <strong>und</strong> 50% aller Latinos in stark<br />

verschmutzten Stadtgebieten im Vergleich zu 34% aller Weißen.<br />

Im Jahr 1994 gab der damalige Präsident Bill Clinton einen Regierungserlass (Executive<br />

Order 12898 'Federal Actions to Address Environmental Justice in Minority Populations and<br />

Low-income Populations') heraus, der zum Ziel hatte, dass <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit als nationale<br />

Priorität etabliert wird <strong>und</strong> staatliche Behörden sich insbesondere um die <strong>Umwelt</strong>- <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsbedingungen in Gemeinden mit überwiegend armer <strong>und</strong> farbiger Bevölkerung<br />

kümmern.<br />

Die <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung hat sich weiter entwickelt, was u.a. auf dem zweiten<br />

Treffen 'Second People of Color National Environmental Leadership Summit' 2002 deutlich<br />

wurde, denn dort wurden auch Aspekte der Globalisierung <strong>und</strong> der internationalen <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit<br />

diskutiert. Environmental Justice ist heute ein gesellschaftspolitisches Thema in<br />

den USA.<br />

Zur Illustration der Situation heute in den USA zwei aktuelle Beispiele:<br />

(1) Seit 1990 müssen chemische Fabriken in den USA, die mit einer bestimmten Menge an<br />

toxischen <strong>und</strong> entflammbaren Chemikalien umgehen, alle Unfälle der letzten 5 Jahre<br />

dokumentieren <strong>und</strong> archivieren. Eine Forschergruppe hat auf diese Daten zurückgegriffen:<br />

Sie werteten die Daten zu Unfällen von 15.083 Industrieanlagen <strong>und</strong> deren Lage für den<br />

Zeitraum 1994-2000 aus (Elliott et al. 2004). Soziodemographische Angaben für die 2.333<br />

Verwaltungsbezirke, in denen die Industrieanlagen lagen, wurden nationalen Statistiken<br />

entnommen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich in Bezirken mit überwiegend<br />

afroamerikanischer Bevölkerung oder in Bezirken mit hoher Einkommensungleichheit<br />

häufiger große chemische Anlagen befanden <strong>und</strong> dass ein höheres Risiko für Unfälle <strong>und</strong><br />

für Verletzungen durch Unfälle bestand (Abb. 2).<br />

5<br />

[Quelle: Elliott et al. 2004, eigene Darstellung]<br />

Abbildung 2. Relatives Risiko für Unfälle in chemischen Industrieanlagen <strong>und</strong> für<br />

Verletzungen durch Unfälle nach Anteil von Afroamerikaner(inne)n in der<br />

Wohnbevölkerung (links) <strong>und</strong> nach Ausmaß der Einkommensungleichheit in<br />

der Region (rechts).<br />

Referenzgruppen: Bezirke mit < 1 % afroamerikanischer Bevölkerung bzw. mit sehr<br />

geringer Einkommensungleichheit.


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

(2) In der <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeitsbewegung wie auch in der Public Health-Forschung der<br />

letzten Jahre wird ein weiter <strong>Umwelt</strong>begriff verwendet, der die Lebensumwelt der<br />

Menschen meint einschließlich der bebauten <strong>Umwelt</strong>, der Wohnumwelt (Bolte <strong>und</strong><br />

Mielck 2004, Frumkin 2005). Das Thema ist beileibe nicht neu. Schon vor 100 Jahren hat<br />

Heinrich Zille treffend formuliert:<br />

"Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt."<br />

Er kritisierte damit die ges<strong>und</strong>heitsschädlichen Wohnverhältnisse von Arbeitern in Berlin,<br />

wenn viele Personen auf engstem Raum leben mussten, in feuchten <strong>und</strong> kalten<br />

Wohnungen, oftmals in unmittelbarer Nähe zu Industrieanlagen.<br />

In den USA werden heute im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Ges<strong>und</strong>heit nicht<br />

nur die Bedingungen in den Wohnungen selbst untersucht, sondern auch das Wohnumfeld<br />

mit den Aspekten Transport, Ernährung, Grünflächen <strong>und</strong> Parks sowie Verelendung von<br />

Wohnbezirken (Frumkin 2005).<br />

Die Ges<strong>und</strong>heitsfolgen des bebauten Wohnumfeldes von Bezirken, in denen überwiegend<br />

ethnische Minoritäten <strong>und</strong> Geringverdienende leben, sind vielfältig (Frumkin 2005, Hood<br />

2005). Es kommen nicht nur durch die höhere Schadstoffbelastung beispielsweise<br />

häufiger Bleivergiftungen <strong>und</strong> Atemwegserkrankungen vor. Die Infrastruktur wirkt sich<br />

auf ges<strong>und</strong>heitsrelevante Verhaltensweisen aus, wenn aufgr<strong>und</strong> fehlender Gehwege <strong>und</strong><br />

Grünflächen körperliche Bewegung eingeschränkt <strong>und</strong> damit das Risiko für Adipositas<br />

erhöht wird. Oder eine ges<strong>und</strong>e Ernährungsweise wird nicht gerade erleichtert, wenn in<br />

den Wohngebieten zwar Junk Food, Zigaretten <strong>und</strong> Alkohol überall erhältlich sind, aber<br />

Geschäfte, die frisches Obst <strong>und</strong> Gemüse verkaufen, fehlen.<br />

Vielbefahrene Straßen <strong>und</strong> Busdepots befinden sich oftmals in Wohnbezirken armer<br />

Bevölkerungsgruppen, was mit einer höheren Belastung durch Luftschadstoffe <strong>und</strong> Lärm<br />

<strong>und</strong> mit einem höheren Unfallrisiko verb<strong>und</strong>en ist. Auf der anderen Seite sind die<br />

Transportsysteme häufig unzureichend um zu einer Arbeitsstätte oder zu<br />

Ges<strong>und</strong>heitsversorgungeinrichtungen zu gelangen.<br />

3 Aspekte <strong>und</strong> Ziele von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit<br />

Das gr<strong>und</strong>legende Prinzip von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit ist das Recht für jede Person auf eine<br />

ges<strong>und</strong>e <strong>Umwelt</strong> (Stephens <strong>und</strong> Bullock 2002). Als Aspekte <strong>und</strong> Ziele von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit<br />

können folgende substantive <strong>und</strong> prozedurale Rechte unterschieden werden<br />

(Maschewsky 2004):<br />

� Verteilungsgerechtigkeit<br />

In erster Linie ist eine Minimierung vorhandener <strong>Umwelt</strong>belastungen nach dem<br />

Verursacherprinzip anzustreben. Nicht eliminierbare <strong>Umwelt</strong>risiken sollen "gerecht"<br />

zwischen Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> Regionen verteilt werden, d.h. dass gleiche Vor- <strong>und</strong><br />

Nachteile nach einem <strong>Umwelt</strong>eingriff bestehen, z.B. hinsichtlich der Wohnqualität nach<br />

dem Bau einer Müllverbrennungsanlage.<br />

6


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

� Verfahrensgerechtigkeit/Beteiligungsgerechtigkeit<br />

Betroffene sind "angemessen" an Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsverfahren zu beteiligen.<br />

Betroffene, Betreiber <strong>und</strong> Behörden sollen im Verfahren gleich behandelt werden.<br />

� Vorsorgegerechtigkeit<br />

Das Auftreten neuer <strong>Umwelt</strong>belastungen ist zu verhindern.<br />

� Chancengerechtigkeit<br />

Um die Beteiligung an Entscheidungsfindungsprozessen ebenso wie die Teilhabe an<br />

Errungenschaften des Fortschritts zu ermöglichen, ist ein adäquater Zugang zu<br />

Bildungsmöglichkeiten Voraussetzung. Mit Chancengerechtigkeit wird auch gemeint, dass<br />

<strong>soziale</strong> Gruppen oder Regionen die gleiche Chance bzw. das gleiche Risiko haben, Ziel<br />

einer <strong>Umwelt</strong>veränderung zu werden.<br />

4 Thesen zu <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit in Deutschland<br />

Mit <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit ist hier nicht die Interpretation gemeint im Sinne des der <strong>Umwelt</strong><br />

gerecht werdendes Handelns, wie der Begriff häufig verwendet wird, beispielsweise im<br />

Bericht des <strong>Umwelt</strong>b<strong>und</strong>esamtes "Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaftumweltgerechten<br />

Entwicklung".<br />

Der Begriff wird hier ausschließlich auf die Frage der <strong>soziale</strong>n Verteilung von <strong>Umwelt</strong>belastungen<br />

<strong>und</strong> deren ges<strong>und</strong>heitliche Folgen bezogen, so wie der Begriff "Environmental<br />

Justice" im Englischen gebraucht wird.<br />

These 1:<br />

Es gibt umweltgerechtigkeitsrelevante Unterschiede zu der Situation in den USA.<br />

Werner Maschewsky (2004) hat folgende Unterschiede benannt, die dazu beitragen, dass<br />

<strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit in Deutschland bisher kaum thematisiert wurde:<br />

� geringere sozialräumliche Entmischung der Bevölkerung in Deutschland,<br />

� geringere Wohnsegregation,<br />

� stärkere räumliche Integration von Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten,<br />

� weite Verteilung von Emissionsquellen aufgr<strong>und</strong> der räumlichen Enge <strong>und</strong> großer<br />

Bevölkerung,<br />

� Senkung der (lokalen) Immission von Luftschadstoffen durch "Politik der hohen<br />

Schornsteine",<br />

� stärkere Planung von Stadt- <strong>und</strong> Regionalentwicklung,<br />

� Fehlen <strong>soziale</strong>r Gruppen, die sowohl umweltmäßig besonders benachteiligt sind, als auch<br />

äußerlich leicht identifizierbar sind (wie in den USA durch die Hautfarbe).<br />

7


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

These 2:<br />

Smog ist nicht demokratisch, es gibt eine sozial ungleiche Verteilung von<br />

<strong>Umwelt</strong>belastungen in Deutschland.<br />

Entgegen der These von Ulrich Beck, dass Not hierarchisch, Smog demokratisch sei, gibt es<br />

Evidenz, dass <strong>Umwelt</strong>belastungen in Deutschland sozial ungleich verteilt sind.<br />

Die systematische Untersuchung der <strong>soziale</strong>n Verteilung von <strong>Umwelt</strong>belastungen, ihrem<br />

Ausmaß <strong>und</strong> der ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen steht erst am Anfang. Jedoch sind viele Beispiele<br />

im Alltagswissen präsent (Maschewsky 2001):<br />

� An stark befahrenen Straßen <strong>und</strong> in der Nähe von Industriegebieten leben Menschen mit<br />

geringem Einkommen, wer es sich leisten kann zieht weg;<br />

� Mülldeponien <strong>und</strong> -verbrennungsanlagen entstehen neu am Rande der Städte, aber<br />

regelmäßig weit entfernt von Wohngebieten der Besserverdienenden;<br />

� gefährliche Entsorgungsanlagen werden bevorzugt in strukturschwachen Regionen geplant,<br />

wo mangels Arbeitsplätzen mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung gerechnet wird.<br />

Das Statistische B<strong>und</strong>esamt hat 1998 den Ges<strong>und</strong>heitsbericht für Deutschland herausgegeben.<br />

Im Kapitel zu "Wohnungsverhältnissen" wird festgestellt:<br />

"Die hohe <strong>und</strong> wachsende Mietbelastung der einkommensschwachen Haushalte führt zu ihrer<br />

anhaltenden Abdrängung in billigere Wohnungen mit schlechtem Ausstattungsstandard,<br />

geringer Wohnfläche, hohen Belastungen durch Verkehrslärm <strong>und</strong> Abgasen sowie kinderfeindlichem<br />

Wohnumfeld." (Statistisches B<strong>und</strong>esamt 1998, S. 113)<br />

"Am Wohnungsmarkt benachteiligte Bevölkerungsgruppen leben vorwiegend in Stadtteilen,<br />

die durch Verkehr <strong>und</strong> Gewerbe belastet sind <strong>und</strong> wenig Grünflächen aufweisen."<br />

(Statistisches B<strong>und</strong>esamt 1998, S. 114)<br />

Zwei Beispiele sollen die sozial ungleiche Verteilung von <strong>Umwelt</strong>belastungen in Deutschland<br />

deutlich machen. Das erste Beispiel ist eine Sek<strong>und</strong>äranalyse von Daten einer umweltepidemiologischen<br />

Studie, die in mehreren Regionen durchgeführt wurde. Das zweite Beispiel<br />

ist die Analyse von routinemäßig erhobenen Daten in einer Großstadt.<br />

Beispiel 1<br />

In einer Studie zur Ges<strong>und</strong>heit von über 3000 Kindern in den ersten Lebensjahren, die in vier<br />

Regionen in Deutschland - zwei Großstädten <strong>und</strong> zwei kleinstädtischen/ländlichen Regionen -<br />

durchgeführt wurde, wurden Eltern gefragt, ob sie an einer Hauptstraße oder an einer<br />

Nebenstraße wohnen, ob es auf der Straße regelmäßig zu Staus kommt, wie häufig Lastwagen<br />

auf der Straße fahren <strong>und</strong> ob sie der Verkehrslärm zuhause stört (Bolte et al. 2004). In einem<br />

der vier Studienzentren wurden begleitend Luftschadstoffe gemessen um sicherzustellen, dass<br />

die Fragebogenangaben valide <strong>und</strong> aussagekräftig sind. Der sozioökonomische Status der<br />

Eltern wurde über die Schul- <strong>und</strong> Berufsausbildung definiert. Für alle Parameter war ein<br />

Sozialgradient feststellbar mit einer zunehmenden Belastung bei abnehmendem Sozialstatus.<br />

Dies traf vor allem für Familien in den beiden großstädtischen Studienregionen München <strong>und</strong><br />

Leipzig zu (Abb. 3).<br />

8


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

9<br />

[Quelle: Bolte et al. 2004, eigene Darstellung]<br />

Abbildung 3. Anteil der mit verkehrsabhängigen Luftschadstoffen <strong>und</strong> Lärm belasteten<br />

Familien nach elterlicher Bildung als Sozialstatusindikator mit den Ausprägungen<br />

sehr hoch, hoch, mittel <strong>und</strong> niedrig in den vier Studienregionen.<br />

Beispiel 2<br />

Werner Maschewsky (2004) <strong>und</strong> Michael Schümann <strong>und</strong> Kollegen (2004) haben unabhängig<br />

voneinander die Situation in Hamburg untersucht durch Nutzung von routinemäßig erhobenen<br />

Daten für die 104 Stadtteile. Als Sozialindikatoren lagen Informationen z.B. zu Bevölkerungsdichte,<br />

Wohnfläche pro Person, Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit, Durchschnittseinkommen,<br />

relativen Anteil der Empfänger/innen von Hilfen zum Lebensunterhalt vor. Zur<br />

Abschätzung der <strong>Umwelt</strong>belastung in den Stadtteilen konnten Daten zu Anzahl von Autobahnen,<br />

Haupt- <strong>und</strong> Fernstraßen im Wohnumfeld, verkehrsbedingten Luftschadstoffen,<br />

Bodenbelastung durch Schadstoffeinträge <strong>und</strong> Altlasten, großtechnische Anlagen wie<br />

Kraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, Deponien, Chemiewerke <strong>und</strong> die Anzahl der<br />

Hochspannungsleitungen im Wohnumfeld herangezogen werden.<br />

Beide Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Stadtteile mit einem niedrigen<br />

Soziallageindex höher belastet sind durch Luftschadstoffe <strong>und</strong> großtechnische Anlagen.<br />

Maschewsky (2004) hat diesen Zusammenhang anhand von Korrelationsanalysen nachgewiesen.<br />

Schümann <strong>und</strong> Kollegen (2004) haben über 170.000 Wohnadressen in Hamburg


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

anhand des regionalen Sozialindikators in 5 Kategorien eingeteilt, in der Abbildung sind nur<br />

die beiden Extreme, die Gruppe mit der höchsten bzw. niedrigsten <strong>soziale</strong>n Lage dargestellt<br />

(Abb. 4). Verglichen wurde der Anteil derjenigen, die im Umfeld von Industrieanlagen leben<br />

(3 km Abstand), die im Umkreis von 250 m vier oder mehr vielbefahrene Straßen wie<br />

Autobahnen, Haupt- <strong>und</strong> Fernstraßen haben sowie mindestens eine Hochspannungsleitung.<br />

Anteil [%]<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

hoch niedrig<br />

<strong>soziale</strong> Lage<br />

10<br />

Industrieanlagen<br />

Straßen<br />

Hochspannungsleitungen<br />

[Quelle: Schümann et al. 2004, eigene Darstellung]<br />

Abbildung 4. Unterschiede in der Belastung durch Industrieanlagen, vielbefahrene Straßen<br />

<strong>und</strong> Hochspannungsleitungen im Wohnumfeld nach <strong>soziale</strong>r Lage.<br />

These 3:<br />

Die Aspekte von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit sind nicht neu, aber sind neu in das<br />

Spannungsfeld <strong>Umwelt</strong> - Ges<strong>und</strong>heit zu integrieren.<br />

Im Gr<strong>und</strong>gesetz wurde verankert, dass die B<strong>und</strong>esrepublik ein demokratischer <strong>und</strong> <strong>soziale</strong>r<br />

B<strong>und</strong>esstaat ist. Dem Sozialgesetzbuch ist zu entnehmen, dass das Ziel des Sozialrechts die<br />

Verwirklichung <strong>soziale</strong>r Gerechtigkeit <strong>und</strong> <strong>soziale</strong>r Sicherheit ist. Chancengleichheit, d.h.<br />

Gleichheit der Chancen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, <strong>und</strong> Bedarfsgerechtigkeit,<br />

d.h. angemessene Sicherung von Gr<strong>und</strong>bedürfnissen, sind wesentliche Ausprägungen des<br />

Gesamtkomplexes <strong>soziale</strong>r Gerechtigkeit (Becker <strong>und</strong> Hauser 2004). Als Gr<strong>und</strong>bedürfnis<br />

kann beispielsweise eine angemessene Wohnung angesehen werden.<br />

Die Aspekte der Verteilungs- <strong>und</strong> Verfahrensgerechtigkeit finden sich bereits in der<br />

Europäischen Charta "<strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit" von 1989 wieder, die auf der Ersten<br />

Europäische Konferenz der <strong>Umwelt</strong>- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsminister in Frankfurt/Main<br />

verabschiedet wurde:<br />

"Jeder Mensch hat Anspruch<br />

- auf eine <strong>Umwelt</strong>, die ein höchstmögliches Maß an Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlbefinden<br />

ermöglicht,<br />

- auf Informationen <strong>und</strong> Anhörung über die Lage der <strong>Umwelt</strong>, sowie über Pläne,<br />

Entscheidungen <strong>und</strong> Maßnahmen, die voraussichtlich Auswirkungen auf <strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit haben,<br />

- auf Teilnahme am Prozeß der Entscheidungsfindung." (zitiert in BMG 1999, S. 2)


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

Was derzeit in Deutschland fehlt, sind eine systematische Erfassung von <strong>Umwelt</strong>ungerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> etablierte Verfahren für Gegenmaßnahmen.<br />

In den USA hat sich gezeigt, dass NIMBYs zum Problem werden können. Der Begriff<br />

NIMBY steht für "not in my backyard". Damit sind Gruppen gemeint, die sich gut artikulieren<br />

können <strong>und</strong> sich oftmals erfolgreich gegen eine <strong>Umwelt</strong>belastung ihres Wohngebiets wehren<br />

mit der Folge, dass andere Wohngebiete, deren Bevölkerung sich nicht so gut wehren kann,<br />

betroffen sind. Die eigentlichen Ziele von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit, die Verhinderung des<br />

Entstehens neuer Belastungen <strong>und</strong> die Reduzierung bestehender Belastungen (Faber 1998),<br />

werden so nicht erreicht.<br />

"Niemals empört etwas mehr, als Ungerechtigkeit; alle anderen Übel, die wir ausstehen,<br />

sind nichts dagegen." Immanuel Kant<br />

Um den Unterschied zwischen ungleicher Verteilung <strong>und</strong> ungerechter Verteilung zu<br />

illustrieren, kann die kartografische Darstellung der räumlichen Verteilung verschiedener<br />

Indikatoren für den Großraum Londong dienen (Stephens et al. 2001). Die Gebiete mit einem<br />

hohen Anteil an Luftverschmutzung (1), gemessen anhand der Stickstoffdioxid-Konzentration<br />

als Indikator für verkehrsbedingte Luftschadstoffe, mit einer hohen standardisierten Mortalitätsrate<br />

(SMR) für Atemwegserkrankungen (2) <strong>und</strong> mit einem hohen Anteil armer Bevölkerungsgruppen<br />

(3) stimmen weitgehend überein. Im Gegensatz dazu steht die Verteilung der<br />

Gebiete, in denen viele Haushalte über mindestens zwei Autos verfügen. Sie ist annähernd<br />

invers.<br />

Dieses Beispiel soll eine mögliche Definition von Ungerechtigkeit verdeutlichen. Wie es auch<br />

in dem Acheson-Report (Acheson 1999), einem Bericht zur <strong>soziale</strong>n Ungleichheit bei<br />

Ges<strong>und</strong>heit in Großbritannien, betont wurde, ist eine Ungleichverteilung der Belastung mit<br />

verkehrsabhängigen Luftschadstoffen dann ungerecht, wenn die Personen, die überwiegend<br />

von den negativen Folgen betroffen sind, selbst gar nicht die Hauptverursacher der Belastung<br />

sind <strong>und</strong> selbst nicht die Vorteile des privaten KFZ-Verkehrs nutzen können. R<strong>und</strong> 30 % der<br />

Haushalte in Großbritannien haben keinen PKW. Zu den negativen Folgen sind nicht nur die<br />

Auswirkungen von Luftschadstoffen <strong>und</strong> Lärm auf die Ges<strong>und</strong>heit zu zählen, sondern z.B.<br />

auch Verkehrsunfälle, die häufiger bei Kindern aus einkommensschwachen Familien<br />

vorkommen.<br />

11


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

These 4:<br />

Es gibt keine allgemeingültige <strong>und</strong> akzeptierte Definition, was ungerecht ist.<br />

Aber ohne Kriterien zur Beurteilung der Ist-Situation im Hinblick auf Verteilungs- <strong>und</strong><br />

Verfahrensgerechtigkeit ist eine Verwirklichung von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit nicht<br />

möglich.<br />

'Gerechtigkeit' ist ein Gr<strong>und</strong>begriff des politischen, <strong>soziale</strong>n, religiösen <strong>und</strong> juristischen<br />

Lebens, wurde aber bisher nicht abschließend definiert (vgl. Brockhaus-Enzyklopädie 1998).<br />

Ebenso findet sich in der Literatur zu <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit keine eindeutige Beschreibung,<br />

<strong>welche</strong>s Ausmaß <strong>soziale</strong>r Ungleichverteilungen als ungerecht einzustufen ist, <strong>welche</strong><br />

Verteilung von <strong>Umwelt</strong>schaden <strong>und</strong> -nutzen als fair einzustufen ist <strong>und</strong> ab wann Gegenmaßnahmen<br />

zu treffen sind. Es gibt verschiedene Perspektiven <strong>und</strong> Konzepte von 'Gerechtigkeit'<br />

(Liu 2001). Eine Verteilung von <strong>Umwelt</strong>belastungen kann z.B. dann als fair bzw. gerecht<br />

angesehen werden,<br />

� wenn die Belastungen alle Personen gleich betreffen,<br />

� wenn die Belastungen entsprechend des Beitrags der Personen zu diesen Belastungen<br />

verteilt sind, oder<br />

� wenn die Belastungen entsprechend der Widerstandskräfte im Sinne von Ges<strong>und</strong>heit der<br />

Personen verteilt sind.<br />

Für eine praktische, politische Umsetzung von <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit sind aber Kriterien<br />

notwendig, ob im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit Bevölkerungsgruppen oder Regionen<br />

einen 'gerechten' Anteil an <strong>Umwelt</strong>belastungen <strong>und</strong> <strong>Umwelt</strong>nutzen haben <strong>und</strong> ob im Sinne der<br />

Verfahrensgerechtigkeit Betroffene 'angemessen' an den Entscheidungen beteiligt sind.<br />

Die Environmental Protection Agency (EPA) als oberste <strong>Umwelt</strong>behörde der USA wurde<br />

jüngst in einem Evaluationsbericht dafür kritisiert, verschiedene regionale Programme zu<br />

<strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit durchzuführen ohne eine genaue Definition, Kriterien <strong>und</strong> Standards zu<br />

haben (Office of Inspector General 2004). Dies würde zu inkonsistenten Ansätzen der<br />

verschiedenen regionalen Behörden führen, wenn diese eigene, unterschiedliche Kriterien<br />

verwenden.<br />

Die EPA hat selbst darauf hingewiesen, dass 'Environmental Justice' (<strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit)<br />

eine komplizierte Angelegenheit sei <strong>und</strong> zudem kein statisches Konzept sondern ein<br />

dynamischer Prozess.<br />

Auch dieser Beitrag kann letztlich keine zufriedenstellende Definition bieten. Vielleicht ist es<br />

aber auch gar nicht möglich, eine allgemeingültige Definition oder klare Richtlinien aufzustellen,<br />

sondern es muss im jeweiligen Kontext entschieden werden.<br />

12


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

5 Ausblick: Handlungsperspektiven<br />

Die Diskussion möglicher Handlungsperspektiven orientiert sich an den drei Bereichen der<br />

ökologischen Ges<strong>und</strong>heitsförderung, die Rainer Fehr (2001) benannt hat: Risikoanalyse,<br />

umweltbezogene Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung <strong>und</strong> prospektive Ges<strong>und</strong>heitsverträglichkeitsprüfung.<br />

(1) Risikoanalyse<br />

Bei der Bewertung von Schadstoffwirkungen muss die mögliche Effektmodifikation durch<br />

<strong>soziale</strong> Faktoren einbezogen werden. Für die Festsetzung von Grenzwerten ist es<br />

entscheidend, die besonders vulnerablen Gruppen zu kennen.<br />

Dies geschieht derzeit noch nicht in ausreichendem Maß. Im Rahmen des europaweiten<br />

Netzwerkes PINCHE wurden von der Europäischen Union finanzierte Forschungsprojekte<br />

befragt, ob sie die Effekte der <strong>soziale</strong>n Lage in ihre Analysen zu Kinderges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

<strong>Umwelt</strong> einbeziehen. Nur ein Drittel der Projekte hat auch den Aspekt der Effektmodifikation<br />

berücksichtigt (Bolte et al. 2005a).<br />

Ein zweiter Punkt ist, speziell Belastungsschwerpunkte zu untersuchen, um die kumulative<br />

Wirkung verschiedener, gleichzeitig auftretender <strong>Umwelt</strong>belastungen abzuschätzen. Ein<br />

Beispiel für so einen Ansatz ist die Hot-Spot-Studie, die an industriellen Belastungsschwerpunkten<br />

in Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Duisburg durchgeführt wurde (MUNLV 2004).<br />

Schließlich ist es wesentlich für eine Risikoanalyse, die betroffene Bevölkerung aktiv an der<br />

Planung <strong>und</strong> Durchführung von Untersuchungen zu beteiligen, da die Bewohner/innen selbst<br />

sehr gut einschätzen können, was relevante <strong>Umwelt</strong>belastungen in ihrem Wohnumfeld sind<br />

("the people know best"). Darüber hinaus besteht dann auch die Möglichkeit, die Konzepte<br />

der Bevölkerung bezüglich gerechter Verteilung einzubeziehen (Liu 2001). Derartige Ansätze<br />

einer Forschung mit praktischer <strong>und</strong> politischer Relevanz <strong>und</strong> gleichzeitiger Umsetzung der<br />

Erkenntnisse werden derzeit als "community based participatory research" verfolgt (O'Fallon<br />

<strong>und</strong> Dearry 2002, Leung et al. 2004).<br />

(2) Surveillance / umweltbezogene Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung<br />

Eine umweltbezogene Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung als Verknüpfung <strong>und</strong> konzeptionelle<br />

Weiterentwicklung von <strong>Umwelt</strong>berichterstattung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung ist in<br />

Deutschland noch nicht etabliert. Ein Ziel wäre, bei der routinemäßigen Erhebung von Daten<br />

zu <strong>Umwelt</strong>belastungen <strong>und</strong> zur Ges<strong>und</strong>heit der Bevölkerung auch Merkmale der <strong>soziale</strong>n<br />

Lage zu berücksichtigen. Bisher ist bei den vorhandenen Datenquellen ein Bezug auf Sozialfaktoren<br />

nicht immer möglich. Ein positives Beispiel ist der <strong>Umwelt</strong>survey 1998, bei dem<br />

eine Verknüpfung mit den Daten des B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurveys 1998 <strong>und</strong> den darin enthaltenen<br />

Sozialdaten erfolgen kann.<br />

In Bayern wird derzeit eine Befragung von Eltern bei der Schuleingangsuntersuchung ihrer<br />

Kinder durchgeführt mit dem Ziel herauszufinden, wie stark der Einfluss der <strong>soziale</strong>n Lage<br />

der Kinder ist auf die Qualität ihres Wohnumfeldes im Hinblick auf die Belastung mit<br />

Luftschadstoffen <strong>und</strong> auf das Auftreten von Atemwegserkrankungen, Verkehrsunfällen <strong>und</strong><br />

Adipositas (Bolte et al. 2005b).<br />

13


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

Die WHO hat für Europa Indikatoren für umweltbezogene Ges<strong>und</strong>heit definiert. Diese<br />

beziehen sich auf die Luftqualität, Lärm, Wohnbedingungen, Verkehrsunfälle, Wasser <strong>und</strong><br />

sanitäre Anlagen, Chemieunfälle <strong>und</strong> Strahlung. Auch hier wäre es meiner Ansicht nach<br />

wichtig, routinemäßig den Bezug zu soziodemographischen Daten herzustellen um<br />

möglicherweise bestehende <strong>soziale</strong> Ungleichverteilungen aufzudecken.<br />

(3) Prospektive Ges<strong>und</strong>heitsverträglichkeitsprüfung<br />

Bei Bauvorhaben <strong>und</strong> Standortentscheidungen soll eine Ges<strong>und</strong>heitsverträglichkeitsprüfung<br />

durch die Prognose <strong>und</strong> Bewertung der ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen zur Entscheidungsfindung<br />

beitragen.<br />

Bei der prospektiven Ges<strong>und</strong>heitsverträglichkeitsprüfung könnten <strong>soziale</strong> Belange<br />

berücksichtigt werden durch<br />

� die Analyse der Ist-Situation des geplanten Standorts im Hinblick auf Sozialfaktoren,<br />

� den Einbezug des Aspekts der Verteilungsgerechtigkeit in die Prognose der Auswirkungen<br />

der geplanten Anlage,<br />

� die Berücksichtigung bereits bestehender <strong>Umwelt</strong>belastungen <strong>und</strong> besonders vulnerabler<br />

Bevölkerungsgruppen im Sinne der Vorsorgegerechtigkeit,<br />

� die konsequente Umsetzung der Verfahrensgerechtigkeit durch frühzeitige <strong>und</strong><br />

substanzielle Beteiligung der Betroffenen <strong>und</strong> der Öffentlichkeit.<br />

Die besondere Berücksichtigung sozial benachteiligter Gruppen in Ges<strong>und</strong>heitsverträglichkeitsprüfungen<br />

wird bereits erprobt. Das Verfahren wird "Health Inequalities<br />

Impact Assessment (HIIA)" genannt (Mackenbach et al. 2004). Ein Beispiel ist die<br />

Abschätzung der Wirkungen von 3 Szenarien für städtische Transportstrategien in Edinburgh,<br />

Großbritannien (Gorman et al. 2003). Zur Auswahl standen, den Schwerpunkt auf den<br />

privaten Kraftfahrzeugverkehr zu legen oder Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung <strong>und</strong> zur<br />

Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs durchzuführen um Fußgänger(inne)n <strong>und</strong><br />

Radfahrer(inne)n mehr Möglichkeiten zu eröffnen. Die dritte Strategie war eine Mischung aus<br />

den beiden genannten. Untersucht wurden die möglichen Auswirkungen dieser Strategien auf<br />

die zu erwartende Anzahl an Unfällen, auf die Belastung mit Luftschadstoffen, auf die<br />

Auswirkungen im Hinblick auf die körperliche Aktivität der Bevölkerung, auf den Zugang zu<br />

Waren <strong>und</strong> Dienstleistungen, auf das Gemeindenetzwerk <strong>und</strong> auf <strong>soziale</strong> Unterschiede in der<br />

Ges<strong>und</strong>heit. Den besten Effekt auf die Ges<strong>und</strong>heit der Bevölkerung hatte das zweite Szenario,<br />

die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs <strong>und</strong> der nicht-motorisierten Mobilität, da gerade<br />

sozial schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen besonders unter den negativen Effekten des<br />

motorisierten Individualverkehrs leiden.<br />

Zur Umsetzung des Konzeptes <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit bestehen in den Kommunen vor Ort<br />

Anknüpfungspunkte an integrierte Programme wie "Ges<strong>und</strong>e Städte", "Lokale Agenda 21"<br />

oder "Soziale Stadt" (Trojan <strong>und</strong> Legewie 2001).<br />

Nordrhein-Westfalen hat begonnen, das Thema <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit als Querschnittsthema<br />

in sein Aktionsprogramm <strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit zu integrieren (MUNLV 2005).<br />

Ausgehend von der Frage, was <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit für den umweltbezogenen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschutz bedeutet,<br />

14


Gabriele Bolte<br />

Vortrag am 31.05.05 im Rahmen der Ringvorlesung "Kultur-Krankheiten - Zustände, Befindlichkeiten <strong>und</strong> Perspektiven", BTU Cottbus<br />

� sollen bereits vorhandene Daten im Hinblick auf <strong>soziale</strong> Ungleichheit bei<br />

<strong>Umwelt</strong>belastungen <strong>und</strong> ihre ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen ausgewertet werden,<br />

� sollen Indikatoren entwickelt werden, um <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit zu messen,<br />

� sollen Konzepte entwickelt werden um durch besseren Zugang zu Informationen <strong>und</strong> durch<br />

Beteiligungsmöglichkeiten für Betroffene Beteiligungsgerechtigkeit zu verwirklichen,<br />

� sollen mögliche Benachteiligungskriterien wie sozioökonomischer Status oder<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> in Planungsverfahren <strong>und</strong> <strong>Umwelt</strong>verträglichkeitsprüfungen<br />

einbezogen werden,<br />

� <strong>und</strong> sollen bestehende Strukturen wie die Ges<strong>und</strong>heitskonferenzen genutzt werden.<br />

Die Frage, <strong>welche</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit im Themenfeld <strong>Umwelt</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>spielt</strong><br />

war Ausgangspunkt dieses Beitrags. <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit kann als eine umwelt- <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitspolitische Konkretisierung <strong>soziale</strong>r Gerechtigkeit angesehen werden. Mit dem<br />

Ziel der Reduzierung von <strong>Umwelt</strong>risiken für alle geht <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit über eine Politik<br />

der reinen Umverteilung hinaus. Der Beitrag sollte aufzeigen, wie wichtig <strong>Umwelt</strong>gerechtigkeit<br />

ist, um einen umweltbezogenen Ges<strong>und</strong>heitsschutz für alle Bevölkerungsgruppen zu<br />

verwirklichen.<br />

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16


Gabriele Bolte<br />

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© Gabriele Bolte, Mai 2005<br />

Vervielfältigung <strong>und</strong> Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Autorin<br />

17

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