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Drogenkonsum in der Kontrollgesellschaft

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entsprechend darzustellen. Dies ist <strong>der</strong> Sündenfall <strong>der</strong> späten Mo<strong>der</strong>ne.Entmoralisierung gilt ebenfalls für die Mechanismen <strong>der</strong> Kontrolle selbst, handele es sich umDrogentests, Videoüberwachung o<strong>der</strong> Zugangsprüfungen. Sie alle s<strong>in</strong>d und funktionieren völligwertneutral, technologisieren die Kontrolle <strong>der</strong> <strong>Kontrollgesellschaft</strong> und registrieren lediglichsituativ, was <strong>der</strong> Fall ist. Dennoch führen paradoxerweise solche Prozesse <strong>der</strong> Entmoralisierungzu e<strong>in</strong>er neuen, durchaus moralisch befrachteten Ordnung. So s<strong>in</strong>d Drogentests zwar e<strong>in</strong>erseits -und das macht die spezifischen Verschränkungen aus - e<strong>in</strong>e entmoralisierte Technologie, diedar<strong>in</strong> geknüpften Konsequenzen jedoch s<strong>in</strong>d von zutiefst moralischem Charakter. Auf solcheWeise verhüllen a-moralische Kontrollpraktiken das, was tatsächlich geschieht. Es geschehennämlich Prozesse <strong>der</strong> sozialen Selektion, die auf e<strong>in</strong>e technologisierte und ganz a-moralischdaherkommende Weise die Bevölkerung sortieren, lokal, sozial, ökonomisch. Nicht nurdeswegen, weil die Kontrollformen sich a-moralisch geben, lösen sich dabei allerd<strong>in</strong>gstraditionelle Stigmazuschreibungen, wie die Sucht e<strong>in</strong>e darstellt, tendenziell auf; ihreNormalisierung geschieht auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund, dass die Konsequenzen dieses Selektionsprozessesnicht mehr mit moralischen Bewertungen verbunden, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> zynischerSachlichkeit lediglich verbucht werden. Gerade <strong>der</strong> Verzicht auf Normalisierung im S<strong>in</strong>ne vonKorrektur ermöglicht auch e<strong>in</strong>e gewisse Veralltäglichung. Denn nicht <strong>Drogenkonsum</strong> ist das,was <strong>der</strong> Kontrolle unterliegt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Aufenthalt <strong>der</strong> Konsumenten im Raum - <strong>in</strong> Fixerräumens<strong>in</strong>d sie zugelassen, <strong>in</strong> Innenstadtbereichen nicht; nicht <strong>der</strong> Rausch muß kontrolliertwerden, son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong>e angemessene Stilisierung an den rechten Orten und se<strong>in</strong>e Darstellung alsMedium <strong>der</strong> Dist<strong>in</strong>ktion. Der flexible Mensch hat neue Regeln für den Umgang mit sich und <strong>der</strong>Welt und nicht zuletzt auch im Umgang mit se<strong>in</strong>er Selbstkontrolle zu lernen: er hat sich situationsgerechtzu verkörpern, dabei das Erlebnis-Bewußtse<strong>in</strong> des Rausches zu generieren unddennoch reflexive Distanz beizubehalten. Mißl<strong>in</strong>gt ihm das, hat er sich <strong>in</strong> die Marg<strong>in</strong>alität <strong>der</strong>Räume zurückzuziehen, die als Reservate des Mißl<strong>in</strong>gens bereitgestellt s<strong>in</strong>d - ohne Stigma, aberauch ohne Chancen sozialer Partizipation.Lassen Sie mich zum Schluss e<strong>in</strong>en historischen Bogen schlagen. Wir wissen, wie wenigrestriktiv, wie normativ ungehemmt und den Notwendigkeiten e<strong>in</strong>er ver<strong>in</strong>nerlichten Selbstkontrolleenthoben das Tr<strong>in</strong>ken von Alkohol im Mittelalter stattgefunden hat. 20 Es kann natürlich -nicht davon die Rede se<strong>in</strong>, nun brächen wie<strong>der</strong> mittelalterliche Verhältnisse an; e<strong>in</strong> Element <strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>holung aber liegt dar<strong>in</strong>, dass tatsächlich e<strong>in</strong>ige Restriktionen des Rausches, die dieMo<strong>der</strong>ne aus funktionalen Gründen etabliert hat, nun aufgehoben s<strong>in</strong>d und <strong>der</strong> Rausch, mehr als<strong>in</strong> den letzten zweihun<strong>der</strong>t Jahren <strong>der</strong> Fall, wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Medium von Selbstdarstellung wird. DieTechniken <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung, die die Mo<strong>der</strong>ne zur Bändigung unvermittelter Triebkräftee<strong>in</strong>setzte, s<strong>in</strong>d nicht völlig verschwunden, aber sie werden zunehmend ersetzt durch e<strong>in</strong>e a-moralisch daherkommende Kontrollstrategie, die nicht mehr auf E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung und korrigierendeKontrolle <strong>der</strong> Individuen setzt, son<strong>der</strong>n lediglich auf konstatierende Kontrolle, aus <strong>der</strong> dann ggf.exkludierende, also ausschliessende Konsequenzen gezogen werden. <strong>Kontrollgesellschaft</strong>etabliert durchaus neue Freiheitsspielräume, die es vorher nicht gab, und sie verzichtetweitgehend auf jene normierenden Grenzen, die auch den Rausch e<strong>in</strong>gebunden und diszipl<strong>in</strong>ierthaben. Genau dies lässt sich als e<strong>in</strong>e Farce <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung auffassen: bildet das Mittelalter dieZeit vor <strong>der</strong> Individualisierung <strong>der</strong> Individuen und ihrer diszipl<strong>in</strong>är gesteuerten E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung, e<strong>in</strong>eZeit <strong>der</strong> rauschhaften Ungebundenheit vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er ständischen Ordnung, sobildet die späte Mo<strong>der</strong>ne die Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich solche rauschhafte Ungebundenheit wie<strong>der</strong>etablieren kann - als e<strong>in</strong> Mittel <strong>der</strong> Individuierung, Selbststilisierung und Herstellung vonDifferenz. Diszipl<strong>in</strong>ierung als dom<strong>in</strong>antes Ziel <strong>der</strong> Kontrolle dagegen schw<strong>in</strong>det, und ständische8

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