DAVIS – Die erste illustrierte Ausgabe der „Stromtid“Ich kann mich nicht erinnern, je etwas von Reuters „rötlichem Haar“gelesen zu haben, weder in seinen autobiographischen Aussagen nochin anderen Berichten über ihn. Auch daß er „groß von Wuchs“ war,betont sonst niemand. Was Pietsch mit „grotesk“ gemeint haben kann,können wir nur vermuten – vielleicht einfach ein Abweichen von dergängigen Schönheitsnorm, die sich, wie wir wissen, für jede Generationneu erfindet. Fritz Reuter spricht mit seinen Besuchern Hochdeutschmit einer „starken mecklenburgischen Dialektfärbung“. 29 Undwas er mit ihnen spricht, reißt Pietsch noch 30 Jahre später zu großerBegeisterung hin.„Seine Kunst des Menschenschilderns und Geschichten-, Erlebnis-,Beobachtungs-Erzählens war außerordentlich und nur mit der Turgenjewszu vergleichen. Wie in dessen Phantasie und Gedächtniswar auch in Fritz Reuters eine ungeheure Fülle von treu festgehaltenenAnschauungen realer Zustände, Tathsachen, Vorgänge und Gestaltengleichsam aufgespeichert, aus welcher er jederzeit mit vollenHänden herausgreifen konnte, um solche Schätze im Gesprächvor seinen Zuhörern auszubreiten, immer gewiß, diesen Fesselndes,Anregendes, bald herzlich Erheiterndes, bald Ergreifendes, Erschütterndesdarzubieten.“ 30Wie aus dem Dargelegten klar werden müßte, konnte Fritz Reuter nichtnur selbst andere begeistern, er konnte sich auch begeistern lassen.Ohne diese Eigenschaft unseres Dichters wäre es weder zu seinerFreundschaft mit seinem Illustrator Pietsch gekommen, noch gäbe esdie von ihm geliebte illustrierte Ausgabe der „Stromtid“. Und die Begeisterungsetzte sich gegenüber dem „alten Esel“ von Hinstorff durch,zwar nicht leicht, aber immerhin.Anmerkungen1. Sämtliche Materialien, die zu diesem Aufsatz benutzt worden sind, stammen ausdem Fritz Reuter Literaturarchiv Hans-Joachim Griephan, Berlin.2. Ut Fritz Reuters Läuschen un Rimels mit Biller von Theodor Schloepke. Hg. von ArnoldHückstädt, Hinstorff: Rostock 1982. Nachwort von Arnold Hückstädt, S. 173-174.3. “Blätter der Freundschaft. Aus dem Briefwechsel zwischen Theodor Storm und LudwigPietsch. Mitgeteilt von Volquart Pauls. Westholsteinische VerlagsanstaltBoyens & Co., Heide i. Holstein, 1939. S. 31.4. Ibid. S. 75.5. Ibid., S. 46.24
Die erste illustrierte Ausgabe der „Stromtid“ – DAVIS6. Ibid., S. 84. Diese Meinung ändert Storm während seines gesamten Briefwechselsmit Pietsch nicht. Auch später im Briefwechsel mit Emil Kuh (Westermanns Monats-<strong>Heft</strong>e,34. Jg., Bd. 67, 1890, S. 549) weist er diesen darauf hin, daß er die Stromtidfür eines der bedeutendsten Werke der ganzen deutschen Literatur hält, obwohlReuter „von der Ökonomie einer Dichtung nicht genügende Begriffe zu habenscheint“.7. Ludwig Pietsch, Wie ich Schriftsteller geworden bin, Berlin W: F. Fontane & Co. 1894,Bd. 2, S. 295.8. Ibid., S. 298.9. Ibid., S. 298.10. Fritz Reuter. Gesammelte Werke und Briefe (GWB). Hg. Kurt Batt. Rostock: VEB HinstorffVerlag 1968. Bd. VIII. Briefe. S. 480.11. Blätter der Freundschaft, S. 124.12. Ibid., S. 124.13. Ibid., S. 130.14. GWB, Bd. VIII, S. 444.15. GWB, Bd. VIII, S. 536.16. Ibid., S. 480.17. Ibid., S. 505.18. Ibid., S. 507.19. Ibid., S. 493.20. Pietsch an Hinstorffvom 4.11.1864.21. Pietsch an Hinstorffvom 7.7.1865.22. Blätter der Freundschaft,S. 139.23. Pietsch an Hinstorffvom 13.7.1865.24. Blätter der Freundschaft,S. 124.25. Wie ich Schriftstellerwurde, S. 345.26. Ibid.27. Blätter der Freundschaft,S. 131.28. Wie ich Schriftstellerwurde, S. 313.29. Ibid., S. 314.30. Ibid.25