Deutsche Forschungsgemeinschaft Tierversuche in der Forschung ...

Begriff der »experimentellen Medizin.«
Die französischen Forscher ermittelten die
konkreten Leistungen des tierischen Körpers
im vivisektorischen Experiment,
indem sie z. B. die Einflüsse von Wärme,
Kälte, Giften oder Hunger auf den tierischen
Organismus prüften. Hierzulande -
ein Wegbereiter war Carl Ludwig (1816-
1895) - versuchte man dagegen die physiologischen
Prozesse auf elementare physikalisch-chemische
Gesetzmäßigkeiten zu
reduzieren, eine entscheidende Voraussetzung
für die Entwicklung einer iatrotechnischen
Denkweise. Manipulation der
Lebensvorgänge sollte der Medizin neue
Möglichkeiten erschließen. Im vivisektorischen
analytischen Experiment wurde mit
entsprechenden Geräten versucht, die absoluten
Werte der Leistungen zu messen. Ein
Großteil des physiologischen Fortschritts
im 19. Jahrhundert ist deutschen Physikern
und den von ihnen entwickelten Apparaturen
für physiologische Experimente zu
verdanken.
In dem großen Laboratorium des von
Ludwig geleiteten Physiologischen Instituts
an der Universität Leipzig arbeiteten
Studierende aus aller Welt. Ludwig galt als
glänzender Experimentator, empfand persönlich
aber Abneigung gegen Tierversuche
und war 1879/80 sogar Präsident des
Leipziger Tierschutzvereins. In der Lehre
suchte er nicht allein die Fertigkeit des
Experimentierens zu vermitteln, sondern
bemühte sich gleichermaßen um ethische
Aspekte des Tierversuchs. Unter Verzicht
nicht klar angelegter Versuche bestand er
auf schonendster Behandlung der Tiere und
forderte die saubere und - wenn der Versuch
es zuließ - unter Narkose schmerzfreie
Durchführung des Experiments. 5 Um
1870 war das neue Organismusbild - mit
tiefgreifenden Konsequenzen für die
Theorie der Krankheit - voll entwickelt:
»Der Organismus ist ein gesetzlich arbeitendes,
determiniertes, kausalgesetzlich
funktionierendes physikalisch-chemisches
System.« 6 Damit stand das iatrotechnische
Konzept und setzte sich bis zum Ende des
19. Jahrhunderts endgültig durch. Wie man
die Rolle des Tierversuchs in diesem Zusammenhang
einschätzte, faßt Rothschuh
wie folgt zusammen: »Die Methode zur
Aufklärung der Funktionsweise der Teile
ist das Experiment, analog dem Vorgehen
in Physik und Chemie. Allerdings muß es
in der Physiologie am lebenden Tier oder
an isolierten fortlebenden Teilen durchgeführt
werden. Es ist daher der Tierversuch
im Rahmen einer experimentellen
Medizin die maßgebliche Methode der
iatrotechnischen Medizin.« 7
Abb. 2: Claude Bernards Versuchsanordnung zum Studium der Hitzewirkung auf den
tierischen Organismus aus dem Jahre 1876 (aus H. Bretschneider: Der Streit um die
Vivisektion im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962, Abb. 5)
Durch den Zuwachs an Wissen und Spezialtechniken
verzweigte sich die Medizin
in immer neue Fächer. Im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts verlangte der professionelle
Standard in immer mehr Disziplinen
zunehmend das Tierexperiment.
Für experimentelle Forschung wurden nun
Mittel bereitgestellt und Institute eingerichtet.
»So gelangte die experimentelle
Tätigkeit aus dem privaten Kabinett
isolierter Gelehrter oder einem kleinen
Hinterzimmer im Spital in allseits sichtbare
Institute« 8 - und zur Kenntnis größerer
Bevölkerungskreise.
Die erste organisierte Massenbewegung
gegen Versuche mit lebenden Tieren formierte
sich Mitte der 60er Jahre des
vorigen Jahrhunderts in Großbritannien.
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Begonnen hatte jedoch die Auseinandersetzung
um die Vivisektion in Florenz,
ausgelöst durch in Italien lebende
Engländer. Die Angriffe galten Moritz
Schiff (1823-1896), einem Schüler
Magendies, der seit 1863 in Florenz wirkte.
Sein Hauptarbeitsgebiet war die Physiologie
des Nervensystems. Obwohl ihm
nachweislich keine Verfehlungen angelastet
werden konnten, stand er in der Folgezeit
im Mittelpunkt heftiger Anfeindungen.
Englische und Florentinische Zeitungen
druckten eine Flut von Leserbriefen, die
sich gegen den »Schandfleck« in Florenz
richteten. 9 Mit der »sehr gewandten Propagandistin«
10 Frances Power Cobbe
(1822-1904) an der Spitze - sie war schon
bei den Aktionen gegen Schiff treibende