Festschrift [pdf] - Calenberge
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<strong>Calenberge</strong><br />
1209 – 2009<br />
FestschriFt zum<br />
800-jährigen Dorfjubiläum<br />
Text: Sabine Ullrich<br />
U1
Brütender Schwan neben<br />
der Brücke nach Elbenau
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort von Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper 2<br />
Gedanken zu <strong>Calenberge</strong> von Ernst Schwarzlose 4<br />
Allgemeines zur Einleitung 6<br />
Früheste Siedlungsspuren 11<br />
Erste urkundliche Erwähnung <strong>Calenberge</strong>s 14<br />
<strong>Calenberge</strong> als klösterlicher Besitz in askanischem Herrschaftsgebiet 17<br />
Die Bauern, die Höfe und die Separation 23<br />
Von Deichen und Fluten 30<br />
Pfarrer und Pfarrgemeinde 37<br />
Kirche und Kirchhof 41<br />
Die Schule 49<br />
Kriegerdenkmal 53<br />
Im Dorfkrug 54<br />
Im Falle eines Feuers 56<br />
Nazi-Regime und Zweiter Weltkrieg 58<br />
<strong>Calenberge</strong> in jüngerer Vergangenheit 60<br />
Naturraum Elbe – Kolke, Altarme, Altwässer 65<br />
Besondere und seltene Tierarten 68<br />
Von der politischen Wende 1989 bis heute – Nachwort Bernhard Czogalla 70<br />
Kurze Chronik des Dorfes 73<br />
<strong>Calenberge</strong>r Bilderbogen 76<br />
Abkürzungen zum Abbildungsnachweis 78<br />
Literatur und Quellen 79<br />
1
2<br />
Vorwort<br />
von Oberbürgermeister<br />
Dr. Lutz Trümper<br />
Die BauernsieDlung <strong>Calenberge</strong><br />
kann auf eine vielfältige, ereignisreiche<br />
und vor allem langjährige Historie zurückblicken.<br />
Bereits 1209 wird das damalige<br />
„Kahlenberch“ zum ersten Mal urkundlich<br />
erwähnt. Das 800-jährige Bestehen ist<br />
Grund genug, sich der Geschichte <strong>Calenberge</strong>s<br />
zu erinnern, in die Zukunft zu schauen<br />
und natürlich dieses freudige Ereignis<br />
gebührend zu feiern.<br />
Bis 1994 noch ein Dorf vor den Toren<br />
Magdeburgs, gehört <strong>Calenberge</strong> heute als<br />
Verwaltungsgemeinschaft Randau-<strong>Calenberge</strong><br />
zur Landeshauptstadt und ist damit einer<br />
der jüngsten Stadtteile. Nach der Eingemeindung<br />
1994 und der feierlichen Einweihung<br />
der neuen Ortsschilder durch den damaligen<br />
Oberbürgermeister Dr. Willi Polte begann die<br />
umfangreiche Sanierung und Erneuerung der<br />
Gemeinde. Moderne Elektroanschlüsse, Abwasserleitungen<br />
und Gebäuderenovierungen<br />
verschönern heute neben neu gepflasterten<br />
Straßen das Ortsbild. Hier fühlen sich die<br />
Bewohner mit ihrem Stadtteil wirklich verbunden<br />
und konnten 1997 mit Stolz den 2.<br />
Platz im Landeswettbewerb „Unser Dorf soll<br />
schöner werden“ verkünden. Darüber hinaus<br />
bietet das einstige Bauerndorf mit seiner urwüchsigen<br />
Umgebung und den zahlreichen<br />
Tierarten allen Naturfreunden ein wahres<br />
Erholungszentrum im Grünen. Nicht nur die<br />
Bewohner der Region schätzen daher den<br />
Charme dieser ländlichen Idylle und die damit<br />
verbundene Wohnqualität, wie es sie nur<br />
noch selten gibt.<br />
Die stets überschaubare Anzahl der<br />
Bewohner von <strong>Calenberge</strong> ließ sich in den<br />
vergangenen Jahrhunderten nicht von den<br />
Widrigkeiten der Natur, mit dem jährlich wie-<br />
derkehrenden Hochwasser, entmutigen. Die<br />
intensiven nachbarschaftlichen Beziehungen<br />
und der Einsatz für die Gemeinde sind<br />
für viele ein Vorbild. Genau dieses Engagement<br />
zeichnet <strong>Calenberge</strong> bis zum heutigen<br />
Tag aus. Dafür möchte ich allen Beteiligten<br />
herzlich danken und Sie auffordern: Machen<br />
Sie weiter so, damit Randau-<strong>Calenberge</strong> als<br />
modernes Wohngebiet in einer grünen Umgebung<br />
noch attraktiver wird. Für die diesjährigen<br />
Festlichkeiten zum 800-jährigen<br />
Bestehen wünsche ich viel Spaß und gutes<br />
Gelingen.<br />
Dr. Lutz Trümper<br />
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />
Magdeburg
Blick auf <strong>Calenberge</strong> aus der Luft<br />
(Flug dienst Magdeburg)<br />
3
4<br />
Gedanken zu <strong>Calenberge</strong><br />
von Ernst Schwarzlose<br />
„Mitten aber in dem Kranze blühender Gärten,<br />
rauschender Baumwipfel, reichen Buschwerks und<br />
duftender Wiesen ragte das saubere, freundliche<br />
Dörfchen auf, das so ganz geeignet war, den Eindruck<br />
heimischen Wohlgefühls hervorzurufen. Und bei den<br />
sorgsamen, eifrig schaffenden Bewohnern kam auch<br />
deutlich das wohlige Heimatgefühl zum Ausdruck in<br />
stiller Lebensfreude und heiterer Fröhlichkeit.<br />
Man hörte selten etwas von Zank und Streit, und<br />
Rücksichtslosigkeit und Roheit durfte sich nirgends<br />
zeigen. Ganz arme Leute waren im Dorfe selten<br />
vorhanden. Gegenseitige Aushilfe war bei allen<br />
Dorfangehörigen selbstverständlich.“<br />
Martin Kahlo 1929 (S. 51)<br />
Dorfchronik von 1929<br />
(Eigentum B.C.)
CalenBerge wird als „Kalenberch“ am<br />
18. Dezember 1209 erstmals urkundlich<br />
fassbar, und zwar in einer Besitzbestätigung<br />
für das Kloster Berge bei Magdeburg<br />
durch Papst Innozenz III. 2009 jährt sich<br />
die Ersterwähnung zum 800sten Mal. Im<br />
Vorfeld dieses Jubiläums wuchs unter den<br />
<strong>Calenberge</strong>rn der Wunsch, die Geschichte<br />
unseres Heimatortes einer genaueren<br />
Untersuchung zu unterziehen und die geschriebene<br />
Historie im Druck zu veröffentlichen.<br />
Natürlich wird es nicht mehr gelingen,<br />
die Vergangenheit lückenlos aufzuarbeiten,<br />
denn zu viel Wissen ist verloren gegangen,<br />
längst nicht alles aufgeschrieben und vieles<br />
Aufgeschriebene durch Achtlosigkeit,<br />
Kriege und politische Veränderungen verloren.<br />
Eine große Hilfe in der Aufarbeitung<br />
der <strong>Calenberge</strong>r Vergangenheit bietet die<br />
bereits 1929 von Martin Kahlo verfasste<br />
Schrift: „<strong>Calenberge</strong>, Dorf und Flur“, in<br />
Schönebeck in der Reihe „Veröffentlichungen<br />
der Gesellschaft für Vorgeschichte und<br />
Heimatkunde des Kreises Calbe“ heraus-<br />
gegeben. Hinzu kommt der glückliche Umstand,<br />
dass Martin Kahlo seinerzeit noch<br />
Akten und Urkunden einsehen konnte, die<br />
heute nicht mehr in vollem Umfang zur<br />
Verfügung stehen. Ergänzt werden seine<br />
Erkenntnisse durch eigene Archivrecherchen<br />
und das Engagement der <strong>Calenberge</strong>r,<br />
die aus ihrem Privatbesitz Fotos und<br />
Historische Postkarte,<br />
<strong>Calenberge</strong> aus der Luft<br />
(Bild E.S.)<br />
alte Verträge heraussuchten, um sie der<br />
Auswertung zu überlassen.<br />
Die vorliegende Festbroschüre zum<br />
800-jährigen Dorfjubiläum bietet eine Zusammenfassung<br />
der neueren Erkenntnisse,<br />
die demnächst in einer ausführlicheren<br />
Chronik erscheinen sollen.<br />
5
6<br />
Allgemeines zur Einleitung<br />
„Kalenberge (Ld. u. Stg. Magdeburg), Pfardorf, unweit der<br />
Elbe, 4 ¼ M. v. Burg und 1½ M. südöstlich v. Magdeburg;<br />
eine evang. Pfarrkirche mit 1 Pr., ein Küster- und Schulh.<br />
mit 1 L., 21 Wohnh., 144 ev. Einw., ein Krug, 2 Ackerh., 11<br />
Koss., 3 Häusler und 4 Einlieger, Die separirte Feldmark<br />
enthält 560 Mrg. und 12 ½ katastrirte Hufen, und zwar<br />
152 Schff. Aussaat Aecker 2ter, 83 Schff. 3ter und 17 Schff.<br />
4ter Kl. Meist guter Weizenboden und schöne Wiesen. (194<br />
Thlr. 21 Sgr. Gr., 97 Thlr. Kl. und 7. Thlr. Gew. St.) Die Einw.<br />
treiben vorzugsweise Viehzucht. Patron und Gerichtsherr<br />
ist der Staat. Früher stand das Patronat dem ehemaligen<br />
Kloster Berge zu. (1782. 127 und 1818. 146 E.)“<br />
Handbuch vom Regierungs bezirk<br />
Mag deburg 1842 (S.150)<br />
CalenBerge, das wie der Mag de-<br />
b u r g e r D o m 2 0 0 9 s e i n 8 0 0 - j ä h r i g e s B estehen<br />
feiert, gehört erst seit 1994 als<br />
Verwaltungsgemeinschaft Randau-<strong>Calenberge</strong><br />
zu Magdeburg und ist somit einer der<br />
jüngsten Stadtteile der Landeshauptstadt.<br />
Das einstige Bauerndorf liegt ca. 12 km<br />
südöstlich vom Magdeburger Stadtzentrum<br />
entfernt in ländlichem Raum und wird<br />
auf drei Seiten – im Westen, Süden und<br />
Osten – von der an dieser Stelle schlaufenförmig<br />
sich windenden Alten Elbe umgeben.<br />
In nördlicher bis nordöstlicher Richtung<br />
verläuft der Elbe-Umflutkanal, der auf<br />
Höhe der Kreuzhorst fast bis an die Alte<br />
Elbe heranreicht.<br />
Der alte Elbarm begrenzt einerseits<br />
die Gemarkung <strong>Calenberge</strong> und bezeich-<br />
net andererseits auf der Südseite gleichzeitig<br />
einen Teil der Grenze zum Stadtgebiet<br />
Schönebeck mit den Orten Grünwalde,<br />
Elbenau und Plötzky. Nach Osten schließt<br />
sich der Landkreis Jerichower Land mit<br />
der Gemeinde Gommern an, im Norden<br />
liegen die Magdeburger Stadtteile Pechau<br />
und Kreuzhorst. Als westliche Grenze der<br />
Verwaltungsgemeinschaft gilt die Elbe.
Randau-<strong>Calenberge</strong> gehört mit 13,59 km 2<br />
flächenmäßig zu den größten Magdeburger<br />
Stadtteilen, ist allerdings wegen der<br />
ländlichen Struktur mit ca. 550 Einwohnern<br />
nur dünn besiedelt. Der gemeinsame<br />
Ortsbürgermeister heißt Günther Kräuter<br />
und wohnt in Randau.<br />
Abgesehen von der Firma „<strong>Calenberge</strong>r<br />
Caravan und Pflanzenmarkt“ und dem „Land-<br />
haus Elbebiber“ ist der Ort heute eine reine<br />
Wohnsiedlung und über eine Buslinie an<br />
das Nahverkehrsnetz Magdeburgs angeschlossen.<br />
Er befindet sich inmitten einer<br />
idyllischen Landschaft, im Naherholungsraum<br />
der Elbestädter und am Elberadweg.<br />
<strong>Calenberge</strong>s Freizeitwert in naturnaher<br />
Umgebung ist unbestritten hoch. Neben<br />
von der freiwilligen Feuerwehr, die ebenfalls<br />
in diesem Jahr ein Jubiläum feiert, gibt<br />
es im Dorf noch einen Turnverein.<br />
Die Umgebung <strong>Calenberge</strong>s ist durch<br />
eine Kulturlandschaft mit Ackerflächen und<br />
Grünland bestimmt. Obwohl die Elbe seit<br />
ca. 1.000 Jahren beständig in einer Entfernung<br />
von etwa drei Kilometern westlich am<br />
Dorf vorbeifließt, ist die Landschaft noch<br />
<strong>Calenberge</strong> von Norden Am Feldweg neben der Liebeseiche<br />
deutlich vom Fluss geprägt. Von Jahr zu Jahr<br />
mit unterschiedlicher Intensität wiederkehrende<br />
Sommer- und Winterhochwasser<br />
hinterließen nicht nur Feuchtwiesen,<br />
Sümpfe, Altwässer und Kolke, sondern auch<br />
ertragreiche Böden, da sich beim Rück-<br />
gang des Wassers Sedimente ablagerten.<br />
Die Bodenqualität der Gemeinde kann<br />
mit durchschnittlich 45 Bodenpunkten für<br />
Grünland und 61 Bodenpunkten für Ackerland<br />
durchaus als gut bezeichnet werden<br />
und ermöglicht einen breiten Querschnitt<br />
ländlicher Kulturen. Es lassen sich Raps,<br />
Weizen und Gerste, aber auch Kartoffeln<br />
und Futtermais, der wiederum der Tierproduktion<br />
zu Gute kommt, anpflanzen. Darüber<br />
hinaus ist der Wechsel von Acker, Wiese<br />
und kleineren Gehölzgruppen mit Strauch-<br />
und Baumbeständen, sogenanntem Gale-<br />
riewald entlang der Altwässer, durch hohen<br />
Wildbesatz interessant für die Jagd.<br />
Mitten im Urstromtal der Elbe, allseitig<br />
von feuchten und sumpfigen Niederungen<br />
mit Altwässern und Kolken umgeben, bot<br />
eine leichte Erhebung von 1,5 m gegenüber<br />
der Feldflur die Grundlage für eine Ansiedlung,<br />
die den Namensbestandteil „Berg“<br />
nicht wirklich verdient. Denkbar ist jedoch,<br />
dass sich im Lauf der Jahrhunderte und<br />
Jahrtausende mit den regelmäßigen Überschwemmungen<br />
auch das Bodenniveau<br />
veränderte und sich die Anhöhe zunehmend<br />
nivellierte, wenngleich sie nie wirklich<br />
hoch gewesen sein wird. Die geringe Ausdehnung<br />
in Nord-Süd-Richtung und auch<br />
die Form dieser leichten Bodenerhebung<br />
hat gleichzeitig begrenzend auf die Ent-<br />
7
8<br />
Familie Meseberg / Schwarzlose 1926 (Bild<br />
E.S.)<br />
wicklung des Dorfes gewirkt, das sich bis<br />
zum Anfang des 20.Jahrhunderts als kurzes<br />
Reihen- oder Straßendorf mit einem kleinen<br />
Anger im Süden entlang der einzigen<br />
Dorfstraße erstreckte, die wiederum als<br />
Sackgasse von der Landstraße abzweigt.<br />
In jüngerer Zeit hat sich die Siedlung in<br />
Richtung Norden ausgedehnt, trotzdem<br />
umfasst die bebaute Fläche nur ca. 0,2 km 2 .<br />
Erst mit dem Jahr der Eingemeindung 1994<br />
ist die Dorfstraße in „<strong>Calenberge</strong>r Dorfstraße“<br />
umbenannt worden, um Verwechslungen<br />
mit Straßen in anderen Magdeburger<br />
Ortsteilen zu vermeiden.<br />
1781 wird der Ort wie folgt beschrieben:<br />
22 Feuerstellen, darunter 1 Vollspänner, 2<br />
Halbspänner, 6 große Kossaten- und 6 klei-<br />
Ida Möbes in der Dorfstraße (Bild D.P.) Szene im Hof (Bild E.S.)<br />
ne Kossatenhöfe, insgesamt 127 Einwohner,<br />
1 See, 1 Schiffsmühle an der Elbe (alte<br />
Elbe). 1 1842 bestand <strong>Calenberge</strong> aus<br />
Hochzeitszeitschrift<br />
für Otto<br />
Meseberg<br />
und Elisabeth<br />
Steinhagen<br />
1905 (Eigentum<br />
E.S.)<br />
2 Ackerhöfen, 11 Kossatenhöfen, 3 Häuslern<br />
und 4 Einliegern, zusammen 21 Wohnhäuser<br />
und 144 Einwohner. Die Bezeichnungen<br />
Vollspänner oder<br />
Ackerhöfe, Halbspänner,<br />
Kossaten usw. unterscheiden<br />
verschiedene landwirtschaftliche<br />
Betriebsgrößen.<br />
<strong>Calenberge</strong>s Einwohnerzahl<br />
schwankte Jahrhunderte<br />
lang nur geringfügig und war<br />
im Jahr 1865 mit 185 Seelen<br />
selten hoch. 2 Zweimal erging<br />
in der Vergangenheit von<br />
offizieller Seite das Verbot<br />
an die Dorfbewohner, sich<br />
weiterhin untereinander zu<br />
verheiraten, da die Säug-
Emma Meseberg mit Urenkelin Johanna<br />
Emma Schwarzlose Meseberg 1930 mit (Bild Urenkelin E.S.) Johanna<br />
Schwarzlose 1930 (Bild E.S.)<br />
lingssterblichkeit auf ein bedenkliches Maß<br />
angestiegen war. 3<br />
Von Anfang an lebten die <strong>Calenberge</strong>r<br />
in der ambivalenten Situation, dass ihnen<br />
einerseits reiche Fischbestände, Wild und<br />
auch die fruchtbaren Böden eine angenehme<br />
Lebensgrundlage boten, sie andererseits<br />
das Hochwasser ständig gefährdete<br />
und es immer wieder katastrophale Schäden<br />
anrichtete. Außerdem brachte das<br />
feuchte und ungesunde Klima manchmal<br />
epidemieähnliche Krankheiten und fiel die<br />
1 Heineccius, Johann Ludwig von, Ausführliche topographische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der<br />
Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischen Antheils, Berlin 1785. 2 Handbuch der Provinz Sachsen, Magdeburg 1865,<br />
S.85. Neben der Einwohnerzahl werden Lehrer Willmann und Ortsvorsteher Schuseil aufgeführt. 3 Nach Auskunft von<br />
Frau Warschau, Pastorin der Gemeinden Pechau, Randau und <strong>Calenberge</strong>, in alten Kirchenbüchern von <strong>Calenberge</strong><br />
erwähnt.<br />
Familie Prönnecke (Bild D.P.) Traditionelles Ringreiten, 1920er Jahre<br />
Familie Prönnecke (Bild D.P.)<br />
Traditionelles (Bild E.S.)<br />
Ringreiten, 1920er Jahre<br />
(Bild E.S.)<br />
Lebenserwartung eher gering aus. Erst mit<br />
dem Bau des Elbe-Umflut-Kanals (begonnen<br />
1868) und des Pretziener Wehrs (1871<br />
– 1875) wurde mustergültiger Hochwasserschutz<br />
betrieben und somit eine stabilere<br />
Situation für das alltägliche Leben in<br />
<strong>Calenberge</strong> geschaffen.<br />
Urkunde 1811, Entlassungsurkunde<br />
aus<br />
dem Militär für Johann<br />
Andreas Meseberg mit<br />
der Auflage, die Witwe<br />
Wäschen zu heiraten<br />
(Eigentum E.S.)<br />
9
10<br />
Ausschnitt aus dem<br />
Messtischblatt der<br />
historischen Kommission<br />
der preußischen<br />
Provinz Sachsen,<br />
1858 aufgenommen,<br />
1873 herausgegeben,<br />
1877 berichtigt (St.A.<br />
Rep. KS II 17-4)
Früheste<br />
Siedlungsspuren<br />
Die erste urkunDliChe nennung<br />
<strong>Calenberge</strong>s fällt ins Jahr 1209.<br />
Siedlungsspuren sind in der fruchtbaren<br />
Umgebung aber bereits für die Jungsteinzeit<br />
nachgewiesen. In Nähe des Nachbarortes<br />
Randau ist seit den 1940er Jahren ein<br />
vierräumiges, 20 m langes Haus der Schönfelder<br />
Kultur (2900 – 2100 v. Chr.) mit umfangreichem<br />
Inventar aus Stein und Ton<br />
und verkohlten Speiseresten ergraben.<br />
Etwas weiter nördlich befindet sich im<br />
Wald ein bronzezeitliches Gräberfeld. Zu<br />
DDR-Zeiten kam in der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung<br />
bei Feldarbeiten hinter der LPG,<br />
auf einem Flurstück mit dem traditionellen<br />
Namen „Die Nachtweide“, ein noch wesentlich<br />
älteres Bodenbearbeitungsgerät<br />
der Rössener Kultur (4900 – 4700 v. Chr.)<br />
zutage. Hierbei handelt es sich um einen<br />
großen Keil, dessen Fund deutlich macht,<br />
dass sich in der unmittelbaren Umgebung<br />
des Dorfes <strong>Calenberge</strong> schon vor mehr als<br />
6.000 Jahren Menschen bewegten.<br />
Wie weitere archäologische Entdeckungen<br />
belegen können, ist auch der Ort<br />
<strong>Calenberge</strong> selbst bereits etwa 1.500 Jahre<br />
vor der ersten schriftlichen Erwähnung als<br />
Siedlungsplatz genutzt worden. Mehrere<br />
im Jahr 1928 und bei Erdarbeiten 1993 in<br />
unmittelbarer Umgebung der Dorfkirche<br />
gefundene Urnen weisen einen germanischen<br />
Begräbnisplatz der vorrömischen<br />
Eisenzeit – auch Jastorfkultur (600 v.Chr.<br />
bis zum Beginn unserer Zeitrechnung) genannt<br />
– nach. Es kann also angenommen<br />
werden, dass der Ort auch damals schon<br />
relativ hochwassersicher gewesen ist. Eine<br />
zweite, 1939 entdeckte Fundstelle, die auf<br />
eine eisenzeitliche Siedlung schließen<br />
lässt, befindet sich weiter südlich, etwa<br />
auf Höhe des ehemaligen Pfarrhauses.<br />
Die Fundstücke aus <strong>Calenberge</strong> werden<br />
im Kreismuseum Schönebeck aufbewahrt.<br />
Ob in den sich anschließenden Jahrhunderten<br />
bis 1209 durchgehend Menschen<br />
in <strong>Calenberge</strong> gelebt haben, weiß niemand.<br />
Jüngere Siedlungsspuren sind aber wieder<br />
für Nachbarorte belegt.<br />
Für die ersten Jahrhunderte nach Christi<br />
Geburt gilt die Entdeckung des Fürstengrabes<br />
auf dem Gerstenberg bei Gommern als<br />
Sensation, zeugen die Grabbeigaben doch<br />
von einem intensiven Handel der östlich der<br />
Elbe lebenden Menschen mit den römisch<br />
besetzten Gebieten. Dieses im Jahr 1990<br />
gefundene Grab eines germanischen Adligen<br />
aus dem 3.Jahrhundert gehört zu den<br />
prunkvollsten jener Zeit in Mitteleuropa. Es<br />
enthielt Schmuckgegenstände aus Gold<br />
und Silber, Prunkwaffen sowie zahlreiche<br />
Gegenstände römischer Herkunft aus Glas<br />
und Metall.<br />
In der Völkerwanderungszeit siedelten<br />
sich Slawen, auch Wenden genannt, im<br />
Elbraum an. Westlich der Elbe lebten die<br />
Sachsen.<br />
11
12<br />
Erst als diese unter Karl dem Großen zum<br />
Christentum übergetreten waren, drang<br />
die Christianisierung intensiver nach Osten,<br />
in die Gebiete östlich der Elbe vor.<br />
Die Ottonen ließen im 10.Jahrhundert auf<br />
dem Ostufer der Elbe in strategischen<br />
Abständen Burgen (so auch die Burg von<br />
Gommern) errichten, die das Sachsenreich<br />
gegen feindliche Übergriffe der Slawen<br />
schützen sollten. Ein Slawenaufstand 982<br />
machte jedoch einen Großteil der ottonischen<br />
Eroberungen vorerst wieder zunichte,<br />
so dass die Elbe vielerorts wieder die<br />
Reichsgrenze bildete.<br />
Im 12.Jahrhundert wurde das ostelbische<br />
Territorium neu besetzt und durch<br />
Keramik der Jastorfkultur,<br />
um 600 v. Chr., gefunden<br />
bei Erdarbeiten<br />
neben der <strong>Calenberge</strong>r<br />
Kirche, heute im Kreismuseum<br />
Schönebeck<br />
(Foto E.S.)<br />
eine gezielte Ansiedlungspolitik innerhalb<br />
der ehemals slawischen Gebiete sowie die<br />
Gründung neuer Ortschaften und Pfarren<br />
weiter gesichert. Eine derartige Stabilisierung<br />
der noch von Slawen<br />
bewohnten Gegenden<br />
mit Kolonistendörfern<br />
betrieb nicht<br />
nur der Magdeburger<br />
Er zbischof, sondern<br />
auch der Markgraf<br />
von Brandenburg.<br />
Ob <strong>Calenberge</strong> im<br />
Ursprung auch als<br />
Kolonistendorf bezeichnet<br />
werden kann, muss<br />
letztendlich offen<br />
bleiben. Zahlreiche Ortsnamen der näheren<br />
Umgebung gehen auf ursprünglich slawische<br />
Namen zurück. Durch ältere Publikationen<br />
4 und Zeitungsartikel ist die Verbindung<br />
<strong>Calenberge</strong>s mit einem wendischen<br />
Ort namens Lysagora, dessen Übersetzung<br />
„kahler Berg“ bedeutet,<br />
vorgeschlagen worden. Einen<br />
gesicherten Nachweis für einen<br />
eindeutigen Zusammenhang oder<br />
Leichenbrandurne mit<br />
sogenanntem Seelenloch,<br />
gefunden bei Erdarbeiten in<br />
<strong>Calenberge</strong>, um 600 v.Chr.,<br />
heute im Kreismuseum<br />
Schönebeck (Foto E.S.)
für die genaue Lage des wendischen Ortes<br />
Lysagora gibt es aber anscheinend nicht. In<br />
Vorbereitung auf diese <strong>Festschrift</strong> konnte<br />
nicht einmal die ursprüngliche Quelle ausfindig<br />
gemacht werden, die den Ort Lysagora<br />
überliefert.<br />
Das Landesamt für Denkmalpflege und<br />
Archäologie in Halle verwahrt alte Messtischblätter<br />
der Historischen Kommission<br />
der Preußischen Provinz Sachsen aus der<br />
Mitte des 19.Jahrhunderts. Darauf ist in der<br />
Gemarkung <strong>Calenberge</strong> südlich des Dorfes,<br />
etwa auf halber Strecke zum „Winkel“, auf<br />
den als „Der Klosterhof“ oder „Der Keil“<br />
4 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S. 35.<br />
bezeichneten Flurstücken noch eine<br />
mittelalterliche Wüstung eingetragen,<br />
markiert mit dem Buchstaben H.<br />
Zeichnung, gefertigt im<br />
Landesmuseum Hannover,Bodenbearbeitungsgerät<br />
der Rössener<br />
Kultur, gefunden auf der<br />
Feldmark „Nachtweide“<br />
in der <strong>Calenberge</strong>r<br />
Gemarkung, Abbildung<br />
verkleinert (E.S.)<br />
13
14<br />
Erste urkundliche<br />
Erwähnung <strong>Calenberge</strong>s<br />
„Preterea quascunque possessiones, quecunque bona idem<br />
monasterium in presentiarum iuste ac canonice possidet<br />
aut in futurum concessione pontificium, largitione regum<br />
vel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis<br />
praestante domino poterit adipisci, firma vobis vestrisque<br />
successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis<br />
duximus exprimenda vocabulis: (…) villas quoque Korit,<br />
Kalenberch, Priztere…“.<br />
Papst Innozenz III. 1209<br />
Auszug aus der<br />
abschriftlich<br />
überlieferten<br />
Urkunde von<br />
1209 (LHASA 1)
Der anlass für die 800-<br />
Jahrfeier, die erste Erwähnung<br />
<strong>Calenberge</strong>s, fällt zusammen<br />
mit der gezielten Ansiedlungspolitik<br />
im ostelbischen Territorium.<br />
Bei der Urkunde handelt<br />
es sich um ein von Papst Innozenz<br />
III. am 18. Dezember 1209<br />
unterzeichnetes Schreiben, welches<br />
die Privilegien des Klosters<br />
Berge, seine Rechte, Freiheiten<br />
und Besitzungen – darunter auch<br />
„Kalenberch“ – auflistetet, bestätigt<br />
und das Kloster unter den<br />
Schutz des Papstes stellt. Genannt<br />
werden neben <strong>Calenberge</strong> und zahlreichen<br />
anderen Siedlungen auch die Nachbarorte<br />
Prester und Karith bei Gommern.<br />
Die Urkunde aus dem Lateran ist nicht<br />
als Original, sondern in Form von zwei Abschriften<br />
aus dem 16. und 17.Jahrhundert,<br />
die eine im sog. Privilegienbuch des Klosters<br />
Berge, die andere im sog. Weißen Buch des<br />
Klosters Berge, überliefert. Die Abschriften<br />
verwahrt das Landeshauptarchiv Sachsen-<br />
Anhalt in Magdeburg. Nachgelesen werden<br />
kann der Text ebenfalls unter der Nummer<br />
59 im „Urkundenbuch des Klosters Berge<br />
bei Magdeburg“, erschienen 1879 in Halle.<br />
15
16<br />
Alte Elbe südlich von <strong>Calenberge</strong>
<strong>Calenberge</strong> als<br />
klösterlicher Besitz<br />
in askanischem<br />
Herrschaftsgebiet<br />
VermutliCh sChon im Jahr<br />
966 5 zogen die Mönche aus dem Mauritiuskloster<br />
am Magdeburger Domplatz in das<br />
südlich vor den Toren der Stadt Magdeburg<br />
gelegene, neu erbaute und von Otto dem<br />
Großen gegründete Benediktinerkloster<br />
St. Johannis Baptist auf dem Berge. Der<br />
Grund hierfür war die Tatsache, dass Otto<br />
sein langgehegtes Ziel, Magdeburg zum<br />
Erzbistum zu erheben, erreicht hatte und<br />
nun das Mauritiuskloster für die Domherren<br />
des Erzstifts zur Verfügung stehen sollte.<br />
Spätestens seit Anfang des 12.Jahrhunderts<br />
ist das Kloster als Eigentum des Erzbistums<br />
nachgewiesen. Wann es exakt zum Erzbistum<br />
Magdeburg kam, ist nicht bekannt.<br />
Das Kloster Berge gehörte in der Folgezeit<br />
zu den wohlhabenderen Klöstern des<br />
mittelalterlichen Deutschlands und galt<br />
als angesehene Bildungsstätte. Es erhielt<br />
sowohl von den Ottonen und ihren Nach-<br />
<strong>Calenberge</strong> auf der<br />
Grenze der Grafschaft<br />
Gommern, Geographische<br />
Charte des Herzogthums<br />
Magdeburg<br />
und Halle nebst ethlichen<br />
angränzende Orthen<br />
und Fürstenthume, um<br />
1680, Ausschnitt<br />
(St.A. Rep. KS II 33)<br />
folgern als auch von den Magdeburger<br />
Erzbischöfen ansehnlichen Besitz. Nachdem<br />
Erzbischof Heinrich I. von Magdeburg<br />
(1102 – 1107) dem Kloster auch die Fähre<br />
zu Fermersleben bei Buckau, gegenüber<br />
Prester, geschenkt hatte, bildete sich bald<br />
nach 1100 eine Gruppe von Dörfern im<br />
ostelbischen Klosterbesitz. Die Geschichte<br />
des Klosters unter besonderer Berücksichtigung<br />
seiner dörflichen Besitzungen ist<br />
umfassend von Christof Römer herausgearbeitet<br />
worden, auf den sich die folgenden<br />
Ausführungen beziehen. 6<br />
Zwei Urkunden aus den Jahren 1145<br />
und 1209 (siehe oben) bestätigen den Besitz<br />
und geben Auskunft über die klösterlichen<br />
Privilegien. Hierbei muss zwischen<br />
Grundeigentum und Vogteirechten unterschieden<br />
werden. Letztere besaß das<br />
Kloster Berge im erst 1209 erwähnten <strong>Calenberge</strong><br />
nicht. Die Vogteirechte gehörten<br />
nämlich zur Burg Gommern, also zu den Askaniern.<br />
Zwar hatte Otto I. Gommern dem<br />
Mauritiuskloster zum Geschenk gemacht,<br />
doch war die Burg im 12.Jahrhundert mit<br />
der Mark Brandenburg als Erbe und durch<br />
Eroberung in den Besitz von Albrecht dem<br />
Bären und somit zum Herzogtum Sachsen<br />
gekommen. Gommern bildete seinerzeit<br />
und bis 1808 eine Enklave im magdeburgisch-brandenburgischen<br />
Einflussgebiet.<br />
1221 kaufte der Abt vom Kloster Berge<br />
dem Burggrafen von Magdeburg die im<br />
Bereich der Klosterbesitzungen ausgeüb-<br />
17
18<br />
ten Vogteirechte ab und übernahm sie mit<br />
Zustimmung von Erzbischof, Papst, König<br />
und Kaiser als freies Eigentum. Die rechtlichen<br />
Grundlagen waren somit zweifelsfrei<br />
geklärt. Allerdings galt dies nur für etwa<br />
drei Viertel des klösterlichen Besitzes,<br />
die Vogteirechte <strong>Calenberge</strong>s und somit<br />
auch die oberste Gerichtsbarkeit und die<br />
Schutzherrschaft blieben weiterhin bei den<br />
Askaniern.<br />
Dem Kloster gehörte jedoch Grundeigentum<br />
im Umfang von 10 oder 12,5 Hufen<br />
und außerdem das Schulzengericht,<br />
welches ein Schulze (Schultheiß) in einem<br />
Schulzenhof vor Ort ausübte. Das Schulzenamt<br />
war nämlich in der Regel an den<br />
sog. Siedlungsunternehmer – in diesem<br />
Fall das Kloster Berge – gekoppelt und mit<br />
Besitz verbunden. Als Beamter des Grundherrn<br />
hatte der Schulze die Gemeinde zur<br />
Leistung ihrer Abgaben (Zehnte) anzuhalten<br />
und diese einzuziehen und für die Einhaltung<br />
sonstiger Verpflichtungen zu sorgen.<br />
Er wachte über die Gemeindearbeiten,<br />
also über die Dienstleistungen, welche die<br />
einzelnen Ortsbewohner entsprechend der<br />
Größe ihrer Besitzungen zu leisten hatten.<br />
Außerdem übte er richterliche Befugnisse<br />
auf Gemeindeebene und bei Grenzstreitigkeiten<br />
aus. In späteren Jahrhunderten<br />
Nachtwächterweg<br />
entwickelte sich das Amt des Dorfschulzen<br />
zum Dorfvorsteher, Ortsvorsteher<br />
oder Bürgermeister. Im Gegensatz zum<br />
Schulzengericht hatte das Vogteigericht<br />
über schwerere Straftaten mit Todesfolge<br />
zu urteilen.<br />
Angesichts der Tatsache, dass die<br />
Rechte am Dorf <strong>Calenberge</strong> geteilt gewesen<br />
sind, ist eine Gründung oder auch<br />
Neugründung des vermutlichen Kolonistendorfes<br />
durch das Kloster Berge und die<br />
Askanier, wohl in der zweiten Hälfte des<br />
12.Jahrhunderts, denkbar. Rechtlich gehörte<br />
das Johanneskloster zwar zum Erzstift<br />
Magdeburg, dennoch vertraten die geistig<br />
und politisch regen Äbte selbständig die Interessen<br />
ihres Klosters. Anschließend wechselte<br />
die Zuständigkeit mehrmals, sodass<br />
es nicht ganz leicht ist, die Gegebenheiten<br />
zu verstehen. Im 14. und 15.Jahrhundert<br />
verloren die Vogteirechte ihre wichtige politische<br />
Bedeutung. Auch im 16.Jahrhundert<br />
änderten sich die Strukturen weiter. In den<br />
ostelbischen Klosterorten wandelte sich<br />
die askanische Obergerichtsbarkeit in<br />
eine kursächsische Landesherrschaft, da<br />
die sächsischen Herzöge inzwischen den<br />
Titel Kurfürsten trugen.<br />
Interessant erscheint in diesem Zusammenhang,<br />
dass 1283–1343 das Schloss
Gommern und somit auch die askanischen<br />
Vogteirechte an das Erzstift Magdeburg<br />
verpfändet gewesen sind. Ab 1419 bis 1539<br />
gehörten sie dem Rat der Altstadt Magdeburg<br />
als Pfand. Durch diesen Umstand<br />
war <strong>Calenberge</strong> von Steuerauflagen und<br />
anderen allgemeinen Maßnahmen der kursächsischen<br />
Landesherren befreit. Jedoch<br />
ergänzte der Magdeburger Rat die mit der<br />
Herrschaft über das Schloss verbundenen<br />
Rechte wie Blutgericht und Dienste durch<br />
Huldigung, Schwur, Folge und einen Geldbetrag<br />
und verfügte somit mit Ausnahme der<br />
Flurhoheit und der gewöhnlichen Gerichtsbarkeit,<br />
die beide nach wie vor das Kloster<br />
Karte um 1730,<br />
Saxoniae Tractus<br />
Ducatum Magdeburgensem,<br />
Ausschnitt<br />
(St.A. Rep. KS II 4)<br />
Berge über das Schulzengericht ausübte,<br />
über die dorf- und landesherrlichen Rechte.<br />
Steuern konnte er in <strong>Calenberge</strong> allerdings<br />
nicht durchsetzen.<br />
Ein weiterer Abschnitt in der <strong>Calenberge</strong>r<br />
Geschichte begann mit der erneuten<br />
Ablösung des Gommerschen Schlosses<br />
1539 durch Kursachsen. Der Amtsbezirk<br />
Gommern lag jetzt im Kreis Belzig. Somit<br />
endete der Einfluss des Rates der Altstadt<br />
Magdeburg. In der Folgezeit versuchte<br />
Kursachsen bis ins 18.Jahrhundert immer<br />
wieder, neben seinen bestehenden Rechten<br />
auch die weitere Herrschaft über das Dorf<br />
zu gewinnen. Bei der Belagerung Magde-<br />
Wappen vom Kloster<br />
Berge mit der Jahreszahl<br />
1701 in der <strong>Calenberge</strong>r<br />
Friedhofsmauer<br />
burgs 1551 im Schmalkaldischen Krieg<br />
übernahm der Hauptmann zu Gommern<br />
den Schutz des Dorfes und ließ sich dafür<br />
reichlich entlohnen. Auch versuchte das<br />
Amt Mitte des 16.Jahrhunderts das inzwischen<br />
wüste Schulzengericht wieder aufzubauen<br />
und an sich zu ziehen. Der Abt vom<br />
Klosters Berge vereitelte jedoch dieses Bestreben,<br />
indem er das Schulzengericht an<br />
Hans Aleman zu Magdeburg überschrieb.<br />
Diese Verschreibung von 1558 ist wesentlich<br />
für die Geschichte des Dorfes gewesen.<br />
Zwar hatte Abt Dietrich das verlehnte<br />
Schulzengericht schon 1513 freigekauft,<br />
aber die politischen Wirrnisse der Zeit, die<br />
19
20<br />
für das Kloster 1525<br />
mit Plünderungen<br />
begannen, hatten<br />
jahrzehntelang das<br />
Handeln der Äbte<br />
stark eingeschränkt.<br />
Der neue Klosterschulze<br />
Hans Aleman ließ sich als Erbsasse in<br />
<strong>Calenberge</strong> nieder, belebte das Schulzenamt<br />
neu und baute es zu einer umfassenden<br />
Herrschaft über die Einwohner<br />
aus. Erblich war dieser Besitz aber nicht,<br />
sondern für mehrere Generationen an seine<br />
Familie vertraglich gebunden. Er blieb<br />
genaugenommen Eigentum des Klosters,<br />
das der Schulze durch seine Aktivitäten<br />
sicherte und vermehrte.<br />
Schriftverkehr 1782 zwischen<br />
dem Amt Gommern<br />
und dem Kloster Berge,<br />
betreffend die zwei<br />
dem Amt Gommern zustehenden<br />
Hufen (LHASA 2) Blick zum Klosterbusch Bienenwagen<br />
Über die Abgaben, die sog. Zehnte, welche<br />
die Dorfbewohner an das Kloster zu entrichten<br />
hatten, ist aus früheren Jahrhunderten<br />
nur wenig überliefert. Im 16.Jahrhundert<br />
zahlten sie einen Fleischzehnt. Später<br />
musste <strong>Calenberge</strong> auch einen Bienenzehnt<br />
an das Kloster abtreten, also Honig<br />
liefern, der damals besonders wertvoll war,<br />
weil es noch keinen Zucker gab.<br />
Wieder versuchte das Amt Gommern zu<br />
intervenieren und den Schulzen für sich zu<br />
gewinnen – vergeblich. Die Ereignisse nahmen<br />
nun einen entgegengesetzten Verlauf.<br />
Zwischen 1558 und 1610 kam die Dorfherrschaft,<br />
die dem kursächsischen Amt Gommern<br />
abgerungen wurde, zum Schulzen-<br />
gerichtshof <strong>Calenberge</strong> und somit in den<br />
Besitz des Klosters. Dies nützte letztendlich<br />
den anderen Landesherrn, den Magdeburger<br />
Erzbischöfen. Als Entschädigung<br />
erhielt das kursächsische Amt Gommern<br />
die Eigentumsrechte von zwei Hufen sowie<br />
14 Schillinge von den Höfen, zwei Lachse<br />
zur Fastenzeit (wird als Symbol der Gastpflicht<br />
gegenüber dem Herrn gedeutet) und<br />
zwischen Ostern und Pfingsten 1,5 Ferding<br />
(Ferding = 1/4 Mark) vom Wasser, gemeint<br />
sind die Einkünfte aus der Fischerei der zur<br />
dörflichen Gemarkung gehörenden Teiche.<br />
Letzteres galt als Zeichen der Oberherrschaft<br />
über die Flur. Die Herrschaftsordnung<br />
löste sich in der Folgezeit ganz auf. Im<br />
15. und 16.Jahrhundert waren zwei Drittel
Am Feldweg<br />
der Flur einfaches Pachtland. Die Bauern<br />
leisteten aber bis ins 16.Jahrhundert noch<br />
Mäh- und Fuhrdienste für den Obergerichtsherrn<br />
auf Gommerschen Wiesen.<br />
1613/19 beugte das Kloster eine Gefährdung<br />
seiner Herrschaft endgültig<br />
vor, indem es die Verschreibung an den<br />
Dorfschulzen zurückkaufte und seither<br />
Pacht und Schulzenamt die Gemeinde<br />
vor Ort selbst verwalten ließ. Anfang des<br />
17.Jahrhunderts zahlten die <strong>Calenberge</strong>r<br />
Bewohner zur Ablöse des Obergerichts je-<br />
Zwischen den Häusern<br />
der der gommerschen Amtsschäferei nur<br />
noch drei Fuder Heu.<br />
Wie die anderen Dörfer der Umgebung<br />
und auch die Stadt Magdeburg gehörte <strong>Calenberge</strong><br />
in napoleonischer Zeit ab 1808 zu<br />
Westfalen. Das Amt Gommern bildete nun<br />
einen Kanton im Distrikt Magdeburg des Elbdepartements.<br />
7 Die Klosterherrschaft endete<br />
formell erst mit der Auflösung der Klosterverwaltung<br />
durch die Franzosen im Dezember<br />
1809. Gleichzeitig fielen der Regierung nun<br />
auch die Einnahmen aus den Dörfern zu. <strong>Calenberge</strong><br />
hatte Verpflegungslieferungen zu<br />
leisten und Kriegssteuern zu zahlen, beides in<br />
beachtlichem Umfang. Beim Eintreiben von<br />
Geldern gingen die französischen Soldaten<br />
auf brutale Art und Weise vor. So wird berichtet,<br />
ein Soldat habe versucht, dem greisen<br />
<strong>Calenberge</strong>r Kantor den Kopf zu spalten, weil<br />
das beim Kantor gefundene Bargeld nicht<br />
mehr als 7 Taler und 12 Groschen betrug. 8<br />
1815 ist der Ort preußisch geworden, mit Sitz<br />
des Kreisrates in Leitzkau.<br />
5 Claude, Dietrich, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12.Jahrhundert, 2 Teile, Mitteldeutsche Forschungen, hrsg. von Reinhold Olesch, Walter Schlesinger und Ludwig<br />
Erich Schmidt, Band 67/1 und 67/2, Köln 1972, 1975, Teil II, S.292. 6 Römer, Christof, Das Kloster Berge bei Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565, Göttingen 1970. 7 Handbuch vom<br />
Regierungsbezirke Magdeburg, Zweiter oder topografischer Teil, hrsg. von Hermes, I. A. F. und M. J. Weigelt, Magdeburg 1842, S.127f. Die Zugehörigkeit <strong>Calenberge</strong>s in französischer<br />
Zeit zu Westfalen oder Preußen wird in der Literatur unterschiedlich gesehen. Wie die Gegebenheiten tatsächlich gewesen sind, wäre noch genauer zu untersuchen. An sich war die Elbe<br />
die Grenze des Königreichs Westfalen. Die französischen Soldaten plünderten trotzdem in Ostelbien. 8 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S.15f.<br />
21
22 Auf der <strong>Calenberge</strong>r Flur (Bild W.K.)
Die Bauern, die Höfe<br />
und die Separation<br />
„Niemand soll von des anderen Acker abpflücken, und<br />
wenn ihm auch vorher von seinem Nachbar etwas genommen<br />
worden, dadurch sein eigener Richter werden, vielleicht<br />
auch geschehenes heimzusuchen, obrigkeitliche Hilfe erwarten.<br />
Widrigenfalls nach Vorschrift der Prozessordnung<br />
von 1686, Cap.9 § 4 gewärtigen, dass von jeder Fuhre in ein<br />
Thaler sechs Groschen condemniert werde. Auch soll sich<br />
niemand unterstehen, ohne des Eigentümers Erlaubnis Erbsen<br />
zu pflücken oder andere Feldfrüchte, so wenig zu eigenem<br />
Gebrauch als zum Verkauf abzupflücken, Getreide zu<br />
schrippen, Fuhren auszupflügen oder andere dieser Art von<br />
Feldbeschädigungen vorzunehmen. Wer darüber beschrieben<br />
wird, soll das erste mal sechs Groschen Strafe, wovon der<br />
Feldhüter sechs Groschen bekommt, bezahlen, bei wiederholten<br />
malen aber mit körperlicher Strafe belegt werden.“<br />
§ 5 aus dem Dorf-Articul für die Gemeinde zu Kalenberge 1786 9<br />
Bis ins 19.JahrhunDert setzte<br />
sich die <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung zum größten<br />
Teil aus Wald, Wiesen und Weiden zusammen,<br />
Ackerland machte den geringsten<br />
Teil aus. Den mit Hufen belehnten Bewohnern<br />
standen im Mittelalter in der Regel<br />
ein bis zwei Hufen, umgerechnet 30 bis<br />
60 Morgen zur Verfügung. Davon war die<br />
Hälfte Wiese oder Weide. Große Teile der<br />
Feldmark gehörten als Gemeindeeigentum<br />
dem Dorf. Neben diesem gemeinschaftlichen<br />
Eigentum gab es auch Nutzungsberechtigungen,<br />
die auf dem Grundeigentum<br />
lasteten. Hingegen durften die <strong>Calenberge</strong>r<br />
Bauern bis 1835 den Klösterlichen Forst<br />
nutzen und hier zwei Schweine zur Mast<br />
hineintreiben, das ganze Jahr unter der<br />
Aufsicht des Revierförsters zweimal wöchentlich<br />
trockenes Holz sammeln und dürre<br />
Äste mit einem 12 Fuß langen Haken<br />
abbrechen sowie unentgeltlich das wilde<br />
Obst sammeln. Neben dem Klosterhof<br />
bestanden Bauernhöfe und Pfarrhof als<br />
selbständige Wirtschaftsbetriebe. Ab dem<br />
14.Jahrhundert waren die Besitzungen des<br />
Klosters verpachtet.<br />
Wie Christof Römer in seiner Abhandlung<br />
über die Kloster Bergeschen<br />
Dörfer 10 herausarbeitet, erhielten die<br />
Bauern in den ostelbischen Siedlungen<br />
23
24<br />
Emil Perlberg mit Wagen (Bild D.P.)<br />
des 12.Jahrhunderts allgemein günstige<br />
Besitzrechte, wenngleich erhebliche Teile<br />
der neuen Dörfer den Eigenhöfen des<br />
Klosters vorbehalten blieben. Einige Bauern<br />
wurden jedoch im 13.–15.Jahrhundert<br />
weitestgehend von Magdeburger Bürgern<br />
sowie Magdeburger Klöstern und Stiften<br />
in den Besitzrechten verdrängt, wobei<br />
nicht geklärt ist, ob vielleicht auch die alten<br />
Familien in die Stadt zogen oder ihre<br />
Rechte an Kapitalanleger abtraten. Um<br />
1565 ließen reiche Bürgerfamilien und<br />
die Domdechanei zu Magdeburg 7 1/2<br />
der 10 Klosterhufen bewirtschaften, den<br />
<strong>Calenberge</strong>r Bauern standen aber nur 2<br />
1/2 Klosterhufe zu.<br />
Alte Landtechnik, Bauernfamilie<br />
mit Göpel in <strong>Calenberge</strong> 1913 (Bild D.P.)<br />
Im ersten Drittel des 17.Jahrhunderts lassen<br />
sich die Einwohner <strong>Calenberge</strong>s, bzw.<br />
die jeweiligen Familienoberhäupter oder<br />
Hofbesitzer, namentlich fassen. Magdeburg<br />
erhielt seinerzeit vom schwedischen König<br />
Gustav Adolf sozusagen als Wiedergutmachung<br />
für die schlimme Zerstörung der<br />
Stadt 1631 geistliche Güter aus der Umgebung<br />
als Geschenk, darunter auch <strong>Calenberge</strong>.<br />
Anfang 1635 wurde die Schenkung<br />
vollzogen. Zu diesem Zweck mussten sich<br />
die Bauern nach Magdeburg begeben und<br />
den Untertanen-Eid ablegen. Im Vorfeld<br />
erstellte, namentliche Verzeichnisse protokollieren<br />
ihr Erscheinen. Der zuständige<br />
Geistliche Salomon Petri aus Pechau, der<br />
Bei der Ernte (Bild D.P.)<br />
des Schreibens und Lesens mächtig war,<br />
wurde in punkto „doctrinae et obedientiae“,<br />
also in Sachen Lehre und Gehorsamkeit,<br />
schriftlich verpflichtet. Als „Untertanen zu<br />
Kalenberge“ sind überliefert: Caspar Alemans<br />
Witwe (Bürgermeister), Hans Schultze,<br />
Valtin Becker, Jürgen Schlüter, Brosius<br />
Klehn, Thias Kennemann (Kannenmann),<br />
Peter Benegresser (Benengresser), Drewes<br />
Jörg (Jöng), Joachim Aldelheit, Joachim<br />
Deutscher (Dentscher), Hanß Langen, Paul<br />
Telin (Tilen), Hanß Schrader Holtzförster<br />
und Friderich Benengresser. 11 Nur zwei dieser<br />
Namen lassen sich einige Jahre später<br />
noch den Hofstellen in <strong>Calenberge</strong> zuordnen:<br />
Familie Becker 1698 im Kossatenhof
Emma Egerland mit<br />
ihren Pferden (Bild E.S.)<br />
Nr.4 und Familie Ahlheit 1701 dem Kossatenhof<br />
Nr.10. 12<br />
Die Schenkung ist später für nichtig<br />
erklärt worden. Im Gegensatz zu einigen<br />
Dörfern in der Nachbarschaft, die im Dreißigjährigen<br />
Krieg völlig verwüstet worden<br />
sind, gibt es hierzu über <strong>Calenberge</strong> keinerlei<br />
Nachrichten dieser Art.<br />
Eine besondere Leistung des preußischen<br />
Staates im 19. Jahrhundert ist die<br />
Flurbereinigung gewesen, die als eine Art<br />
Agrarreform eine enorme Steigerung der<br />
landwirtschaftlichen Produktion und somit<br />
eine bessere Versorgung der seit Mitte des<br />
Pferde in der Dorfstraße (Bild D.P.)<br />
18.Jahrhunderts stark wachsenden Bevölkerung<br />
zur Folge hatte. Erste Anfänge sind<br />
durch Friedrich II. bereits im 18.Jahrhundert<br />
initiiert worden. Bisher bestehende Zwänge<br />
und Abhängigkeiten der Bauern von den<br />
Grundeigentümern, in <strong>Calenberge</strong> also vom<br />
Kloster Berge und vom Amt Gommern,<br />
hemmten die Eigeninitiative der Landwirte<br />
ebenso wie der Flurzwang und die Dreifelderwirtschaft.<br />
Außerdem war die starke<br />
Zersplitterung der Flächen nicht ertragsorientiert.<br />
Auf einem Großteil der Grundstücke<br />
lasteten Hutungsrechte. Das Hutungsrecht<br />
erlaubte Landeigentümern, Vieh auf<br />
Grundstücken anderer Besitzer weiden zu<br />
lassen. Dies hemmte beispielsweise den<br />
Anbau bestimmter Erzeugnisse wie der<br />
spät im Jahr zu erntenden Kartoffel. Ein Gesetz<br />
zur Gemeinheitsteilungsordnung vom<br />
7. Juni 1821 zielte auf die wirtschaftliche<br />
Zusammenlegung der zerstreut liegenden<br />
Eigentumsflächen, die Aufhebung der für<br />
die landwirtschaftliche Nutzung nachteiligen<br />
Flurzwänge und Weiderechte und die<br />
Aufteilung der gemeinschaftlich genutzten<br />
Flächen mit der geregelten Zuweisung an<br />
die jeweils berechtigten Bauern. Am Abschluss<br />
des Separationsverfahrens stand<br />
ein Rezess, der die Eigentumsverhältnisse<br />
beschrieb, die Rechte und Pflichten der Beteiligten<br />
begründete und den Ablauf des<br />
Verfahrens darlegte.<br />
25
26<br />
Ernst Perlberg auf den Buschstücken<br />
(Bild D.P.)<br />
Aus dem Separationsrezess <strong>Calenberge</strong>s<br />
vom 30.März 1847 gehen folgende Informationen<br />
zum Bestand und zur erfolgten<br />
Aufteilung hervor:<br />
Acker 315 1/4 Morgen, Wiese 294 1/3<br />
Morgen, Holzungen 277 1/4 Morgen, Hütungsflächen<br />
und unbrauchbares Land 204<br />
2/3 Morgen, Dorffläche 23 1/3 Morgen,<br />
insgesamt 1115 Morgen, also etwa 28%<br />
Ackerfläche und fast 70% Wiese, Holzung<br />
und Weideland. Diese Nutzungsverteilung<br />
mit relativ wenig Ackerflächen lehnte sich<br />
an die Naturgegebenheiten in Flussauen<br />
an. Wiesen, Weideland und Wald gehörten<br />
zum großen Teil der Allgemeinheit, der<br />
große Anger, die Trift, der Schweineanger<br />
Erntekrone (Bild F.B.)<br />
und die Nachtweide dienten für „verschiedenes<br />
Vieh“ das ganze Jahr als Weide. Geschlagenes<br />
Holz aus den gemeinschaftlich<br />
genutzten Waldflächen teilten die 14<br />
Hofbesitzern untereinander auf, Pfarre,<br />
Kirche und Häusler ausgenommen. Wald<br />
war, abgesehen von seiner Wichtigkeit für<br />
den Deichbau, als Weidefläche bis in die<br />
Mitte des 19.Jahrhunderts unentbehrlich,<br />
da Laub und Gras als Futter dienten, das<br />
Laub aber auch als Einstreu in den Ställen<br />
Verwendung fand.<br />
Wie bereits erwähnt gehörten zum Ort<br />
damals 14 Interessenten (Grundbesitzer),<br />
5 Häusler (reine Hausstellen ohne Land<br />
Bauer in Lederhose vor dem alten<br />
Pfarrhaus (Bild D.P.)<br />
wie Zimmermann, Gemeindeholzlager,<br />
Kuhhirtenhaus, Schneider), Nachtwächterhaus,<br />
Spritzenhaus mit Garten, Kirche,<br />
Pfarre und Schule. Die Besitzungen des<br />
einstigen Kloster Bergeschen lehensherrlichen<br />
Schultheißengerichts und des Kloster<br />
Bergeschen Klosterhofs waren verpachtet.<br />
Außerdem bestand ein ehemaliges Schönbachsches<br />
Gut mit 2,5 Hufen, von den 14<br />
Grundbesitzern bereits aufgekauft und<br />
gleichmäßig verteilt.<br />
Der Verteilungs- und Zusammenlegungsprozess<br />
gestaltete sich folgendermaßen:<br />
Nach der Vermessung der Gemeindeflur<br />
bewerteten amtlich bestellte
Ochsengespann (Bild W.Ko.) Pferdewagen (Bild E.Sch.)<br />
Sachverständige die Äcker und Wiesen<br />
nach ihrer Ertragsfähigkeit und Qualität.<br />
Dem Verteilungsplan lagen der jährliche<br />
Reinertrag und die Anteilsrechte der einzelnen<br />
Bauern zugrunde. Die <strong>Calenberge</strong>r<br />
Landwirte erhielten zwischen 38 und 73<br />
Morgen, die Pfarre 68 1/2 Morgen, dazu<br />
das Pfarrwittum (Pfründe) 3 3/4 Morgen,<br />
die Kirche 84 3/4 Morgen, die Schule 15<br />
3/4 Morgen, das Schulzenamt 5 1/4 Morgen<br />
und die Gemeindekasse 20 Morgen.<br />
Im Ergebnis gab es in ganz Preußen<br />
und auch in der <strong>Calenberge</strong>r Flur wesentlich<br />
mehr Acker- und Weideland und verschwand<br />
ein großer Teil der Waldflächen,<br />
die nun nicht mehr an die landwirtschaftliche<br />
Nutzung gekoppelt waren. Gleichzeitig<br />
entstand eine bessere Wegführung. Der<br />
private Besitz der Bauern vergrößerte sich.<br />
Hutungsrechte, in der Folgezeit auch Hand-<br />
und Spanndienste – welche die Verpflichtung<br />
zu körperlicher Arbeit gegenüber dem<br />
Grundbesitzer und das Stellen von Zugvieh<br />
und Geschirr umfassten – entfielen. 1850<br />
folgte ein Gesetz zur Ablösung der Reallasten.<br />
Als Ersatz für die Reallasten musste<br />
der Begünstigte mit einer Geldsumme<br />
entschädigt werden.<br />
Durch die Separation bewirkte Veränderungen<br />
in der Landwirtschaft lassen<br />
sich in Zahlen belegen. Schon 1865 war der<br />
Anteil der Ackerflächen in der Gemarkung<br />
<strong>Calenberge</strong> auf 53,67%, die Wiesen auf<br />
28,14% gestiegen und der Anteil der Holzungen<br />
auf 0,42% gesunken. 1937 gab es<br />
unwesentlich mehr Wald mit 0,98%, aber<br />
nur noch 0,79% Wiesen und jetzt 81,38%<br />
Ackerland. Die Betriebe teilten sich nun in<br />
folgende Größenklassen: 5 mit 0-5 ha, 4<br />
mit 5-10 ha, 15 mit 10-20 ha und 2 mit<br />
20-50 ha. 13<br />
Trotz des Gesetzes von 1850 lasteten<br />
in <strong>Calenberge</strong> noch bis 1879 Verpflichtungen,<br />
gemeint sind Abgaben in Naturalien<br />
und Gelderträgen, auf verschiedenen Hof-<br />
27
28<br />
Bauer Emil Perlberg (Bild D.P.)
Neugierige Blicke Blick über die Felder Richtung Randau<br />
stellen und Grundstücken, zum Vorteil der<br />
jetzt Kloster Bergeschen Stiftung (Roggen,<br />
Gerste, Pacht, Erbzins usw.). Die Pfarre erhielt<br />
ebenso Abgaben (Eier, Wurst, Brot)<br />
wie die Schule (Eier, Wurst und Roggen). Ab<br />
1879 hatten die Verpflichteten als Ablöse<br />
der Realien Renten an die Rentenbank zu<br />
zahlen, bis die Verpflichtungen 1920 endgültig<br />
erloschen.<br />
Haupterwerbszweig der <strong>Calenberge</strong>r<br />
blieb bis in DDR-Zeiten die Landwirtschaft,<br />
seit 1958 in einer Landwirtschaftlichen<br />
Produktionsgenossenschaft (LPG) mit<br />
Schweine- und Rinderzuchtanlage zusammengeschlossen.<br />
Aus der ehemaligen LPG<br />
ging nach der politischen Wende die in<br />
Randau ansässige Agrar GmbH Randau–<br />
<strong>Calenberge</strong> hervor. Wiesen und Ackerland<br />
in der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung werden fast<br />
ausschließlich von ihr bewirtschaftet, während<br />
die Dorfbewohner inzwischen anderen<br />
Berufen nachgehen. Grund und Boden<br />
sind allerdings wieder ins Privateigentum<br />
überführt.<br />
Weizenfeld<br />
Eine bei der Separation 1847 gegründete<br />
Interessentengemeinschaft, in deren Eigentum<br />
damals unbrauchbare Ländereien wie<br />
Wege, Deiche, Wasserlöcher, Uferstreifen<br />
usw. übergingen, existiert mit Unterbrechung<br />
in DDR-Zeiten noch heute. Gewinne<br />
aus den über 60 ha großen Flächen werden<br />
zum Allgemeinwohl des Dorfes investiert.<br />
9 Im Besitz von Ernst Schwarzlose. 10 Römer, Christof, Das Kloster Berge bei Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565, Göttingen 1970. 11 Dittmar, Max, Zur Bevölkerungsstatistik<br />
des Magdeburgischen Landes im Jahre 1635, in: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, Jg.29, 1894. S.273. Das Buch-Exemplar im Stadtarchiv Magdeburg enthält<br />
kleinere Korrekturen, die vermutlich aus der Hand des Autors stammen. 12 Aus der Chronik von Ernst Schwarzlose. 13 Hoffmann, (?), Vom werktätigen Einzelbauern zum Genossenschaftsbauer<br />
im Ortsteil <strong>Calenberge</strong> der Gemeinde Randau und Nachweis der Besitzverhältnisse der letzten 200 Jahre, Schönebeck 1964, in: Stadtarchiv Magdeburg, Rep.47 S4.<br />
29
30<br />
Von Deichen und Fluten<br />
„Versuchte der Feind in Kriegszeiten den Damm zu<br />
durchstechen, so hatten alle Deicher ihm zu wehren.<br />
Wehe dem, der feige den Deichwagen verließ!<br />
Er verlor Leben und Eigentum. Auf Diebstahl an<br />
Holz, das zum Deichbau gehörte, stand Todesstrafe.<br />
Wer einen Mitdeicher bei der Arbeit bestahl,<br />
dem wurden die Ohren abgeschnitten. Bei größeren<br />
Diebstählen wurde auf Tod durch den Strang<br />
erkannt. Kleine Vergehen gegen Mitdeicher und<br />
Deichmeister fanden ihre Sühne durch Geld,<br />
Naturalien und Züchtigung. Der Verbrecher aber,<br />
der einen Deich durchstach, sollte gevierteilt<br />
und sein Körper an 4 Enden des Deiches auf 4<br />
Räder geflochten werden, allen zur schrecklichen<br />
Warnung.“<br />
Willy Otto Riecke 1932 (S.266)<br />
Grundstücksliste<br />
zur Aufteilung<br />
der Kosten für<br />
den <strong>Calenberge</strong>r<br />
Sommerdeich<br />
1838 (Eigentum<br />
E.S.)
<strong>Calenberge</strong>r See, zugefroren (Foto I.S.) Baden im Altwässer (Bild G.H.)<br />
CalenBerges gesChiChte und<br />
Umland sind eng verbunden mit der Elbe und<br />
ihren saisonal wiederkehrenden Hochfluten.<br />
Seit dem 10.Jahrhundert entspricht der Verlauf<br />
der Alten Elbe um <strong>Calenberge</strong> seinem<br />
heutigen, damals noch als Hauptstrom des<br />
Flusses, der sich um das Jahr 1.000 einen<br />
neuen Weg durch sein jetziges Flussbett<br />
suchte. Aus dem ehemaligen Hauptstrom<br />
entstand ein Altarm. Vor dem 10.Jahrhundert<br />
floss der Fluss hingegen am heutigen östlichen<br />
Ortsrand von <strong>Calenberge</strong> vorbei durch<br />
den heute noch in Resten vorhandenen <strong>Calenberge</strong>r<br />
See und dehnte sich, in mehrere<br />
Arme verzweigt, bis nach Wahlitz aus.<br />
Die Alte Elbe tritt von Osten, beim sogenannten<br />
Scheidkolk, in die <strong>Calenberge</strong>r<br />
Gemarkung ein, verläuft in einer großen<br />
Schleife südlich um den Ort herum, dann<br />
zwischen Randau und <strong>Calenberge</strong> hindurch,<br />
bevor sie nördlich von der Kreuzhorst, am<br />
Mönchsgraben, eine Verbindung zur Stromelbe<br />
findet.<br />
Wenn sich im Frühjahr das Schmelzwasser<br />
über die Zu- und Nebenflüsse der<br />
Elbe seinen Weg suchte, trat es nicht nur<br />
über die Ufer der Stromelbe, sondern überschwemmte<br />
auch die Felder neben der Alten<br />
Elbe. Zum Schutz vor den Wassermas-<br />
sen bauten die Bewohner der Elbniederung<br />
unter hohem Kostendruck Deichpolder und<br />
Schutzanlagen verschiedener Art, Buhnen,<br />
Sommer- und Winterdeiche. Schon Erzbischof<br />
Wichmann siedelte im 12.Jahrhundert<br />
flämische Kolonisten im Elbraum um Magdeburg<br />
an und verpflichtete die erfahrenen<br />
Deichbauer zu ersten Deichbau- und Wartungsarbeiten<br />
am Elblauf. Verstöße gegen<br />
die Deichwartung oder Beschädigung der<br />
Deiche hatten brutale Strafen zur Folge,<br />
war doch der Schutz vor dem Wasser von<br />
existentieller Bedeutung.<br />
Es gibt keine Hinweise darüber, wie der<br />
Deichschutz in den ersten Jahrhunderten in<br />
31
32<br />
„Den 23., 24. stürmte das Wasser über alle Dämme und sogar hoch über den Klusdamm,<br />
so daß alle hiesige Gegend in eine See verwandelt sind. Die Not stieg aufs höchste besonders<br />
an dem Sonntage den 24., da man unter beiden Gottesdiensten am Damm arbeitete.<br />
Gegen Abend kam ein Kommissarius von der Kammer und versprach Proviant. Seit 1709<br />
im Febr. ist solche Fluth nicht dagewesen. Vom 24.-30. langsamer Fall und kaltes Wetter.<br />
Man fuhr von Königsborn bis vors Tor nach Magdeburg in einem Kahn.“<br />
Pfarrer Grothe April 1784 14<br />
<strong>Calenberge</strong> organisiert gewesen ist. Früheste<br />
Regelungen zur Kontrolle des Hochwasserschutzes<br />
in der Elbniederung bei<br />
Magdeburg sind für die Zeit um 1500 überliefert.<br />
15 Deichhauptmänner, Deichschulzen<br />
und Deichschöppen traten offizielle Dienste<br />
und regelmäßige Deichschauen an. Im<br />
Dreißigjährigen Krieg sind die Deiche, nicht<br />
zuletzt wegen der kompletten Verwüstung<br />
zahlreicher Elbanrainer-Dörfer, stark vernachlässigt<br />
und beschädigt gewesen.<br />
Deiche führten an drei Seiten um das<br />
Dorf herum, nämlich zwischen <strong>Calenberge</strong><br />
und dem <strong>Calenberge</strong>r See hindurch und<br />
am westlich und südlich gelegenen Lauf<br />
der Alten Elbe entlang. Ein weiterer Deich<br />
lag vor dem Klosterbusch. Der Deich am<br />
Ostufer der Alten Elbe, mit dem Namen<br />
Pechauer Deich, endete unterhalb von<br />
Prester. Darüber hinaus gab es noch einen<br />
langen, kräftigen Deich auf dem Elbenauer<br />
Werder, Ranieser Deich oder Landschaftsdamm<br />
genannt, zwischen der Alten Elbe<br />
und der Stromelbe.<br />
Schon in früher kursächsischer Zeit,<br />
nachweislich spätestens seit Mitte des<br />
16.Jahrhunderts, war das Dorf über das<br />
Amt Gommern zum Deichbau verpflichtet.<br />
Je nach Größe der Gemeinden sind die zu<br />
unterhaltenen Deichstrecken in verschie-<br />
den lange Stücke aufgeteilt gewesen. Alle<br />
Einwohner mussten regelmäßig, vom Dorfschulzen<br />
überwacht, Holzpfähle und Reisigbündel<br />
für den Deich- und Buhnenbau<br />
liefern. Da die <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung in<br />
jüngerer Zeit nicht mehr über genug Wald<br />
verfügte, besorgte man das Holz zum Teil<br />
aus dem Pechauer Forst. Die Gemeinde besaß<br />
bis in die 1940er Jahre auch ein 6,51<br />
ha großes Grundstück mit der Bezeichnung<br />
„Niederweide“ und ehemals mit Eichenwald<br />
bewachsen in der Pechauer Gemarkung.<br />
Nicht nur bei Hochwasser, auch bei<br />
starkem Westwind waren die Dämme in<br />
Gefahr, von den hohen Wellen beschädigt
Alte Elbe bei <strong>Calenberge</strong><br />
33
34<br />
Veränderung des Elblaufs (Ausschnitt aus: Schlüter,<br />
August, Blatt 7)<br />
zu werden. Fand sich eine Stelle, an der<br />
die Deichkrone gelitten hatte oder das<br />
Wasser bereits durch drang, so musste<br />
die Dammwache Bescheid geben und die<br />
Dorfmannschaft an den Dämmen gelagerte<br />
Baustoffe, Holzpfähle, Steine, Stroh und<br />
Reisigbündel, Erde und Sandsäcke herbeitragen.<br />
Nicht selten brachen die Dämme<br />
trotzdem. War die Flut besonders schlimm,<br />
drohte der komplette Ernteausfall. Im Jahr<br />
1771 – um nur ein Beispiel zu nennen –<br />
konnte gar nichts, weder Heu eingefahren<br />
noch Korn geerntet werden, da das Wasser<br />
neun Wochen lang auf den Äckern gestanden<br />
hatte und alle Pflanzen verdorben<br />
waren. 16 Wiederholt verstärkte <strong>Calenberge</strong><br />
seine Deiche.<br />
Historischer Deich verlauf noch vor dem Bau des Umflutkanals<br />
(aus: Riecke S.270)<br />
Eine für das Herzogtum Magdeburg, Jerichowschen<br />
Kreises erlassene Deichschauordnung<br />
von 1721 und eine Zirkularverfügung<br />
von 1798 regelten im 18.Jahrundert<br />
die Deichaufsicht. Polizeiliche Überwachung<br />
der Unterhaltung und Verteidigung<br />
der Deiche oblag sogenannten Deichkommissarien,<br />
die für die regelmäßigen Deichschauen<br />
verantwortlich zeichneten und<br />
notwendige Maßnahmen anordneten. Im<br />
19.Jahrhundert erließ die königliche General-Commission,<br />
zeitgleich mit der Separation<br />
der Weideflächen 1847, ein weiteres<br />
Regulativ zur Unterhaltung der Deiche, das<br />
die Zuständigkeiten erneut genau festlegte,<br />
weil sich die Hochwassersituation zunehmend<br />
verschärfte. Der Bau der Berliner<br />
Chaussee vor Magdeburg 1827 auf einer<br />
hochgelegenen Trasse sowie die Anfang<br />
der 1840er Jahre neu eingerichtete Eisenbahnstrecke<br />
von Magdeburg nach Berlin<br />
hemmten und stauten bei Überflutungen<br />
den Rückfluss der Wassermassen. Zudem<br />
gab es im 19.Jahrhundert nach schweren<br />
Überschwemmungen vermehrtes Viehsterben,<br />
wofür man die Verschmutzung<br />
der Elbe durch böhmische Bleigruben verantwortlich<br />
machte.<br />
Nach Feststellung des Kulturbauamtes<br />
Magdeburg gab es allein auf dem zwischen<br />
Alter Elbe und Stromelbe gelegenen<br />
Elbenauer Werder, der die Ortschaften<br />
Grünewalde, Elbenau, Ranies und Randau
Übersichtskarte<br />
zur Denkschrift<br />
in der Elbenauer<br />
Deich-Regulierungs-<br />
Sache 1865 (St.A.<br />
Rep. KS II 27)
36<br />
umfasste, im Jahr 1845 etwa 100 Bruchstellen.<br />
Außerdem zerstörte das Wasser in<br />
Biederitz damals etwa 40 Häuser. In <strong>Calenberge</strong><br />
rückten die Magdeburger Pioniere<br />
an, um beim Schutz des Dorfes zu helfen.<br />
1862 brachen die <strong>Calenberge</strong>r Deiche bei<br />
„Louisenthal“.<br />
Oftmals reichten die finanziellen Mittel<br />
der Dorfgemeinde nicht mehr aus, um<br />
die entstandenen Deichschäden zu reparieren.<br />
Nach einer schweren Überflutung<br />
1784 gab der König den Befehl, die Dämme<br />
zu verstärken und zahlte über 1.000 Taler<br />
als Unterstützung dazu. 1865 lieh die<br />
Regierungskasse 920 Taler und 15 Silbergroschen,<br />
um den gebrochenen Damm an<br />
der <strong>Calenberge</strong>r Niederweide wiederherzustellen.<br />
Mit dem 1868 begonnen Bau von Umflutkanal<br />
und Pretziener Wehr (ab 1871) erwarb<br />
das Dorf endlich dauerhaft zuverlässigen<br />
Hochwasserschutz und somit auch<br />
wirtschaftliche Sicherheit. Starke Sperrdeiche<br />
entzogen der Alten Elbe nun das<br />
Wasser, so dass sie dem Ort nicht mehr<br />
gefährlich werden konnte. In der Fläche für<br />
den Umflutkanal ging damals u.a. auch der<br />
Jungfernsee bei <strong>Calenberge</strong> auf. Gleichzeitig<br />
reduzierte sich die Anzahl der erforderlichen<br />
Deichpolder in der Elbniederung von<br />
20 auf drei. Drei gleichzeitig gegründeten<br />
Deichverbänden oblag nun die umfassende<br />
Sicherung und Erhaltung dieser Anlagen.<br />
Außerdem trugen sie einen Teil der Baukosten,<br />
den die Gemeinden bis 1923 in jährlichen<br />
Raten entsprechend der Größe und<br />
Güte ihrer Ländereien zu zahlen hatten – ein<br />
geringes Übel im Vergleich zu den Schäden<br />
und gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />
durch die früheren Überschwemmungen.<br />
<strong>Calenberge</strong> gehörte zum Elbenauer Deichverband.<br />
Jeder Deichverband stellte einen<br />
Deichhauptmann, einen Deichinspektor und<br />
einen Deichaufseher. Mit Inbetriebnahme<br />
des Umflutkanals überflüssig gewordene<br />
Deiche gingen in den Gemeinschaftsbesitz<br />
des Dorfes über und wurden zum Teil an die<br />
Bauern verkauft.<br />
Eine bereits 1737 erwähnte Schiffsmühle<br />
am großen Anger auf der Alten Elbe<br />
muss spätestens mit Fertigstellung des<br />
Pretziener Wehrs abgerissen oder verlegt<br />
worden sein. Mit dem Bau der Landstraße<br />
nach Magdeburg und Schönebeck und dem<br />
zusätzlichen Abzweig nach Randau 1884<br />
verschwand auch der Fähranleger für die<br />
Überfahrt zum Nachbarort.<br />
1881 übernahm der Staat die Unterhaltung<br />
des 1875 fertiggestellten Wehrs.<br />
Der ersten harten Probe im März 1876<br />
hatte es allerdings nicht standgehalten,<br />
da versäumt worden war, die Schleusen<br />
rechtzeitig zu öffnen. Der Wasserdruck<br />
schleuderte in Magdeburg sogar die eisernen<br />
Kanaldeckel in die Höhe. Infolge der<br />
Zerstörung durch die Fluten musste das<br />
Wehr erneut gebaut werden. Ältere Dorfbewohner<br />
in <strong>Calenberge</strong> wissen noch von den<br />
Anlegestellen der Kähne hinter den Höfen,<br />
von wo aus die Bauern nach Schönebeck<br />
zum Einkaufen gestakt sind.<br />
Heute ist Deichschutz Ländersache<br />
und beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz<br />
und Wasserwirtschaft Sachsen-<br />
Anhalt (LHW) angesiedelt.<br />
14 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, z.B. S.23. Schreibweise hier Pfarrer Grothe, manchmal auch Große. 15 Riecke, Willy Otto, Chronik Prester-Cracau,<br />
Magdeburg 1932, S.265. 16 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S.17.
Pfarrer und Pfarrgemeinde<br />
„die sittlichen Zustände in der Gemeinde<br />
sind im Allgemeinen gut zu nennen, doch<br />
fehlt es auch nicht gänzlich an Ausnahmen“<br />
Pastor Hermes im Visitationsprotokoll 1865<br />
„sittliche Umstände günstig, keine uneinige Eheleute,<br />
keine bestrafte Verbrecher, kein Concubinat, keinen<br />
Trunkenbold, keine einheimischen Bettler; damit soll<br />
aber nicht gesagt werden, daß alle Gemeindemitglieder<br />
erweckte Christen wären“<br />
Pastor Hermes im Visitationsprotokoll 1872<br />
Siegelabdruck der Calen-<br />
berger Pfarre aus dem<br />
18.Jahrhundert aus einer<br />
Akte der Superintendentur<br />
Möckern im Kirchenarchiv<br />
der Gemeinde Pechau; das<br />
Siegel zeigt den Altar der<br />
Kirche mit dem Kelch von<br />
1611 und den beiden baro-<br />
cken Leuchtern von 1664<br />
37
38<br />
Taufe in <strong>Calenberge</strong> (Bild E.Sch.) Hochzeit in <strong>Calenberge</strong> (Bild W.K.) Vor der Kirche (Bild F.H.)<br />
Zur eVangelisChen gemein-<br />
De sankt georg in <strong>Calenberge</strong> zählen<br />
momentan noch 16 Gemeindemitglieder.<br />
Die Gläubigen werden zusammen mit denjenigen<br />
in Randau von der Pfarrei in Pechau<br />
betreut und gehören seit 13 Jahren zum<br />
Kirchenkreis Elbe-Fläming Gommern. Gottesdienste<br />
in der <strong>Calenberge</strong>r Kirche finden<br />
regelmäßig einmal im Monat statt. Termine<br />
können im Kreuzhorstkurier oder unter www.<br />
kreuzhorstkurier.de eingesehen werden.<br />
Trotz der geringen Zahl von Gläubigen hat<br />
das christliche Leben des kleinen Ortes weit<br />
in die Geschichte zurückreichende Wurzeln.<br />
Dass in den neu gegründeten oder<br />
aus slawischen Siedlungen hervorge-<br />
gangenen ostelbischen Dörfern schon<br />
sehr früh Kirchen gebaut wurden, ist dem<br />
christlichen Missionsbestreben in den<br />
ehemals slawischen Gebieten geschuldet.<br />
Für <strong>Calenberge</strong> gilt außerdem, dass<br />
sich das Dorf seit seiner Ersterwähnung<br />
in klösterlichem Besitz befand. Eine erste<br />
Pfarrstelle ist 1309 überliefert. In diesem<br />
Jahr schenkte der dortige Pfarrer Conrad<br />
von Kalenberge (Conradus plebanus in<br />
Kalenberge) zusammen mit zwei anderen<br />
frommen Männern dem Kloster Berge<br />
urkundlich die Einkünfte aus drei Hufen<br />
Land für sein Seelenheil. 17 Eine kleine<br />
Kirche im Ort könnte es demnach schon<br />
gegeben haben, vielleicht aber auch nur<br />
einen Betsaal. Im Januar 1562 erscheint<br />
die <strong>Calenberge</strong>r Kirche in einem Inventar<br />
des Klosters und ist somit erstmals verbindlich<br />
nachgewiesen. 18<br />
Bis zur Reformation war die Pfarrei<br />
dem katholischen Bistum Brandenburg<br />
im Erzbistum Magdeburg zugeordnet.<br />
Spätestens seit Mitte des<br />
16.Jahrhunderts unterstand dem Kloster<br />
Berge die Besetzung der Pfarrstelle.<br />
Ihm gehörte auch das Eigentum an<br />
der Pfarrkirche. Nach Auflösung der<br />
Klosterverwaltung unter französischer<br />
Herrschaft war die Suptur in Möckern<br />
mit der Einsetzung der Pfarrer in <strong>Calenberge</strong><br />
beauftragt, anschließend lag die<br />
Zuständigkeit in Leitzkau und bis vor 13<br />
Jahren in Gommern.
Ehemaliges Pfarrhaus auf dem Gelände<br />
des früheren Schulzenhofs<br />
Das Dorf selbst muss spätestens seit 1558<br />
protestantisch gewesen sein, allerdings zu<br />
dieser Zeit noch ohne Pfarrer. Die Pfarrgeschäfte<br />
erledigten die Pechauer oder<br />
Randauer Geistlichen. In den folgenden<br />
Jahrhunderten änderte sich die Zuständigkeit<br />
häufig, da das Dorf einfach zu klein<br />
war, um dauerhaft einen eigenen Geistlichen<br />
für sich in Anspruch nehmen zu können.<br />
Ein kurzer Einblick in die Verwaltung<br />
der Pfarre sei an dieser Stelle gegeben:<br />
Seit 1606 ist ein gemeinsamer Pastor für<br />
Pechau, <strong>Calenberge</strong> und vermutlich auch<br />
Randau nachgewiesen und erst seit 1728<br />
ein eigener Ortspfarrer nur für <strong>Calenberge</strong>.<br />
Dies blieb indes nur bis 1793 so, anschließend<br />
hatte wieder der Pfarrer von Pechau<br />
Osterfeuer 2009 (Foto I.S.)<br />
die Filialkirche in <strong>Calenberge</strong> zu betreuen.<br />
Ab 1822 konnte das Dorf erneut einen<br />
Pfarrer nur für sich allein beanspruchen.<br />
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde<br />
die Pastorenstelle endgültig gestrichen<br />
und die Gemeinde entweder der Pfarre in<br />
Randau angeschlossen oder von Plötzky<br />
aus verwaltet. Das ehemalige Pfarrhaus<br />
ist seit 1974 in Privatbesitz.<br />
Im Archiv der Kirchenprovinz Sachsen<br />
sind die <strong>Calenberge</strong>r Pfarrer mit Hilfe des<br />
historischen Urkundenmaterials in einer<br />
Liste zusammengetragen worden:<br />
Mag. Henricus Buntigus ab 1571<br />
Christophorus Weber ab 1585<br />
1606 – 1728 mit Pechau vereinigt<br />
Jeremias Bertram 1728 – 1746<br />
Johann Friedrich Hörstel 1747 – 1751<br />
Johann Friedrich Kleffel 1751 – 1774<br />
Johann Heinrich Theodor Cuno 1775 – 1776<br />
Ernst Benjamin Ludwig Ernesti 1776 – 1780<br />
Johann Ludwig Gottfried Große (Grothe)<br />
ab 1781<br />
1785 – 1822 Filial von Pechau<br />
Peter Friedrich Hopf 1822 – 1834<br />
Johann Friedrich Conrad Richter 1835 – 1858<br />
Gottfried Ferdinand Hermes 1858 – 1892<br />
Andreas Heinrich Friedrich Hünecke 1892<br />
– 1905<br />
Emil Gustav Biebeler 1905 – 1929<br />
anschließend unbesetzt, von Randau<br />
verwaltet<br />
39
40<br />
Wie vollständig diese Liste ist, wäre noch<br />
zu überprüfen, taucht doch im Zusammenhang<br />
mit dem Kirchbau auch der Name<br />
Pfarrer Wichmann auf. 19<br />
Im Jahr 1771 wohnte der damalige<br />
Pfarrer im ehemaligen Schulzenhof, dessen<br />
Ländereien unter den örtlichen Bauern verpachtet<br />
waren. 1791 gab die Gemeinde <strong>Calenberge</strong><br />
eine neue Orgel in Auftrag. 1864<br />
erhielt der Pfarrer nach Abriss des alten ein<br />
neugebautes Wohnhaus und wenig später,<br />
1882, die Gemeinde eine neue Kirche.<br />
Sowohl an die Gotteshäuser als auch<br />
an die Pfarrstelle waren Besitzungen gekoppelt,<br />
die zum größten Teil verpachtet<br />
gewesen sind. Hingegen bewirtschaftete<br />
der Küster seine wenigen Grundstücke<br />
selbst. Gemeindemitglieder leisteten zusätzlich<br />
nicht unerhebliche Dienste für die<br />
Pfarre, pflügten, säten und ernteten.<br />
Eine Aufzählung von Pastor Grothe aus<br />
dem Jahr 1781 vermittelt einen Einblick in<br />
die Einkommensverhältnisse des Geistlichen.<br />
Für die Unterhaltung der Pfarrei und<br />
seinen eigenen Lebensunterhalt stand ihm<br />
der Ertrag aus mehreren Grundstücken zur<br />
Verfügung, die hier exemplarisch aufgeführt<br />
sind.<br />
Acker: sieben in den Möriken, zwei vor<br />
Brauesholz, ein Pachtstück von der Kirche<br />
hinter Friedrich an der Brücke, vier auf den<br />
Elbmaßen, ein Stück an der Bullenwiese.<br />
Zu den ersten fünf Äckern gehört die Holznutzung<br />
der an den Dämmen stehenden<br />
Bäume<br />
Wiesen: in der Mark vor den breiten Stücken<br />
an der Brücke, ein und ein halbes Stück<br />
in der Mark, zwei kleine Ackerstücke in der<br />
Mark, eine Breite vor dem Möriken Acker, im<br />
Schwernitz drei große und drei halbe Stücke,<br />
dazu die Holznutzung an der Elbseite und<br />
auf den Stücken, hinten im Winkel vier mit<br />
Holznutzung, zwei vorn an der sogenannten<br />
Stiege, ein Stück Kirchenkabel<br />
Holz: eine Holzkabel im Winkel, das<br />
Unterholz in den Kirchenkabeln, die in der<br />
sogenannten „Steieige“ ausgenommen<br />
Bareinkünfte der Pfarre: Der Abt des<br />
Klosters Berge zahlt 20 Taler, die Kirche<br />
40, das Kloster Berge 25, die Kloster Bergische<br />
Pfarrkasse zehn; Beichtstuhl acht<br />
Taler, Zeiten-Geld zwei, Accidenzien drei<br />
Taler zwölf Groschen<br />
In Summa 108 Taler und 12 Groschen,<br />
dazu jährlich sechs Klafter Holz und sechs<br />
Schock Wasen<br />
Für eine Trauung oder Leichenpredigt<br />
zu zahlen: 1 Taler 8 Groschen, Sermon 16<br />
Groschen, Segen 8 Groschen, Taufe 12 Groschen.<br />
20<br />
Das vom Kloster Berge an die Kirche zu<br />
liefernde Holz ist 1842 in eine Geldzahlung<br />
umgewandelt worden, gleiches geschah erst<br />
1879 mit Realien Korn, Brot und Eiern.<br />
17 Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, Halle 1879, Nr. 162. 18 Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, Halle 1879, Nr. 1062. 19 Consistorium für die Provinz<br />
Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong> 1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726.<br />
20 Aufzählung aus: Kahlo, Marlin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929.
<strong>Calenberge</strong>r<br />
Dorfkirche<br />
St. Georg<br />
(Foto St.M.)<br />
Kirche und Kirchhof<br />
„Bekanntmachung. Der Neubau der Kirche in <strong>Calenberge</strong><br />
(ausgeschlossen die inneren Einrichtungen) und der Abbruch<br />
der alten Kirche, veranschlagt auf 28.820 Mk. 69 Pf.<br />
soll an den Mindeßfordernden vergeben werden. Hierzu<br />
habe ich Termin auf Freitag, d. 6. Februar cr., Vormittags<br />
11 Uhr in meinem Bureau hierselbst anberaumt, zu welchem<br />
ich Unternehmer mit dem Bemerken einlade, daß die<br />
Kostenanschläge, Zeichnungen und Bedingungen hier zur<br />
Einsicht jederzeit offen liegen. Burg, den 20. Januar 1880.<br />
Der Königliche Landrath. I A. Der Kreis-Secretair Meyer.“ 21<br />
Zeitungsausschreibung 1880<br />
41
42<br />
Alte Postkarte, verschickt<br />
1917 (Eigentum E.S.)<br />
Die kleine einsChiffige, traditionell<br />
in Ost-West-Richtung ausgerichtete<br />
und als Saalbau konzipierte Dorfkirche<br />
steht ortsbildprägend und weithin sichtbar<br />
an der <strong>Calenberge</strong>r Dorfstraße inmitten eines<br />
Kirchhofs, direkt am nördlichen Eingang<br />
des historischen Dorfkerns. Eine Mauer aus<br />
Bruchsteinen bildet die Einfriedung des<br />
sich nach Westen ausdehnenden Kirchhofs.<br />
Dem Zeitgeschmack der Bauzeit 1880 –<br />
1882 entsprechend ist die evangelische<br />
Pfarrkirche Sankt Georg im Historismus,<br />
speziell in neoromanischem Stil gehalten<br />
und mit großen Rundbogenfenstern und<br />
halbrunder Apsis versehen. Auf der Westseite<br />
erhebt sich mittig vor der Giebelwand<br />
Während der Renovierung 1999 (Foto H.H.)<br />
der hohe Westturm über annähernd<br />
quadratischem Grundriss.<br />
Er trägt einen spitzen<br />
Turmhelm mit Faltdach. Die<br />
Fassaden des Massivbaus<br />
sind in gleichmäßigem Quadermauerwerk<br />
in Sandstein und<br />
Kalkstein aufgeführt und werden<br />
durch vorgeblendete Lisenen und<br />
Rundbogenfriese in leuchtend gelben<br />
Ziegeln gegliedert. Die gelben Ziegel<br />
stammen aus den Greppiner Werken<br />
bei Bitterfeld und waren wegen ihrer<br />
festen und wasserabweisenden<br />
Qualität seinerzeit sehr verbreitet.<br />
Es ist anzunehmen,<br />
Kreuz auf dem Kirchdach<br />
dass es sich bei dem Steinmaterial<br />
um Ummendorfer oder<br />
Pirnaer Sandstein handelt.<br />
Ummendorfer Sandstein fand<br />
beispielsweise schon beim<br />
Magdeburger Dombau Verwendung.<br />
Außerdem gibt es<br />
Abrechnungen über Aderstedter<br />
Steine, wobei es sich vermutlich um<br />
die Kalksteinquader handelt.<br />
Sowohl das sattelförmige Kirchendach<br />
als auch der Turmhelm sind mit<br />
Kelch von 1711
Deckenleuchter um 1910 Kanzel in St. Georg Die Orgel in der <strong>Calenberge</strong>r<br />
Dorfkirche<br />
schwarzen Schieferplatten gedeckt. Zwei eiserne<br />
Kreuze schmücken die Turmspitze und<br />
das Kirchendach. Auf der Nordseite schließt<br />
sich eine kleine Sakristei an. Von den drei Außentüren<br />
befindet sich eine in der Südfassade,<br />
eine zweite im westlichen Turm und<br />
die dritte in der Sakristei auf der Nordseite.<br />
Der Zugang vom Turmuntergeschoss zum<br />
Kirchenraum ist allerdings vermauert. Über<br />
dem Saalraum hängt eine flache Holzbalkendecke,<br />
nur die Apsis ist kreuzrippengewölbt.<br />
Ein gusseiserner, polygonaler Deckenleuchter<br />
aus der Zeit um 1910 ist in den Formen des<br />
späten Jugendstils gehalten. Unterhalb der<br />
Orgelempore wurde vor etwa 50 Jahren mit<br />
Holz und Glas eine Winterkirche abgetrennt.<br />
Nach einer umfassenden Befundung konnte<br />
vor wenigen Jahren die Farbgestaltung des<br />
Innenraums weitestgehend entsprechend<br />
der Originalausmalung aus dem Ende des<br />
19.Jahrhunderts rekonstruiert werden. Die<br />
umfangreichen, 1999 beendeten Maßnahmen<br />
zur Renovierung der Kirche leitete<br />
die Restauratorin Frau Maria Meussling.<br />
Sowohl die Kanzel, die von Wandkonsolen<br />
und Säulen getragene Westempore für die<br />
Orgel, die Orgel selbst als auch das Gestühl<br />
sind Originalinterieur aus der Bauzeit. Der<br />
Taufstein trägt die Jahreszahl 1888 und<br />
steht in der vermauerten Türnische der<br />
Winterkirche. Seit 1994 steht das Gebäude<br />
unter Denkmalschutz.<br />
Für den kleinen Ort dürfte der Kirchenneubau<br />
ein bedeutendes und aufregendes<br />
Ereignis gewesen sein. In zahlreichen<br />
Zeitungen erschien im Januar 1880 nach<br />
umfassender Kalkulation sämtlicher Handdienste,<br />
Fuhrlöhne, Kosten für Material,<br />
Dachdecker, Lehm-, Zimmer-, Steinmetz-<br />
und Maurerarbeiten der oben zitierte Ausschreibungstext.<br />
Aus der Bauakte des Konsistoriums der<br />
Provinz Sachsen 22 geht hervor, dass mehrere<br />
Personen an der Ausführung beteiligt<br />
gewesen sind und der Ablauf nicht immer<br />
reibungslos vonstatten ging. Mit den<br />
Planungen war im Vorfeld der königliche<br />
43
44<br />
Südportal Detail der Kirche Sakristei<br />
Bauinspector bzw. Departements-Baurat<br />
der königlichen Regierung Groß aus Magdeburg<br />
als leitender Baubeamter betraut.<br />
Dass dieser auch den Entwurf fertigte,<br />
lieg zwar nahe, ist aber nicht verbindlich<br />
gesichert. Weiter erscheint in den Akten<br />
ein Bauführer R. Leithold zu Ummendorf,<br />
anschließend wohnhaft in Magdeburg,<br />
Heilige Geiststraße 9, der für Reisekosten<br />
und Diäten und für die Bearbeitung der<br />
Werkzeichnungen entlohnt wird. Vor Ort<br />
leitete der Maurer und Bauunternehmer<br />
Chr. Leps aus Cracau sowohl den Abbruch<br />
der alten Kirche als auch den Neubau, dessen<br />
Fertigstellung er lt. Vertrag bis zum<br />
31. Oktober 1880 leisten wollte. Der Bau-<br />
unternehmer verpflichtete sich außerdem,<br />
anstelle der vorgesehenen Bruchsteine<br />
Werkstücke von bestem sächsischen weißen<br />
Naturstein zu verwenden. Leps, der<br />
auch in Magdeburg zahlreiche Wohnhäuser<br />
errichten ließ, hat sich vermutlich auf<br />
dem Immobilienmarkt verspekuliert. Am<br />
28. Sept. 1880 weist die Königliche Regierung,<br />
Abteilung II, das Konsistorium an, aus<br />
der Kirchenkasse 10.000 Mark möglichst<br />
schnell an Leps auszuzahlen, da dieser<br />
sich in großer Not befände. Mehrere Arbeiter,<br />
Fuhrleute und Handwerker blieben<br />
anschließend auf ihren Kosten sitzen, da<br />
ihr Auftraggeber anscheinend nicht mehr<br />
zahlungsfähig war. Ab 1881 wird ein Bau-<br />
führer Thielecke zu Gardelegen genannt<br />
und letztendlich wieder Baurat Groß, der<br />
die Leitung des Neubaus zu Ende führte<br />
und kurz darauf verstarb.<br />
Weiter berichten die Gemeindeakten,<br />
dass Maurermeister F. Niemann aus Magdeburg<br />
Steinmetzarbeiten, Zimmermeister<br />
Alb. Jul. Hitzeroth aus Sudenburg Tischlerarbeiten<br />
und W. Oeltze aus <strong>Calenberge</strong><br />
Lehmarbeiten erledigten. Dachdeckermeister<br />
Schopf aus Prester arbeitete am<br />
Dach und fertigte auch das Glockengestühl<br />
im Turm. Bildhauer Habs schuf die sechs<br />
Kapitelle für die Säulchen im Chor. Hierbei<br />
handelt es sich mit Sicherheit um den
Kirchhofmauer Ostseite<br />
Künstler Ernst Habs, auf dessen Entwurf<br />
das Friesendenkmal im südlich vom Dom<br />
gelegenen Park am Fürstenwall zurückgeht.<br />
Ferner beteiligten sich am Kirchbau<br />
der Schlosser Schatz aus Magdburg, F. Krüper<br />
in <strong>Calenberge</strong> mit Schmiedearbeiten,<br />
Wüste in Magdeburg mit Glaserarbeiten<br />
sowie Grunert und Sohn aus Magdeburg<br />
mit dem Turmknopf. H. König in Magdeburg<br />
erledigte die Vergoldung und den Anstrich<br />
des Turmknopfes. Die Gebr. Böhmer<br />
in der Neustadt waren für die Kirchenfenster<br />
und die beiden Kreuze auf dem Turm<br />
und auf dem Dach verantwortlich sowie<br />
für den Glockenbeschlag und das Aufbringen<br />
und Aufhängen der Glocke.<br />
Das Interieur, Kirchstühle, Altar und Kanzel,<br />
fertigte Tischlermeister W. Möhring<br />
aus Schönebeck für insgesamt 338 Mark<br />
und 52 Pfennige. Die Orgel kostete mit<br />
Gehäuse 2511 Mark. Hierfür wurde der<br />
Dessauer Orgelbauer A. Nickol engagiert,<br />
mit dem es anschließend ebenfalls Ärger<br />
gab. So leitete der <strong>Calenberge</strong>r Gastwirt<br />
Heinrich Hesse einen Arrestbefehl gegen<br />
Nickol ein, weil dieser die Summe für Kost<br />
und Logie in Höhe von 290 Mark nicht<br />
zahlen wollte. Für die Ausmalung der Kirche<br />
sorgte Maler Bunge aus Schönebeck.<br />
In einer anderen Liste wird allerdings ein<br />
Ohnesorge aus Magdeburg für das Malen<br />
der Kirche entlohnt. Fr. Keindorff zu Pechau<br />
erhielt Geld für Mauersteine und E. Ludwig<br />
in Magdeburg lieferte die Fußbodenfliesen.<br />
Turmuhrfabrikant Fuchs aus Bernburg erhielt<br />
mit Fertigstellung der Turmuhr 630<br />
Mark und ein halbes Jahr nach Installation<br />
der Uhr, und nachdem diese problemlos<br />
funktionierte, nochmals 630 Mark. Als<br />
nette Episode erscheint uns heute die mit<br />
Schwindelanfällen begründete Weigerung<br />
von Kantor Willmann, die Turmuhr aufzuziehen,<br />
woraufhin das Konsistorium mit<br />
Disziplinarmaßregeln drohte, sollte der<br />
Kantor seine Pflichten weiter ignorieren. 23<br />
Eine Revision im Jahr 1883 ergab, dass<br />
der Kirchbau insgesamt 38.261,84 Mark<br />
gekostet hatte, darin 7.312,10 Mark Mehr-<br />
45
46<br />
Grabstein des Simon<br />
Wilde<br />
Wappen am rechten Torpfeiler<br />
der Friedhofsmauer<br />
kosten, begründet durch den Konkurs des<br />
Bauunternehmers Leps. Einen Teil der<br />
Kosten, nämlich 900 Mark für zu leistende<br />
Hand- und Spanndienste, musste die<br />
Gemeinde <strong>Calenberge</strong> selbst aufbringen.<br />
1.954 Mark betrug eine von Leps geleistete<br />
Kaution, die somit verfallen war. Demnach<br />
zahlte die Kirchenkasse des Konsistoriums<br />
auf Anweisung der Königlichen Regierung,<br />
Abteilung Schul- und Kirchenwesen,<br />
35.407,84 Mark.<br />
Obwohl die <strong>Calenberge</strong>r Kirchengemeinde<br />
schon seit dem 16.Jahrhundert<br />
protestantisch ist, hat auch der Neubau<br />
das Patronat aus katholischer Zeit über-<br />
nommen. Der heilige Georg, welcher der<br />
Legende folgend als Ritter im Drachenkampf<br />
dargestellt wird, gilt unter anderem<br />
als Schutzpatron der Bauern und scheint<br />
daher in dieser ländlichen Gegend der wichtigste<br />
Fürbitter gewesen zu sein. Bedauerlicherweise<br />
sind von der Vorgängerkirche,<br />
die vor dem Abbruch im Jahr 1880 baufällig,<br />
eng und düster war und an derselben<br />
Stelle stand, keine weiteren Nachrichten<br />
überliefert. Denkbar ist, dass es sich hierbei<br />
um einen Fachwerkbau wie in Elbenau<br />
oder in Fermersleben gehandelt hat, der<br />
Ende des 19.Jahrhunderts als abbruchreif<br />
galt. Mündliche Überlieferungen bestätigen<br />
dies. 24 Andererseits ist es auch möglich,<br />
dass die Mauersteine der alten Kirche oder<br />
zumindest ihres Sockels in der Friedhofsmauer<br />
aufgegangen sind, da diese neben<br />
Sandstein aus Quarzitgestein besteht, der<br />
auch als Baustein bei mittelalterlichen Kirchen<br />
der Umgebung Verwendung fand. Lediglich<br />
eine 1708 gegossene Bronzeglocke<br />
im Kirchturm, mit der Inschrift „SOLI DEO<br />
GLORIA“ und einem Wappen versehen, sowie<br />
mehrere Relief-Steinplatten sind noch<br />
erhalten.<br />
Zwei frühneuzeitliche Wappensteine an<br />
den Torpfeilern der Kirchhofsmauer sollen<br />
ehemals am Eingang der alten Kirche angebracht<br />
gewesen sein. Das linke ist bis
Blick auf die<br />
<strong>Calenberge</strong>r<br />
Dorfkirche<br />
von Westen<br />
47
48<br />
zur Unkenntlichkeit verwittert. Ein weiteres<br />
Wappen ist auf der Ostseite in die<br />
Kirchhofsmauer eingelassen. Außerdem<br />
hat sich eine stark verwitterte figürliche<br />
Sandstein-Grabplatte aus der Mitte des<br />
17.Jahrhunderts erhalten, die jetzt im Kircheninneren<br />
verwahrt wird. Sie zeigt den<br />
inschriftlich benannten Dorfschulzen Simon<br />
Wilde, lebensgroß, barhäuptig und mit<br />
Halskrause im Harnisch, dazu Schwert und<br />
Streithammer in den Händen und den Helm<br />
zwischen den Füßen, das Gesicht mit dem<br />
krausen Haar nach rechts gewandt. Vier<br />
Ahnenwappen in den Ecken der Grabplatte<br />
ergänzen das Bild. Der Dargestellte wird<br />
in einem Kaufkontrakt von 1626 erwähnt<br />
und ist vermutlich damals der Dorfschulze<br />
gewesen. 25<br />
Über das nicht mehr lesbare Wappen<br />
im linken Torpfeiler der Friedhofsmauer<br />
berichtet noch Martin Kahlo, dass es die<br />
Jahreszahl 1594 und den Namen Alemann<br />
zeigte und es sich somit um das Wappen<br />
der alten Magdeburger Patrizierfamilie,<br />
die in <strong>Calenberge</strong> seit hundert Jahren ein<br />
Lehnsgut und seit 1562 das Schulzenamt<br />
inne hatte, handele. Weiter führt er aus,<br />
das rechte, vierfeldrige Wappen müsse<br />
einem Abt vom Kloster Berge zugeordnet<br />
werden. Es zeigt in zwei Feldern Rosen,<br />
außerdem Eicheln und Fische. Somit ist<br />
sehr wahrscheinlich, dass die beiden Wappen<br />
der Vorgängerkirche zu Ehren der Stifter<br />
– demnach der Abt vom Kloster Berge<br />
und der Dorfschulze – angebracht gewesen<br />
sind. Hieraus ist die Schlussfolgerung<br />
möglich, dass die Vorgängerkirche Ende<br />
des 16.Jahrhunderts errichtet wurde oder<br />
zumindest einen umfassenden Umbau<br />
erfahren hat. Ob dieser Kirchenbau nun<br />
der erste in <strong>Calenberge</strong> war, bleibt weiterhin<br />
offen. Der dritte, etwas größere<br />
Wappenstein in der Friedhofsmauer zeigt<br />
das Wappen vom Kloster Berge und die<br />
Jahreszahl 1701. Ferner sind noch einzelne<br />
Buchstaben zu erkennen, rechts BB<br />
und links ein W. Es handelt sich hierbei<br />
um den Wappenstein des Abtes Wolfhardt<br />
(Schreibweise auch Wolfart oder<br />
Wohlfahrt).<br />
Aus älterer Zeit gehören noch zum Inventar<br />
der Kirche eine vergoldete Taufschale,<br />
die inschriftlich am 29.November 1685<br />
von Jürgen und Margareta Böne gestiftet<br />
wurde, außerdem zwei barocke Altarleuchter<br />
aus Messing, gestiftet 1664 von Catrina<br />
Pielen, deren Nachname auf einem Leuchter<br />
mit „ie“, auf dem anderen nur mit einfachem<br />
„i“ graviert ist. Weiter besitzt die Gemeinde<br />
einen silbernen Messkelch mit vergoldeter<br />
Kuppa. Neben dem Entstehungsdatum<br />
1711 sind um den Fuß in einer schlecht<br />
lesbaren Schenkungs-Inschrift die Namen<br />
der Stifter graviert. Es handelt sich hierbei<br />
um den damaligen Inhaber des Ackerhofes<br />
Nr.1 (Nr.1 laut Separationsrezess) und Gerichtsschulzen<br />
in <strong>Calenberge</strong> Johan Bendix<br />
Drope (Schreibweise auch Troppe) und seine<br />
zweite Frau Anna Magdalena, geborene<br />
Moltrecht aus Gübs.<br />
21 Magdeburgische Zeitung, 21.1.1880, Amtliches Kreisblatt für den ersten Jerichowschen Kreis, 27.1.1880, Magdeburger Tageblatt, 22.1.1880, Tageblatt für die Jerichowschen und<br />
benachbarten Kreise und Burgsche Zeitung, 27.1.1880. 22 Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong><br />
1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726. 23 Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-<br />
Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong> 1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726. 24 Perlberg, Richard, Zeitzeugenbefragung 2002, in: Stadtarchiv<br />
Magdeburg Rep.47 S2, s.p. 25 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S. 32f.
Die Schule<br />
„Ueber Gründung und Einrichtung der Schule ist keine<br />
Kunde auf uns gekommen. Man darf annehmen, daß mit<br />
dem Uebertritt des Klosters Berge zur Reformation die<br />
Gründung einer Schule in die Wege geleitet wurde.“<br />
Martin Kahlo 1929 (S.33)<br />
Wie Der sChulunterriCht<br />
noch im 18. Jahrhundert in Preußen aussah,<br />
ist für uns heute kaum mehr vorstellbar. Der<br />
Schullehrer war manchmal ein ausgedienter<br />
Soldat, in besseren Fällen der Kantor und<br />
Organist, häufig der Küster. Diese Personen<br />
hatten natürlich auch ihre Aufgaben innerhalb<br />
der Kirchengemeinde zu erledigen und<br />
wurden nur äußerst gering und mit der Nutzung<br />
eines kleinen Gemüseackers entlohnt.<br />
Ein Visitationsprotokoll der benachbarten<br />
Randauer Kirchengemeinde aus dem Jahr<br />
1651 gibt beispielsweise Auskunft darüber,<br />
der Pastor habe den Unterricht meist selbst<br />
erteilt, weil der Schulmeister für seinen<br />
Lebensunterhalt sein Schneiderhandwerk<br />
habe ausüben müssen. 26<br />
Sowohl in den Dörfern als auch in der Stadt<br />
bestand eine Klasse häufig aus mehr als 50<br />
Schülern. Der Unterricht fand in dunklen,<br />
feuchten, viel zu kleinen Räumlichkeiten<br />
statt und reduzierte sich während der Erntezeit<br />
oft auf nur zwei Stunden täglich. Es<br />
passierte regelmäßig, dass ein Schulkind<br />
in den dumpfen Klassenzimmern aufgrund<br />
von Sauerstoffmangel in Ohnmacht fiel. Ein<br />
Schulzimmer war nicht selten gleichzeitig<br />
Gemeindesaal oder ein Raum in einem<br />
Privathaus. Ähnlich einfach sah die Wohnung<br />
des Lehrers aus, manchmal nur eine<br />
feuchte, unbeheizbare Stube unter dem<br />
Dach. Ende des 18.Jahrhunderts wurde die<br />
Schulbildung, zuvor gänzlich in kirchlicher<br />
Hand, verstaatlicht.<br />
Schulkind in <strong>Calenberge</strong><br />
(Bild W.K.)<br />
Die Zustände in <strong>Calenberge</strong> werden ähnlich,<br />
aber vielleicht schon wegen der relativ<br />
geringen Einwohnerzahl des Dorfes<br />
nicht ganz so drastisch gewesen sein. Von<br />
Pechau ist vergleichsweise überliefert,<br />
dass sich die Schule im Wesentlichen aus<br />
einem Schulzimmer, Küche, Speisekammer<br />
und Schlafzimmer und einem weiteren<br />
Giebelzimmer unterm Dach, kleinen<br />
Dachkammern, Bodenraum mit Taubenschlag,<br />
dazu Stallgebäude mit Scheune<br />
und Tenne, zusammensetzte. 27 Seit Ende<br />
des 17.Jahrhunderts ist in <strong>Calenberge</strong> regelmäßiger<br />
Schulunterricht nachgewiesen,<br />
da ab 1687 die amtierenden Dorflehrer<br />
oder Schulmeister – wie üblich auch hier<br />
gleichzeitig Küster und Kantor – namentlich<br />
49
50<br />
<strong>Calenberge</strong>r Schule um 1912, Aufnahme<br />
vor dem ehemaligen Pfarrhaus (Bild E.S.)<br />
überliefert sind. 1786 ließ der Ortspfarrer<br />
das Einkommen aus einem Wiesenstück für<br />
den Lehrer abzweigen, um dessen finanzielle<br />
Situation etwas zu verbessern. Die<br />
vielerorts beklagten Umstände änderten<br />
sich erst im Verlauf des 19.Jahrhunderts<br />
und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht<br />
1919.<br />
Seit wann es in <strong>Calenberge</strong> ein eigenes<br />
Schulhaus gab, ist nicht überliefert.<br />
Der früheste Hinweis ist an ein trauriges<br />
Ereignis geknüpft, denn 1702 ertrank der<br />
sechsjährige Sohn des Schulmeisters Conrad<br />
Mertz im Graben hinter dem Schulgarten.<br />
1872 wurde das alte, sehr beengte<br />
Mit Lehrer Gustav Seeger, 1929 (Bild D.P.)<br />
und baufällige Schulhaus abgerissen und<br />
auf Kosten der Kirchenkasse ein Neubau<br />
errichtet. Das inzwischen überbaute und<br />
dadurch stark veränderten Gebäude dient<br />
heute als Gemeindehaus.<br />
Schülerzahlen lassen sich erst ab der<br />
zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts belegen.<br />
1856 besuchten 50 Kinder die Schule<br />
(bei etwa 155 Einwohnern insgesamt), 1866<br />
waren es 38. Dann sank die Schülerzahl auf<br />
20 Kinder 1889, 1895 waren es 24 (Einwohnerzahl<br />
160), 1899 29 (Einwohnerzahl<br />
171). 1927 nutzten nur noch 12 Kinder die<br />
<strong>Calenberge</strong>r Dorfschule (155 Einwohner),<br />
wobei man davon ausgehen muss, dass<br />
Auf dem Schulweg nach Randau (Bild F.H.)<br />
inzwischen das ein oder andere Kind eine<br />
Schule in den Städten der Umgebung besuchte.<br />
Richard Perlberg berichtet, dass in<br />
den 1930er Jahren die Schülerzahl wieder<br />
auf 18 bis 20 Kinder gestiegen war und die<br />
Dorfschule aus 8 Klassen bestand, die gemeinsam<br />
in einem Raum ihrem Unterricht<br />
folgten. 28 Der letzte <strong>Calenberge</strong>r Lehrer<br />
Wilhelm Rinne unterrichtete bis 1939, bis<br />
die Wehrmacht ihn einzog, anschließend<br />
wurde die Schule geschlossen. Die Kinder<br />
gingen jetzt in die Randauer Dorfschule. Ab<br />
den 1970er Jahren mussten die Schulkinder<br />
nach Elbenau fahren, da auch das Randauer<br />
Schulhaus aufgegeben worden war.<br />
26 Hennige, Max, Randau, Gut und Dorf in Vorzeit und Gegenwart, München 1913, S.49. 27 <strong>Festschrift</strong> zur 1000 Jahrfeier der Gemeinde Pechau, Magdeburg 1948, S.13. 28 Perlberg,<br />
Richard, Zeitzeugenbefragung 2002, in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.
Die ganze Schule<br />
1937, Lehrer Wilhelm<br />
Rinne und 8 Klassen<br />
(Bild E.S.)<br />
51
52<br />
Manöverkarte der<br />
8.Division, 1910,<br />
Ausschnitt (St.A.<br />
Rep. KS II 29)
Kriegerdenkmal<br />
auf Dem kleinen Dorfanger<br />
unter einer großen Eiche steht das<br />
wohl in den 1920er Jahren für die Gefallenen<br />
des Ersten Weltkrieges errichtete Kriegerehrenmal.<br />
An einer großen schlichten<br />
Steinstele ist eine Bronzetafel montiert,<br />
darauf die Inschrift:<br />
„1914 + 1918<br />
Ihren tapferen Helden<br />
Wilh. Dankert verm. 24.8.14<br />
Adolf Biebeler gefl. 10.11.14<br />
Herm. Biebeler gefl. 1.1.15<br />
Erich Blume verm. 25.9.15<br />
Felix Biebeler gefl. 3.12.15<br />
Herm. Götze gefl. 28.5.16<br />
Albert Dankert gefl. 27.2.17<br />
Hans Seeger verm. 1.8.17<br />
Gust. Dankert gest. 14.10.18<br />
Heinr. Hesse gest. 16.9.20<br />
die Gemeinde <strong>Calenberge</strong>.“<br />
Denkmal für die<br />
Gefallenen des<br />
Ersten Weltkriegs<br />
(Foto St.M.)<br />
Das Ehrenmal steht unter Denkmalschutz.<br />
In der Dorfkirche hängt an der südlichen<br />
Stirnseite eine weitere Gedenktafel, die<br />
an Friedrich Kahlo, Musketier im 1. Magd.<br />
Infanterie-Regiment Nr.26, erinnert, der im<br />
deutsch-französischen Krieg 1871 fiel. Vor<br />
ein paar Jahren erst haben die <strong>Calenberge</strong>r<br />
im Kirchhof eine weitere Gedenkplatte<br />
für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs<br />
aufgestellt.<br />
Ulan Emil Perlberg (Bild D.P.)<br />
53
54<br />
Partie in Wolters Garten<br />
(Bild E.S.)<br />
Im Dorfkrug<br />
Im Jahr 1898 gründeten der Gärtner<br />
Gustav Wolter und seine Frau Else einen<br />
Baumschul- und Obstbaubetrieb, dem<br />
eine Gaststätte angegliedert war. Gustav<br />
Wolter übernahm die Gaststätte von der<br />
Familie Hesse. Vor und nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg führten Bruno Gustav Wolter und<br />
seine Frau Charlotte in zweiter Generation<br />
die inzwischen bekannte Ausflugsgaststätte<br />
„Parkrestaurant Wolter“ in <strong>Calenberge</strong><br />
weiter. Zum Parkrestaurant gehörten ein<br />
Rosengarten und ein kleiner Park, darin<br />
Gehege für Waschbären, Fasane und Füchse.<br />
1958 musste die Familie Wolter ihren<br />
Betrieb an die Konsumgenossenschaft<br />
Familienrunde im Garten der Gaststätte<br />
Wolters, Postkarte um 1910 (S.L. GF8)<br />
Wolters Parkrestaurant, alte<br />
Postkarte, gestempelt 1908<br />
(S.L. GF4)<br />
zwangsverpachten. Die Eheleute arbeiteten<br />
jetzt als Angestellte im ehemals eigenen<br />
Betrieb, ihre Söhne siedelten noch in<br />
den 1950er Jahre nach Westdeutschland<br />
um und bauten sich eine neue Existenz auf.<br />
Nachdem das Anwesen nach der Wiedervereinigung<br />
zurück in die Hände der Familie<br />
Wolter kam, ist es 1996 an den Niederländer<br />
Henk Til verkauft worden. Seitdem<br />
heißt die Gaststätte „Landhaus Elbebiber“.<br />
Sie ist inzwischen verpachtet.<br />
Der Anfang eines Gaststättenbetriebes<br />
in <strong>Calenberge</strong> ist spätestens im<br />
18.Jahrhundert zu suchen, denn schon<br />
1819 verkaufte Sophie Justine Nicolai das<br />
Im Garten der Gaststätte<br />
Wolters, Postkarte 1929 (S.L. GF7)<br />
gesamte Eigentum ihrer Eltern, das einstige<br />
Gut des Ortsschulzen. Der Hof mit den<br />
Wirtschaftsgebäuden und dem Garten<br />
sowie der angeschlossene Krug gingen in<br />
den Besitz von Johann Andreas Blume über.<br />
Dieser übertrug die Schankgenehmigung<br />
auf seinen eigenen Hof, den wiederum<br />
Heinrich Hesse 1888 erwarb.
Hochzeitsgesellschaft im<br />
Saal des Parkrestaurants<br />
(Bild E.S.)<br />
55
56<br />
Im Falle eines Feuers<br />
„Der Feuerkommissarius und sein Stellvertreter<br />
müssen, damit desto gewisser einer zugegen ist,<br />
beide nach dem Orte des Feuers eilen, sobald die<br />
Sturmglocke geht, oder sie sonst vom Ausbruch<br />
eines Feuers Kunde erhalten. Bis zu ihrer Ankunft<br />
übernimmt der Ortsvorsteher die Leitung der<br />
Löschungs- und Rettungsarbeiten. Erscheint der<br />
Landrath am Orte des Feuers, so steht ihm die<br />
Anordnung der Löschanstalten zu.“ 29<br />
§ 18 der Bestimmungen<br />
des Feuerpolizeikommissarius 1823<br />
Vertrag zwischen der<br />
<strong>Calenberge</strong>r und der<br />
Randauer Feuerwehr<br />
1934 (Eigentum E.S.)
Spritzenhaus<br />
im falle eines feuers mussten<br />
alle <strong>Calenberge</strong>r Männer, sobald die<br />
Sturmglocke läutete, als Spritzenmänner<br />
oder beim Wasserwagen ihren Dienst tun,<br />
und zwar nicht nur im eigenen Dorf. In jedem<br />
Hausflur hing für den Notfall ein lederner<br />
Löscheiner bereit. Für die Wartung<br />
der Spritzen hatte als Spritzenmeister der<br />
Schmied zu sorgen. Brach in einem Nachbarort<br />
ein Feuer aus, so erhielten die eif-<br />
rigen <strong>Calenberge</strong>r Feuermänner oftmals<br />
eine Prämie, die der zuerst angekommenen<br />
auswärtigen Spritze gezahlt wurde. Maurermeister<br />
Ruthe baute 1850 ein neues<br />
Spritzenhaus.<br />
Im Jahr 1934 verschmolzen die Feuerwehren<br />
<strong>Calenberge</strong> und Randau bei einem<br />
Festakt im Gasthof Wolter in Anwesenheit<br />
des Kreisfeuerwehrführers Herrn Bezirksschornsteinfegermeister<br />
Wagner aus Loburg<br />
und unter den Augen von 24 Randauer und<br />
15 <strong>Calenberge</strong>r Männern. Oberbrandmeister<br />
Karl Cupitz kam aus Randau, sein Stellvertreter<br />
Fritz Hesse aus <strong>Calenberge</strong>. Nach<br />
dem Krieg teilten sich die Wehren wieder<br />
in zwei eigenständige Dorffeuerwehren. Ein<br />
1940 vom Baugeschäft Otto Möbes geplantes<br />
zweigeschossiges Gemeinde- und Spritzenhaus<br />
mit Gemeindewohnung und Arrestzelle<br />
ist nicht realisiert worden. 1991 folgte<br />
die Freiwillige Feuerwehr <strong>Calenberge</strong> einer<br />
Einladung der Freiwilligen Feuerwehr Uetze<br />
in Niedersachsen. Aus dieser Begegnung<br />
entwickelte sich in den folgenden Jahren<br />
eine intensive Partnerschaft mit<br />
gemeinsamen Treffen<br />
und Veranstaltungen.<br />
Familienfreundschaften,<br />
die sich damals<br />
entwickelten, bestehen<br />
bis heute.<br />
Entwurf für ein<br />
Feuerwehrhaus<br />
in <strong>Calenberge</strong><br />
(St.A., Bauaktenkammer,<br />
Bestand<br />
<strong>Calenberge</strong>)<br />
29 Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Magdeburg Nr.2 vom 10. Januar 1824, S.12, in: Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt, LHASA, MD, Rep.C30 Landratsamt Magdeburg Lit F Nr.13.<br />
57
58<br />
Nazi-Regime und<br />
Zweiter Weltkrieg<br />
„Das Ende kam, und es war grauenvoll! Zu<br />
Hunderten kamen sie, Flüchtlinge mit und<br />
ohne Gepäck, mit kleinen Kindern und alten<br />
Leuten, immer in Richtung Westen, weg von<br />
den Russen, keiner dachte daran zu bleiben. Aus Ost- und<br />
Westpreußen und aus dem Sudentenland kamen die meisten<br />
und versuchten über die Elbe zu kommen. Und dann<br />
kam die Rote Armee. Nicht mit Panzern und schweren<br />
Waffen, nein, mit kleinen zottigen Pferden, Panjewagen und<br />
Kalaschnikows kamen sie wie die Heuschrecken in unübersehbarer<br />
Zahl, Fahrräder und Armbanduhren waren ihre<br />
liebsten Trophäen, und nachts hallten die Hilferufe vergewaltigter<br />
Frauen und Mädchen durchs Dorf.“<br />
Ernst Schwarzlose 2009<br />
<strong>Calenberge</strong>r Schmiede<br />
und Bäckerei nach<br />
dem Bombenangriff<br />
1942 (Bild E.S.)
Straßenszene in den 1930er Jahren<br />
(Bild D.P.)<br />
anfang Des 20. JahrhunDerts<br />
gab es in <strong>Calenberge</strong> eine Schmiede und<br />
eine Bäckerei, die von ein und derselben<br />
Person geführt wurden. Die Dorfbewohner<br />
brachten sozusagen ihren Blechkuchen<br />
zum Schmied, um ihn backen zu lassen. Als<br />
später der zugezogene Bäckermeister Richard<br />
Lohse die Bäckerei übernahm, stellte<br />
er einen eigenen Schmied ein. Lohse besaß<br />
auch das erste Auto im Dorf.<br />
Was die Verblendung der Menschen<br />
durch das Hitler-Regime betrifft, so stellte<br />
der kleine Ort in der Elbniederung keine<br />
Ausnahme im Deutschen Reich dar.<br />
Es gab keine nennenswerte Opposition<br />
gegen den Diktator, man fügte sich mit<br />
mehr oder weniger patriotischem Eifer<br />
Erntefest in den 30er Jahren (Bild G.H.) Kriegszeiten (Bild D.P.)<br />
und mit der Hoffnung auf bessere Zeiten.<br />
Mit Kriegsausbruch 1939 gingen alle<br />
wehrfähigen Männer an die Front. 1941 fiel<br />
Alfred Richter als erster junger Mann aus<br />
<strong>Calenberge</strong>. Frauen und Kinder sowie die<br />
Großeltern mussten nun allein die Landwirtschaft<br />
bewältigen, bis ihnen serbische<br />
Kriegsgefangene zur Unterstützung für<br />
die Landwirtschaft zugeteilt wurden. Die<br />
Serben wohnten im ehemaligen Schulhaus<br />
und durften sich tagsüber frei bewegen. Ein<br />
deutscher Soldat versah den Wachdienst.<br />
Selbst das kleine und strategisch unbedeutende<br />
Dorf <strong>Calenberge</strong> blieb nicht von<br />
den alliierten Angriffen verschont. Gab es<br />
Bombenalarm, so blies der Gemeindediener<br />
lautstark in seine Trompete und alle<br />
Bewohner liefen zu ihren mit Holz ausgekleideten<br />
Bunkern hinter den Höfen. 1942<br />
brannte nach einem Fliegerangriff die<br />
Bäckerei nieder. Am 22.Janunar 1944 um<br />
21:30 Uhr wurde das Dorf schwer getroffen,<br />
vermutlich durch vom Wind abgetriebene<br />
Leuchtmarkierungen, die eigentlich<br />
auf die Industrieanlagen in Magdeburg<br />
Südost zielten. Es brannte an mehreren<br />
Stellen. Der Nachtwächter Ignatz Wyrembeck<br />
kam durch die Geschütze der Tiefflieger<br />
ums Leben. In Folge dieses Angriffs<br />
stationierte die Fliegerabwehr zum Schutz<br />
der Schönebecker und Magdeburger Industrie<br />
vorübergehend sechs Fliegerabwehrgeschütze<br />
südlich des Dorfes, rechts vom<br />
Winkelweg. Der dazugehörige Scheinwerfer<br />
stand vor dem Kantorkolk.<br />
59
60<br />
<strong>Calenberge</strong> in jüngerer Vergangenheit<br />
Parkrestaurant <strong>Calenberge</strong>,<br />
Gaststube, Saal,<br />
Bauernstube, Veranda,<br />
um 1950 (S.L. GF9)<br />
„Die Mitglieder einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft<br />
verpflichten sich, ihre genossenschaftliche<br />
Wirtschaft zu stärken, ehrlich<br />
zu arbeiten, das Einkommen der Wirtschaft entsprechend<br />
der Menge und Qualität des eingebrachten<br />
Landes und der geleisteten Arbeit zu<br />
verteilen, das staatliche und genossenschaftliche<br />
Eigentum zu behüten, die Traktoren und<br />
die genossenschaftlichen Maschinen und<br />
Geräte zu pflegen, das Zucht- und Nutzvieh<br />
gut zu betreuen, ihre Pflichten gegenüber<br />
dem Demokratischen Staat zu erfüllen und<br />
auf diese Weise ihre Genossenschaft zu<br />
einer mustergültigen landwirtschaftlichen<br />
Großwirtschaft zu entwickeln und alle<br />
Mitglieder der Genossenschaft wohlhabend<br />
zu machen.“ 30<br />
Hoffmann, Referatsleiter Kataster beim Rat des<br />
Kreises Schönebeck 1964
als Die rote armee in <strong>Calenberge</strong><br />
1945 einzog, richteten die Soldaten<br />
im Haus Schwarzlose ihre Kommandantur<br />
ein. Die Russen holten alle älteren <strong>Calenberge</strong>r<br />
und den Bürgermeister Albert Horn<br />
ab. Letzterer kehrte nicht zurück, er starb<br />
1948 im Internierungslager. 1946 enteignete<br />
die sowjetische Besatzungsmacht seinen<br />
Besitz. Innerhalb einer Stunde musste<br />
seine Familie mit Handgepäck den Landkreis<br />
verlassen. Nach dem Vorbild sowjetischer<br />
Arbeiter- und Bauernräte richtete<br />
die Standortverwaltung der Roten Armee<br />
auch in <strong>Calenberge</strong> ein Verwaltungsgremium<br />
ein, das ein aus Schlesien vertriebener<br />
Deutscher namens Gellwitz anführte.<br />
Für die Dorfgemeinschaft, die das<br />
Schicksal aller Deutschen teilte und einige<br />
Väter und Söhne im Krieg verloren hatte,<br />
waren die ersten Nachkriegsjahre eine entbehrungsreiche<br />
Zeit, obwohl es ihnen um<br />
ein Vielfaches besser ging als den vielen<br />
Flüchtlingen und Großstadtbewohnern. Im<br />
Jahr 1947 erfror das Wintergetreide und<br />
anschließend regnete es kaum, sodass das<br />
Soll der Zwangsablieferungen pro Hektar,<br />
an welches sich die Schlachterlaubnis<br />
koppelte, nicht erfüllte werden konnte.<br />
Wie überall nach dem Krieg schlachteten<br />
auch die <strong>Calenberge</strong>r Bauern schwarz und<br />
setzten sich damit großer Gefahr aus. Im<br />
LPG-Bauern (Bild H.G.) Bei der Rübenernte (Bild H.G.)<br />
Lauf der 1950er Jahre entspannte sich die<br />
Situation, nicht zuletzt durch ein neues<br />
Preissystem, mit dem Überproduktionen<br />
drei- und vierfach vergütet wurden.<br />
Mit Datum vom 1.Juli 1958 schlossen<br />
sich die <strong>Calenberge</strong>r Bauern in einer LPG<br />
Typ I zusammen. Dies bedeutete, dass die<br />
Viehwirtschaft vorübergehend noch bei den<br />
einzelnen Bauern verblieb, während sie die<br />
Äcker gemeinsam bestellten. Obwohl man<br />
diesen Zusammenschluss von offizieller<br />
Seite als freiwillig propagierte, war er doch<br />
erzwungen worden. Die Einzelbauern hatten<br />
entweder kein oder nicht genügend Saatgut<br />
und Düngemittel erhalten. Schon wenige<br />
Monate später, am 1.Januar 1959 wandelte<br />
sich die LPG Typ I in Typ III, sodass die ge-<br />
meinsame Bewirtschaftung nun alle Bereiche<br />
umfasste und aller Besitz, das Vieh, die<br />
Maschinen und das Land, in der LPG aufgingen.<br />
Zur Eigennutzung bzw. Eigenversorgung<br />
blieb jeder Familie ein Grundstück von<br />
0,5 ha und etwas Vieh. Ältere <strong>Calenberge</strong>r<br />
können sich noch daran erinnern, wie das<br />
Vieh von den Höfen getrieben wurde. Friedrich<br />
Wille übernahm das Amt des ersten<br />
Vorsitzendenden der LPG. Die ersten Bauten<br />
für den Wirtschaftshof entstanden ab<br />
1964 am Nordausgang des Dorfes. Im Jahr<br />
1963 richtete ein Brand großen Schaden in<br />
<strong>Calenberge</strong> an.<br />
Nach dem Zusammenschluss mit der<br />
LPG Randau im Jahr 1974 erzielte die Genossenschaft<br />
gute Erfolge. Hingegen war<br />
61
62<br />
Luftbild Mitte<br />
1980er Jahre,<br />
Ausschnitt (St. M.)
LPG-Gebäude heute<br />
die Bildung einer KAP (Kooperative Agrarproduktion)<br />
zwei Jahre später, welche die<br />
Ackerwirtschaft von der Dornburger Wische<br />
bis zur Berliner Chaussee in Magdeburg zusammenschloss<br />
und von der Viehwirtschaft<br />
abkoppelte, ein Fehler. Wegen der großen<br />
Fläche bereitete es enorme Mühe, die Produktion<br />
zu überschauen und die Erträge sanken.<br />
Außerdem musste nun das Futter für die<br />
Viehwirtschaft eingekauft werden, denn die<br />
Abteilung Tierproduktion blieb bis zur politischen<br />
Wende ein eigenständiger Betrieb.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte<br />
der Landkreis Jerichow I kurzzeitig zu<br />
Calbe und dann zum Landkreises Schö-<br />
30 Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 47 S4, S. 38.<br />
Hochsitz am Rand der<br />
Alten Elbe<br />
nebeck/Elbe. Bis zum Zusammenschluss<br />
mit Randau 1952 gab es im Dorf einen<br />
Bürgermeister. Dieser hatte ein Telefon,<br />
ebenso die Gaststätte und später auch die<br />
LPG. Frau Meseberg und Frau Schwarzlose<br />
stellten einem Arzt zum Praktizieren ihre<br />
Wohnstuben zur Verfügung, um kranken<br />
Dorfbewohnern lange Anreisewege zu ersparen.<br />
Schon vor dem Krieg bestand bis<br />
1945 im ehemaligen Pfarrhaus eine kleine<br />
Polizeistation. Diese Stelle übernahm zu<br />
DDR-Zeiten ein Volkspolizist. Das Spritzenhaus<br />
verfügte über eine kleine Arrestzelle.<br />
Jagd- und Fischereirechte lagen ursprünglich<br />
in den Händen des Klosters.<br />
Erst 1870 gingen sie auf den Grundbesitz<br />
der jeweiligen Bauern über. Der DDR-Staat<br />
trennte Jagdrecht und Grundeigentum erneut.<br />
Seit der politischen Wende ist die<br />
Jagd wieder an das Grundeigentum gebunden.<br />
1991 gründete sich die Jagdgenossenschaft<br />
<strong>Calenberge</strong>, welche die Flächen<br />
verpachtet.<br />
Die politische Wende 1989/90 haben<br />
viele Dorbewohner sehr intensiv erlebt und<br />
auch aktiv mitgestaltet. Zu nennen sind<br />
hier vor allem die Familien Hesse und Czogalla<br />
sowie der ehemalige Bürgermeister<br />
Werner Riemer.<br />
63
64 Gehrenkolk
Naturraum Elbe – Kolke,<br />
Altarme, Altwässer<br />
im laufe Der JahrhunDerte<br />
änderte die Elbe mehrmals ihren Lauf,<br />
spaltete sich in zwei oder manchmal auch<br />
drei Arme, so dass die angrenzende Landschaft<br />
einer ständigen Veränderung unterworfen<br />
war und sich Altarme bildeten,<br />
während sich der Fluss einen neuen Weg<br />
suchte. Dieser Prozess ist für einen frei<br />
fließenden Fluss etwas ganz Natürliches.<br />
Bis um das Jahr 1.000 flossen die größten<br />
Wassermengen durch die heutige Alte Elbe.<br />
Später verlor der Ostarm immer mehr an<br />
Bedeutung. Dennoch hinterließen regelmäßige<br />
Überflutungen Kolke, die allmählich<br />
wieder verlandeten, während sich neue<br />
bildeten.<br />
Kolke sind Erosionserscheinungen und<br />
entstehen in Flussbetten in der Fließgewässersohle<br />
oder in Flussauen durch Hochwasserereignisse.<br />
Während der leichte Boden<br />
durch das Wasser fortgeschwemmt<br />
wird, bleibt der festere Untergrund, Lehm<br />
oder Festgestein, stehen. Kolke können<br />
große Tiefen aufweisen. Da mit dem Bau<br />
Altwässer bei <strong>Calenberge</strong><br />
des Elbe-Umflutkanals und des Pretziener<br />
Wehrs seit fast 150 Jahren die gefährlichen<br />
Fluten endgültig gebannt sind, entstehen<br />
auch keine neuen Wasserlöcher mehr. Seit<br />
gleichzeitig die Alte Elbe vom Hauptstrom<br />
abgeschnitten ist, entwickelten sich aus<br />
dem ehemaligen Altarm der Elbe Stillgewässer,<br />
Altwässer genannt, die sich zunehmend<br />
fragmentierten. Die naturgegebene<br />
Dynamik der Landschaft ist seither unterbunden.<br />
Was dem Menschen nutzt und für<br />
die Kulturlandschaft von grundlegender<br />
Bedeutung ist, schadet hingegen der Tierwelt.<br />
Den Altwässern fehlt der Kontakt zum<br />
Hauptstrom und somit der Wasseraustausch,<br />
sie verlieren zunehmend an Tiefe<br />
und Sauerstoff.<br />
Viele Kolke und Wasserlöcher sind<br />
schon vor hundert Jahren zugepflügt und<br />
verfüllt worden, weitere verlandeten und<br />
verschwanden in den vergangenen Jahrzehnten.<br />
Alte Bezeichnungen wie „Schultenkolk<br />
vor der Hölle“, „krumme Lake“ und<br />
65
66<br />
Kolk mit alten Eichen mitten in der Weide<br />
„Winkelkölke“, „Heidensümpfe“ oder „der<br />
Kolk auf dem Möhreken“ und auch „Klauslaake“<br />
geraten zunehmend in Vergessenheit,<br />
da die Wasserlöcher hierzu nicht mehr<br />
existieren. Vorhanden sind hingegen noch<br />
der „Scheidkolk“ an der Gemarkungsgrenze<br />
(nur noch in Resten) und der „Katzenkolk“<br />
(heute nicht mehr <strong>Calenberge</strong>r Feldmark),<br />
die „Gehrenkolke“ (nur noch einer) und die<br />
„Pfingstwiesenkolke“, die „Höllenkolke“ vor<br />
dem Pechauer Busch, ein Kolk im Pechauer<br />
Busch, der „<strong>Calenberge</strong>r See“, dessen südlicher<br />
Teil schon lange verlandet ist, die<br />
Im Niederholz bei <strong>Calenberge</strong><br />
„Kirchsee“ und der „Kanterkolk“ vor dem<br />
Winkel.<br />
Für die Verlandung der Altwässer sind<br />
diverse Prozesse verantwortlich. So auch die<br />
Tatsache, dass sich die Elbe im letzten Jahrhundert<br />
um etwa 1,5m vertiefte und gleichzeitig<br />
der Grundwasserspiegel sank. Außerdem<br />
beschleunigen Düngemittel aus der<br />
Landwirtschaft das Pflanzenwachstum im<br />
Wasser und somit die Verschlammung und<br />
anschließende Verlandung. Hierbei wirken<br />
sich Lage, Wind und Wetter unterschiedlich<br />
auf den Verlandungsprozess aus.<br />
Altwässer in der <strong>Calenberge</strong>r Feldmark<br />
Liebeseiche, im<br />
abgestorbenen<br />
Holz sind Gänge<br />
des Eichenheldbocks<br />
zu sehen
Nördlicher Ausläufer des <strong>Calenberge</strong>r Sees<br />
67
68<br />
Besondere und seltene Tierarten<br />
Die elBauenlanDsChaft südlich<br />
von Magdeburg ist ein artenreiches<br />
Biotop für seltene Tier-, Insekten- und<br />
Pflanzenarten und im großen, nahegelegenen<br />
Naturschutzgebiet Kreuzhorst besonders<br />
geschützt. In fließenden Gewässern<br />
der Elbauen sind Biber, Fischotter<br />
und Wasserspitzmaus heimisch. Noch im<br />
19.Jahrhundert war der Elbebiber den <strong>Calenberge</strong>r<br />
Bauern ein Dorn im Auge, da große<br />
Biberkolonien die Deiche beschädigten<br />
und das fließende Gewässer stauten. Wiederholt<br />
versuchten die Dorfbewohner, die<br />
Nager aus der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung in<br />
die Kreuzhorst zu vertreiben. Seit mit dem<br />
Bau des Umflutkanals der Wasserspiegel<br />
der Alten Elbe sank, ist der Biber in der unmittelbaren<br />
Nachbarschaft des Dorfes nur<br />
noch selten zu finden gewesen. In jüngster<br />
Zeit hat die Population allerdings wieder<br />
deutlich zugenommen.<br />
Als besondere, im Schilf nistende Röhrichtbewohner<br />
gelten Rohrweihe, Teich-<br />
und Drosselrohrsänger sowie die Wasserralle.<br />
Mit etwas Glück begegnet man auch<br />
dem Eisvogel. In der Uferregion nistet die<br />
Beutelmeise. Stehende Altwässer sind<br />
ideal für Laubfrosch, Kammmolch, Rotbauchunke<br />
und Ringelnatter, aber auch für<br />
den überwiegenden Teil aller existierenden<br />
Wasserkäferarten. Die feuchten Tümpel<br />
und sumpfigen Stellen um <strong>Calenberge</strong> mit<br />
ihren Röhrichten, Rieden und Gebüschen<br />
bieten außerdem einen idealen Lebensraum<br />
für zahlreiche Libellenarten. Der<br />
vom Aussterben bedrohte Spitzfleck, die<br />
blaugrüne Mosaikjungfer und die Südliche<br />
Binsenjungfer sind nur drei davon. In Überschwemmungsgebieten<br />
legen Hirschkäfer<br />
unter der Baumrinde von alten abgestorbenen,<br />
dicken Eichen ihre Eier ab.<br />
In der Magdeburger Elbregion sind wegen<br />
des guten Nahrungsangebotes Milane<br />
besonders gehäuft anzutreffen, neben dem<br />
Rotmilan auch der seltenere Schwarzmilan.<br />
Außerdem vermehren sich Kolkrabe und<br />
Nebelkrähe, deren Lebensräume jedoch<br />
nicht auf Feuchtgebiete beschränkt sind,<br />
auffallend zahlreich. Im Auenwald – wie<br />
etwa in der Kreuzhorst – fühlt sich der Pirol<br />
Libellula depressa (Plattbauch); die Libellenart<br />
besiedelt ausdauernd oder zeitweise<br />
trockenfallende, flache Gewässer, besonders<br />
auch Flutrillen von Überschwemmungsgebieten;<br />
sie schlüpft bereits ab<br />
Mitte April, fliegt bis Mitte Juli und legt<br />
ihre Eier im Flachwasserbereich auf treibenden<br />
Grünalgenmatten oder faulenden<br />
Blättern ab<br />
zu Hause. Ein besonderer Schmetterling,<br />
der Schwalbenschwanz, benötigt Trockenrasenflächen<br />
wie sie die Weiden um das<br />
Dorf bieten. Seltene Vogelarten, Wendehals,<br />
Neuntöter und Sperbergrasmücke,<br />
fühlen sich auf Streuobstwiesen wohl.<br />
Als im Jahr 2000 in der Dornburger Alten<br />
Elbe unweit von <strong>Calenberge</strong> die Europäische<br />
Sumpfschildkröte wiederentdeckt<br />
wurde, galt dies unter Wissenschaftlern als<br />
kleine Sensation.
Europäische Sumpfschildkröte<br />
(Emys orbicularis orbicularis),<br />
als die Schildkröte in der Dornburger<br />
Alten Elbe im Jahr 2000<br />
wiederentdeckt wurde, galt<br />
dies als Sensation (Foto H.P.)<br />
69
70<br />
Von der politischen Wende<br />
1989 bis heute<br />
Nachwort von Bernhard Czogalla<br />
Wie üBerall in Der ehemaligen<br />
DDr stand auch die Mehrzahl der<br />
<strong>Calenberge</strong>r dem „Wendegeschehen“ zunächst<br />
zurückhaltend und teilweise kritisch<br />
gegenüber. Es gab aber einige Familien, die<br />
sich schon sehr früh an den Montagsgebeten<br />
und später den Montagsdemonstrationen<br />
im Dom und in Magdeburg beteiligten.<br />
In oppositionellen Gruppen und Initiativen,<br />
wie dem Wirtschaftskreis und der Wendezeitung<br />
„Halle-Magdeburger“, arbeiteten<br />
sie aktiv mit. Am Tag der Einheit, dem<br />
3. Oktober 1990, wurde im Rahmen einer<br />
kleinen, von der Pastorenfamilie Lippold<br />
organisierten Feierstunde durch Richard<br />
Perlberg und Werner Künne im Wendekreis<br />
des Dorfes eine Eiche gepflanzt.<br />
Als sich die Wiedervereinigung abzeichnete<br />
und der Zusammenbruch der ostdeutschen<br />
Betriebe nicht mehr aufzuhalten war,<br />
mussten sich auch die meisten <strong>Calenberge</strong>r<br />
beruflich neu orientieren. So mancher<br />
machte dabei die schmerzhafte Erfahrung<br />
der Arbeitslosigkeit. Die wenigsten ließen<br />
sich aber entmutigen. Das Heft selbst in<br />
die Hand zu nehmen, war und ist eine „<strong>Calenberge</strong>r<br />
Tugend“.<br />
In den schwierigen Jahren des demokratischen<br />
Neuanfangs übernahmen viele<br />
Frauen und Männer aus <strong>Calenberge</strong> auch<br />
politische Verantwortung. Dem Gemeinderat<br />
gehörten von 1990 bis 1994 Richard<br />
Perlberg, Werner Riemer (1992 bis 1994<br />
Bürgermeister von Randau-<strong>Calenberge</strong>),<br />
Juliane Czogalla, Kurt Rüdiger Schulle und<br />
Werner Koch an. Seit der Eingemeindung<br />
am 1. Juli 1994 arbeiteten bis heute <strong>Calenberge</strong>r<br />
im Ortschaftsrat mit. Dies sind:<br />
Wolfgang Hesse, Heike Marzinkowski,<br />
Bernhard Czogalla (musste sein Mandat<br />
niederlegen, da er Beigeordneter in Magdeburg<br />
war), Wilfried Künne, Werner Czogalla,<br />
Torsten Schulle und Elmar Baugut.<br />
Im Rahmen der ersten Gebietsreform<br />
des Landes Sachsen-Anhalt fanden u.a.<br />
öffentliche Veranstaltungen zur Frage der<br />
Eingemeindung der Dörfer Pechau, Randau<br />
und <strong>Calenberge</strong> statt. Nach langen und zum<br />
Teil heftigen Diskussionen sprachen sich<br />
in geheimer Wahl 857 Einwohner mehrheitlich<br />
für die Eingemeindung in das Gemeindegebiet<br />
der Landeshauptstatt Magdeburg<br />
aus. In <strong>Calenberge</strong> votierten 72 %<br />
der Bevölkerung dafür. Am 20.12.1993<br />
fasste die aus 149 Mitgliedern bestehende<br />
Stadtverordnetenversammlung in Magdeburg<br />
unter der Nummer 639-51 (I 93) den<br />
Beschluss für die Eingemeindung der VerwaltungsgemeinschaftRandau-<strong>Calenberge</strong>.<br />
Oberbürgermeister Dr. Willi Polte nahm<br />
zusammen mit Ortsbürgermeister Werner<br />
Riemer am 30.6.1994 die Enthüllung der<br />
neuen Ortstafeln vor.
Oberbürgermeister Dr. Willi Polte und<br />
Bürgermeister Werner Riemer vor<br />
dem Schloss Randau mit dem neuen<br />
Ortswappen von Randau-<strong>Calenberge</strong>,<br />
30.6.1994 (St.A., Foto W.Kl.)<br />
71
72<br />
30.6.1994, Oberbürgermeister Willi Polte<br />
und Bürgermeister Werner Riemer enthüllen<br />
das neue Ortsschild anlässlich der<br />
Eingemeindung (St.A., Foto W.Kl.)<br />
Seit der politischen Wende 1989 und besonders<br />
seit der Eingemeindung hat sich <strong>Calenberge</strong><br />
enorm verändert. Die Elektro- und<br />
Trinkwasserversorgung wurde bereits kurz<br />
nach der Eingemeindung auf den neuesten<br />
Stand der Technik gebracht. Außerdem<br />
wurde das Dorf an die zentrale Abwasserentsorgung<br />
der Landeshauptstadt Magdeburg<br />
angeschlossen. Die Straße zwischen<br />
<strong>Calenberge</strong> und Magdeburg ist grundlegend<br />
ausgebaut. Ein neues Wartehäuschen für<br />
die Bushaltestelle steht schräg gegenüber<br />
der Kirche. Der Personennahverkehr funktioniert<br />
zuverlässig. Das Ortsbild ist mit neu<br />
gestalteter Straße und renovierten Gebäuden<br />
ein komplett anderes geworden. Das<br />
Radwegenetz wurde ausgebaut und durch<br />
touristische Erlebnispfade ergänzt.<br />
Beschilderung für den Erlebnispfad Elbaue<br />
bei <strong>Calenberge</strong><br />
Weitere Beispiele für die positive Entwicklung<br />
sind die Modernisierung der Telekommunikation,<br />
der Ausbau des Bürgerhauses, ein neuer<br />
Kinderspielplatz, die Ausstattung der Feuerwehr<br />
mit moderner Technik sowie die Einbindung<br />
<strong>Calenberge</strong>s in die Dorfentwicklung.<br />
Aber nicht nur die öffentliche Förderung,<br />
auch die Eigeninitiative der Bewohner<br />
gaben den Häuserfassaden und der<br />
Dorfstraße ein neues und liebenswertes<br />
Aussehen. Nach der Kirchenrenovierung<br />
sammelte Richard Perlberg Spenden für<br />
eine neue, funkgesteuerte Turmuhr.<br />
1997 konnte der Ortsteil <strong>Calenberge</strong><br />
(als Dorf) im Rahmen des 3. Landes- und<br />
Regionalwettbewerbes „Unser Dorf soll<br />
schöner werden“ den 2. Platz belegen und<br />
Naturerlebnispfad <strong>Calenberge</strong><br />
erhielt als Preis eine Bank, die jetzt vor dem<br />
Gemeindehaus steht.<br />
Der solidarische Zusammenhalt der<br />
Dorfgemeinschaft wurde vor der „drohenden<br />
Jahrhundertflut 2002“ besonders deutlich.<br />
Jeder Bewohner, der dazu in der Lage<br />
war, füllte und schleppte Sandsäcke, half<br />
bei der Deichsicherung oder kümmerte sich<br />
um ältere oder kranke Nachbarn.<br />
Seinen dörflichen Charakter hat <strong>Calenberge</strong><br />
bei allen Veränderungen gottlob<br />
nicht verloren und wird ihn hoffentlich auch<br />
in Zukunft behalten.<br />
Durch seine idyllische Lage inmitten der<br />
Elbauen und die wiedergewonnene Attraktivität<br />
des Ortes gehört <strong>Calenberge</strong> heute zu<br />
den lebens- und liebenswerten Ortsteilen<br />
der Landeshauptstadt Magdeburg.
Kurze Chronik des Dorfes<br />
1209 erste schriftliche Erwähnung als Besitz<br />
des Klosters Berge<br />
1309 erste Erwähnung eines Pfarrers<br />
1562 die <strong>Calenberge</strong>r Kirche erscheint im Klosterinventar<br />
1635 Schenkung <strong>Calenberge</strong>s an die Stadt Magdeburg durch<br />
König Gustav Adolf<br />
1808 von Napoleon dem Königreich Westfalen angegliedert<br />
1809 Aufhebung der Klosterverwaltung Berge<br />
1815 das Amt Gommern fällt an die preußische Krone,<br />
<strong>Calenberge</strong> wird preußisch im Kreis Jerichow I<br />
1847 Separationsrezess<br />
1869 Gründung des Elbenauer Deichverbandes<br />
1882 Bau der neuromanischen Kirche St. Georg<br />
1884 Bau einer befestigten Straße nach Magdeburg<br />
1952 Bildung der Gemeinde “Randau – <strong>Calenberge</strong>“ im Kreis<br />
Schönebeck/Elbe<br />
1992 Agrar GmbH Randau-<strong>Calenberge</strong> aus den<br />
ehemaligen LPG’s Randau und <strong>Calenberge</strong> gegründet<br />
1994 Eingemeindung nach Magdeburg<br />
1997 2. Platz im Wettbewerb „Unser Dorf soll<br />
schöner werden“<br />
1999 Einweihung der renovierten Dorfkirche<br />
2009 Feier des 800-jährigen Dorfjubiläums<br />
73
74<br />
Winterstimmung (Foto I.S.)
Statistische Angaben zu <strong>Calenberge</strong><br />
charakteristik: Einstraßendorf<br />
lage: 11° 44´ 32´´ östl. Länge;<br />
52° 03´ 44´´ nördl. Breite<br />
höhe: ca. 50 m über NN<br />
einwohner: 93 (46 weibliche und<br />
47 männliche)<br />
Altersdurchschnitt: 45,6 Jahre<br />
Kraftfahrzeuge pro einwohner: 68,09 Prozent<br />
(vgl. MD 47,32 Prozent)<br />
besondere gebäude: Ev. Kirche St. Georg,<br />
Gaststätte mit Park,<br />
Spritzenhaus,<br />
ehemaliges Pfarrhaus,<br />
Gemeindehaus mit<br />
Kinderspielplatz<br />
75
76<br />
<strong>Calenberge</strong>r Bilderbogen
78<br />
Abkürzungen<br />
zu den Abbildungen<br />
B.C. Bernhard Czogalla<br />
D.P. Dorle Perlberg<br />
E.S. Ernst Schwarzlose und Bild -<br />
material von den Bewohnern<br />
<strong>Calenberge</strong>s, zusammengestellt<br />
von Ernst Schwarzlose<br />
E.Sch. Elsbeth Schulle<br />
F.B. Fritz Balzer<br />
F.H. Familie Horn<br />
G.H. Gertraude Hesse<br />
H.G. Heiderose Gruß<br />
H.H. Helmut Hesse<br />
H.M. Heinz Mattern<br />
H.P. Dr. Hans Pellmann, Naturkun-<br />
demuseum Magdeburg<br />
I.S. Ina Schulle<br />
W.K. Wilfried Künne<br />
W.Ko. Werner Koch<br />
LHASA 1 Landeshauptarchiv Sachsen-<br />
Anhalt, Abteilung Magde-<br />
burg, A 4k Kloster Berge vor<br />
Magdeburg Teil I, P Nr.7a Bl.91.<br />
LHASA 2 Landeshauptarchiv Sachsen-<br />
Anhalt, Abteilung Magdeburg,<br />
A 31b I Kursächsische Zentral-<br />
und Lokalbehörden. Akten<br />
betr. das Amt Gommern,<br />
Nr. 432 Deckblatt.<br />
S.L. Kunst- und Kulturstiftung der<br />
Stadtsparkasse Magdeburg,<br />
Postkartensammlung, Samm-<br />
lung Lück<br />
St.A. Stadtarchiv Magdeburg<br />
St.M. Stadtplanungsamt<br />
Magdeburg<br />
W.K. Wilfried Künne<br />
W.Kl. Werner Klapper<br />
<strong>Calenberge</strong>r<br />
Bilderbogen: Fritz Balzer, Dorle Perlberg,<br />
Heiderose Gruß, Gertraude<br />
Hesse, Lotte Perlberg, Elsbeth<br />
Schulle, Werner Koch, Wilfried<br />
Künne, Familie Horn<br />
sonstige<br />
Fotos: Sabine Ullrich 2009
Literatur und Quellen<br />
Amtliches Kreisblatt für den ersten Jerichowschen<br />
Kreis, 27.1.1880.<br />
Amtsblatt der Königlichen Regierung zu<br />
Magdeburg Nr.2 vom 10. Januar 1824,<br />
S.12, in: Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt,<br />
LHASA, MD, Rep. C30 Landratsamt<br />
Magdeburg Lit F Nr.13.<br />
Böttge, Gerhard, Remy, Dominique und<br />
Christian Kunz, Genese von Altwässern, in:<br />
Flussaltwässer, Ökologie und Sanierung,<br />
hrsg. von Volker Lüderitz, Uta Langheinrich<br />
und Christian Kunz, Wiesbaden<br />
2009.<br />
Claude, Dietrich, Geschichte des Erzbistums<br />
Magdeburg bis in das 12.Jahrhundert,<br />
2 Teile, Mitteldeutsche Forschungen, hrsg.<br />
von Reinhold Olesch, Walter Schlesinger<br />
und Ludwig Erich Schmidt, Band 67/1 und<br />
67/2, Köln 1972, 1975.<br />
Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta<br />
betreffend die Kirchen-Visitationen in der<br />
Parochie <strong>Calenberge</strong>, 1842 – 1874, Archiv<br />
der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep. A,<br />
Spec. G, Nr. 6718.<br />
Consistorium für die Provinz Sachsen,<br />
Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und<br />
Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong><br />
1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz<br />
Sachsen, AKPS, Rep. A, Spec. G, Nr. 6726.<br />
Dittmar, Max, Zur Bevölkerungsstatistik<br />
des Magdeburgischen Landes im Jahre<br />
1635, in: Geschichts-Blätter für Stadt<br />
und Land Magdeburg, Jg.29, 1894. S.262<br />
– 302.<br />
<strong>Festschrift</strong> zur 1000 Jahrfeier der Gemeinde<br />
Pechau, Magdeburg 1948.<br />
Handbuch der Provinz Sachsen, Magdeburg<br />
1865.<br />
Handbuch vom Regierungsbezirke Magdeburg,<br />
Zweiter oder topografischer Teil,<br />
hrsg. von Hermes, I. A. F. und M. J. Weigelt,<br />
Magdeburg 1842.<br />
Heineccius, Johann Ludwig von, Ausführliche<br />
topographische Beschreibung des Herzogthums<br />
Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld,<br />
Magdeburgischen Antheils, Berlin 1785.<br />
Hennige, Max, Randau, Gut und Dorf in Vorzeit<br />
und Gegenwart, München 1913.<br />
Hesse, Gertraude, Zeitzeugenbefragung 2002,<br />
in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.<br />
Hoffmann, (?), Vom werktätigen Einzelbauern<br />
zum Genossenschaftsbauer im<br />
Ortsteil <strong>Calenberge</strong> der Gemeinde Randau<br />
79
80<br />
und Nachweis der Besitzverhältnisse der<br />
letzten 200 Jahre, Schönebeck 1964, in:<br />
Stadtarchiv Magdeburg, Rep.47 S4.<br />
Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur,<br />
Schönebeck 1929.<br />
Libellenatlas, hrsg. vom Umweltamt der<br />
Landeshauptstadt Magdeburg, Schönebeck<br />
2002.<br />
Lüderitz, Volker, Langheinrich, Uta und<br />
Christian Kunz (Hrsg.), Flussaltwässer,<br />
Ökologie und Sanierung, Wiesbaden<br />
2009.<br />
Magdeburgische Zeitung, 21.1.1880.<br />
Magdeburger Tageblatt, 22.1.1880.<br />
Mattern, Heinz, Dorferneuerungsplanung<br />
<strong>Calenberge</strong> (unveröffentlichtes Manuskript<br />
1997).<br />
Perlberg, Richard, Zeitzeugenbefragung 2002,<br />
in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.<br />
Riecke, Willy Otto, Chronik Prester-Cracau,<br />
Magdeburg 1932.<br />
Römer, Christof, Das Kloster Berge bei<br />
Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565,<br />
Göttingen 1970.<br />
Schlüter, Otto und Oskar August, Atlas des Saale-<br />
und mittleren Elbgebietes, Leipzig 1957.<br />
Schwarzlose, Ernst, Chronik <strong>Calenberge</strong>s<br />
(Manuskript).<br />
Tageblatt für die Jerichowschen und benachbarten<br />
Kreise und Burgsche Zeitung,<br />
27.1.1880.<br />
Urkunden im Besitz von Ernst Schwarzlose<br />
Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg,<br />
Halle 1879.<br />
Urkundenmaterial aus dem Landeshauptarchiv<br />
Sachsen-Anhalt in Magdeburg und<br />
dem Stadtarchiv Magdeburg.<br />
Hilfreiche Auskünfte und Informationen erteilten<br />
der unermüdliche Heimatforscher<br />
Herr Ernst Schwarzlose, dessen Chronik den<br />
Anlass für die <strong>Festschrift</strong> gab, außerdem Frau<br />
Maria Meussling und Herr Dipl.-Ing. Heinz<br />
Mattern über die Restaurierungsarbeiten der<br />
<strong>Calenberge</strong>r Dorfkirche. Herr Mattern stellte<br />
außerdem seinen leider unveröffentlichten<br />
Dorferneuerungsplan zur Verfügung. Gedankt<br />
sei auch Herrn Dr. Thomas Weber vom Landesamt<br />
für Archäologie und Denkmalpflege<br />
für Informationen über erste Siedlungsspuren<br />
in der Region, Frau Annett-Petra Warschau<br />
als zuständige Pastorin für die Einsicht in die<br />
Pfarrakten sowie den Dorfbewohnern Heiderose<br />
Gruß, Gertraude Hesse, Ina Schulle und<br />
Bernhard Czogalla für ihre Unterstützung<br />
und stellvertretend für alle <strong>Calenberge</strong>r, die<br />
aus ihren Familienarchiven Bilder zur Verfügung<br />
gestellt haben. Besonderer Dank gilt<br />
Herrn Prof. Volker Lüderitz für die vorab erteilten<br />
Informationen aus seiner erst später<br />
erschienenen Publika tion „Flussaltwässer“<br />
sowie Frau Petra Wißner von der Unteren<br />
Denkmalschutzbehörde für die Vermittlung<br />
des Projektes „<strong>Festschrift</strong> <strong>Calenberge</strong>“.
Topografische<br />
Übersichtskarte des<br />
Deutschen Reiches,<br />
Blatt 88 Magdeburg<br />
von 1906, Ausschnitt<br />
(St.A. Rep. KS II 22)<br />
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