Von Teenies bis Oldies: Lebenszyklen im Wandel - Klinikmagazin
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LWL-REhABILITATIONSZENTRuM SüDWESTFALEN<br />
Im Haus Schmidt werden abhängigkeitskranke Senioren behandelt.<br />
Wenn nichts mehr Sinn macht<br />
Im Alter steigt die Gefahr von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit<br />
Art und Ausmaß von Suchtgefahren und<br />
Suchtproblemen bei Menschen <strong>im</strong> höheren<br />
Lebensalter sind <strong>im</strong>mer noch weitgehend<br />
weiße Flecken auf der Landkarte der Suchthilfe.<br />
Es gibt kaum konkrete Erkenntnisse<br />
und an repräsentativen Untersuchungen<br />
mangelt es. Die wenigen verfügbaren statistischen<br />
Angaben zeigen allerdings einen<br />
deutlichen Anstieg des täglichen Konsums<br />
von Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmitteln<br />
sowie von Alkohol bei Frau-<br />
en ab dem 60. und bei Männern<br />
ab dem 70. Lebensjahr.<br />
Häufigerer Konsum bedeutet<br />
aber nicht automatisch häufigere<br />
Sucht: Man geht zurzeit<br />
davon aus, dass etwa zwei <strong>bis</strong><br />
zehn Prozent der Menschen ab dem 60.<br />
Lebensjahr und zwei <strong>bis</strong> fünf Prozent ab<br />
dem 75. Lebensjahr Zeichen einer Suchterkrankung<br />
aufweisen. Diese Angaben sind<br />
relativ grob und dienen daher lediglich als<br />
Anhaltspunkte. Dennoch machen sie deutlich,<br />
dass es keine eindeutigen epidemiologischen<br />
Angaben über das Ausmaß schädlichen<br />
Konsums bei Senioren gibt. Die Praxis<br />
zeigt aber, dass Suchterkrankungen (Alkohol-<br />
und Medikamentenabhängigkeit) mit<br />
steigendem Alter tendenziell zunehmen.<br />
Dabei muss man wissen, dass die Verträglichkeit<br />
von Alkohol <strong>im</strong> höheren Lebensalter<br />
abn<strong>im</strong>mt. Das hat mehrere Gründe:<br />
Mit steigendem Alter sinkt der Wasseranteil<br />
<strong>im</strong> Körper. Die gleiche Menge getrunkenen<br />
Alkohols verteilt sich bei älteren<br />
Menschen deshalb auf weniger Körperflüssigkeit<br />
und führt zu einem höheren Alkoholspiegel<br />
<strong>im</strong> Blut. Zugleich braucht die<br />
Leber länger für den Abbau des Alkohols.<br />
Mengen, die früher problemlos vertragen<br />
wurden, können deshalb zu Trunkenheit<br />
und dadurch zu Stürzen und anderen Unfällen<br />
führen.<br />
Im höheren Alter ist eventuell aufgrund<br />
chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck,<br />
Osteoporose,<br />
Die Verträglichkeit<br />
von<br />
Alkohol sinkt<br />
<strong>im</strong> Alter<br />
Herzschwäche oder Arteriosklerose<br />
die regelmäßige<br />
Einnahme von Medikamenten<br />
erforderlich.<br />
Zwischen den Wirkstoffen<br />
vieler Medikamente und<br />
Alkohol kann es dabei zu gesundheitsschädigenden<br />
und sogar gefährlichen Wechselwirkungen<br />
kommen. Besonders problematisch<br />
ist die Kombination von Alkohol und<br />
psychisch wirksamen Medikamenten wie<br />
Schlaf- und Beruhigungsmitteln oder Antidepressiva.<br />
Alkohol belastet ganz allgemein den<br />
Organismus und mindert die geistige und<br />
körperliche Leistungsfähigkeit. Das liegt<br />
u. a. daran, dass die Nervenzellen allein zum<br />
Abbau des Alkohols rund 80 Prozent des<br />
Zellsauerstoffes benötigen. Das ist umso<br />
schwerwiegender, da die Fähigkeit des Körpers,<br />
Sauerstoff aufzunehmen, <strong>im</strong> Alter zurückgeht.<br />
Eine Abnahme der geistigen und<br />
körperlichen Leistungsfähigkeit kann also<br />
durch Alkoholkonsum mit verursacht sein.<br />
überfordert durch die rasante<br />
(technische) Entwicklung?<br />
Aber was veranlasst Menschen, die (in den<br />
meisten Fällen) in ihrem <strong>bis</strong>herigen Leben<br />
„ihren Mann, bzw. ihre Frau“ gestanden<br />
haben, es also durchaus geschafft haben,<br />
ihr Leben zu meistern, <strong>im</strong> höheren Alter<br />
verstärkt Alkohol und/oder Medikamente<br />
zu konsumieren? Um es gleich vorweg zu<br />
nehmen: Es hat – <strong>bis</strong> auf wenige Ausnahmen<br />
– nichts mit Überforderung zu tun.<br />
Unsere klinische Erfahrung zeigt, dass die<br />
Annahme, ältere Menschen wären z. B.<br />
durch die rasante (technische) Entwicklung<br />
der letzten Jahren überfordert und könnten<br />
mit der daraus entstehenden Frustration<br />
nicht umgehen, falsch ist.<br />
Wenn Überforderung in der späten<br />
Sucht entwicklung eine Rolle spielt, sind<br />
es durchgängig die Betroffenen selbst,<br />
die sich überfordern. Dabei kann man <strong>im</strong><br />
Grundsatz <strong>im</strong>mer das gleiche Schema feststellen:<br />
Mit Erreichen der Altersrente steht<br />
plötzlich viel Zeit zur Verfügung. Diese Zeit<br />
wird dann gefüllt mit der Übernahme unterschiedlicher<br />
Aktivitäten, wie Unterstützung<br />
der (erwachsenen) Kinder bei ihrer<br />
täglichen Hausarbeit, Betreuung von Enkelkindern,<br />
Projekte <strong>im</strong> Bereich der „eigenen<br />
vier Wände“, Engagement <strong>im</strong> sozialen Bereich,<br />
Übernahme von Funktionen in unterschiedlichen<br />
Gruppen und Vereinen, usw. –<br />
<strong>im</strong>mer getreu dem Motto: „Ein Rentner hat<br />
alles, nur keine Zeit!“<br />
<strong>Klinikmagazin</strong> Nr. 15 2012 17<br />
Foto: lwl/Harnacke