Heimatfilm - Sissy
Heimatfilm - Sissy
Heimatfilm - Sissy
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
kino<br />
22<br />
EDITIoN SALZGEBEr<br />
Ostler<br />
In „Unter Männern“ macht sich der junge Filmemacher Ringo Rösener auf die Suche nach seinen Vorvätern: Schwulen<br />
in der DDR. Er findet sie und mit ihnen auch ein Stück von sich selbst. Der Film wurde nach der Uraufführung auf der<br />
Berlinale für den Teddy Award nominiert und startet am 26. April in den Kinos. Zwei Autoren, die als Schwule die DDR<br />
er-lebt haben, haben sich den Film angesehen und dazu positioniert.<br />
DAS ungeSAgte,<br />
AbeR mitgeDAchte<br />
von Paul Schulz<br />
s Will man Irgendetwas über persönliche Beziehungen<br />
in der DDR erfahren, gibt es dafür eigentlich nur zwei<br />
Quellen: Stasi-Akten und persönliche Gespräche mit<br />
denen, die dabei waren. Wobei die Stasi-Akten die verlässlicheren<br />
Auskünfte geben. Die Akribie und Wahllosigkeit,<br />
mit der der Apparat auch die kleinsten Details aus<br />
dem Leben seiner Beobachtungsobjekte katalogisierte,<br />
hilft hier, wenn man selbst in der Lage ist, eine Sortierung<br />
vorzunehmen – und ähnlich viel Zeit mitbringt wie<br />
die Sammler des Materials. Ansonsten gibt es wenig, was<br />
man gebrauchen könnte, um zu erfahren, wie es so war.<br />
Das ist so, weil sich über alles andere die staatstragend<br />
repressive Patina des Arbeiter- und Bauernstaates,<br />
die freundlich kolonialisierende Attitüde westdeutscher<br />
Berichterstattung über denselben oder der weichzeichnende<br />
Schleier der Erinnerung ans eigene Leben legt.<br />
Jedes Buch, jeder Artikel, jedes Foto, jeder Schnipsel<br />
Film, mit dem man heute historisch betrachtend arbeiten<br />
möchte, wurde in seinem Herstellungsprozess sanft oder<br />
unsanft auf seine Propaganda-Verwendbarkeit für die eine<br />
oder andere Seite abgeklopft. So ist das in Kriegen, zumal<br />
in kalten, die öffentlich eben hauptsächlich über Medien<br />
geführt wurden. Und die oft strikte Trennung zwischen<br />
privaten und öffentlichen Räumen im Bewusstsein von<br />
DDR-Bürgern ist zwar gut für die Reinerhaltung der einzelnen<br />
Auskünfte aus dem jeweiligen Gebiet, macht es für<br />
Außenstehende aber schwer, gedankliche Verbindungen<br />
zwischen ihnen herzustellen und zu belegen, wie genau<br />
sich staatliche Politik aufs Zwischenmenschliche ausgewirkt<br />
hat. Jeder, der in der DDR groß geworden ist, kennt<br />
das Phänomen des Ungesagten, aber Mitgedachten, das<br />
seine besten Ausdrücke deswegen in Metaphern, Witzen<br />
und Fabeln fand, weil man es umschreiben musste, um es<br />
überhaupt erfassen zu können. Aus diesem Grund reden<br />
Ostdeutsche und Westdeutsche auch 22 Jahre nach der<br />
Wende oft aneinander vorbei.<br />
Schwule in der DDR waren eine staatlich geduldete<br />
Untergrundkultur. Nicht so verfolgt wie andere, aber<br />
auch alles andere als gefördert. Die Artikel, Bücher und<br />
Filme über sie von vor 1989 passen bequem auf ein Regalbrett.<br />
Deswegen ist das Reden über sie und mit ihnen erst<br />
einmal eine Sammlung von Fakten, die sich wohl nicht<br />
einmal allen Interviewten in Unter Männern – Schwul in<br />
der DDR von Ringo Rösener und Markus Stein zu einem<br />
Gesamtbild erschließen wird, obwohl die beiden jungen<br />
„Unter der Dusche“ (Jürgen Wittdorf, 1964, Ausschnitt)<br />
kino<br />
Filmemacher ihr Möglichstes versuchen. Rösener wurde<br />
1983 in Anklam geboren, wusste nichts über schwules<br />
Leben in der DDR, wollte das ändern und begibt sich<br />
vor der Kamera auf die Suche nach seinen Vorvätern.<br />
Er bedient sich mit seinem filmisch autobiografischen<br />
Bericht über eigene Erkenntnisse eines im DDR-Kulturbetrieb<br />
gern genutzten Mittels, zu erzählen, was zu erzählen<br />
nicht erlaubt ist, weil man das Persönliche exemplarisch<br />
wiedergibt, während man parallel durch die postulierte<br />
„eigene“ Perspektive versucht, der politischen Instrumentalisierung<br />
des Gesagten zuvorzukommen. Was in<br />
Nachdenken über Christa T. geklappt hat, gelingt auch in<br />
Unter Männern hervorragend.<br />
Rösener und Stein lassen ihre völlig unterschiedlichen<br />
Protagonisten (vom punkig schillernden Star-<br />
Friseur bis zum verbitterten 80-Jährigen ist alles dabei)<br />
ihre eigenen Geschichten erzählen und so verdeutlichen:<br />
„Das schwule Leben“ in der DDR gab es gar nicht. Es<br />
gab eine Menge Einzelschicksale, die ihre Gemeinsamkeit<br />
nur daraus bezogen, anders als der Durchschnitt<br />
zu sein und so mit dem System in Konflikt zu geraten.<br />
Wenn Coiffeur Frank Schäfer fröhlich davon berichtet,<br />
wie er von einem Stasioffizier „quasi vergewaltigt“<br />
wurde, hat das mit der Biografie von Eduard Stapels,<br />
dem „Homopfarrer“ des wilden Ostens, der einer der<br />
ersten war, der innerhalb der Kirche Schwulengruppen<br />
gründete, in der persönlichen Wahrnehmung des jeweils<br />
Erzählenden nichts zu tun. Beide stehen aber für eine<br />
ganze Reihe ähnlicher Schicksale<br />
Die filmische Klammer, die Rösener für seine Suche<br />
findet, Ausschnitte aus Coming Out von 1989 mit seiner<br />
eigenen Perspektive des Spätgeborenen abzugleichen,<br />
funktioniert hinreichend, weil sie die Veränderung der<br />
letzten zwanzig Jahre gut illustriert, verdeutlicht aber<br />
auch, dass man den Film nicht einmal als Laser für die<br />
sechs Männer benutzen kann, die in Unter Männern<br />
beschrieben werden. Das Coming-out des ostdeutschen<br />
Schwulen wird durch diesen Widerspruch in seiner Verschiedenheit<br />
hübsch illustriert.<br />
Es wird spannend sein zu beobachten, wie Ost- und<br />
Westdeutsche den Film aufnehmen. Die Unterschiede<br />
werden groß sein, denn wo bei den einen ein Wiedererkennen<br />
möglich ist, bleibt den anderen immer noch und<br />
immer wieder nur ein Besuch im Zoo der Geschichte, in<br />
dem man den Tieren, die man betrachtet, mit größtmöglichem,<br />
aber beschränktem Einfühlungsgefühl begegnet.<br />
Dass klar zu erkennen ist, dass Rösener zur ersten<br />
Gruppe gehört, ist vielleicht das Spannendste an Unter<br />
Männern, weil es andeutet, dass es wohl eine Sehnsucht<br />
nach historisch stringenter Gemeinsamkeit gibt, die sich<br />
aus mehr als nur Sexualität speist. Das „Sehr wertvoll“<br />
für Unter Männern gab es schon während seiner Weltpremiere<br />
auf der Berlinale und zwar ganz zu Recht. s<br />
23