11.07.2015 Aufrufe

Hellasfreunde Bern Bulletin 2010-1 April 2010

Hellasfreunde Bern Bulletin 2010-1 April 2010

Hellasfreunde Bern Bulletin 2010-1 April 2010

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Panos, der von Trinkgeldern lebt, »muss hierschon in vierter oder fünfter Reihe parken. Nichtextravagant genug.«Das zentrale Problem dieses Landes ist dennochnicht die offenkundige Steuerhinterziehung,es ist der fehlende Gemeinsinn. Trotzjährlich wiederkehrender Waldbrände existiertkeine freiwillige Feuerwehr, die diesen Namenverdient.Und wenn doch, passiert das: 32 Löschfahrzeugewaren sie im vergangenen Sommer,eilten herbei von Thessaloniki, Athen zu retten.Die freiwillige Feuerwehr. Befehlshabender:Nikos Sachinidis, 57 Jahre alt, sechs Herzinfarkte.Sie brausten über die Autobahn, nein,wollten brausen. Hatten aber nicht mit der Mautgerechnet. Jedes Mal bremsen, bezahlen, 32-mal die Schranke hoch und runter, fahren,bremsen, bezahlen. Attika stand da schon inFlammen.»7529 Euro Mautkosten«, rechnet NikosSachinidis vor, »und genau fünfeinhalb StundenVerspätung.« Als die Freiwilligen die Feuerfronterreichten, sahen sie sich von zornigen Bürgernumringt. »Wo wart ihr? Wofür bezahlen wireuch?« Man verwechselte sie mit derBerufsfeuerwehr, beschimpfte und schlug sie.Am Ende hatten sie 98 000 Euro aus eigenerTasche bezahlt. Das Finanzministeriumbedauerte: Kein Geld in der Kasse. »Spinnendie?«, fragt Sachinidis.Welches Blatt man auch wendet, welcheStatistik man auch heranzieht, fast immer stehtGriechenland ganz unten. Waldbrandbekämpfung:versagt. Asylpolitik: versagt. Bildungs-,Gesundheits-, Renten-, Steuerpolitik: versagt.Jetzt soll ein rigoroser Sparplan alles ändern:höhere Steuern auf Tabak, Treibstoff und Getränke.Zudem sollen die Gehälter von Staatsdienerneingefroren oder um vier Prozentgekürzt werden. Alle Ministerien sollen zehnProzent weniger ausgeben, und PremierministerPapandreou hat bereits öffentlichkeitswirksamauf seinen Dienst-Mercedes verzichtet.Er fährt jetzt Skoda. Aber reicht das?Die Steuererhöhungen akzeptieren dieGriechen vielleicht gerade so zähneknirschend,42obwohl zwei Drittel von ihnen immer noch nichtbereit sind, einen persönlichen Beitrag zur Verbesserungder Finanzlage ihres Landes zuleisten. Was Griechenland neben einem Sparplanbraucht, ist ein grundlegender Mentalitätswechsel.Die griechische Regierung um GeorgiosPapandreou hat das auch erkannt. Sonntagnachmittag,Kabinettssitzung. Live im Internet.»Einen neuen politischen Stil«, verspricht derPremierminister. »Offene Regierung«, heißt dasMotto. »Die Ministerien werden im Internet überjeden Kassenzettel, jede Entscheidung, jedePersonalie Rechenschaft ablegen«, kündigt eran. Zur »offenen Regierung« gehört auch, dasssich die Griechen via Chat mit den Politikernunterhalten können.Diese Woche kam in einem der Diskussionsforeneine originelle Idee auf: ein Spendenkontonamens »Nationale Rettung«. Jeder Bürger sollda nach seinen Möglichkeiten einzahlen, sagtzum Beispiel Panagiotis Amoiridis, 23 Jahre alt.Gute Idee, pflichteten viele bei. Scrollte manseinen Diskussionspfad aber ein bisschenweiter nach unten, fand man einen ebenfallsvielfach gelobten Eintrag von »Ellas<strong>2010</strong>«:»Super Idee, das Spendenkonto! Gebt dieBankdaten doch bitte gleich an die EU-Kommission weiter. LOL.«Die Griechen, so perfide es klingt, stecken alleunter einer Decke. Und als Grieche sage ichdas halb desillusioniert, aber auch halbamüsiert. Wir haben einen Lebensweg entwickelt,der es uns erlaubt, nicht auf Gesetze,nicht auf Verordnungen und nicht auf Politikerangewiesen zu sein. Es gibt dafür ein schönesaltgriechisches Wort: Anarchismus. Oderanders ausgedrückt: Wir sind unregierbar.__________________________________________________________________________________________________________________Das griechische System hat auch Vorteile: Als unserKollege Alexandros Stefanidis während der RechercheAnfang Januar in Thessaloniki bei Rot über eineKreuzung fuhr, stoppte ihn die Polizei und verlangte diePapiere. Strafe laut Bußgeldkatalog: 700 Euro. Erschwitzte, aber der Polizist las seinen Namen undfragte: "Bist du der Sohn vom Christoforos?" – "Ja,warum?" Der Rest ist Geschichte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!