Heimatfilm - Sissy
Heimatfilm - Sissy
Heimatfilm - Sissy
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kino<br />
„Die Liebenden“ (2011)<br />
sind, interessieren mich nicht. Damals machten Leute wie Godard,<br />
Chabrol und Rivette Filme, weil sie Cinephile waren. Wenn man sich<br />
heute auf sie bezieht, wird einem gleich Nostalgie vorgeworfen. Die<br />
Probleme draußen auf der Straße soll man filmen, aber dieser Realismus<br />
ist doch bloße Konvention. Realismus und Wahrheit sind nicht<br />
dasselbe!<br />
Sie nehmen sich doch aber zumindest die Freiheit, neben einem großen<br />
Mainstream-Film mit Starbesetzung auch einen kleinen Experimentalfilm<br />
wie „Man at Bath“ zu drehen.<br />
Ich wusste, dass mich Die Liebenden lange in Anspruch nehmen<br />
würde, deswegen wollte ich davor etwas ganz anderes machen. Ich<br />
habe Man at Bath in einer Woche gedreht, ohne Drehbuch und mit<br />
Darstellern, die ich auf der Straße oder in einer Homobar gefunden<br />
habe. Es stimmt, dass ich diese Freiheit nutze. Aber in dem Film steckt<br />
auch kein Geld, deswegen habe ich da auch keinen Druck. Man at Bath<br />
ist sehr viel näher an den Filmen der Sechziger, vielleicht ist der Film<br />
sehr viel nostalgischer als Die Liebenden, in der Art wie er gedreht<br />
wurde. Stell deine Freundin oder deinen Freund vor die Kamera und<br />
fang an zu drehen, das reicht. Das ist für mich das Ideal der Nouvelle<br />
Vague. Man braucht kein großes Thema, um einen guten Film zu<br />
machen. Aber viele haben Man at Bath nicht verstanden. Sie haben<br />
nach Chanson der Liebe einen anderen Film erwartet. Aber für mich<br />
ist es sehr wichtig, beide Arten von Filmen machen zu können. Ich<br />
brauche diese kleinen Filme als Exorzismus. Und es ist beruhigend zu<br />
wissen, dass, wenn ich nächstes Jahr kein Geld für einen neuen Film<br />
bekommen sollte, ich immer Filme wie Man at Bath machen kann.<br />
Und wer weiß, vielleicht bin ich damit sogar glücklicher. Verstehen<br />
Sie mich nicht falsch, ich mag Die Liebenden wirklich sehr, aber in<br />
Man at Bath steckt viel Risiko.<br />
Und auch in Bezug auf Liebe und Beziehungen ist „Man at Bath“ ein<br />
Gegenstück zu „Die Liebenden“. Er zeigt, dass Beziehungen heute sehr<br />
viel komplizierter, aber auch freier sind, was etwa Geschlechterrollen<br />
angeht.<br />
Stimme ich voll zu. Mir ging es bei Die Liebenden um einen Vergleich<br />
zwischen der Generation meiner Eltern und meiner. Und Man at Bath<br />
wiederum handelt von einer neuen Generation, in der François Sagat<br />
wie ein Dinosaurier ist, ein altmodisches Modell aus den Neunzigern<br />
mit seinem muskulös überdefinierten Körper. Die heute Zwanzigjährigen<br />
definieren sich ganz anders, sie haben ein anderes Verständnis<br />
davon, was männlich ist. Und sie gehen sehr offen mit ihrer Sexualität<br />
um, die Orientierung ist da eher zweitrangig. Ich war sehr überrascht,<br />
als ich Jungs auf der Straße für den Film ansprach. Ich sagte, er ist mit<br />
einem Pornostar als Hauptdarsteller und etlichen Nacktszenen und<br />
stieß damit gleich auf große Begeisterung.<br />
Ist der Filmemacher Omar in „Man at Bath“ Ihr alter Ego?<br />
Ich wäre gerne wie Omar, aber er hat definitiv mehr Glamour als ich.<br />
Ich habe die Figur auch als Filmemacher angelegt, um Aufnahmen,<br />
SENATor ALAMoDE FILM<br />
„Man at Bath“ (2010)<br />
die ich selbst in New York gedreht hatte, als eine Art Tagebuch in den<br />
Film einzubauen.<br />
Neben Ihren eigenen Filmen haben Sie auch die Drehbücher zu Gaël<br />
Morels Filme „Brüder Liebe“ und „Après lui“ verfasst. Wie würden Sie<br />
ihr Verhältnis beschreiben?<br />
Ich habe nicht viele Freunde in der Branche und Gaël ist einer von<br />
ihnen. Ich mag ihn sehr. Wir sind beide nicht ursprünglich aus Paris,<br />
wir kommen beide aus der Provinz und sind in recht einfachen Verhältnissen<br />
aufgewachsen. Wir teilen also das Gefühl, in der französischen<br />
Filmfamilie nie so richtig dazuzugehören. Wir machen ganz<br />
unterschiedliche Filme, schätzen einander und das Urteil des anderen<br />
aber sehr. Und ich glaube auch, dass Man at Bath Gaël ermutigt<br />
hat, Unser Paradies zu drehen.<br />
Sie schreiben auch Romane und Kinderbücher. Gibt es einen roten<br />
Faden, der Ihre unterschiedlichen Werke zusammenhält?<br />
Literatur spielt auch in meinen Filmen eine große Rolle. Chanson der<br />
Liebe etwa habe ich basierend auf Liedtexten geschrieben, Ma mère<br />
ist nach einem Roman von George Bataille, Dans Paris von Salinger<br />
beeinflusst und auch in Die Liebenden sind Lieder sehr wichtig.<br />
Umgekehrt vergesse ich beim Schreiben eines Romans ganz den Filmemacher,<br />
weil es mir nicht weiterhilft. s<br />
Die liebenDen<br />
Von 1963 bis 2008 geht der reigen<br />
der Liebesaffären mehrerer Figuren<br />
in Honorés aktuellstem Spielfilm.<br />
Gegenübergestellt werden die<br />
elterngeneration, die sich in den<br />
1960ern sexuell emanzipiert,<br />
und die Generation des Autors<br />
und regisseurs, deren sexuelles<br />
erwachen unter dem Fanal von Aids<br />
stattfand. Honoré lässt Motive aus<br />
vielen seiner Filme zusammenfließen<br />
und variiert sie neu: Der Umgang<br />
mit Aids war schon das thema<br />
seines ersten Spielfilms „Mein<br />
Bruder Leo“, Gesangseinlagen<br />
gab es schon in „Chansons der<br />
Liebe“, die Beziehungen von<br />
Frauen zu schwulen Männern<br />
interessierte Honoré bereits in<br />
„17 Mal Cécile Cassard“. Auch<br />
in „Die Liebenden“ glaubt er<br />
an die Kraft des Kinos, nicht an<br />
sozialrealistische Beschreibungen.<br />
nur so kann er die disparaten<br />
elemente seiner erzählung in einen<br />
einzigen Film einfließen lassen.<br />
Die liebenden<br />
von Christophe Honoré<br />
FR 2011, 139 Minuten, deutsche SF<br />
Senator, www.senator.de<br />
Im Kino<br />
ab 3. Mai 2012<br />
mAn At bAth<br />
Der Film schildert in losen<br />
Bruchstücken das nachspiel einer<br />
zu Bruch gegangenen Beziehung<br />
zweier Männer, die sich beide<br />
beweisen müssen, dass sie auch<br />
ohne den anderen leben können.<br />
Während der eine (Omar Ben<br />
Sellem) nach new York fliegt, um<br />
seinen Film dort zu präsentieren, hat<br />
sein Partner (François Sagat) Zeit,<br />
aus der gemeinsamen Wohnung<br />
auszuziehen. In nebenrollen sind<br />
u.a. Chiara Mastroianni und die<br />
Ikone der US-amerikanischen Queer-<br />
Literatur Dennis Cooper zu sehen.<br />
Man at Bath<br />
von Christophe Honoré<br />
FR 2010, 72 Minuten, OmU<br />
Auf DvD ab 22. Juni 2012 bei Pierrot<br />
Le Fou, www.alamodefilm.de.<br />
Mehr dazu im nächsten Heft.<br />
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kino