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George J. Makari: Revolution der Seele – <strong>die</strong> Geburt der Psychoanalyse.Psychosozialverlag. Giessen 2011, 648 Seiten, gebunden. 49,90 €Das fing meinen Blick ein, zufällig. Die Dächer von Wien, gründerzeitlicheBauten, Ringstrassenarchitektur, darüber Portraits berühmter undwichtiger Psychoanalytiker. Ein gerade zurückliegender Besuch in Wienließ es reizvoll erscheinen, sich mit der Entstehung der Psychoanalyse in<strong>die</strong>ser Stadt noch einmal zu befassen.Mit <strong>die</strong>sem Blick war das Buch erst einmal eine Enttäuschung. Es befasstsich mit Anderem <strong>als</strong> dem Erwarteten. Schnell entpuppte es sich<strong>als</strong> so etwas wie eine Organisationsgeschichte der psychoanalytischenVereinigungen.Im Vorwort zur Reihe „Bibliothek der Psychoanalyse“, zur der das Buchgehört, schreibt der Herausgeber Hans-Jürgen Wirth: „Im Zuge ihrerEtablierung <strong>als</strong> medizinisch-psychologisches Heilverfahren hat <strong>die</strong> Psychoanalyseihre geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politischenAnsätze vernachlässigt. Indem der Dialog mit den Nachbarwissenschaftenwieder aufgenommen wird, soll das kultur- und gesellschaftskritischeErbe der Psychoanalyse wiederbelebt und weiterentwikkeltwerden.“Wenn <strong>die</strong>ser Anspruch tatsächlich an Makaris umfangreiches Werk gelegtwird, so könnte man es relativ schnell zur Seite legen. Diesem Anspruchscheint es nicht gerecht zu werden, wahrscheinlich sogar auchgar nicht entsprechen zu wollen. Der Autor George Markari ist Rektordes Cornell-Institutes für Geschichte der Psychiatrie, er lehrt an verschiedenenmedizinischen und psychologischen Instituten in den USA.Er lebt in New York. Von Beruf ist der Psychotherapeut und Historiker.<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 1


der Autor gliedert sein Buch in einen ersten Teil „Die Entstehung derFreud’schen Theorie“, einen zweiten Teil „Die Entstehung der Freudianer“,der sich auf Wien, Zürich und <strong>die</strong> gesamte Welt bezieht, und einendritten Teil „Die Entstehung der Psychoanalyse“ bis hin zu einemSchlussunterkapitel „Die Psychopolitik der Freiheit“.Makari ist ein außerordentlich belesener Autor, er stützt sich auf ca. 900Literaturangaben, <strong>die</strong> das Literaturverzeichnis des Buches zu einer reichenFundgrube machen. Er arbeitet sehr quellenbewusst, in der amerikanischenOriginalausgabe wird <strong>die</strong>s noch deutlicher <strong>als</strong> in der deutschenÜbersetzung. Dort sind <strong>die</strong> Literaturangaben, Querverweise undAnmerkungen in einem Anhang gesammelt, der selbst schon nahezuschon 100 Seiten umfasst. Ein Namens- und Sachregister schließt sichan. Die deutsche Ausgabe macht aus den Anmerkungen im WesentlichenFußnoten und bringt <strong>die</strong> einfachen Literaturverweise in einem gesonderten,ebenfalls außerordentlich umfangreichen, Literaturverzeichnis.Schnell wird deutlich, dass es wirklich nicht langt, sich von den Dächernvon Wien und ein paar bekannten oder weniger bekannten Porträts verlockenzu lassen, um eine <strong>Buchbesprechung</strong> zu schreiben. Darf manüberhaupt ein solches Buch über <strong>die</strong> Geburt der Psychoanalyse rezensieren,wenn man selbst kein Analytiker, ja nicht einmal Psychotherapeutist? Aber andererseits - wenn nur Psychoanalytiker Bücher über Psychoanalyselesen würden, wäre <strong>die</strong>s sinnvoll?Vor mir liegt nun aber wirklich ein Wälzer, will man das lesen? Es wimmeltvon Namen, von Jahreszahlen, von kleinen und kleinsten Begebenheiten,von Zitaten aus Briefen, von Anmerkungen, von weiteren Zitaten.Da gibt es doch schon so viel über Freud und seine Psychoanalyse, etwaPeter Gay’s „Freud - eine Biographie für unsere Zeit“ oder <strong>die</strong> auchvon Makari immer wieder herangezogene mehrbändige Freud-<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 2


Biographie von E. Jones “Das Leben und Werk von Sigmund Freud“.Wer es kürzer mag, greift zu Mannonis Bildmonographie „Freud“ beirororo. Dann gibt es ja noch im gleichen Verlag „Freud für Anfänger“, einSachcomic von verblüffender Prägnanz.Was bietet <strong>die</strong>ses neu erschienene und mit großer Mühe und Sorgfaltübersetzte Buch? Mir will scheinen, dass der Autor mit seiner spezifischenhistorischen Ausbildung und Ausrichtung deutliche Akzente setzt.Sehr viel Quellenarbeit, intensives Archivstudium, Analyse des Schriftwechselsvon Freud und anderen. Er bettet <strong>die</strong> Entstehungsgeschichtein historische Zusammenhänge, bleibt dabei allerdings im Wesentlichenauf medizinische, naturwissenschaftliche und einige sozialpolitische Aspektebeschränkt. Das Buch entwickelt sich tatsächlich sehr schnell zueiner Organisationshistoriografie. Hier wird es interessant, wenn der Autorbeschreibt, wie sich eine zunächst noch eher diffuse gedanklicheKonstruktion ausdifferenziert, definiert, weiterentwickelt, durch Kontroversenhindurch gestärkt hervorkommt, wie sie mit Abspaltungenumgeht, wie gewissermaßen Häresien entstehen. Das Mühen um einenständigen Zusammenhalt, um <strong>die</strong> Abgrenzung gegenüber Scharlatanerienwird deutlich, Freud <strong>als</strong> Entwickler und Bewahrer der eigenen Traditiontritt deutlich in den Vordergrund.Zwar möchte der Autor nach eigenen Angaben <strong>die</strong> zentrale und ausschließlicheBedeutung Freuds in Frage stellen, in dem er zeigt, wie vieleintelligente Köpfe an der Entwicklung nicht nur teilgenommen, sondernsie auch mitbestimmt haben. Dennoch wird für den Leser deutlich, welchezentrale Rolle Freud ständig spielt. Freud hat etwas in Bewegunggebracht, muss aber, so eine wichtige wissenschaftliche Einsicht, nicht<strong>als</strong> der ausschließliche Autor eines Gesamtkonzeptes gesehen werden.Dies ist zweifellos interessant, bringt Neues für den, der sich für dergleichenEntwicklungen in einer historisch außerordentlich interessanten<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 3


Zeit interessiert. Vielleicht ist das Buch sogar ein Muss für einen innerenKreis der Psychoanalytiker, <strong>die</strong> über das eigene Fach bewusst und kritischnachdenken wollen.Und doch, mir <strong>als</strong> Rezensenten, fehlt so vieles, wenn es wirklich um eineRevolution der Seele (Englisch: Revolution in Mind: The Creation of Psychoanalysis)gehen soll.Diese Revolution im Wien des langsam zu Ende gehenden 19. Jahrhundertsfand eben nicht nur in <strong>die</strong>sen Zirkeln statt, auch nicht nur im sozialpolitischenBereich. Wien war vor und um <strong>die</strong> Jahrhundertwende eineexemplarische Großstadt voller Zuwanderer, voller Kulturen und Widersprüche.Die Kunst und <strong>die</strong> Musik, aber auch <strong>die</strong> Literatur, sie alle sind inheftiger Aufruhr (vgl. Schorske: Österreichs ästhetische Kultur 1870 –1914, In: Traum und Wirklichkeit Wien 1870 - 1930, Wien 1985).Für viele, <strong>die</strong> sich eher am Rande mit Psychoanalyse befassen, ist <strong>die</strong>Frage der Sexulalität immer ein Bereich, der für Aufregung sorgt. Dochist <strong>die</strong> Beschäftigung mit der Sexualität, ja ihre „Entdeckung“ wahrhaftigkein Alleinstellungsmerkmal, um es modern zu formulieren, des DoktorFreud. Aus der noch klassizistischen Darstellung von unbekleideten, üppigen,trunkenen Körpern eines Hans Makart entwickelt sich sehr schnellin der Wiener Sezession bei Klimt, Schiele und Kokoschka eine Darstellungdes Geschlechtlichen, das nicht mehr heroisch verschönt, verharmlostoder überhöht wird, sondern wirklich in seiner Nacktheit und Lustpräsent wird. Sexualität ist nicht nur ein Gefühl, sondern konkrete undgelebte Genitalität.Courbets Gemälde ‚l’origine du monde‘ stellt bereits 1868 das weiblicheGeschlecht <strong>als</strong> den „Ursprung der Welt“ dar. Ein Skandal. Rodin wirdbeauftragt, eine Skulptur Victor Hugos, des berühmten Schriftstellers, zuschaffen. Er will den Dichter nackt und von Musen umgeben darstellen,<strong>die</strong>ser Entwurf wird allerdings abgelehnt. Rodin hat in seinen Zeichnun-<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 4


gen, aber auch in seinen Skulpturen ebenfalls ganz klar Sexualität thematisiertund sichtbar gemacht. Wenn Freud in Paris bei Charcot „Phänomeneder Hysterie“ stu<strong>die</strong>rte, so kann <strong>die</strong>se kulturhistorische Vor- undBegleitgeschichte nicht außer Acht gelassen werden.In Wien selbst gibt es von Gustav Klimt <strong>die</strong> Ausmalung des Universitätstreppenhausesund dort eine Darstellung der Medizin, <strong>die</strong> sich unmittelbarauf Sexualität und Psyche bezieht, auch hier engste Verbindungen,<strong>die</strong> allerdings von unserem Autor nicht angesprochen werden. Dereinzige Bezug im Buch ist ein Brief des Schriftstellers, „Skandalautors"Artur Schnitzler an Freud, in dem letzterer Freud bekennt, sehr stark vonihm beeinflusst zu sein. Die umgekehrte Beeinflussung, nämlich <strong>die</strong> desDoktor Freud durch <strong>die</strong> ihn umgebende Kultur Wiens, wird m. E. vernachlässigt.Zur Musikgeschichte liessen sich ebenfalls Parallelen ziehen, das sollhier jedoch unterbleiben, es sprengte den Rahmen einer Rezension völlig.Das Buch ist ohne Zweifel reich an Informationen, außerordentlich umfangreich,was <strong>die</strong> Seitenzahl angeht, vom Stil her gut zu lesen, von derFülle der Namen manchmal allerdings ermüdend.Ich würde es niemandem empfehlen, der sich eine erste oder eine zweiteInformation über <strong>die</strong> Entstehung der Psychoanalyse, ihre Weltsicht,ihre Theorien und therapeutischen Ansätze verschaffen möchte. Ichwürde es aber durchaus jenen empfehlen, <strong>die</strong> schon einiges wissen, <strong>die</strong>ihr Wissen erweitern wollen und <strong>die</strong> vor allem daran interessiert sind, <strong>die</strong>Entwicklung der Psychoanalyse <strong>als</strong> Entwicklung eines dynamischenKreises zu verstehen.<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 5


<strong>Basale</strong> Stimulation?Für <strong>die</strong> Leser der Website <strong>Basale</strong> Stimulation stellt sich sicherlich <strong>die</strong>Frage, warum <strong>die</strong>se Rezension hier auf <strong>die</strong>ser Seite angeboten wird. Soeng sind <strong>die</strong> Beziehungen zur Psychoanalyse nicht, wenige psychoanalytischvorgebildete oder gar therapeutisch Tätige sind auch im Konzept<strong>Basale</strong> Stimulation beheimatet.Es kommt ein ziemlich vermessener, aber dennoch nicht gänzlich unmöglicherGedanke hinzu.Da „erfindet“ einer, nämlich Dr. Freud, etwas Neues. Er entwickelt einenneuen gedanklichen Zugang zur Seele und ihrer Dynamik. Er erkennt,welche Bedeutung sie für jeden einzelnen Menschen und für dasmenschliche Zusammenleben hat. Da gibt es einen neuen Verstehensversuch,der fasziniert, bringt neue Perspektiven, vor allem auch neueTherapien und Heilmöglichkeiten.Andere kluge Köpfe kommen hinzu, Männer und Frauen, Patientenerfahrungfließt ein. Es entsteht eine größere werdende Aufmerksamkeit, Lernende,Stu<strong>die</strong>rende wollen zusehen, wollen etwas übernehmen, selbermachen und weiterentwickeln. Es gibt eine Ausbildung, es entstehenMeister-Schüler-Verhältnisse, Lehrsätze werden formuliert, schriftlicheFestlegungen erfolgen, um <strong>die</strong> Gruppe, <strong>die</strong> sich ständig vergrößert, auchinhaltlich, gedanklich zusammen zu halten.Ein Konzept entsteht.Wer sich für <strong>Basale</strong> Stimulation <strong>als</strong> Konzept interessiert, der kann ausMakaris Buch einiges nehmen. Das geht nicht eins zu eins, Makarischreibt über Freud, schreibt über eine etablierte, weltweit anerkannteund auch kritisch betrachtete Therapie. Es wäre zu hoch gegriffen, hiereinen direkten Vergleich ziehen zu wollen. Dennoch: Jährliche Treffen,Kongresse werden organisiert, eine internationale Vereinigung wird gegründet.<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 6


Unterschiedliche Berufsgruppen, unterschiedliche kulturelle Hintergründe,verschiedene Religionen geeint in dem Bemühen um Verstehen desMenschen und auf der Suche nach Möglichkeiten der Begleitung sinddurchaus Vergleichbarkeiten.Es ist manchmal sehr beruhigend zu sehen, dass Andere, Größere,längst Anerkannte ganz ähnliche Schwierigkeiten zu meistern, kritischePhasen zu durchlaufen hatten.Die Auseinanderesetzung mit den naturwissenschaftlich Orientierten, mitden Standardisierern, mit den heutigen Vertretern einer Evidenz basiertenMedizin oder Pflege begleitet auch <strong>die</strong> Psychoanalyse. Auch sie erweistsich oft <strong>als</strong> zu komplex, <strong>als</strong> zu ganzheitlich in ihrem Anspruch, <strong>als</strong>dass eindeutige lineare, kausale Wirksamkeitsprüfungen vorgenommenwerden könnten. Ein Problem, eine Schwierigkeit, eine Herausforderung,für <strong>die</strong> sich noch Lösungen finden müssen…Unter <strong>die</strong>sem Aspekt hat sich für mich <strong>die</strong> Beschäftigung mit MarkarisDarstellung gelohnt.Es wird bestimmt ein Buch bleiben, in das ich immer wieder hineinschaue.Dank des gut gegliederten Namens- und Sachverzeichnisseswird es eher ein Nachschlagewerk werden <strong>als</strong> eine fortlaufende Bettlektüre.NachwortFür Pädagogen, besonders Heilpädagogen, ist <strong>die</strong> Psychoanalyse oderin einem weiteren Sinn <strong>die</strong> Tiefenpsychologie nicht wegzudenken, sie istunverzichtbar, wenn auch sicherlich nicht „alternativlos“. Die Arbeitenvon René Spitz gehören zum festen Bestand der Hospitalismusfor-<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 7


schung. Die kinderpsychologischen Betrachtungen von Anna Freud, derTochter Sigmund Freuds, sind nach wie vor bedeutsam. Bettelheim undMaud Mannoni haben Wichtiges beigesteuert. Der Schweizer HansZulliger, der mich in meiner Arbeit sehr stark beeinflusst hat, oder auchVictor Frankl, der für <strong>die</strong> Pflege einige Bedeutung hat.Alfred Adler und sein Gedanke vom „Körper - Ich“ sind im Konzept <strong>Basale</strong>Stimulation nicht weg zu denken.Die Reihe ließe sich lange fortsetzen, hier soll nur angedeutet werden,dass psychoanalytisches Denken nicht eine exotische Disziplin auf derCouch ist, sondern hilft, das Leben und <strong>die</strong> individuelle Entwicklung besserzu verstehen.Prof. Dr. Andreas Fröhlich im Frühjahr 2012<strong>Buchbesprechung</strong>_Makari 8

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