Kammerinformationen100. Deutscher Ärztetag in Eisenach vom 27. bis 31. Mai <strong>1997</strong>Kein Streitüber die Neufassung der Weiterbildung in AllgemeinmedizinVielleicht lag es an der Thüringer Luft, derguten Küche oder der Freundlichkeit der Eisenacher:der 100. Deutsche Ärztetag verliefharmonisch. Dank konzentrierter Arbeit undkurzer Reden, auch von Minister Seehofer,war er einen Tag kürzer als geplant.Eröffnung in der Georgenkirchemit Bundespräsident Roman HerzogDer Bundespräsidentvermißte im Auditoriumbekannte Arztfigurenaus Fernsehserien,deren Beliebtheiter als Ausdruckder hohen Achtungund des Vertrauensin die ärztliche Arbeitwertete.Mit Blick auf die Beratungethischer Fragen und den vorliegendenEntwurf der Richtlinien für die Sterbebegleitungmahnte er, Maßstab sei der erkrankteMensch, nicht die Lebensqualität andereroder die Kostenbelastung der Solidargemeinschaft.Im Bereich der Gesundheitspolitik solltenhinter streitigen Details des Alltags diegrößeren Grundfragen erkennbar bleiben.Immer verbesserte Therapiemöglichkeitendürften nicht zu dem Irrglauben verleiten, allessei medizinisch machbar. Roman Herzogerinnerte an die Grenzen, die der Medizinbei ihrer Arbeit gesetzt sind und an die Grenzen,die die medizinische Forschung nichtüberschreiten sollte. Als Beispiel nannte erdas Verbot der Klonierung.Jeder einzelne müsse das Gefühl derprimären Verantwortung für die eigene Gesundheitbehalten.Der Bundespräsident erinnerte an die Spitzenstellung,die die GesundheitsversorgungDeutschlands einnimmt, aber „mancher Patientverhält sich heute so, als seien ärztlicheBehandlungen oder Medikamente kostenlose„freie“ Güter, und als sei Sparsamkeit unnötigund Verschwendung legitim. Und mancherAnbieter von Gesundheitsleistungen tut entsprechendesund holt heraus, was die Kassenhergeben.“Bei der Fortentwicklung des Gesundheitswesenswünschte er sich die Beachtung folgenderPrinzipien:- Eine Krankenversicherung ist für das medizinischNotwendige da, nicht für dassozialpolitisch Wünschenswerte.- Auch ein solidarisch organisiertes Gesundheitssystemdarf den Einzelnen nichtaus seiner Mitverantwortung entlassen.- Der sparsame Mitteleinsatz muß sichauch im Gesundheitswesen lohnen, Fehllenkungenmüssen vermieden werden.- Wir brauchen keine Einheitsmedizin, sonderneine Vielfalt von Therapiemöglichkeitenund Trägern medizinischer Leistungen.- Sparen muß so gestaltet werden, daßauch künftig kostenintensive Therapienmöglich bleiben. Einfach gesagt: Liebersoll jeder sein Brillengestell selbst bezahlen,als daß wir die Herzoperation ausdem Leistungskatalog der Krankenkassenstreichen!- Einkommenserwartungen sind legitim,aber sie sind nicht der Maßstab für dieFrage, welche Leistungen in welcher Höheaus einem Solidarsystem zu finanzierensind.Seehofer: Ich habe Ihnennichts Neues zu sagenZur Überraschung des Auditoriums teilte BundesministerSeehofer gleich zu Beginn mit,daß er sich diesmal kurz fassen und Raum fürDiskussion lassen werde. Dies deshalb, weiler nichts Neues zu sagen habe, denn die Reformdiskussionstehe nicht am Anfang, sondernsei abgeschlossen. Es gebe keine vierteStufe der Gesundheitsreform, höchstenspunktuelle Änderungen. Seehofer habe keinenZweifel, daß das erste und zweite NOGim Juni den Bundestag passiert. Die Bürgermüßten Abschied von dem Irrglauben an dieRundumversorgung durch den Staat nehmen.Die von Krankenkassen, ÖTV und DGB geforderteBudgetierung sei unsinnig. Dauerbudgetierungenführten zu Leistungsbeschränkungenund Qualitätsverfall, er sei für sozialverträgliche Selbstbeteiligung.Trotz Aufnahme der Besonderen Therapierichtlinienunter § 135 Absatz 1 SGB V werdees künftig in Deutschland keinen Raum fürScharlatanerie geben, so der Minister. Er verteidigteauch die im 2. NOG vorgeseheneTransparenzregelung, über deren ModalitätenKrankenkassen und Ärzte entscheiden sollen.BÄK-Präsident zu GesundheitsundSozialpolitikDer Präsident der Bundesärztekammer, Dr.Vilmar, bezeichnete den 1995 mit dem Bundesministerbegonnenen Dialog unter demMotto „Vorfahrt für die Selbstverwaltung“ als284 <strong>Brandenburgisches</strong> Ärzteblatt 7/97 • 7. Jahrgang
Kammerinformationen100. Deutscher Ärztetag in Eisenach vom 27. bis 31. Mai <strong>1997</strong>eine Zäsur in der Gesundheitspolitik. Damitseien die Weichen für tragfähige Lösungengestellt worden. Er beklagte den Reformstau,der unter anderem in den komplizierten Zuständigkeitsregelungenvon Bund und Ländernbegründet sei, ebenso wie unterschiedlicheKompetenzen im Hochschulwesen dienotwendige Reform des Medizinstudiums erschweren.Kritik übte er an der Strategie der SPD zur Finanzierungdes Gesundheitswesen und ander Verhinderungstaktik des Bundesrates, diedie Vermutung nahelegt, daß im Sommer1996 der Bundestagswahlkampf für 1998bereits eingeleitet wurde. Dem Grundsatz„Vorfahrt für die Selbstverwaltung“ gemäßgäbe es jedoch positive Einzelregelungen, dienach dem Subsidiarprinzip von den Beteiligtenin eigener Verantwortung genutzt werdenkönnen und sollen.Die Selbstverwaltung kann nur dort Verantwortungübernehmen, wo sie Regelungskompetenzenhat. Nachteilig wirke sich die traditionellsektorale Betrachtungsweise der verschiedenenBereiche des Gesundheitswesens aus.Breiten Raum widmete er der Finanzierbarkeitim Medizinbereich und der Frage, wasnotwendig, zweckmäßig und ausreichend istund von der Solidargemeinschaft bezahltwerden muß und was diesen Kriterien nichtentspricht oder nicht wirtschaftlich erbrachtwerden kann. Auf der einen Seite erwartendie Patienten eine optimale, keinesfalls nur eineausreichende Behandlung. Auf der anderenSeite bewegen sich die Ärzte in einemSpannungsfeld zwischen wirtschaftlichenNotwendigkeiten und objektiven ärztlichenBehandlungsnotwendigkeiten und Behandlungsmöglichkeiten.Vilmar appellierte an die Ärztinnen und Ärzte,sich verstärkt in den politischen Meinungsbildungs-und Entscheidungsprozeß einzubringenund zu sachgerechten Lösungen beizutragen.VerabschiedungTransplantationsgesetz gefordertNach Diskussion verabschiedete der 100.Deutsche Ärztetag Entschließungen mit Forderungenan den Gesetzgeber, unter anderemdie Fortführung der Reformmaßnahmen,die Streichung der Besonderen Therapieempfehlungenzu Lasten der GKV, eine von Kostenund Aufwand her vertretbare Transparenzregelung.Die mehr als ein Jahrzehnt dauernden Beratungenüber ein Transplantationsgesetz sollenabgeschlossen werden, damit endlich Rechtsklarheitbesteht. Die Delegierten stimmten fürdie erweiterte Zustimmungslösung und einepatientenorientierte Organverteilung.Der 100. Deutsche Ärztetag hat außerdemvorgeschlagen, das TransplantationsgesetzOrganspendegesetz zu nennen.Ausgesetzt werden soll das Notopfer Krankenhaus,das die Versicherten der GKV jährlichmit 20 DM belastet.Der Bundesgesundheitsminister wurde aufgefordert,das „Gesetz über befristete Arbeitsverträgefür Ärzte zum Zweck der Weiterbildung“auslaufen zu lassen.Eine überarbeitete Approbationsordnung solldie praxisorientierte Ausbildung mit Verzahnungvon Vorklinik und Klinik, stärkere Einbeziehungaußeruniversitärer Einrichtungenund die definitive Abschaffung des AiP beinhalten.Sozialmauer zwischenOst und West muß endlich fallenDer 100. Deutsche Ärztetag erklärte sich solidarischmit den in Mecklenburg-Vorpommernum ihre Existenz kämpfenden Ärztinnenund Ärzten und forderte alle Kolleginnen undKollegen in Deutschland auf, am Tag der inSchwerin geplanten Protestaktion ihre Tätigkeitfür 30 Minuten zum Zeichen der Solidaritätzu unterbrechen. Die KrankenkassenMecklenburg-Vorpommerns haben angekündigt,ab Mai monatlich 5 Millionen DM Honorarzuweisungeneinzubehalten. Wenn dasrealisiert wird, verringert sich das durchschnittlicheArzthonorar von derzeit 67 % auf59 % im Vergleich zum Westen. Das hätte dieSchließung zahlreicher Praxen zur Folge.Medizinethik -Würde des einzelnen Patienten -Ethik-KommissionenOhne Gegenstimmen nahmen die Delegiertendes 100. Deutschen Ärztetages den Entschließungsantragdes Vorstandes der BÄKan, wonach- biomedizinische Forschungs- und Entwicklungsergebnissemöglichst frühzeitigder Bevölkerung vorgestellt und über dieChancen und Risiken ihrer Anwendungam Menschen öffentlich diskutiert werdensoll,- Medizinethik in den Lehrplänen aller medizinischenFakultäten in Deutschlandfester Bestandteil der Ausbildung sowie inder Weiterbildungsordnung Bestandteilder Facharztweiterbildung werden muß,- ein breites Fortbildungsangebot mit interdisziplinärenGesprächen zu medizinethischenEinzelfragen, die zur Gewissensschärfungjedes Arztes notwendigsind, erreicht werden muß.Ethische Probleme in der modernen Medizinseien nicht allein von der Ärzteschaft lösbar,sondern bedürften öffentlicher Diskussionoder gemeinsamer Beratung von Ärzten undmedizinischen Laien. Ein Antrag, bestehendeEthik-Kommissionen durch Vertreter der Betroffenenzu ergänzen, wurde an den Vorstandüberwiesen. Unterstützt wurde dagegendie Feststellung, daß den bestehendenEthik-Kommissionen, die bei Ärztekammernund medizinischen Fakultäten der Hochschuleneingerichtet sind, das volle Vertrauen gebührt.Weiterer Ethik-Kommissionen bedürfees nicht.Schon im Vorfeld des Ärztetages hatte derEntwurf einer Richtlinie zur ärztlichen Sterbebegleitungund zu den Grenzen zumutbarerBehandlung kontroverse Diskussionen herausgefordert,die sich auf dem Ärztetag fortsetzten.Die Delegierten folgten bereitwilligdem Vorschlag, alle zum Thema eingereichtenAnträge an den Vorstand zu überweisen.Angenommen wurde ein Antrag, die vom Europaratverschiedete Bioethik-Konvention nur<strong>Brandenburgisches</strong> Ärzteblatt 7/97 • 7. Jahrgang287