Dr. h. c. Annemarie Renger - Mitmischen.de
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die sie in ihrem Elternhaus empfangen hatte. In dieser Familie war alles sozial<strong>de</strong>mokratisch.<br />
Der Großvater war aktiver Sozial<strong>de</strong>mokrat. Der Vater, Fritz Wildung, war Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
sozial<strong>de</strong>mokratischen Arbeitersportbewegung. Die Mutter war seit 1908 – <strong>de</strong>m Jahr, in <strong>de</strong>m<br />
Frauen erstmals in die Partei eintreten konnten – selbstverständlich Mitglied <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />
Partei. Die Brü<strong>de</strong>r waren in <strong>de</strong>r Arbeiterjugend, und <strong>Annemarie</strong> las die<br />
Weltbühne von Carl von Ossietzky und war Mitglied in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rfreun<strong>de</strong>bewegung.<br />
Die sozial<strong>de</strong>mokratischen Politiker Paul Löbe, <strong>de</strong>r Reichstagspräsi<strong>de</strong>nt, und Carl Severing,<br />
<strong>de</strong>r kämpferische preußische Innenminister, waren häufige Gäste in ihrem Elternhaus.<br />
Natürlich ging es in <strong>de</strong>n Gesprächen immer um Politik. So wur<strong>de</strong> <strong>Annemarie</strong> <strong>Renger</strong> sehr<br />
früh mit <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Politik vertraut. Sie lernte, Gut und Böse zu unterschei<strong>de</strong>n. Vor allem<br />
aber lernte sie, eine Haltung einzunehmen und eine innere Festigkeit zu entwickeln. Nur so<br />
ist es zu erklären, warum sie bereits als 14-jähriges Mädchen Abscheu empfand, wenn sie mit<br />
an<strong>de</strong>ren Schülern auf <strong>de</strong>r Wilhelmstraße in Berlin Hitler und <strong>de</strong>n Nationalsozialisten bei<br />
ihren Aufmärschen applaudieren sollte.<br />
In Berlin besuchte <strong>Annemarie</strong> <strong>Renger</strong> das Augusta-Lyzeum, von <strong>de</strong>m sie 1934 verwiesen<br />
wur<strong>de</strong>, weil ihr wegen <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Gesinnung ihrer Eltern ein damals noch<br />
notwendiges Stipendium verweigert wur<strong>de</strong>. Auch ihr Vater wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Nazis verfolgt<br />
und mit Berufsverbot belegt. So brach mit <strong>de</strong>r Machtergreifung <strong>de</strong>r Nationalsozialisten die<br />
noch halbwegs heile sozial<strong>de</strong>mokratische Welt zusammen. Die Familie tauchte ab, vermied<br />
je<strong>de</strong> Berührung mit <strong>de</strong>n Nationalsozialisten.<br />
Diese elementaren Erfahrungen haben <strong>Annemarie</strong> <strong>Renger</strong> geprägt. Nicht nur die Familie,<br />
auch das gesamte sozial<strong>de</strong>mokratische Umfeld erfuhr sie als eine Heimat, die in Zeiten <strong>de</strong>r<br />
Verfolgung und Unterdrückung Schutz und Sicherheit bot. Sie hat die SPD also nicht nur<br />
als eine politische Interessenvertretung wahrgenommen, son<strong>de</strong>rn vor allem als eine Gemeinschaft<br />
von Gleichgesinnten. Diese Gemeinschaft sprach nicht nur <strong>de</strong>n Verstand, son<strong>de</strong>rn<br />
auch Herz und Gefühl an. Hier lernte sie, die Welt nicht nur zu betrachten, son<strong>de</strong>rn im<br />
wahrsten Sinne <strong>de</strong>s Wortes zu begreifen. Hier fand sie Halt. Hier entstand <strong>de</strong>r Wille, die Welt<br />
verbessern zu helfen. Die Bindungen und Formungen, die hier entwickelt wur<strong>de</strong>n, waren so<br />
stark, dass sie ein Leben lang hielten.<br />
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass es solche Lebensläufe, Lebensläufe, die in<br />
Milieus verankert sind – seien sie politisch o<strong>de</strong>r konfessionell geprägt –, heute kaum noch<br />
gibt. Das mag in einer Welt <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Globalisierung, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mensch immer stärker<br />
unter <strong>de</strong>r Maxime <strong>de</strong>r Ökonomie betrachtet wird, unvermeidlich sein. Aber <strong>de</strong>nnoch<br />
sind es gera<strong>de</strong> solche gesellschaftlichen Zusammenhänge, die schützen, die Orientierung<br />
geben und auch Kraft verleihen.<br />
<strong>Annemarie</strong> <strong>Renger</strong> brauchte diese Kraft, um die schrecklichen Folgen <strong>de</strong>s Krieges zu<br />
überwin<strong>de</strong>n und an einem Neuanfang mitzuwirken. Denn <strong>de</strong>r Zweite Weltkrieg schnitt tief<br />
in die Familie ein: Sie verlor drei Brü<strong>de</strong>r und ihren Ehemann. Der gemeinsame Sohn Rolf<br />
hat seinen Vater nie richtig kennenlernen dürfen.<br />
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