SENEGALFISCHER BERICHTEN MARIAME SOW ÜBER DIE ZEIT, ALS IHRE SÖHNE DIE PIROGENBENUTZTEN, UM MENSCHEN NACH SPANIEN ZU BRINGEN40ENTWICKLUNG UNDAUSWANDERUNGVor allem die Migrant_innen in Europa, NordundSüdamerika unterstützen ihre Familien im Senegalmit Rücküberweisungen. Sie bauen Häuser,finanzieren den Schulbesuch, die Kosten für Gesundheitsversorgungund investieren in Geschäfte.Zwischen 2000 und 2006 stiegen nach Berechnungender Weltbank die Rücküberweisungen in den Senegalvon 233 auf 633 Millionen US- Dollar. Die Gelderund Investitionen von Migrant_innen sind einewichtige und notwendige Quelle für die wirtschaftlicheEntwicklung des Senegal. Weil diese Entwicklungvielfach nur die Familien und Angehörigen der Migrant_innenund nicht die gesamte Bevölkerungerreicht, sorgen die aus der Migration resultierendenWohlstandsunterschiede dafür, dass Auswanderungeine attraktive Alternative zu den fehlenden Einkommensmöglichkeitenin vielen Regionen des Senegalbleibt. Weil legale Migrationsmöglichkeitenin das naheliegende Europa für die meisten inzwischenjedoch verschlossen sind, werden neben irregulärenRouten auch alternative Zielländer wiedie Golfstaaten oder Argentinien erschlossen.Spanien pflegte schon vor dem Exodus auf diekanarischen Inseln eine enge Zusammenarbeit mitSenegal, das den Status eines privilegierten Partnersin der spanischen Entwicklungspolitik genießt.2003 eröffnete Spanien ein Büro für technischeEntwicklungszusammenarbeit in Dakar. Dies wardie Grundlage für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeitder beiden Staaten, die in ihrer Ausrichtungauf Migrationsverhinderung die Ziele desspanischen Plan África vorwegnahm. Im Frühjahr2006 wurde so der Plan REVA, der Plan de retourvers l’agriculture, der Rückkehr zur Landwirtschaft,vereinbart. Das von der senegalesischen Regierunggeleitete Projekt umfasste die Errichtung von 550
SENEGALmodern geführten Modellfarmen zwischen 2006und 2008, die 300.000 direkte Arbeitsplätze in derLandwirtschaft, der Vermarktung und dem Transportvon Erzeugnissen schaffen sollten, sowie zahlreicheweitere mit dem Projekt zusammenhängende Arbeitsplätze.Spanien unterstützte den Plan REVAmit 10 Millionen Euro, ein weiteres Modellprojektin Djilakh mit zusätzlich 530.000 Euro. Das ehrgeizigeZiel des unter der Beteiligung von spanischen Entwicklungsorganisationendurchgeführten Projektes:Die landwirtschaftliche Entwicklung des Senegalsollte einen entscheidenden Impuls bekommen undsowohl die Selbstversorgung des Landes mit Lebensmittelnals auch den Export von Lebensmittelnbeleben. Die Landflucht sollte gestoppt werden, indemjungen Menschen attraktive Verdienstmöglichkeitenauf dem Land geboten würden, und auchdie Auswanderung nach Europa sollte das Projektstoppen, indem es inländische Alternativen böte.Schließlich sollten auch Rückkehrer und Abgeschobeneaus Spanien in die landwirtschaftliche Produktioneingebunden werden und so eine Chanceauf Reintegration erhalten. Die zeitliche Koinzidenzzwischen der spanischen Bereitstellung von 10 MillionenEuro für das Projekt und der Bereitschaftdes senegalesischen Präsidenten Wade zur Rückübernahmevon Abgeschobenen aus Spanien imSommer 2006 legt nahe, dass Spanien sich die Zustimmungzu Abschiebungen in den Senegal mitEntwicklungshilfe erkauft hat.Ein hoher Preis für leere Versprechen? Eine vonder Universidad Autonoma in Madrid durchgeführteStudie stellte fest, dass vom Plan REVA bis Anfang2008 lediglich das Modellprojekt von Djilakh umgesetztwurde. An den übrigen anvisierten Standortenwiesen lediglich Schilder auf die geplante Einrichtungvon Farmen hin. Auch das Projekt in Djilakh wiesso viele Defizite auf, dass die Madrider Forscher_innenzu dem Urteil kamen, dass die hochfliegendenZiele so nicht zu erreichen seien. Der Versuch, diesenegalesische Jugend für die Landwirtschaft zubegeistern, scheiterte schon im Modellprojekt unteranderem an Missmanagement, zentralistischer Kontrolleund mangelnder Einbindung der lokalen Bevölkerung,geringen Verdienstmöglichkeiten, Ausfällender Ernteerträge und einseitiger Ausrichtungauf Exportprodukte. Auch die Integration von Abgeschobenenin das Projekt wurde nicht realisiert.RECHT ZU BLEIBEN, RECHTZU GEHENDie Kooperation zwischen Spanien und Senegalist ein Beispiel für das Scheitern einer Politik, dieMigration und Entwicklung miteinander verbindenwill. Unter den Gründen für dieses Scheitern istdie Kollaboration auf Regierungsebene wesentlich.Die spanische und die senegalesische Regierungverbindet eine enge Kooperation, bei der Migrant_innenund Migrationswillige zu Objekten degradiertwerden. Das gelingt bei Überwachung und Kontrolleund misslingt bei Entwicklung. Spanische und senegalesischeInteressen der Bevölkerungs- und Mobilitätskontrollefanden Lösungen lediglich im repressivenBereich und scheiterten in der Schaffungvon Alternativen. Wenn auch die einfache Gleichung„Kampf gegen Armut als Kampf gegen Migrationsursachenführt zu weniger Migration“ mit Skepsiszu betrachten ist, so böte eine auf Arbeitsplätzeausgerichtete Entwicklungspolitik potentiellen Migrant_innendie Möglichkeit, Alternativen wahrzunehmen.Das Beispiel Senegal zeigt, dass eineEntwicklungspolitik, die in den Dienst von Migrationsbekämpfunggestellt wird, nicht wirkt. Undgerade die Fischerei zeigt, wie fragwürdig schonder Anspruch ist. Vor Senegals Küsten fischen zahlreichespanische Schiffe unter senegalesischer Flagge,die ihren Fang jedoch nicht im Senegal, sondern inSpanien verarbeiten lassen. Spanische und senegalesischeGeschäftsleute machen gemeinsame Sacheund unterlaufen bestehende Vorschriften. DieserProzess, durch den Tausende Arbeitsplätze in dersenegalesischen Fischverarbeitungsindustrie verlorengehen, wird zudem von der EU subventioniert. Dienegativen Folgen einer solchen Politik können nichtmit fragwürdigen Entwicklungsprojekten kompensiertwerden.Ohne auf die Forderung nach Bewegungsfreiheitzu verzichten, bleibt die Forderung nach einem Rechtzu bleiben bestehen: einem Recht auf ein menschenwürdigesAuskommen. Sonst bleibt von der Bewegungsfreiheitnur der Zwang zur Migration.41