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Festschrift [pdf] - Calenberge

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<strong>Calenberge</strong><br />

1209 – 2009<br />

FestschriFt zum<br />

800-jährigen Dorfjubiläum<br />

Text: Sabine Ullrich<br />

U1


Brütender Schwan neben<br />

der Brücke nach Elbenau


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort von Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper 2<br />

Gedanken zu <strong>Calenberge</strong> von Ernst Schwarzlose 4<br />

Allgemeines zur Einleitung 6<br />

Früheste Siedlungsspuren 11<br />

Erste urkundliche Erwähnung <strong>Calenberge</strong>s 14<br />

<strong>Calenberge</strong> als klösterlicher Besitz in askanischem Herrschaftsgebiet 17<br />

Die Bauern, die Höfe und die Separation 23<br />

Von Deichen und Fluten 30<br />

Pfarrer und Pfarrgemeinde 37<br />

Kirche und Kirchhof 41<br />

Die Schule 49<br />

Kriegerdenkmal 53<br />

Im Dorfkrug 54<br />

Im Falle eines Feuers 56<br />

Nazi-Regime und Zweiter Weltkrieg 58<br />

<strong>Calenberge</strong> in jüngerer Vergangenheit 60<br />

Naturraum Elbe – Kolke, Altarme, Altwässer 65<br />

Besondere und seltene Tierarten 68<br />

Von der politischen Wende 1989 bis heute – Nachwort Bernhard Czogalla 70<br />

Kurze Chronik des Dorfes 73<br />

<strong>Calenberge</strong>r Bilderbogen 76<br />

Abkürzungen zum Abbildungsnachweis 78<br />

Literatur und Quellen 79<br />

1


2<br />

Vorwort<br />

von Oberbürgermeister<br />

Dr. Lutz Trümper<br />

Die BauernsieDlung <strong>Calenberge</strong><br />

kann auf eine vielfältige, ereignisreiche<br />

und vor allem langjährige Historie zurückblicken.<br />

Bereits 1209 wird das damalige<br />

„Kahlenberch“ zum ersten Mal urkundlich<br />

erwähnt. Das 800-jährige Bestehen ist<br />

Grund genug, sich der Geschichte <strong>Calenberge</strong>s<br />

zu erinnern, in die Zukunft zu schauen<br />

und natürlich dieses freudige Ereignis<br />

gebührend zu feiern.<br />

Bis 1994 noch ein Dorf vor den Toren<br />

Magdeburgs, gehört <strong>Calenberge</strong> heute als<br />

Verwaltungsgemeinschaft Randau-<strong>Calenberge</strong><br />

zur Landeshauptstadt und ist damit einer<br />

der jüngsten Stadtteile. Nach der Eingemeindung<br />

1994 und der feierlichen Einweihung<br />

der neuen Ortsschilder durch den damaligen<br />

Oberbürgermeister Dr. Willi Polte begann die<br />

umfangreiche Sanierung und Erneuerung der<br />

Gemeinde. Moderne Elektroanschlüsse, Abwasserleitungen<br />

und Gebäuderenovierungen<br />

verschönern heute neben neu gepflasterten<br />

Straßen das Ortsbild. Hier fühlen sich die<br />

Bewohner mit ihrem Stadtteil wirklich verbunden<br />

und konnten 1997 mit Stolz den 2.<br />

Platz im Landeswettbewerb „Unser Dorf soll<br />

schöner werden“ verkünden. Darüber hinaus<br />

bietet das einstige Bauerndorf mit seiner urwüchsigen<br />

Umgebung und den zahlreichen<br />

Tierarten allen Naturfreunden ein wahres<br />

Erholungszentrum im Grünen. Nicht nur die<br />

Bewohner der Region schätzen daher den<br />

Charme dieser ländlichen Idylle und die damit<br />

verbundene Wohnqualität, wie es sie nur<br />

noch selten gibt.<br />

Die stets überschaubare Anzahl der<br />

Bewohner von <strong>Calenberge</strong> ließ sich in den<br />

vergangenen Jahrhunderten nicht von den<br />

Widrigkeiten der Natur, mit dem jährlich wie-<br />

derkehrenden Hochwasser, entmutigen. Die<br />

intensiven nachbarschaftlichen Beziehungen<br />

und der Einsatz für die Gemeinde sind<br />

für viele ein Vorbild. Genau dieses Engagement<br />

zeichnet <strong>Calenberge</strong> bis zum heutigen<br />

Tag aus. Dafür möchte ich allen Beteiligten<br />

herzlich danken und Sie auffordern: Machen<br />

Sie weiter so, damit Randau-<strong>Calenberge</strong> als<br />

modernes Wohngebiet in einer grünen Umgebung<br />

noch attraktiver wird. Für die diesjährigen<br />

Festlichkeiten zum 800-jährigen<br />

Bestehen wünsche ich viel Spaß und gutes<br />

Gelingen.<br />

Dr. Lutz Trümper<br />

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />

Magdeburg


Blick auf <strong>Calenberge</strong> aus der Luft<br />

(Flug dienst Magdeburg)<br />

3


4<br />

Gedanken zu <strong>Calenberge</strong><br />

von Ernst Schwarzlose<br />

„Mitten aber in dem Kranze blühender Gärten,<br />

rauschender Baumwipfel, reichen Buschwerks und<br />

duftender Wiesen ragte das saubere, freundliche<br />

Dörfchen auf, das so ganz geeignet war, den Eindruck<br />

heimischen Wohlgefühls hervorzurufen. Und bei den<br />

sorgsamen, eifrig schaffenden Bewohnern kam auch<br />

deutlich das wohlige Heimatgefühl zum Ausdruck in<br />

stiller Lebensfreude und heiterer Fröhlichkeit.<br />

Man hörte selten etwas von Zank und Streit, und<br />

Rücksichtslosigkeit und Roheit durfte sich nirgends<br />

zeigen. Ganz arme Leute waren im Dorfe selten<br />

vorhanden. Gegenseitige Aushilfe war bei allen<br />

Dorfangehörigen selbstverständlich.“<br />

Martin Kahlo 1929 (S. 51)<br />

Dorfchronik von 1929<br />

(Eigentum B.C.)


CalenBerge wird als „Kalenberch“ am<br />

18. Dezember 1209 erstmals urkundlich<br />

fassbar, und zwar in einer Besitzbestätigung<br />

für das Kloster Berge bei Magdeburg<br />

durch Papst Innozenz III. 2009 jährt sich<br />

die Ersterwähnung zum 800sten Mal. Im<br />

Vorfeld dieses Jubiläums wuchs unter den<br />

<strong>Calenberge</strong>rn der Wunsch, die Geschichte<br />

unseres Heimatortes einer genaueren<br />

Untersuchung zu unterziehen und die geschriebene<br />

Historie im Druck zu veröffentlichen.<br />

Natürlich wird es nicht mehr gelingen,<br />

die Vergangenheit lückenlos aufzuarbeiten,<br />

denn zu viel Wissen ist verloren gegangen,<br />

längst nicht alles aufgeschrieben und vieles<br />

Aufgeschriebene durch Achtlosigkeit,<br />

Kriege und politische Veränderungen verloren.<br />

Eine große Hilfe in der Aufarbeitung<br />

der <strong>Calenberge</strong>r Vergangenheit bietet die<br />

bereits 1929 von Martin Kahlo verfasste<br />

Schrift: „<strong>Calenberge</strong>, Dorf und Flur“, in<br />

Schönebeck in der Reihe „Veröffentlichungen<br />

der Gesellschaft für Vorgeschichte und<br />

Heimatkunde des Kreises Calbe“ heraus-<br />

gegeben. Hinzu kommt der glückliche Umstand,<br />

dass Martin Kahlo seinerzeit noch<br />

Akten und Urkunden einsehen konnte, die<br />

heute nicht mehr in vollem Umfang zur<br />

Verfügung stehen. Ergänzt werden seine<br />

Erkenntnisse durch eigene Archivrecherchen<br />

und das Engagement der <strong>Calenberge</strong>r,<br />

die aus ihrem Privatbesitz Fotos und<br />

Historische Postkarte,<br />

<strong>Calenberge</strong> aus der Luft<br />

(Bild E.S.)<br />

alte Verträge heraussuchten, um sie der<br />

Auswertung zu überlassen.<br />

Die vorliegende Festbroschüre zum<br />

800-jährigen Dorfjubiläum bietet eine Zusammenfassung<br />

der neueren Erkenntnisse,<br />

die demnächst in einer ausführlicheren<br />

Chronik erscheinen sollen.<br />

5


6<br />

Allgemeines zur Einleitung<br />

„Kalenberge (Ld. u. Stg. Magdeburg), Pfardorf, unweit der<br />

Elbe, 4 ¼ M. v. Burg und 1½ M. südöstlich v. Magdeburg;<br />

eine evang. Pfarrkirche mit 1 Pr., ein Küster- und Schulh.<br />

mit 1 L., 21 Wohnh., 144 ev. Einw., ein Krug, 2 Ackerh., 11<br />

Koss., 3 Häusler und 4 Einlieger, Die separirte Feldmark<br />

enthält 560 Mrg. und 12 ½ katastrirte Hufen, und zwar<br />

152 Schff. Aussaat Aecker 2ter, 83 Schff. 3ter und 17 Schff.<br />

4ter Kl. Meist guter Weizenboden und schöne Wiesen. (194<br />

Thlr. 21 Sgr. Gr., 97 Thlr. Kl. und 7. Thlr. Gew. St.) Die Einw.<br />

treiben vorzugsweise Viehzucht. Patron und Gerichtsherr<br />

ist der Staat. Früher stand das Patronat dem ehemaligen<br />

Kloster Berge zu. (1782. 127 und 1818. 146 E.)“<br />

Handbuch vom Regierungs bezirk<br />

Mag deburg 1842 (S.150)<br />

CalenBerge, das wie der Mag de-<br />

b u r g e r D o m 2 0 0 9 s e i n 8 0 0 - j ä h r i g e s B estehen<br />

feiert, gehört erst seit 1994 als<br />

Verwaltungsgemeinschaft Randau-<strong>Calenberge</strong><br />

zu Magdeburg und ist somit einer der<br />

jüngsten Stadtteile der Landeshauptstadt.<br />

Das einstige Bauerndorf liegt ca. 12 km<br />

südöstlich vom Magdeburger Stadtzentrum<br />

entfernt in ländlichem Raum und wird<br />

auf drei Seiten – im Westen, Süden und<br />

Osten – von der an dieser Stelle schlaufenförmig<br />

sich windenden Alten Elbe umgeben.<br />

In nördlicher bis nordöstlicher Richtung<br />

verläuft der Elbe-Umflutkanal, der auf<br />

Höhe der Kreuzhorst fast bis an die Alte<br />

Elbe heranreicht.<br />

Der alte Elbarm begrenzt einerseits<br />

die Gemarkung <strong>Calenberge</strong> und bezeich-<br />

net andererseits auf der Südseite gleichzeitig<br />

einen Teil der Grenze zum Stadtgebiet<br />

Schönebeck mit den Orten Grünwalde,<br />

Elbenau und Plötzky. Nach Osten schließt<br />

sich der Landkreis Jerichower Land mit<br />

der Gemeinde Gommern an, im Norden<br />

liegen die Magdeburger Stadtteile Pechau<br />

und Kreuzhorst. Als westliche Grenze der<br />

Verwaltungsgemeinschaft gilt die Elbe.


Randau-<strong>Calenberge</strong> gehört mit 13,59 km 2<br />

flächenmäßig zu den größten Magdeburger<br />

Stadtteilen, ist allerdings wegen der<br />

ländlichen Struktur mit ca. 550 Einwohnern<br />

nur dünn besiedelt. Der gemeinsame<br />

Ortsbürgermeister heißt Günther Kräuter<br />

und wohnt in Randau.<br />

Abgesehen von der Firma „<strong>Calenberge</strong>r<br />

Caravan und Pflanzenmarkt“ und dem „Land-<br />

haus Elbebiber“ ist der Ort heute eine reine<br />

Wohnsiedlung und über eine Buslinie an<br />

das Nahverkehrsnetz Magdeburgs angeschlossen.<br />

Er befindet sich inmitten einer<br />

idyllischen Landschaft, im Naherholungsraum<br />

der Elbestädter und am Elberadweg.<br />

<strong>Calenberge</strong>s Freizeitwert in naturnaher<br />

Umgebung ist unbestritten hoch. Neben<br />

von der freiwilligen Feuerwehr, die ebenfalls<br />

in diesem Jahr ein Jubiläum feiert, gibt<br />

es im Dorf noch einen Turnverein.<br />

Die Umgebung <strong>Calenberge</strong>s ist durch<br />

eine Kulturlandschaft mit Ackerflächen und<br />

Grünland bestimmt. Obwohl die Elbe seit<br />

ca. 1.000 Jahren beständig in einer Entfernung<br />

von etwa drei Kilometern westlich am<br />

Dorf vorbeifließt, ist die Landschaft noch<br />

<strong>Calenberge</strong> von Norden Am Feldweg neben der Liebeseiche<br />

deutlich vom Fluss geprägt. Von Jahr zu Jahr<br />

mit unterschiedlicher Intensität wiederkehrende<br />

Sommer- und Winterhochwasser<br />

hinterließen nicht nur Feuchtwiesen,<br />

Sümpfe, Altwässer und Kolke, sondern auch<br />

ertragreiche Böden, da sich beim Rück-<br />

gang des Wassers Sedimente ablagerten.<br />

Die Bodenqualität der Gemeinde kann<br />

mit durchschnittlich 45 Bodenpunkten für<br />

Grünland und 61 Bodenpunkten für Ackerland<br />

durchaus als gut bezeichnet werden<br />

und ermöglicht einen breiten Querschnitt<br />

ländlicher Kulturen. Es lassen sich Raps,<br />

Weizen und Gerste, aber auch Kartoffeln<br />

und Futtermais, der wiederum der Tierproduktion<br />

zu Gute kommt, anpflanzen. Darüber<br />

hinaus ist der Wechsel von Acker, Wiese<br />

und kleineren Gehölzgruppen mit Strauch-<br />

und Baumbeständen, sogenanntem Gale-<br />

riewald entlang der Altwässer, durch hohen<br />

Wildbesatz interessant für die Jagd.<br />

Mitten im Urstromtal der Elbe, allseitig<br />

von feuchten und sumpfigen Niederungen<br />

mit Altwässern und Kolken umgeben, bot<br />

eine leichte Erhebung von 1,5 m gegenüber<br />

der Feldflur die Grundlage für eine Ansiedlung,<br />

die den Namensbestandteil „Berg“<br />

nicht wirklich verdient. Denkbar ist jedoch,<br />

dass sich im Lauf der Jahrhunderte und<br />

Jahrtausende mit den regelmäßigen Überschwemmungen<br />

auch das Bodenniveau<br />

veränderte und sich die Anhöhe zunehmend<br />

nivellierte, wenngleich sie nie wirklich<br />

hoch gewesen sein wird. Die geringe Ausdehnung<br />

in Nord-Süd-Richtung und auch<br />

die Form dieser leichten Bodenerhebung<br />

hat gleichzeitig begrenzend auf die Ent-<br />

7


8<br />

Familie Meseberg / Schwarzlose 1926 (Bild<br />

E.S.)<br />

wicklung des Dorfes gewirkt, das sich bis<br />

zum Anfang des 20.Jahrhunderts als kurzes<br />

Reihen- oder Straßendorf mit einem kleinen<br />

Anger im Süden entlang der einzigen<br />

Dorfstraße erstreckte, die wiederum als<br />

Sackgasse von der Landstraße abzweigt.<br />

In jüngerer Zeit hat sich die Siedlung in<br />

Richtung Norden ausgedehnt, trotzdem<br />

umfasst die bebaute Fläche nur ca. 0,2 km 2 .<br />

Erst mit dem Jahr der Eingemeindung 1994<br />

ist die Dorfstraße in „<strong>Calenberge</strong>r Dorfstraße“<br />

umbenannt worden, um Verwechslungen<br />

mit Straßen in anderen Magdeburger<br />

Ortsteilen zu vermeiden.<br />

1781 wird der Ort wie folgt beschrieben:<br />

22 Feuerstellen, darunter 1 Vollspänner, 2<br />

Halbspänner, 6 große Kossaten- und 6 klei-<br />

Ida Möbes in der Dorfstraße (Bild D.P.) Szene im Hof (Bild E.S.)<br />

ne Kossatenhöfe, insgesamt 127 Einwohner,<br />

1 See, 1 Schiffsmühle an der Elbe (alte<br />

Elbe). 1 1842 bestand <strong>Calenberge</strong> aus<br />

Hochzeitszeitschrift<br />

für Otto<br />

Meseberg<br />

und Elisabeth<br />

Steinhagen<br />

1905 (Eigentum<br />

E.S.)<br />

2 Ackerhöfen, 11 Kossatenhöfen, 3 Häuslern<br />

und 4 Einliegern, zusammen 21 Wohnhäuser<br />

und 144 Einwohner. Die Bezeichnungen<br />

Vollspänner oder<br />

Ackerhöfe, Halbspänner,<br />

Kossaten usw. unterscheiden<br />

verschiedene landwirtschaftliche<br />

Betriebsgrößen.<br />

<strong>Calenberge</strong>s Einwohnerzahl<br />

schwankte Jahrhunderte<br />

lang nur geringfügig und war<br />

im Jahr 1865 mit 185 Seelen<br />

selten hoch. 2 Zweimal erging<br />

in der Vergangenheit von<br />

offizieller Seite das Verbot<br />

an die Dorfbewohner, sich<br />

weiterhin untereinander zu<br />

verheiraten, da die Säug-


Emma Meseberg mit Urenkelin Johanna<br />

Emma Schwarzlose Meseberg 1930 mit (Bild Urenkelin E.S.) Johanna<br />

Schwarzlose 1930 (Bild E.S.)<br />

lingssterblichkeit auf ein bedenkliches Maß<br />

angestiegen war. 3<br />

Von Anfang an lebten die <strong>Calenberge</strong>r<br />

in der ambivalenten Situation, dass ihnen<br />

einerseits reiche Fischbestände, Wild und<br />

auch die fruchtbaren Böden eine angenehme<br />

Lebensgrundlage boten, sie andererseits<br />

das Hochwasser ständig gefährdete<br />

und es immer wieder katastrophale Schäden<br />

anrichtete. Außerdem brachte das<br />

feuchte und ungesunde Klima manchmal<br />

epidemieähnliche Krankheiten und fiel die<br />

1 Heineccius, Johann Ludwig von, Ausführliche topographische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der<br />

Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischen Antheils, Berlin 1785. 2 Handbuch der Provinz Sachsen, Magdeburg 1865,<br />

S.85. Neben der Einwohnerzahl werden Lehrer Willmann und Ortsvorsteher Schuseil aufgeführt. 3 Nach Auskunft von<br />

Frau Warschau, Pastorin der Gemeinden Pechau, Randau und <strong>Calenberge</strong>, in alten Kirchenbüchern von <strong>Calenberge</strong><br />

erwähnt.<br />

Familie Prönnecke (Bild D.P.) Traditionelles Ringreiten, 1920er Jahre<br />

Familie Prönnecke (Bild D.P.)<br />

Traditionelles (Bild E.S.)<br />

Ringreiten, 1920er Jahre<br />

(Bild E.S.)<br />

Lebenserwartung eher gering aus. Erst mit<br />

dem Bau des Elbe-Umflut-Kanals (begonnen<br />

1868) und des Pretziener Wehrs (1871<br />

– 1875) wurde mustergültiger Hochwasserschutz<br />

betrieben und somit eine stabilere<br />

Situation für das alltägliche Leben in<br />

<strong>Calenberge</strong> geschaffen.<br />

Urkunde 1811, Entlassungsurkunde<br />

aus<br />

dem Militär für Johann<br />

Andreas Meseberg mit<br />

der Auflage, die Witwe<br />

Wäschen zu heiraten<br />

(Eigentum E.S.)<br />

9


10<br />

Ausschnitt aus dem<br />

Messtischblatt der<br />

historischen Kommission<br />

der preußischen<br />

Provinz Sachsen,<br />

1858 aufgenommen,<br />

1873 herausgegeben,<br />

1877 berichtigt (St.A.<br />

Rep. KS II 17-4)


Früheste<br />

Siedlungsspuren<br />

Die erste urkunDliChe nennung<br />

<strong>Calenberge</strong>s fällt ins Jahr 1209.<br />

Siedlungsspuren sind in der fruchtbaren<br />

Umgebung aber bereits für die Jungsteinzeit<br />

nachgewiesen. In Nähe des Nachbarortes<br />

Randau ist seit den 1940er Jahren ein<br />

vierräumiges, 20 m langes Haus der Schönfelder<br />

Kultur (2900 – 2100 v. Chr.) mit umfangreichem<br />

Inventar aus Stein und Ton<br />

und verkohlten Speiseresten ergraben.<br />

Etwas weiter nördlich befindet sich im<br />

Wald ein bronzezeitliches Gräberfeld. Zu<br />

DDR-Zeiten kam in der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung<br />

bei Feldarbeiten hinter der LPG,<br />

auf einem Flurstück mit dem traditionellen<br />

Namen „Die Nachtweide“, ein noch wesentlich<br />

älteres Bodenbearbeitungsgerät<br />

der Rössener Kultur (4900 – 4700 v. Chr.)<br />

zutage. Hierbei handelt es sich um einen<br />

großen Keil, dessen Fund deutlich macht,<br />

dass sich in der unmittelbaren Umgebung<br />

des Dorfes <strong>Calenberge</strong> schon vor mehr als<br />

6.000 Jahren Menschen bewegten.<br />

Wie weitere archäologische Entdeckungen<br />

belegen können, ist auch der Ort<br />

<strong>Calenberge</strong> selbst bereits etwa 1.500 Jahre<br />

vor der ersten schriftlichen Erwähnung als<br />

Siedlungsplatz genutzt worden. Mehrere<br />

im Jahr 1928 und bei Erdarbeiten 1993 in<br />

unmittelbarer Umgebung der Dorfkirche<br />

gefundene Urnen weisen einen germanischen<br />

Begräbnisplatz der vorrömischen<br />

Eisenzeit – auch Jastorfkultur (600 v.Chr.<br />

bis zum Beginn unserer Zeitrechnung) genannt<br />

– nach. Es kann also angenommen<br />

werden, dass der Ort auch damals schon<br />

relativ hochwassersicher gewesen ist. Eine<br />

zweite, 1939 entdeckte Fundstelle, die auf<br />

eine eisenzeitliche Siedlung schließen<br />

lässt, befindet sich weiter südlich, etwa<br />

auf Höhe des ehemaligen Pfarrhauses.<br />

Die Fundstücke aus <strong>Calenberge</strong> werden<br />

im Kreismuseum Schönebeck aufbewahrt.<br />

Ob in den sich anschließenden Jahrhunderten<br />

bis 1209 durchgehend Menschen<br />

in <strong>Calenberge</strong> gelebt haben, weiß niemand.<br />

Jüngere Siedlungsspuren sind aber wieder<br />

für Nachbarorte belegt.<br />

Für die ersten Jahrhunderte nach Christi<br />

Geburt gilt die Entdeckung des Fürstengrabes<br />

auf dem Gerstenberg bei Gommern als<br />

Sensation, zeugen die Grabbeigaben doch<br />

von einem intensiven Handel der östlich der<br />

Elbe lebenden Menschen mit den römisch<br />

besetzten Gebieten. Dieses im Jahr 1990<br />

gefundene Grab eines germanischen Adligen<br />

aus dem 3.Jahrhundert gehört zu den<br />

prunkvollsten jener Zeit in Mitteleuropa. Es<br />

enthielt Schmuckgegenstände aus Gold<br />

und Silber, Prunkwaffen sowie zahlreiche<br />

Gegenstände römischer Herkunft aus Glas<br />

und Metall.<br />

In der Völkerwanderungszeit siedelten<br />

sich Slawen, auch Wenden genannt, im<br />

Elbraum an. Westlich der Elbe lebten die<br />

Sachsen.<br />

11


12<br />

Erst als diese unter Karl dem Großen zum<br />

Christentum übergetreten waren, drang<br />

die Christianisierung intensiver nach Osten,<br />

in die Gebiete östlich der Elbe vor.<br />

Die Ottonen ließen im 10.Jahrhundert auf<br />

dem Ostufer der Elbe in strategischen<br />

Abständen Burgen (so auch die Burg von<br />

Gommern) errichten, die das Sachsenreich<br />

gegen feindliche Übergriffe der Slawen<br />

schützen sollten. Ein Slawenaufstand 982<br />

machte jedoch einen Großteil der ottonischen<br />

Eroberungen vorerst wieder zunichte,<br />

so dass die Elbe vielerorts wieder die<br />

Reichsgrenze bildete.<br />

Im 12.Jahrhundert wurde das ostelbische<br />

Territorium neu besetzt und durch<br />

Keramik der Jastorfkultur,<br />

um 600 v. Chr., gefunden<br />

bei Erdarbeiten<br />

neben der <strong>Calenberge</strong>r<br />

Kirche, heute im Kreismuseum<br />

Schönebeck<br />

(Foto E.S.)<br />

eine gezielte Ansiedlungspolitik innerhalb<br />

der ehemals slawischen Gebiete sowie die<br />

Gründung neuer Ortschaften und Pfarren<br />

weiter gesichert. Eine derartige Stabilisierung<br />

der noch von Slawen<br />

bewohnten Gegenden<br />

mit Kolonistendörfern<br />

betrieb nicht<br />

nur der Magdeburger<br />

Er zbischof, sondern<br />

auch der Markgraf<br />

von Brandenburg.<br />

Ob <strong>Calenberge</strong> im<br />

Ursprung auch als<br />

Kolonistendorf bezeichnet<br />

werden kann, muss<br />

letztendlich offen<br />

bleiben. Zahlreiche Ortsnamen der näheren<br />

Umgebung gehen auf ursprünglich slawische<br />

Namen zurück. Durch ältere Publikationen<br />

4 und Zeitungsartikel ist die Verbindung<br />

<strong>Calenberge</strong>s mit einem wendischen<br />

Ort namens Lysagora, dessen Übersetzung<br />

„kahler Berg“ bedeutet,<br />

vorgeschlagen worden. Einen<br />

gesicherten Nachweis für einen<br />

eindeutigen Zusammenhang oder<br />

Leichenbrandurne mit<br />

sogenanntem Seelenloch,<br />

gefunden bei Erdarbeiten in<br />

<strong>Calenberge</strong>, um 600 v.Chr.,<br />

heute im Kreismuseum<br />

Schönebeck (Foto E.S.)


für die genaue Lage des wendischen Ortes<br />

Lysagora gibt es aber anscheinend nicht. In<br />

Vorbereitung auf diese <strong>Festschrift</strong> konnte<br />

nicht einmal die ursprüngliche Quelle ausfindig<br />

gemacht werden, die den Ort Lysagora<br />

überliefert.<br />

Das Landesamt für Denkmalpflege und<br />

Archäologie in Halle verwahrt alte Messtischblätter<br />

der Historischen Kommission<br />

der Preußischen Provinz Sachsen aus der<br />

Mitte des 19.Jahrhunderts. Darauf ist in der<br />

Gemarkung <strong>Calenberge</strong> südlich des Dorfes,<br />

etwa auf halber Strecke zum „Winkel“, auf<br />

den als „Der Klosterhof“ oder „Der Keil“<br />

4 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S. 35.<br />

bezeichneten Flurstücken noch eine<br />

mittelalterliche Wüstung eingetragen,<br />

markiert mit dem Buchstaben H.<br />

Zeichnung, gefertigt im<br />

Landesmuseum Hannover,Bodenbearbeitungsgerät<br />

der Rössener<br />

Kultur, gefunden auf der<br />

Feldmark „Nachtweide“<br />

in der <strong>Calenberge</strong>r<br />

Gemarkung, Abbildung<br />

verkleinert (E.S.)<br />

13


14<br />

Erste urkundliche<br />

Erwähnung <strong>Calenberge</strong>s<br />

„Preterea quascunque possessiones, quecunque bona idem<br />

monasterium in presentiarum iuste ac canonice possidet<br />

aut in futurum concessione pontificium, largitione regum<br />

vel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis<br />

praestante domino poterit adipisci, firma vobis vestrisque<br />

successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis<br />

duximus exprimenda vocabulis: (…) villas quoque Korit,<br />

Kalenberch, Priztere…“.<br />

Papst Innozenz III. 1209<br />

Auszug aus der<br />

abschriftlich<br />

überlieferten<br />

Urkunde von<br />

1209 (LHASA 1)


Der anlass für die 800-<br />

Jahrfeier, die erste Erwähnung<br />

<strong>Calenberge</strong>s, fällt zusammen<br />

mit der gezielten Ansiedlungspolitik<br />

im ostelbischen Territorium.<br />

Bei der Urkunde handelt<br />

es sich um ein von Papst Innozenz<br />

III. am 18. Dezember 1209<br />

unterzeichnetes Schreiben, welches<br />

die Privilegien des Klosters<br />

Berge, seine Rechte, Freiheiten<br />

und Besitzungen – darunter auch<br />

„Kalenberch“ – auflistetet, bestätigt<br />

und das Kloster unter den<br />

Schutz des Papstes stellt. Genannt<br />

werden neben <strong>Calenberge</strong> und zahlreichen<br />

anderen Siedlungen auch die Nachbarorte<br />

Prester und Karith bei Gommern.<br />

Die Urkunde aus dem Lateran ist nicht<br />

als Original, sondern in Form von zwei Abschriften<br />

aus dem 16. und 17.Jahrhundert,<br />

die eine im sog. Privilegienbuch des Klosters<br />

Berge, die andere im sog. Weißen Buch des<br />

Klosters Berge, überliefert. Die Abschriften<br />

verwahrt das Landeshauptarchiv Sachsen-<br />

Anhalt in Magdeburg. Nachgelesen werden<br />

kann der Text ebenfalls unter der Nummer<br />

59 im „Urkundenbuch des Klosters Berge<br />

bei Magdeburg“, erschienen 1879 in Halle.<br />

15


16<br />

Alte Elbe südlich von <strong>Calenberge</strong>


<strong>Calenberge</strong> als<br />

klösterlicher Besitz<br />

in askanischem<br />

Herrschaftsgebiet<br />

VermutliCh sChon im Jahr<br />

966 5 zogen die Mönche aus dem Mauritiuskloster<br />

am Magdeburger Domplatz in das<br />

südlich vor den Toren der Stadt Magdeburg<br />

gelegene, neu erbaute und von Otto dem<br />

Großen gegründete Benediktinerkloster<br />

St. Johannis Baptist auf dem Berge. Der<br />

Grund hierfür war die Tatsache, dass Otto<br />

sein langgehegtes Ziel, Magdeburg zum<br />

Erzbistum zu erheben, erreicht hatte und<br />

nun das Mauritiuskloster für die Domherren<br />

des Erzstifts zur Verfügung stehen sollte.<br />

Spätestens seit Anfang des 12.Jahrhunderts<br />

ist das Kloster als Eigentum des Erzbistums<br />

nachgewiesen. Wann es exakt zum Erzbistum<br />

Magdeburg kam, ist nicht bekannt.<br />

Das Kloster Berge gehörte in der Folgezeit<br />

zu den wohlhabenderen Klöstern des<br />

mittelalterlichen Deutschlands und galt<br />

als angesehene Bildungsstätte. Es erhielt<br />

sowohl von den Ottonen und ihren Nach-<br />

<strong>Calenberge</strong> auf der<br />

Grenze der Grafschaft<br />

Gommern, Geographische<br />

Charte des Herzogthums<br />

Magdeburg<br />

und Halle nebst ethlichen<br />

angränzende Orthen<br />

und Fürstenthume, um<br />

1680, Ausschnitt<br />

(St.A. Rep. KS II 33)<br />

folgern als auch von den Magdeburger<br />

Erzbischöfen ansehnlichen Besitz. Nachdem<br />

Erzbischof Heinrich I. von Magdeburg<br />

(1102 – 1107) dem Kloster auch die Fähre<br />

zu Fermersleben bei Buckau, gegenüber<br />

Prester, geschenkt hatte, bildete sich bald<br />

nach 1100 eine Gruppe von Dörfern im<br />

ostelbischen Klosterbesitz. Die Geschichte<br />

des Klosters unter besonderer Berücksichtigung<br />

seiner dörflichen Besitzungen ist<br />

umfassend von Christof Römer herausgearbeitet<br />

worden, auf den sich die folgenden<br />

Ausführungen beziehen. 6<br />

Zwei Urkunden aus den Jahren 1145<br />

und 1209 (siehe oben) bestätigen den Besitz<br />

und geben Auskunft über die klösterlichen<br />

Privilegien. Hierbei muss zwischen<br />

Grundeigentum und Vogteirechten unterschieden<br />

werden. Letztere besaß das<br />

Kloster Berge im erst 1209 erwähnten <strong>Calenberge</strong><br />

nicht. Die Vogteirechte gehörten<br />

nämlich zur Burg Gommern, also zu den Askaniern.<br />

Zwar hatte Otto I. Gommern dem<br />

Mauritiuskloster zum Geschenk gemacht,<br />

doch war die Burg im 12.Jahrhundert mit<br />

der Mark Brandenburg als Erbe und durch<br />

Eroberung in den Besitz von Albrecht dem<br />

Bären und somit zum Herzogtum Sachsen<br />

gekommen. Gommern bildete seinerzeit<br />

und bis 1808 eine Enklave im magdeburgisch-brandenburgischen<br />

Einflussgebiet.<br />

1221 kaufte der Abt vom Kloster Berge<br />

dem Burggrafen von Magdeburg die im<br />

Bereich der Klosterbesitzungen ausgeüb-<br />

17


18<br />

ten Vogteirechte ab und übernahm sie mit<br />

Zustimmung von Erzbischof, Papst, König<br />

und Kaiser als freies Eigentum. Die rechtlichen<br />

Grundlagen waren somit zweifelsfrei<br />

geklärt. Allerdings galt dies nur für etwa<br />

drei Viertel des klösterlichen Besitzes,<br />

die Vogteirechte <strong>Calenberge</strong>s und somit<br />

auch die oberste Gerichtsbarkeit und die<br />

Schutzherrschaft blieben weiterhin bei den<br />

Askaniern.<br />

Dem Kloster gehörte jedoch Grundeigentum<br />

im Umfang von 10 oder 12,5 Hufen<br />

und außerdem das Schulzengericht,<br />

welches ein Schulze (Schultheiß) in einem<br />

Schulzenhof vor Ort ausübte. Das Schulzenamt<br />

war nämlich in der Regel an den<br />

sog. Siedlungsunternehmer – in diesem<br />

Fall das Kloster Berge – gekoppelt und mit<br />

Besitz verbunden. Als Beamter des Grundherrn<br />

hatte der Schulze die Gemeinde zur<br />

Leistung ihrer Abgaben (Zehnte) anzuhalten<br />

und diese einzuziehen und für die Einhaltung<br />

sonstiger Verpflichtungen zu sorgen.<br />

Er wachte über die Gemeindearbeiten,<br />

also über die Dienstleistungen, welche die<br />

einzelnen Ortsbewohner entsprechend der<br />

Größe ihrer Besitzungen zu leisten hatten.<br />

Außerdem übte er richterliche Befugnisse<br />

auf Gemeindeebene und bei Grenzstreitigkeiten<br />

aus. In späteren Jahrhunderten<br />

Nachtwächterweg<br />

entwickelte sich das Amt des Dorfschulzen<br />

zum Dorfvorsteher, Ortsvorsteher<br />

oder Bürgermeister. Im Gegensatz zum<br />

Schulzengericht hatte das Vogteigericht<br />

über schwerere Straftaten mit Todesfolge<br />

zu urteilen.<br />

Angesichts der Tatsache, dass die<br />

Rechte am Dorf <strong>Calenberge</strong> geteilt gewesen<br />

sind, ist eine Gründung oder auch<br />

Neugründung des vermutlichen Kolonistendorfes<br />

durch das Kloster Berge und die<br />

Askanier, wohl in der zweiten Hälfte des<br />

12.Jahrhunderts, denkbar. Rechtlich gehörte<br />

das Johanneskloster zwar zum Erzstift<br />

Magdeburg, dennoch vertraten die geistig<br />

und politisch regen Äbte selbständig die Interessen<br />

ihres Klosters. Anschließend wechselte<br />

die Zuständigkeit mehrmals, sodass<br />

es nicht ganz leicht ist, die Gegebenheiten<br />

zu verstehen. Im 14. und 15.Jahrhundert<br />

verloren die Vogteirechte ihre wichtige politische<br />

Bedeutung. Auch im 16.Jahrhundert<br />

änderten sich die Strukturen weiter. In den<br />

ostelbischen Klosterorten wandelte sich<br />

die askanische Obergerichtsbarkeit in<br />

eine kursächsische Landesherrschaft, da<br />

die sächsischen Herzöge inzwischen den<br />

Titel Kurfürsten trugen.<br />

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang,<br />

dass 1283–1343 das Schloss


Gommern und somit auch die askanischen<br />

Vogteirechte an das Erzstift Magdeburg<br />

verpfändet gewesen sind. Ab 1419 bis 1539<br />

gehörten sie dem Rat der Altstadt Magdeburg<br />

als Pfand. Durch diesen Umstand<br />

war <strong>Calenberge</strong> von Steuerauflagen und<br />

anderen allgemeinen Maßnahmen der kursächsischen<br />

Landesherren befreit. Jedoch<br />

ergänzte der Magdeburger Rat die mit der<br />

Herrschaft über das Schloss verbundenen<br />

Rechte wie Blutgericht und Dienste durch<br />

Huldigung, Schwur, Folge und einen Geldbetrag<br />

und verfügte somit mit Ausnahme der<br />

Flurhoheit und der gewöhnlichen Gerichtsbarkeit,<br />

die beide nach wie vor das Kloster<br />

Karte um 1730,<br />

Saxoniae Tractus<br />

Ducatum Magdeburgensem,<br />

Ausschnitt<br />

(St.A. Rep. KS II 4)<br />

Berge über das Schulzengericht ausübte,<br />

über die dorf- und landesherrlichen Rechte.<br />

Steuern konnte er in <strong>Calenberge</strong> allerdings<br />

nicht durchsetzen.<br />

Ein weiterer Abschnitt in der <strong>Calenberge</strong>r<br />

Geschichte begann mit der erneuten<br />

Ablösung des Gommerschen Schlosses<br />

1539 durch Kursachsen. Der Amtsbezirk<br />

Gommern lag jetzt im Kreis Belzig. Somit<br />

endete der Einfluss des Rates der Altstadt<br />

Magdeburg. In der Folgezeit versuchte<br />

Kursachsen bis ins 18.Jahrhundert immer<br />

wieder, neben seinen bestehenden Rechten<br />

auch die weitere Herrschaft über das Dorf<br />

zu gewinnen. Bei der Belagerung Magde-<br />

Wappen vom Kloster<br />

Berge mit der Jahreszahl<br />

1701 in der <strong>Calenberge</strong>r<br />

Friedhofsmauer<br />

burgs 1551 im Schmalkaldischen Krieg<br />

übernahm der Hauptmann zu Gommern<br />

den Schutz des Dorfes und ließ sich dafür<br />

reichlich entlohnen. Auch versuchte das<br />

Amt Mitte des 16.Jahrhunderts das inzwischen<br />

wüste Schulzengericht wieder aufzubauen<br />

und an sich zu ziehen. Der Abt vom<br />

Klosters Berge vereitelte jedoch dieses Bestreben,<br />

indem er das Schulzengericht an<br />

Hans Aleman zu Magdeburg überschrieb.<br />

Diese Verschreibung von 1558 ist wesentlich<br />

für die Geschichte des Dorfes gewesen.<br />

Zwar hatte Abt Dietrich das verlehnte<br />

Schulzengericht schon 1513 freigekauft,<br />

aber die politischen Wirrnisse der Zeit, die<br />

19


20<br />

für das Kloster 1525<br />

mit Plünderungen<br />

begannen, hatten<br />

jahrzehntelang das<br />

Handeln der Äbte<br />

stark eingeschränkt.<br />

Der neue Klosterschulze<br />

Hans Aleman ließ sich als Erbsasse in<br />

<strong>Calenberge</strong> nieder, belebte das Schulzenamt<br />

neu und baute es zu einer umfassenden<br />

Herrschaft über die Einwohner<br />

aus. Erblich war dieser Besitz aber nicht,<br />

sondern für mehrere Generationen an seine<br />

Familie vertraglich gebunden. Er blieb<br />

genaugenommen Eigentum des Klosters,<br />

das der Schulze durch seine Aktivitäten<br />

sicherte und vermehrte.<br />

Schriftverkehr 1782 zwischen<br />

dem Amt Gommern<br />

und dem Kloster Berge,<br />

betreffend die zwei<br />

dem Amt Gommern zustehenden<br />

Hufen (LHASA 2) Blick zum Klosterbusch Bienenwagen<br />

Über die Abgaben, die sog. Zehnte, welche<br />

die Dorfbewohner an das Kloster zu entrichten<br />

hatten, ist aus früheren Jahrhunderten<br />

nur wenig überliefert. Im 16.Jahrhundert<br />

zahlten sie einen Fleischzehnt. Später<br />

musste <strong>Calenberge</strong> auch einen Bienenzehnt<br />

an das Kloster abtreten, also Honig<br />

liefern, der damals besonders wertvoll war,<br />

weil es noch keinen Zucker gab.<br />

Wieder versuchte das Amt Gommern zu<br />

intervenieren und den Schulzen für sich zu<br />

gewinnen – vergeblich. Die Ereignisse nahmen<br />

nun einen entgegengesetzten Verlauf.<br />

Zwischen 1558 und 1610 kam die Dorfherrschaft,<br />

die dem kursächsischen Amt Gommern<br />

abgerungen wurde, zum Schulzen-<br />

gerichtshof <strong>Calenberge</strong> und somit in den<br />

Besitz des Klosters. Dies nützte letztendlich<br />

den anderen Landesherrn, den Magdeburger<br />

Erzbischöfen. Als Entschädigung<br />

erhielt das kursächsische Amt Gommern<br />

die Eigentumsrechte von zwei Hufen sowie<br />

14 Schillinge von den Höfen, zwei Lachse<br />

zur Fastenzeit (wird als Symbol der Gastpflicht<br />

gegenüber dem Herrn gedeutet) und<br />

zwischen Ostern und Pfingsten 1,5 Ferding<br />

(Ferding = 1/4 Mark) vom Wasser, gemeint<br />

sind die Einkünfte aus der Fischerei der zur<br />

dörflichen Gemarkung gehörenden Teiche.<br />

Letzteres galt als Zeichen der Oberherrschaft<br />

über die Flur. Die Herrschaftsordnung<br />

löste sich in der Folgezeit ganz auf. Im<br />

15. und 16.Jahrhundert waren zwei Drittel


Am Feldweg<br />

der Flur einfaches Pachtland. Die Bauern<br />

leisteten aber bis ins 16.Jahrhundert noch<br />

Mäh- und Fuhrdienste für den Obergerichtsherrn<br />

auf Gommerschen Wiesen.<br />

1613/19 beugte das Kloster eine Gefährdung<br />

seiner Herrschaft endgültig<br />

vor, indem es die Verschreibung an den<br />

Dorfschulzen zurückkaufte und seither<br />

Pacht und Schulzenamt die Gemeinde<br />

vor Ort selbst verwalten ließ. Anfang des<br />

17.Jahrhunderts zahlten die <strong>Calenberge</strong>r<br />

Bewohner zur Ablöse des Obergerichts je-<br />

Zwischen den Häusern<br />

der der gommerschen Amtsschäferei nur<br />

noch drei Fuder Heu.<br />

Wie die anderen Dörfer der Umgebung<br />

und auch die Stadt Magdeburg gehörte <strong>Calenberge</strong><br />

in napoleonischer Zeit ab 1808 zu<br />

Westfalen. Das Amt Gommern bildete nun<br />

einen Kanton im Distrikt Magdeburg des Elbdepartements.<br />

7 Die Klosterherrschaft endete<br />

formell erst mit der Auflösung der Klosterverwaltung<br />

durch die Franzosen im Dezember<br />

1809. Gleichzeitig fielen der Regierung nun<br />

auch die Einnahmen aus den Dörfern zu. <strong>Calenberge</strong><br />

hatte Verpflegungslieferungen zu<br />

leisten und Kriegssteuern zu zahlen, beides in<br />

beachtlichem Umfang. Beim Eintreiben von<br />

Geldern gingen die französischen Soldaten<br />

auf brutale Art und Weise vor. So wird berichtet,<br />

ein Soldat habe versucht, dem greisen<br />

<strong>Calenberge</strong>r Kantor den Kopf zu spalten, weil<br />

das beim Kantor gefundene Bargeld nicht<br />

mehr als 7 Taler und 12 Groschen betrug. 8<br />

1815 ist der Ort preußisch geworden, mit Sitz<br />

des Kreisrates in Leitzkau.<br />

5 Claude, Dietrich, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12.Jahrhundert, 2 Teile, Mitteldeutsche Forschungen, hrsg. von Reinhold Olesch, Walter Schlesinger und Ludwig<br />

Erich Schmidt, Band 67/1 und 67/2, Köln 1972, 1975, Teil II, S.292. 6 Römer, Christof, Das Kloster Berge bei Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565, Göttingen 1970. 7 Handbuch vom<br />

Regierungsbezirke Magdeburg, Zweiter oder topografischer Teil, hrsg. von Hermes, I. A. F. und M. J. Weigelt, Magdeburg 1842, S.127f. Die Zugehörigkeit <strong>Calenberge</strong>s in französischer<br />

Zeit zu Westfalen oder Preußen wird in der Literatur unterschiedlich gesehen. Wie die Gegebenheiten tatsächlich gewesen sind, wäre noch genauer zu untersuchen. An sich war die Elbe<br />

die Grenze des Königreichs Westfalen. Die französischen Soldaten plünderten trotzdem in Ostelbien. 8 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S.15f.<br />

21


22 Auf der <strong>Calenberge</strong>r Flur (Bild W.K.)


Die Bauern, die Höfe<br />

und die Separation<br />

„Niemand soll von des anderen Acker abpflücken, und<br />

wenn ihm auch vorher von seinem Nachbar etwas genommen<br />

worden, dadurch sein eigener Richter werden, vielleicht<br />

auch geschehenes heimzusuchen, obrigkeitliche Hilfe erwarten.<br />

Widrigenfalls nach Vorschrift der Prozessordnung<br />

von 1686, Cap.9 § 4 gewärtigen, dass von jeder Fuhre in ein<br />

Thaler sechs Groschen condemniert werde. Auch soll sich<br />

niemand unterstehen, ohne des Eigentümers Erlaubnis Erbsen<br />

zu pflücken oder andere Feldfrüchte, so wenig zu eigenem<br />

Gebrauch als zum Verkauf abzupflücken, Getreide zu<br />

schrippen, Fuhren auszupflügen oder andere dieser Art von<br />

Feldbeschädigungen vorzunehmen. Wer darüber beschrieben<br />

wird, soll das erste mal sechs Groschen Strafe, wovon der<br />

Feldhüter sechs Groschen bekommt, bezahlen, bei wiederholten<br />

malen aber mit körperlicher Strafe belegt werden.“<br />

§ 5 aus dem Dorf-Articul für die Gemeinde zu Kalenberge 1786 9<br />

Bis ins 19.JahrhunDert setzte<br />

sich die <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung zum größten<br />

Teil aus Wald, Wiesen und Weiden zusammen,<br />

Ackerland machte den geringsten<br />

Teil aus. Den mit Hufen belehnten Bewohnern<br />

standen im Mittelalter in der Regel<br />

ein bis zwei Hufen, umgerechnet 30 bis<br />

60 Morgen zur Verfügung. Davon war die<br />

Hälfte Wiese oder Weide. Große Teile der<br />

Feldmark gehörten als Gemeindeeigentum<br />

dem Dorf. Neben diesem gemeinschaftlichen<br />

Eigentum gab es auch Nutzungsberechtigungen,<br />

die auf dem Grundeigentum<br />

lasteten. Hingegen durften die <strong>Calenberge</strong>r<br />

Bauern bis 1835 den Klösterlichen Forst<br />

nutzen und hier zwei Schweine zur Mast<br />

hineintreiben, das ganze Jahr unter der<br />

Aufsicht des Revierförsters zweimal wöchentlich<br />

trockenes Holz sammeln und dürre<br />

Äste mit einem 12 Fuß langen Haken<br />

abbrechen sowie unentgeltlich das wilde<br />

Obst sammeln. Neben dem Klosterhof<br />

bestanden Bauernhöfe und Pfarrhof als<br />

selbständige Wirtschaftsbetriebe. Ab dem<br />

14.Jahrhundert waren die Besitzungen des<br />

Klosters verpachtet.<br />

Wie Christof Römer in seiner Abhandlung<br />

über die Kloster Bergeschen<br />

Dörfer 10 herausarbeitet, erhielten die<br />

Bauern in den ostelbischen Siedlungen<br />

23


24<br />

Emil Perlberg mit Wagen (Bild D.P.)<br />

des 12.Jahrhunderts allgemein günstige<br />

Besitzrechte, wenngleich erhebliche Teile<br />

der neuen Dörfer den Eigenhöfen des<br />

Klosters vorbehalten blieben. Einige Bauern<br />

wurden jedoch im 13.–15.Jahrhundert<br />

weitestgehend von Magdeburger Bürgern<br />

sowie Magdeburger Klöstern und Stiften<br />

in den Besitzrechten verdrängt, wobei<br />

nicht geklärt ist, ob vielleicht auch die alten<br />

Familien in die Stadt zogen oder ihre<br />

Rechte an Kapitalanleger abtraten. Um<br />

1565 ließen reiche Bürgerfamilien und<br />

die Domdechanei zu Magdeburg 7 1/2<br />

der 10 Klosterhufen bewirtschaften, den<br />

<strong>Calenberge</strong>r Bauern standen aber nur 2<br />

1/2 Klosterhufe zu.<br />

Alte Landtechnik, Bauernfamilie<br />

mit Göpel in <strong>Calenberge</strong> 1913 (Bild D.P.)<br />

Im ersten Drittel des 17.Jahrhunderts lassen<br />

sich die Einwohner <strong>Calenberge</strong>s, bzw.<br />

die jeweiligen Familienoberhäupter oder<br />

Hofbesitzer, namentlich fassen. Magdeburg<br />

erhielt seinerzeit vom schwedischen König<br />

Gustav Adolf sozusagen als Wiedergutmachung<br />

für die schlimme Zerstörung der<br />

Stadt 1631 geistliche Güter aus der Umgebung<br />

als Geschenk, darunter auch <strong>Calenberge</strong>.<br />

Anfang 1635 wurde die Schenkung<br />

vollzogen. Zu diesem Zweck mussten sich<br />

die Bauern nach Magdeburg begeben und<br />

den Untertanen-Eid ablegen. Im Vorfeld<br />

erstellte, namentliche Verzeichnisse protokollieren<br />

ihr Erscheinen. Der zuständige<br />

Geistliche Salomon Petri aus Pechau, der<br />

Bei der Ernte (Bild D.P.)<br />

des Schreibens und Lesens mächtig war,<br />

wurde in punkto „doctrinae et obedientiae“,<br />

also in Sachen Lehre und Gehorsamkeit,<br />

schriftlich verpflichtet. Als „Untertanen zu<br />

Kalenberge“ sind überliefert: Caspar Alemans<br />

Witwe (Bürgermeister), Hans Schultze,<br />

Valtin Becker, Jürgen Schlüter, Brosius<br />

Klehn, Thias Kennemann (Kannenmann),<br />

Peter Benegresser (Benengresser), Drewes<br />

Jörg (Jöng), Joachim Aldelheit, Joachim<br />

Deutscher (Dentscher), Hanß Langen, Paul<br />

Telin (Tilen), Hanß Schrader Holtzförster<br />

und Friderich Benengresser. 11 Nur zwei dieser<br />

Namen lassen sich einige Jahre später<br />

noch den Hofstellen in <strong>Calenberge</strong> zuordnen:<br />

Familie Becker 1698 im Kossatenhof


Emma Egerland mit<br />

ihren Pferden (Bild E.S.)<br />

Nr.4 und Familie Ahlheit 1701 dem Kossatenhof<br />

Nr.10. 12<br />

Die Schenkung ist später für nichtig<br />

erklärt worden. Im Gegensatz zu einigen<br />

Dörfern in der Nachbarschaft, die im Dreißigjährigen<br />

Krieg völlig verwüstet worden<br />

sind, gibt es hierzu über <strong>Calenberge</strong> keinerlei<br />

Nachrichten dieser Art.<br />

Eine besondere Leistung des preußischen<br />

Staates im 19. Jahrhundert ist die<br />

Flurbereinigung gewesen, die als eine Art<br />

Agrarreform eine enorme Steigerung der<br />

landwirtschaftlichen Produktion und somit<br />

eine bessere Versorgung der seit Mitte des<br />

Pferde in der Dorfstraße (Bild D.P.)<br />

18.Jahrhunderts stark wachsenden Bevölkerung<br />

zur Folge hatte. Erste Anfänge sind<br />

durch Friedrich II. bereits im 18.Jahrhundert<br />

initiiert worden. Bisher bestehende Zwänge<br />

und Abhängigkeiten der Bauern von den<br />

Grundeigentümern, in <strong>Calenberge</strong> also vom<br />

Kloster Berge und vom Amt Gommern,<br />

hemmten die Eigeninitiative der Landwirte<br />

ebenso wie der Flurzwang und die Dreifelderwirtschaft.<br />

Außerdem war die starke<br />

Zersplitterung der Flächen nicht ertragsorientiert.<br />

Auf einem Großteil der Grundstücke<br />

lasteten Hutungsrechte. Das Hutungsrecht<br />

erlaubte Landeigentümern, Vieh auf<br />

Grundstücken anderer Besitzer weiden zu<br />

lassen. Dies hemmte beispielsweise den<br />

Anbau bestimmter Erzeugnisse wie der<br />

spät im Jahr zu erntenden Kartoffel. Ein Gesetz<br />

zur Gemeinheitsteilungsordnung vom<br />

7. Juni 1821 zielte auf die wirtschaftliche<br />

Zusammenlegung der zerstreut liegenden<br />

Eigentumsflächen, die Aufhebung der für<br />

die landwirtschaftliche Nutzung nachteiligen<br />

Flurzwänge und Weiderechte und die<br />

Aufteilung der gemeinschaftlich genutzten<br />

Flächen mit der geregelten Zuweisung an<br />

die jeweils berechtigten Bauern. Am Abschluss<br />

des Separationsverfahrens stand<br />

ein Rezess, der die Eigentumsverhältnisse<br />

beschrieb, die Rechte und Pflichten der Beteiligten<br />

begründete und den Ablauf des<br />

Verfahrens darlegte.<br />

25


26<br />

Ernst Perlberg auf den Buschstücken<br />

(Bild D.P.)<br />

Aus dem Separationsrezess <strong>Calenberge</strong>s<br />

vom 30.März 1847 gehen folgende Informationen<br />

zum Bestand und zur erfolgten<br />

Aufteilung hervor:<br />

Acker 315 1/4 Morgen, Wiese 294 1/3<br />

Morgen, Holzungen 277 1/4 Morgen, Hütungsflächen<br />

und unbrauchbares Land 204<br />

2/3 Morgen, Dorffläche 23 1/3 Morgen,<br />

insgesamt 1115 Morgen, also etwa 28%<br />

Ackerfläche und fast 70% Wiese, Holzung<br />

und Weideland. Diese Nutzungsverteilung<br />

mit relativ wenig Ackerflächen lehnte sich<br />

an die Naturgegebenheiten in Flussauen<br />

an. Wiesen, Weideland und Wald gehörten<br />

zum großen Teil der Allgemeinheit, der<br />

große Anger, die Trift, der Schweineanger<br />

Erntekrone (Bild F.B.)<br />

und die Nachtweide dienten für „verschiedenes<br />

Vieh“ das ganze Jahr als Weide. Geschlagenes<br />

Holz aus den gemeinschaftlich<br />

genutzten Waldflächen teilten die 14<br />

Hofbesitzern untereinander auf, Pfarre,<br />

Kirche und Häusler ausgenommen. Wald<br />

war, abgesehen von seiner Wichtigkeit für<br />

den Deichbau, als Weidefläche bis in die<br />

Mitte des 19.Jahrhunderts unentbehrlich,<br />

da Laub und Gras als Futter dienten, das<br />

Laub aber auch als Einstreu in den Ställen<br />

Verwendung fand.<br />

Wie bereits erwähnt gehörten zum Ort<br />

damals 14 Interessenten (Grundbesitzer),<br />

5 Häusler (reine Hausstellen ohne Land<br />

Bauer in Lederhose vor dem alten<br />

Pfarrhaus (Bild D.P.)<br />

wie Zimmermann, Gemeindeholzlager,<br />

Kuhhirtenhaus, Schneider), Nachtwächterhaus,<br />

Spritzenhaus mit Garten, Kirche,<br />

Pfarre und Schule. Die Besitzungen des<br />

einstigen Kloster Bergeschen lehensherrlichen<br />

Schultheißengerichts und des Kloster<br />

Bergeschen Klosterhofs waren verpachtet.<br />

Außerdem bestand ein ehemaliges Schönbachsches<br />

Gut mit 2,5 Hufen, von den 14<br />

Grundbesitzern bereits aufgekauft und<br />

gleichmäßig verteilt.<br />

Der Verteilungs- und Zusammenlegungsprozess<br />

gestaltete sich folgendermaßen:<br />

Nach der Vermessung der Gemeindeflur<br />

bewerteten amtlich bestellte


Ochsengespann (Bild W.Ko.) Pferdewagen (Bild E.Sch.)<br />

Sachverständige die Äcker und Wiesen<br />

nach ihrer Ertragsfähigkeit und Qualität.<br />

Dem Verteilungsplan lagen der jährliche<br />

Reinertrag und die Anteilsrechte der einzelnen<br />

Bauern zugrunde. Die <strong>Calenberge</strong>r<br />

Landwirte erhielten zwischen 38 und 73<br />

Morgen, die Pfarre 68 1/2 Morgen, dazu<br />

das Pfarrwittum (Pfründe) 3 3/4 Morgen,<br />

die Kirche 84 3/4 Morgen, die Schule 15<br />

3/4 Morgen, das Schulzenamt 5 1/4 Morgen<br />

und die Gemeindekasse 20 Morgen.<br />

Im Ergebnis gab es in ganz Preußen<br />

und auch in der <strong>Calenberge</strong>r Flur wesentlich<br />

mehr Acker- und Weideland und verschwand<br />

ein großer Teil der Waldflächen,<br />

die nun nicht mehr an die landwirtschaftliche<br />

Nutzung gekoppelt waren. Gleichzeitig<br />

entstand eine bessere Wegführung. Der<br />

private Besitz der Bauern vergrößerte sich.<br />

Hutungsrechte, in der Folgezeit auch Hand-<br />

und Spanndienste – welche die Verpflichtung<br />

zu körperlicher Arbeit gegenüber dem<br />

Grundbesitzer und das Stellen von Zugvieh<br />

und Geschirr umfassten – entfielen. 1850<br />

folgte ein Gesetz zur Ablösung der Reallasten.<br />

Als Ersatz für die Reallasten musste<br />

der Begünstigte mit einer Geldsumme<br />

entschädigt werden.<br />

Durch die Separation bewirkte Veränderungen<br />

in der Landwirtschaft lassen<br />

sich in Zahlen belegen. Schon 1865 war der<br />

Anteil der Ackerflächen in der Gemarkung<br />

<strong>Calenberge</strong> auf 53,67%, die Wiesen auf<br />

28,14% gestiegen und der Anteil der Holzungen<br />

auf 0,42% gesunken. 1937 gab es<br />

unwesentlich mehr Wald mit 0,98%, aber<br />

nur noch 0,79% Wiesen und jetzt 81,38%<br />

Ackerland. Die Betriebe teilten sich nun in<br />

folgende Größenklassen: 5 mit 0-5 ha, 4<br />

mit 5-10 ha, 15 mit 10-20 ha und 2 mit<br />

20-50 ha. 13<br />

Trotz des Gesetzes von 1850 lasteten<br />

in <strong>Calenberge</strong> noch bis 1879 Verpflichtungen,<br />

gemeint sind Abgaben in Naturalien<br />

und Gelderträgen, auf verschiedenen Hof-<br />

27


28<br />

Bauer Emil Perlberg (Bild D.P.)


Neugierige Blicke Blick über die Felder Richtung Randau<br />

stellen und Grundstücken, zum Vorteil der<br />

jetzt Kloster Bergeschen Stiftung (Roggen,<br />

Gerste, Pacht, Erbzins usw.). Die Pfarre erhielt<br />

ebenso Abgaben (Eier, Wurst, Brot)<br />

wie die Schule (Eier, Wurst und Roggen). Ab<br />

1879 hatten die Verpflichteten als Ablöse<br />

der Realien Renten an die Rentenbank zu<br />

zahlen, bis die Verpflichtungen 1920 endgültig<br />

erloschen.<br />

Haupterwerbszweig der <strong>Calenberge</strong>r<br />

blieb bis in DDR-Zeiten die Landwirtschaft,<br />

seit 1958 in einer Landwirtschaftlichen<br />

Produktionsgenossenschaft (LPG) mit<br />

Schweine- und Rinderzuchtanlage zusammengeschlossen.<br />

Aus der ehemaligen LPG<br />

ging nach der politischen Wende die in<br />

Randau ansässige Agrar GmbH Randau–<br />

<strong>Calenberge</strong> hervor. Wiesen und Ackerland<br />

in der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung werden fast<br />

ausschließlich von ihr bewirtschaftet, während<br />

die Dorfbewohner inzwischen anderen<br />

Berufen nachgehen. Grund und Boden<br />

sind allerdings wieder ins Privateigentum<br />

überführt.<br />

Weizenfeld<br />

Eine bei der Separation 1847 gegründete<br />

Interessentengemeinschaft, in deren Eigentum<br />

damals unbrauchbare Ländereien wie<br />

Wege, Deiche, Wasserlöcher, Uferstreifen<br />

usw. übergingen, existiert mit Unterbrechung<br />

in DDR-Zeiten noch heute. Gewinne<br />

aus den über 60 ha großen Flächen werden<br />

zum Allgemeinwohl des Dorfes investiert.<br />

9 Im Besitz von Ernst Schwarzlose. 10 Römer, Christof, Das Kloster Berge bei Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565, Göttingen 1970. 11 Dittmar, Max, Zur Bevölkerungsstatistik<br />

des Magdeburgischen Landes im Jahre 1635, in: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, Jg.29, 1894. S.273. Das Buch-Exemplar im Stadtarchiv Magdeburg enthält<br />

kleinere Korrekturen, die vermutlich aus der Hand des Autors stammen. 12 Aus der Chronik von Ernst Schwarzlose. 13 Hoffmann, (?), Vom werktätigen Einzelbauern zum Genossenschaftsbauer<br />

im Ortsteil <strong>Calenberge</strong> der Gemeinde Randau und Nachweis der Besitzverhältnisse der letzten 200 Jahre, Schönebeck 1964, in: Stadtarchiv Magdeburg, Rep.47 S4.<br />

29


30<br />

Von Deichen und Fluten<br />

„Versuchte der Feind in Kriegszeiten den Damm zu<br />

durchstechen, so hatten alle Deicher ihm zu wehren.<br />

Wehe dem, der feige den Deichwagen verließ!<br />

Er verlor Leben und Eigentum. Auf Diebstahl an<br />

Holz, das zum Deichbau gehörte, stand Todesstrafe.<br />

Wer einen Mitdeicher bei der Arbeit bestahl,<br />

dem wurden die Ohren abgeschnitten. Bei größeren<br />

Diebstählen wurde auf Tod durch den Strang<br />

erkannt. Kleine Vergehen gegen Mitdeicher und<br />

Deichmeister fanden ihre Sühne durch Geld,<br />

Naturalien und Züchtigung. Der Verbrecher aber,<br />

der einen Deich durchstach, sollte gevierteilt<br />

und sein Körper an 4 Enden des Deiches auf 4<br />

Räder geflochten werden, allen zur schrecklichen<br />

Warnung.“<br />

Willy Otto Riecke 1932 (S.266)<br />

Grundstücksliste<br />

zur Aufteilung<br />

der Kosten für<br />

den <strong>Calenberge</strong>r<br />

Sommerdeich<br />

1838 (Eigentum<br />

E.S.)


<strong>Calenberge</strong>r See, zugefroren (Foto I.S.) Baden im Altwässer (Bild G.H.)<br />

CalenBerges gesChiChte und<br />

Umland sind eng verbunden mit der Elbe und<br />

ihren saisonal wiederkehrenden Hochfluten.<br />

Seit dem 10.Jahrhundert entspricht der Verlauf<br />

der Alten Elbe um <strong>Calenberge</strong> seinem<br />

heutigen, damals noch als Hauptstrom des<br />

Flusses, der sich um das Jahr 1.000 einen<br />

neuen Weg durch sein jetziges Flussbett<br />

suchte. Aus dem ehemaligen Hauptstrom<br />

entstand ein Altarm. Vor dem 10.Jahrhundert<br />

floss der Fluss hingegen am heutigen östlichen<br />

Ortsrand von <strong>Calenberge</strong> vorbei durch<br />

den heute noch in Resten vorhandenen <strong>Calenberge</strong>r<br />

See und dehnte sich, in mehrere<br />

Arme verzweigt, bis nach Wahlitz aus.<br />

Die Alte Elbe tritt von Osten, beim sogenannten<br />

Scheidkolk, in die <strong>Calenberge</strong>r<br />

Gemarkung ein, verläuft in einer großen<br />

Schleife südlich um den Ort herum, dann<br />

zwischen Randau und <strong>Calenberge</strong> hindurch,<br />

bevor sie nördlich von der Kreuzhorst, am<br />

Mönchsgraben, eine Verbindung zur Stromelbe<br />

findet.<br />

Wenn sich im Frühjahr das Schmelzwasser<br />

über die Zu- und Nebenflüsse der<br />

Elbe seinen Weg suchte, trat es nicht nur<br />

über die Ufer der Stromelbe, sondern überschwemmte<br />

auch die Felder neben der Alten<br />

Elbe. Zum Schutz vor den Wassermas-<br />

sen bauten die Bewohner der Elbniederung<br />

unter hohem Kostendruck Deichpolder und<br />

Schutzanlagen verschiedener Art, Buhnen,<br />

Sommer- und Winterdeiche. Schon Erzbischof<br />

Wichmann siedelte im 12.Jahrhundert<br />

flämische Kolonisten im Elbraum um Magdeburg<br />

an und verpflichtete die erfahrenen<br />

Deichbauer zu ersten Deichbau- und Wartungsarbeiten<br />

am Elblauf. Verstöße gegen<br />

die Deichwartung oder Beschädigung der<br />

Deiche hatten brutale Strafen zur Folge,<br />

war doch der Schutz vor dem Wasser von<br />

existentieller Bedeutung.<br />

Es gibt keine Hinweise darüber, wie der<br />

Deichschutz in den ersten Jahrhunderten in<br />

31


32<br />

„Den 23., 24. stürmte das Wasser über alle Dämme und sogar hoch über den Klusdamm,<br />

so daß alle hiesige Gegend in eine See verwandelt sind. Die Not stieg aufs höchste besonders<br />

an dem Sonntage den 24., da man unter beiden Gottesdiensten am Damm arbeitete.<br />

Gegen Abend kam ein Kommissarius von der Kammer und versprach Proviant. Seit 1709<br />

im Febr. ist solche Fluth nicht dagewesen. Vom 24.-30. langsamer Fall und kaltes Wetter.<br />

Man fuhr von Königsborn bis vors Tor nach Magdeburg in einem Kahn.“<br />

Pfarrer Grothe April 1784 14<br />

<strong>Calenberge</strong> organisiert gewesen ist. Früheste<br />

Regelungen zur Kontrolle des Hochwasserschutzes<br />

in der Elbniederung bei<br />

Magdeburg sind für die Zeit um 1500 überliefert.<br />

15 Deichhauptmänner, Deichschulzen<br />

und Deichschöppen traten offizielle Dienste<br />

und regelmäßige Deichschauen an. Im<br />

Dreißigjährigen Krieg sind die Deiche, nicht<br />

zuletzt wegen der kompletten Verwüstung<br />

zahlreicher Elbanrainer-Dörfer, stark vernachlässigt<br />

und beschädigt gewesen.<br />

Deiche führten an drei Seiten um das<br />

Dorf herum, nämlich zwischen <strong>Calenberge</strong><br />

und dem <strong>Calenberge</strong>r See hindurch und<br />

am westlich und südlich gelegenen Lauf<br />

der Alten Elbe entlang. Ein weiterer Deich<br />

lag vor dem Klosterbusch. Der Deich am<br />

Ostufer der Alten Elbe, mit dem Namen<br />

Pechauer Deich, endete unterhalb von<br />

Prester. Darüber hinaus gab es noch einen<br />

langen, kräftigen Deich auf dem Elbenauer<br />

Werder, Ranieser Deich oder Landschaftsdamm<br />

genannt, zwischen der Alten Elbe<br />

und der Stromelbe.<br />

Schon in früher kursächsischer Zeit,<br />

nachweislich spätestens seit Mitte des<br />

16.Jahrhunderts, war das Dorf über das<br />

Amt Gommern zum Deichbau verpflichtet.<br />

Je nach Größe der Gemeinden sind die zu<br />

unterhaltenen Deichstrecken in verschie-<br />

den lange Stücke aufgeteilt gewesen. Alle<br />

Einwohner mussten regelmäßig, vom Dorfschulzen<br />

überwacht, Holzpfähle und Reisigbündel<br />

für den Deich- und Buhnenbau<br />

liefern. Da die <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung in<br />

jüngerer Zeit nicht mehr über genug Wald<br />

verfügte, besorgte man das Holz zum Teil<br />

aus dem Pechauer Forst. Die Gemeinde besaß<br />

bis in die 1940er Jahre auch ein 6,51<br />

ha großes Grundstück mit der Bezeichnung<br />

„Niederweide“ und ehemals mit Eichenwald<br />

bewachsen in der Pechauer Gemarkung.<br />

Nicht nur bei Hochwasser, auch bei<br />

starkem Westwind waren die Dämme in<br />

Gefahr, von den hohen Wellen beschädigt


Alte Elbe bei <strong>Calenberge</strong><br />

33


34<br />

Veränderung des Elblaufs (Ausschnitt aus: Schlüter,<br />

August, Blatt 7)<br />

zu werden. Fand sich eine Stelle, an der<br />

die Deichkrone gelitten hatte oder das<br />

Wasser bereits durch drang, so musste<br />

die Dammwache Bescheid geben und die<br />

Dorfmannschaft an den Dämmen gelagerte<br />

Baustoffe, Holzpfähle, Steine, Stroh und<br />

Reisigbündel, Erde und Sandsäcke herbeitragen.<br />

Nicht selten brachen die Dämme<br />

trotzdem. War die Flut besonders schlimm,<br />

drohte der komplette Ernteausfall. Im Jahr<br />

1771 – um nur ein Beispiel zu nennen –<br />

konnte gar nichts, weder Heu eingefahren<br />

noch Korn geerntet werden, da das Wasser<br />

neun Wochen lang auf den Äckern gestanden<br />

hatte und alle Pflanzen verdorben<br />

waren. 16 Wiederholt verstärkte <strong>Calenberge</strong><br />

seine Deiche.<br />

Historischer Deich verlauf noch vor dem Bau des Umflutkanals<br />

(aus: Riecke S.270)<br />

Eine für das Herzogtum Magdeburg, Jerichowschen<br />

Kreises erlassene Deichschauordnung<br />

von 1721 und eine Zirkularverfügung<br />

von 1798 regelten im 18.Jahrundert<br />

die Deichaufsicht. Polizeiliche Überwachung<br />

der Unterhaltung und Verteidigung<br />

der Deiche oblag sogenannten Deichkommissarien,<br />

die für die regelmäßigen Deichschauen<br />

verantwortlich zeichneten und<br />

notwendige Maßnahmen anordneten. Im<br />

19.Jahrhundert erließ die königliche General-Commission,<br />

zeitgleich mit der Separation<br />

der Weideflächen 1847, ein weiteres<br />

Regulativ zur Unterhaltung der Deiche, das<br />

die Zuständigkeiten erneut genau festlegte,<br />

weil sich die Hochwassersituation zunehmend<br />

verschärfte. Der Bau der Berliner<br />

Chaussee vor Magdeburg 1827 auf einer<br />

hochgelegenen Trasse sowie die Anfang<br />

der 1840er Jahre neu eingerichtete Eisenbahnstrecke<br />

von Magdeburg nach Berlin<br />

hemmten und stauten bei Überflutungen<br />

den Rückfluss der Wassermassen. Zudem<br />

gab es im 19.Jahrhundert nach schweren<br />

Überschwemmungen vermehrtes Viehsterben,<br />

wofür man die Verschmutzung<br />

der Elbe durch böhmische Bleigruben verantwortlich<br />

machte.<br />

Nach Feststellung des Kulturbauamtes<br />

Magdeburg gab es allein auf dem zwischen<br />

Alter Elbe und Stromelbe gelegenen<br />

Elbenauer Werder, der die Ortschaften<br />

Grünewalde, Elbenau, Ranies und Randau


Übersichtskarte<br />

zur Denkschrift<br />

in der Elbenauer<br />

Deich-Regulierungs-<br />

Sache 1865 (St.A.<br />

Rep. KS II 27)


36<br />

umfasste, im Jahr 1845 etwa 100 Bruchstellen.<br />

Außerdem zerstörte das Wasser in<br />

Biederitz damals etwa 40 Häuser. In <strong>Calenberge</strong><br />

rückten die Magdeburger Pioniere<br />

an, um beim Schutz des Dorfes zu helfen.<br />

1862 brachen die <strong>Calenberge</strong>r Deiche bei<br />

„Louisenthal“.<br />

Oftmals reichten die finanziellen Mittel<br />

der Dorfgemeinde nicht mehr aus, um<br />

die entstandenen Deichschäden zu reparieren.<br />

Nach einer schweren Überflutung<br />

1784 gab der König den Befehl, die Dämme<br />

zu verstärken und zahlte über 1.000 Taler<br />

als Unterstützung dazu. 1865 lieh die<br />

Regierungskasse 920 Taler und 15 Silbergroschen,<br />

um den gebrochenen Damm an<br />

der <strong>Calenberge</strong>r Niederweide wiederherzustellen.<br />

Mit dem 1868 begonnen Bau von Umflutkanal<br />

und Pretziener Wehr (ab 1871) erwarb<br />

das Dorf endlich dauerhaft zuverlässigen<br />

Hochwasserschutz und somit auch<br />

wirtschaftliche Sicherheit. Starke Sperrdeiche<br />

entzogen der Alten Elbe nun das<br />

Wasser, so dass sie dem Ort nicht mehr<br />

gefährlich werden konnte. In der Fläche für<br />

den Umflutkanal ging damals u.a. auch der<br />

Jungfernsee bei <strong>Calenberge</strong> auf. Gleichzeitig<br />

reduzierte sich die Anzahl der erforderlichen<br />

Deichpolder in der Elbniederung von<br />

20 auf drei. Drei gleichzeitig gegründeten<br />

Deichverbänden oblag nun die umfassende<br />

Sicherung und Erhaltung dieser Anlagen.<br />

Außerdem trugen sie einen Teil der Baukosten,<br />

den die Gemeinden bis 1923 in jährlichen<br />

Raten entsprechend der Größe und<br />

Güte ihrer Ländereien zu zahlen hatten – ein<br />

geringes Übel im Vergleich zu den Schäden<br />

und gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />

durch die früheren Überschwemmungen.<br />

<strong>Calenberge</strong> gehörte zum Elbenauer Deichverband.<br />

Jeder Deichverband stellte einen<br />

Deichhauptmann, einen Deichinspektor und<br />

einen Deichaufseher. Mit Inbetriebnahme<br />

des Umflutkanals überflüssig gewordene<br />

Deiche gingen in den Gemeinschaftsbesitz<br />

des Dorfes über und wurden zum Teil an die<br />

Bauern verkauft.<br />

Eine bereits 1737 erwähnte Schiffsmühle<br />

am großen Anger auf der Alten Elbe<br />

muss spätestens mit Fertigstellung des<br />

Pretziener Wehrs abgerissen oder verlegt<br />

worden sein. Mit dem Bau der Landstraße<br />

nach Magdeburg und Schönebeck und dem<br />

zusätzlichen Abzweig nach Randau 1884<br />

verschwand auch der Fähranleger für die<br />

Überfahrt zum Nachbarort.<br />

1881 übernahm der Staat die Unterhaltung<br />

des 1875 fertiggestellten Wehrs.<br />

Der ersten harten Probe im März 1876<br />

hatte es allerdings nicht standgehalten,<br />

da versäumt worden war, die Schleusen<br />

rechtzeitig zu öffnen. Der Wasserdruck<br />

schleuderte in Magdeburg sogar die eisernen<br />

Kanaldeckel in die Höhe. Infolge der<br />

Zerstörung durch die Fluten musste das<br />

Wehr erneut gebaut werden. Ältere Dorfbewohner<br />

in <strong>Calenberge</strong> wissen noch von den<br />

Anlegestellen der Kähne hinter den Höfen,<br />

von wo aus die Bauern nach Schönebeck<br />

zum Einkaufen gestakt sind.<br />

Heute ist Deichschutz Ländersache<br />

und beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz<br />

und Wasserwirtschaft Sachsen-<br />

Anhalt (LHW) angesiedelt.<br />

14 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, z.B. S.23. Schreibweise hier Pfarrer Grothe, manchmal auch Große. 15 Riecke, Willy Otto, Chronik Prester-Cracau,<br />

Magdeburg 1932, S.265. 16 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S.17.


Pfarrer und Pfarrgemeinde<br />

„die sittlichen Zustände in der Gemeinde<br />

sind im Allgemeinen gut zu nennen, doch<br />

fehlt es auch nicht gänzlich an Ausnahmen“<br />

Pastor Hermes im Visitationsprotokoll 1865<br />

„sittliche Umstände günstig, keine uneinige Eheleute,<br />

keine bestrafte Verbrecher, kein Concubinat, keinen<br />

Trunkenbold, keine einheimischen Bettler; damit soll<br />

aber nicht gesagt werden, daß alle Gemeindemitglieder<br />

erweckte Christen wären“<br />

Pastor Hermes im Visitationsprotokoll 1872<br />

Siegelabdruck der Calen-<br />

berger Pfarre aus dem<br />

18.Jahrhundert aus einer<br />

Akte der Superintendentur<br />

Möckern im Kirchenarchiv<br />

der Gemeinde Pechau; das<br />

Siegel zeigt den Altar der<br />

Kirche mit dem Kelch von<br />

1611 und den beiden baro-<br />

cken Leuchtern von 1664<br />

37


38<br />

Taufe in <strong>Calenberge</strong> (Bild E.Sch.) Hochzeit in <strong>Calenberge</strong> (Bild W.K.) Vor der Kirche (Bild F.H.)<br />

Zur eVangelisChen gemein-<br />

De sankt georg in <strong>Calenberge</strong> zählen<br />

momentan noch 16 Gemeindemitglieder.<br />

Die Gläubigen werden zusammen mit denjenigen<br />

in Randau von der Pfarrei in Pechau<br />

betreut und gehören seit 13 Jahren zum<br />

Kirchenkreis Elbe-Fläming Gommern. Gottesdienste<br />

in der <strong>Calenberge</strong>r Kirche finden<br />

regelmäßig einmal im Monat statt. Termine<br />

können im Kreuzhorstkurier oder unter www.<br />

kreuzhorstkurier.de eingesehen werden.<br />

Trotz der geringen Zahl von Gläubigen hat<br />

das christliche Leben des kleinen Ortes weit<br />

in die Geschichte zurückreichende Wurzeln.<br />

Dass in den neu gegründeten oder<br />

aus slawischen Siedlungen hervorge-<br />

gangenen ostelbischen Dörfern schon<br />

sehr früh Kirchen gebaut wurden, ist dem<br />

christlichen Missionsbestreben in den<br />

ehemals slawischen Gebieten geschuldet.<br />

Für <strong>Calenberge</strong> gilt außerdem, dass<br />

sich das Dorf seit seiner Ersterwähnung<br />

in klösterlichem Besitz befand. Eine erste<br />

Pfarrstelle ist 1309 überliefert. In diesem<br />

Jahr schenkte der dortige Pfarrer Conrad<br />

von Kalenberge (Conradus plebanus in<br />

Kalenberge) zusammen mit zwei anderen<br />

frommen Männern dem Kloster Berge<br />

urkundlich die Einkünfte aus drei Hufen<br />

Land für sein Seelenheil. 17 Eine kleine<br />

Kirche im Ort könnte es demnach schon<br />

gegeben haben, vielleicht aber auch nur<br />

einen Betsaal. Im Januar 1562 erscheint<br />

die <strong>Calenberge</strong>r Kirche in einem Inventar<br />

des Klosters und ist somit erstmals verbindlich<br />

nachgewiesen. 18<br />

Bis zur Reformation war die Pfarrei<br />

dem katholischen Bistum Brandenburg<br />

im Erzbistum Magdeburg zugeordnet.<br />

Spätestens seit Mitte des<br />

16.Jahrhunderts unterstand dem Kloster<br />

Berge die Besetzung der Pfarrstelle.<br />

Ihm gehörte auch das Eigentum an<br />

der Pfarrkirche. Nach Auflösung der<br />

Klosterverwaltung unter französischer<br />

Herrschaft war die Suptur in Möckern<br />

mit der Einsetzung der Pfarrer in <strong>Calenberge</strong><br />

beauftragt, anschließend lag die<br />

Zuständigkeit in Leitzkau und bis vor 13<br />

Jahren in Gommern.


Ehemaliges Pfarrhaus auf dem Gelände<br />

des früheren Schulzenhofs<br />

Das Dorf selbst muss spätestens seit 1558<br />

protestantisch gewesen sein, allerdings zu<br />

dieser Zeit noch ohne Pfarrer. Die Pfarrgeschäfte<br />

erledigten die Pechauer oder<br />

Randauer Geistlichen. In den folgenden<br />

Jahrhunderten änderte sich die Zuständigkeit<br />

häufig, da das Dorf einfach zu klein<br />

war, um dauerhaft einen eigenen Geistlichen<br />

für sich in Anspruch nehmen zu können.<br />

Ein kurzer Einblick in die Verwaltung<br />

der Pfarre sei an dieser Stelle gegeben:<br />

Seit 1606 ist ein gemeinsamer Pastor für<br />

Pechau, <strong>Calenberge</strong> und vermutlich auch<br />

Randau nachgewiesen und erst seit 1728<br />

ein eigener Ortspfarrer nur für <strong>Calenberge</strong>.<br />

Dies blieb indes nur bis 1793 so, anschließend<br />

hatte wieder der Pfarrer von Pechau<br />

Osterfeuer 2009 (Foto I.S.)<br />

die Filialkirche in <strong>Calenberge</strong> zu betreuen.<br />

Ab 1822 konnte das Dorf erneut einen<br />

Pfarrer nur für sich allein beanspruchen.<br />

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde<br />

die Pastorenstelle endgültig gestrichen<br />

und die Gemeinde entweder der Pfarre in<br />

Randau angeschlossen oder von Plötzky<br />

aus verwaltet. Das ehemalige Pfarrhaus<br />

ist seit 1974 in Privatbesitz.<br />

Im Archiv der Kirchenprovinz Sachsen<br />

sind die <strong>Calenberge</strong>r Pfarrer mit Hilfe des<br />

historischen Urkundenmaterials in einer<br />

Liste zusammengetragen worden:<br />

Mag. Henricus Buntigus ab 1571<br />

Christophorus Weber ab 1585<br />

1606 – 1728 mit Pechau vereinigt<br />

Jeremias Bertram 1728 – 1746<br />

Johann Friedrich Hörstel 1747 – 1751<br />

Johann Friedrich Kleffel 1751 – 1774<br />

Johann Heinrich Theodor Cuno 1775 – 1776<br />

Ernst Benjamin Ludwig Ernesti 1776 – 1780<br />

Johann Ludwig Gottfried Große (Grothe)<br />

ab 1781<br />

1785 – 1822 Filial von Pechau<br />

Peter Friedrich Hopf 1822 – 1834<br />

Johann Friedrich Conrad Richter 1835 – 1858<br />

Gottfried Ferdinand Hermes 1858 – 1892<br />

Andreas Heinrich Friedrich Hünecke 1892<br />

– 1905<br />

Emil Gustav Biebeler 1905 – 1929<br />

anschließend unbesetzt, von Randau<br />

verwaltet<br />

39


40<br />

Wie vollständig diese Liste ist, wäre noch<br />

zu überprüfen, taucht doch im Zusammenhang<br />

mit dem Kirchbau auch der Name<br />

Pfarrer Wichmann auf. 19<br />

Im Jahr 1771 wohnte der damalige<br />

Pfarrer im ehemaligen Schulzenhof, dessen<br />

Ländereien unter den örtlichen Bauern verpachtet<br />

waren. 1791 gab die Gemeinde <strong>Calenberge</strong><br />

eine neue Orgel in Auftrag. 1864<br />

erhielt der Pfarrer nach Abriss des alten ein<br />

neugebautes Wohnhaus und wenig später,<br />

1882, die Gemeinde eine neue Kirche.<br />

Sowohl an die Gotteshäuser als auch<br />

an die Pfarrstelle waren Besitzungen gekoppelt,<br />

die zum größten Teil verpachtet<br />

gewesen sind. Hingegen bewirtschaftete<br />

der Küster seine wenigen Grundstücke<br />

selbst. Gemeindemitglieder leisteten zusätzlich<br />

nicht unerhebliche Dienste für die<br />

Pfarre, pflügten, säten und ernteten.<br />

Eine Aufzählung von Pastor Grothe aus<br />

dem Jahr 1781 vermittelt einen Einblick in<br />

die Einkommensverhältnisse des Geistlichen.<br />

Für die Unterhaltung der Pfarrei und<br />

seinen eigenen Lebensunterhalt stand ihm<br />

der Ertrag aus mehreren Grundstücken zur<br />

Verfügung, die hier exemplarisch aufgeführt<br />

sind.<br />

Acker: sieben in den Möriken, zwei vor<br />

Brauesholz, ein Pachtstück von der Kirche<br />

hinter Friedrich an der Brücke, vier auf den<br />

Elbmaßen, ein Stück an der Bullenwiese.<br />

Zu den ersten fünf Äckern gehört die Holznutzung<br />

der an den Dämmen stehenden<br />

Bäume<br />

Wiesen: in der Mark vor den breiten Stücken<br />

an der Brücke, ein und ein halbes Stück<br />

in der Mark, zwei kleine Ackerstücke in der<br />

Mark, eine Breite vor dem Möriken Acker, im<br />

Schwernitz drei große und drei halbe Stücke,<br />

dazu die Holznutzung an der Elbseite und<br />

auf den Stücken, hinten im Winkel vier mit<br />

Holznutzung, zwei vorn an der sogenannten<br />

Stiege, ein Stück Kirchenkabel<br />

Holz: eine Holzkabel im Winkel, das<br />

Unterholz in den Kirchenkabeln, die in der<br />

sogenannten „Steieige“ ausgenommen<br />

Bareinkünfte der Pfarre: Der Abt des<br />

Klosters Berge zahlt 20 Taler, die Kirche<br />

40, das Kloster Berge 25, die Kloster Bergische<br />

Pfarrkasse zehn; Beichtstuhl acht<br />

Taler, Zeiten-Geld zwei, Accidenzien drei<br />

Taler zwölf Groschen<br />

In Summa 108 Taler und 12 Groschen,<br />

dazu jährlich sechs Klafter Holz und sechs<br />

Schock Wasen<br />

Für eine Trauung oder Leichenpredigt<br />

zu zahlen: 1 Taler 8 Groschen, Sermon 16<br />

Groschen, Segen 8 Groschen, Taufe 12 Groschen.<br />

20<br />

Das vom Kloster Berge an die Kirche zu<br />

liefernde Holz ist 1842 in eine Geldzahlung<br />

umgewandelt worden, gleiches geschah erst<br />

1879 mit Realien Korn, Brot und Eiern.<br />

17 Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, Halle 1879, Nr. 162. 18 Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, Halle 1879, Nr. 1062. 19 Consistorium für die Provinz<br />

Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong> 1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726.<br />

20 Aufzählung aus: Kahlo, Marlin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929.


<strong>Calenberge</strong>r<br />

Dorfkirche<br />

St. Georg<br />

(Foto St.M.)<br />

Kirche und Kirchhof<br />

„Bekanntmachung. Der Neubau der Kirche in <strong>Calenberge</strong><br />

(ausgeschlossen die inneren Einrichtungen) und der Abbruch<br />

der alten Kirche, veranschlagt auf 28.820 Mk. 69 Pf.<br />

soll an den Mindeßfordernden vergeben werden. Hierzu<br />

habe ich Termin auf Freitag, d. 6. Februar cr., Vormittags<br />

11 Uhr in meinem Bureau hierselbst anberaumt, zu welchem<br />

ich Unternehmer mit dem Bemerken einlade, daß die<br />

Kostenanschläge, Zeichnungen und Bedingungen hier zur<br />

Einsicht jederzeit offen liegen. Burg, den 20. Januar 1880.<br />

Der Königliche Landrath. I A. Der Kreis-Secretair Meyer.“ 21<br />

Zeitungsausschreibung 1880<br />

41


42<br />

Alte Postkarte, verschickt<br />

1917 (Eigentum E.S.)<br />

Die kleine einsChiffige, traditionell<br />

in Ost-West-Richtung ausgerichtete<br />

und als Saalbau konzipierte Dorfkirche<br />

steht ortsbildprägend und weithin sichtbar<br />

an der <strong>Calenberge</strong>r Dorfstraße inmitten eines<br />

Kirchhofs, direkt am nördlichen Eingang<br />

des historischen Dorfkerns. Eine Mauer aus<br />

Bruchsteinen bildet die Einfriedung des<br />

sich nach Westen ausdehnenden Kirchhofs.<br />

Dem Zeitgeschmack der Bauzeit 1880 –<br />

1882 entsprechend ist die evangelische<br />

Pfarrkirche Sankt Georg im Historismus,<br />

speziell in neoromanischem Stil gehalten<br />

und mit großen Rundbogenfenstern und<br />

halbrunder Apsis versehen. Auf der Westseite<br />

erhebt sich mittig vor der Giebelwand<br />

Während der Renovierung 1999 (Foto H.H.)<br />

der hohe Westturm über annähernd<br />

quadratischem Grundriss.<br />

Er trägt einen spitzen<br />

Turmhelm mit Faltdach. Die<br />

Fassaden des Massivbaus<br />

sind in gleichmäßigem Quadermauerwerk<br />

in Sandstein und<br />

Kalkstein aufgeführt und werden<br />

durch vorgeblendete Lisenen und<br />

Rundbogenfriese in leuchtend gelben<br />

Ziegeln gegliedert. Die gelben Ziegel<br />

stammen aus den Greppiner Werken<br />

bei Bitterfeld und waren wegen ihrer<br />

festen und wasserabweisenden<br />

Qualität seinerzeit sehr verbreitet.<br />

Es ist anzunehmen,<br />

Kreuz auf dem Kirchdach<br />

dass es sich bei dem Steinmaterial<br />

um Ummendorfer oder<br />

Pirnaer Sandstein handelt.<br />

Ummendorfer Sandstein fand<br />

beispielsweise schon beim<br />

Magdeburger Dombau Verwendung.<br />

Außerdem gibt es<br />

Abrechnungen über Aderstedter<br />

Steine, wobei es sich vermutlich um<br />

die Kalksteinquader handelt.<br />

Sowohl das sattelförmige Kirchendach<br />

als auch der Turmhelm sind mit<br />

Kelch von 1711


Deckenleuchter um 1910 Kanzel in St. Georg Die Orgel in der <strong>Calenberge</strong>r<br />

Dorfkirche<br />

schwarzen Schieferplatten gedeckt. Zwei eiserne<br />

Kreuze schmücken die Turmspitze und<br />

das Kirchendach. Auf der Nordseite schließt<br />

sich eine kleine Sakristei an. Von den drei Außentüren<br />

befindet sich eine in der Südfassade,<br />

eine zweite im westlichen Turm und<br />

die dritte in der Sakristei auf der Nordseite.<br />

Der Zugang vom Turmuntergeschoss zum<br />

Kirchenraum ist allerdings vermauert. Über<br />

dem Saalraum hängt eine flache Holzbalkendecke,<br />

nur die Apsis ist kreuzrippengewölbt.<br />

Ein gusseiserner, polygonaler Deckenleuchter<br />

aus der Zeit um 1910 ist in den Formen des<br />

späten Jugendstils gehalten. Unterhalb der<br />

Orgelempore wurde vor etwa 50 Jahren mit<br />

Holz und Glas eine Winterkirche abgetrennt.<br />

Nach einer umfassenden Befundung konnte<br />

vor wenigen Jahren die Farbgestaltung des<br />

Innenraums weitestgehend entsprechend<br />

der Originalausmalung aus dem Ende des<br />

19.Jahrhunderts rekonstruiert werden. Die<br />

umfangreichen, 1999 beendeten Maßnahmen<br />

zur Renovierung der Kirche leitete<br />

die Restauratorin Frau Maria Meussling.<br />

Sowohl die Kanzel, die von Wandkonsolen<br />

und Säulen getragene Westempore für die<br />

Orgel, die Orgel selbst als auch das Gestühl<br />

sind Originalinterieur aus der Bauzeit. Der<br />

Taufstein trägt die Jahreszahl 1888 und<br />

steht in der vermauerten Türnische der<br />

Winterkirche. Seit 1994 steht das Gebäude<br />

unter Denkmalschutz.<br />

Für den kleinen Ort dürfte der Kirchenneubau<br />

ein bedeutendes und aufregendes<br />

Ereignis gewesen sein. In zahlreichen<br />

Zeitungen erschien im Januar 1880 nach<br />

umfassender Kalkulation sämtlicher Handdienste,<br />

Fuhrlöhne, Kosten für Material,<br />

Dachdecker, Lehm-, Zimmer-, Steinmetz-<br />

und Maurerarbeiten der oben zitierte Ausschreibungstext.<br />

Aus der Bauakte des Konsistoriums der<br />

Provinz Sachsen 22 geht hervor, dass mehrere<br />

Personen an der Ausführung beteiligt<br />

gewesen sind und der Ablauf nicht immer<br />

reibungslos vonstatten ging. Mit den<br />

Planungen war im Vorfeld der königliche<br />

43


44<br />

Südportal Detail der Kirche Sakristei<br />

Bauinspector bzw. Departements-Baurat<br />

der königlichen Regierung Groß aus Magdeburg<br />

als leitender Baubeamter betraut.<br />

Dass dieser auch den Entwurf fertigte,<br />

lieg zwar nahe, ist aber nicht verbindlich<br />

gesichert. Weiter erscheint in den Akten<br />

ein Bauführer R. Leithold zu Ummendorf,<br />

anschließend wohnhaft in Magdeburg,<br />

Heilige Geiststraße 9, der für Reisekosten<br />

und Diäten und für die Bearbeitung der<br />

Werkzeichnungen entlohnt wird. Vor Ort<br />

leitete der Maurer und Bauunternehmer<br />

Chr. Leps aus Cracau sowohl den Abbruch<br />

der alten Kirche als auch den Neubau, dessen<br />

Fertigstellung er lt. Vertrag bis zum<br />

31. Oktober 1880 leisten wollte. Der Bau-<br />

unternehmer verpflichtete sich außerdem,<br />

anstelle der vorgesehenen Bruchsteine<br />

Werkstücke von bestem sächsischen weißen<br />

Naturstein zu verwenden. Leps, der<br />

auch in Magdeburg zahlreiche Wohnhäuser<br />

errichten ließ, hat sich vermutlich auf<br />

dem Immobilienmarkt verspekuliert. Am<br />

28. Sept. 1880 weist die Königliche Regierung,<br />

Abteilung II, das Konsistorium an, aus<br />

der Kirchenkasse 10.000 Mark möglichst<br />

schnell an Leps auszuzahlen, da dieser<br />

sich in großer Not befände. Mehrere Arbeiter,<br />

Fuhrleute und Handwerker blieben<br />

anschließend auf ihren Kosten sitzen, da<br />

ihr Auftraggeber anscheinend nicht mehr<br />

zahlungsfähig war. Ab 1881 wird ein Bau-<br />

führer Thielecke zu Gardelegen genannt<br />

und letztendlich wieder Baurat Groß, der<br />

die Leitung des Neubaus zu Ende führte<br />

und kurz darauf verstarb.<br />

Weiter berichten die Gemeindeakten,<br />

dass Maurermeister F. Niemann aus Magdeburg<br />

Steinmetzarbeiten, Zimmermeister<br />

Alb. Jul. Hitzeroth aus Sudenburg Tischlerarbeiten<br />

und W. Oeltze aus <strong>Calenberge</strong><br />

Lehmarbeiten erledigten. Dachdeckermeister<br />

Schopf aus Prester arbeitete am<br />

Dach und fertigte auch das Glockengestühl<br />

im Turm. Bildhauer Habs schuf die sechs<br />

Kapitelle für die Säulchen im Chor. Hierbei<br />

handelt es sich mit Sicherheit um den


Kirchhofmauer Ostseite<br />

Künstler Ernst Habs, auf dessen Entwurf<br />

das Friesendenkmal im südlich vom Dom<br />

gelegenen Park am Fürstenwall zurückgeht.<br />

Ferner beteiligten sich am Kirchbau<br />

der Schlosser Schatz aus Magdburg, F. Krüper<br />

in <strong>Calenberge</strong> mit Schmiedearbeiten,<br />

Wüste in Magdeburg mit Glaserarbeiten<br />

sowie Grunert und Sohn aus Magdeburg<br />

mit dem Turmknopf. H. König in Magdeburg<br />

erledigte die Vergoldung und den Anstrich<br />

des Turmknopfes. Die Gebr. Böhmer<br />

in der Neustadt waren für die Kirchenfenster<br />

und die beiden Kreuze auf dem Turm<br />

und auf dem Dach verantwortlich sowie<br />

für den Glockenbeschlag und das Aufbringen<br />

und Aufhängen der Glocke.<br />

Das Interieur, Kirchstühle, Altar und Kanzel,<br />

fertigte Tischlermeister W. Möhring<br />

aus Schönebeck für insgesamt 338 Mark<br />

und 52 Pfennige. Die Orgel kostete mit<br />

Gehäuse 2511 Mark. Hierfür wurde der<br />

Dessauer Orgelbauer A. Nickol engagiert,<br />

mit dem es anschließend ebenfalls Ärger<br />

gab. So leitete der <strong>Calenberge</strong>r Gastwirt<br />

Heinrich Hesse einen Arrestbefehl gegen<br />

Nickol ein, weil dieser die Summe für Kost<br />

und Logie in Höhe von 290 Mark nicht<br />

zahlen wollte. Für die Ausmalung der Kirche<br />

sorgte Maler Bunge aus Schönebeck.<br />

In einer anderen Liste wird allerdings ein<br />

Ohnesorge aus Magdeburg für das Malen<br />

der Kirche entlohnt. Fr. Keindorff zu Pechau<br />

erhielt Geld für Mauersteine und E. Ludwig<br />

in Magdeburg lieferte die Fußbodenfliesen.<br />

Turmuhrfabrikant Fuchs aus Bernburg erhielt<br />

mit Fertigstellung der Turmuhr 630<br />

Mark und ein halbes Jahr nach Installation<br />

der Uhr, und nachdem diese problemlos<br />

funktionierte, nochmals 630 Mark. Als<br />

nette Episode erscheint uns heute die mit<br />

Schwindelanfällen begründete Weigerung<br />

von Kantor Willmann, die Turmuhr aufzuziehen,<br />

woraufhin das Konsistorium mit<br />

Disziplinarmaßregeln drohte, sollte der<br />

Kantor seine Pflichten weiter ignorieren. 23<br />

Eine Revision im Jahr 1883 ergab, dass<br />

der Kirchbau insgesamt 38.261,84 Mark<br />

gekostet hatte, darin 7.312,10 Mark Mehr-<br />

45


46<br />

Grabstein des Simon<br />

Wilde<br />

Wappen am rechten Torpfeiler<br />

der Friedhofsmauer<br />

kosten, begründet durch den Konkurs des<br />

Bauunternehmers Leps. Einen Teil der<br />

Kosten, nämlich 900 Mark für zu leistende<br />

Hand- und Spanndienste, musste die<br />

Gemeinde <strong>Calenberge</strong> selbst aufbringen.<br />

1.954 Mark betrug eine von Leps geleistete<br />

Kaution, die somit verfallen war. Demnach<br />

zahlte die Kirchenkasse des Konsistoriums<br />

auf Anweisung der Königlichen Regierung,<br />

Abteilung Schul- und Kirchenwesen,<br />

35.407,84 Mark.<br />

Obwohl die <strong>Calenberge</strong>r Kirchengemeinde<br />

schon seit dem 16.Jahrhundert<br />

protestantisch ist, hat auch der Neubau<br />

das Patronat aus katholischer Zeit über-<br />

nommen. Der heilige Georg, welcher der<br />

Legende folgend als Ritter im Drachenkampf<br />

dargestellt wird, gilt unter anderem<br />

als Schutzpatron der Bauern und scheint<br />

daher in dieser ländlichen Gegend der wichtigste<br />

Fürbitter gewesen zu sein. Bedauerlicherweise<br />

sind von der Vorgängerkirche,<br />

die vor dem Abbruch im Jahr 1880 baufällig,<br />

eng und düster war und an derselben<br />

Stelle stand, keine weiteren Nachrichten<br />

überliefert. Denkbar ist, dass es sich hierbei<br />

um einen Fachwerkbau wie in Elbenau<br />

oder in Fermersleben gehandelt hat, der<br />

Ende des 19.Jahrhunderts als abbruchreif<br />

galt. Mündliche Überlieferungen bestätigen<br />

dies. 24 Andererseits ist es auch möglich,<br />

dass die Mauersteine der alten Kirche oder<br />

zumindest ihres Sockels in der Friedhofsmauer<br />

aufgegangen sind, da diese neben<br />

Sandstein aus Quarzitgestein besteht, der<br />

auch als Baustein bei mittelalterlichen Kirchen<br />

der Umgebung Verwendung fand. Lediglich<br />

eine 1708 gegossene Bronzeglocke<br />

im Kirchturm, mit der Inschrift „SOLI DEO<br />

GLORIA“ und einem Wappen versehen, sowie<br />

mehrere Relief-Steinplatten sind noch<br />

erhalten.<br />

Zwei frühneuzeitliche Wappensteine an<br />

den Torpfeilern der Kirchhofsmauer sollen<br />

ehemals am Eingang der alten Kirche angebracht<br />

gewesen sein. Das linke ist bis


Blick auf die<br />

<strong>Calenberge</strong>r<br />

Dorfkirche<br />

von Westen<br />

47


48<br />

zur Unkenntlichkeit verwittert. Ein weiteres<br />

Wappen ist auf der Ostseite in die<br />

Kirchhofsmauer eingelassen. Außerdem<br />

hat sich eine stark verwitterte figürliche<br />

Sandstein-Grabplatte aus der Mitte des<br />

17.Jahrhunderts erhalten, die jetzt im Kircheninneren<br />

verwahrt wird. Sie zeigt den<br />

inschriftlich benannten Dorfschulzen Simon<br />

Wilde, lebensgroß, barhäuptig und mit<br />

Halskrause im Harnisch, dazu Schwert und<br />

Streithammer in den Händen und den Helm<br />

zwischen den Füßen, das Gesicht mit dem<br />

krausen Haar nach rechts gewandt. Vier<br />

Ahnenwappen in den Ecken der Grabplatte<br />

ergänzen das Bild. Der Dargestellte wird<br />

in einem Kaufkontrakt von 1626 erwähnt<br />

und ist vermutlich damals der Dorfschulze<br />

gewesen. 25<br />

Über das nicht mehr lesbare Wappen<br />

im linken Torpfeiler der Friedhofsmauer<br />

berichtet noch Martin Kahlo, dass es die<br />

Jahreszahl 1594 und den Namen Alemann<br />

zeigte und es sich somit um das Wappen<br />

der alten Magdeburger Patrizierfamilie,<br />

die in <strong>Calenberge</strong> seit hundert Jahren ein<br />

Lehnsgut und seit 1562 das Schulzenamt<br />

inne hatte, handele. Weiter führt er aus,<br />

das rechte, vierfeldrige Wappen müsse<br />

einem Abt vom Kloster Berge zugeordnet<br />

werden. Es zeigt in zwei Feldern Rosen,<br />

außerdem Eicheln und Fische. Somit ist<br />

sehr wahrscheinlich, dass die beiden Wappen<br />

der Vorgängerkirche zu Ehren der Stifter<br />

– demnach der Abt vom Kloster Berge<br />

und der Dorfschulze – angebracht gewesen<br />

sind. Hieraus ist die Schlussfolgerung<br />

möglich, dass die Vorgängerkirche Ende<br />

des 16.Jahrhunderts errichtet wurde oder<br />

zumindest einen umfassenden Umbau<br />

erfahren hat. Ob dieser Kirchenbau nun<br />

der erste in <strong>Calenberge</strong> war, bleibt weiterhin<br />

offen. Der dritte, etwas größere<br />

Wappenstein in der Friedhofsmauer zeigt<br />

das Wappen vom Kloster Berge und die<br />

Jahreszahl 1701. Ferner sind noch einzelne<br />

Buchstaben zu erkennen, rechts BB<br />

und links ein W. Es handelt sich hierbei<br />

um den Wappenstein des Abtes Wolfhardt<br />

(Schreibweise auch Wolfart oder<br />

Wohlfahrt).<br />

Aus älterer Zeit gehören noch zum Inventar<br />

der Kirche eine vergoldete Taufschale,<br />

die inschriftlich am 29.November 1685<br />

von Jürgen und Margareta Böne gestiftet<br />

wurde, außerdem zwei barocke Altarleuchter<br />

aus Messing, gestiftet 1664 von Catrina<br />

Pielen, deren Nachname auf einem Leuchter<br />

mit „ie“, auf dem anderen nur mit einfachem<br />

„i“ graviert ist. Weiter besitzt die Gemeinde<br />

einen silbernen Messkelch mit vergoldeter<br />

Kuppa. Neben dem Entstehungsdatum<br />

1711 sind um den Fuß in einer schlecht<br />

lesbaren Schenkungs-Inschrift die Namen<br />

der Stifter graviert. Es handelt sich hierbei<br />

um den damaligen Inhaber des Ackerhofes<br />

Nr.1 (Nr.1 laut Separationsrezess) und Gerichtsschulzen<br />

in <strong>Calenberge</strong> Johan Bendix<br />

Drope (Schreibweise auch Troppe) und seine<br />

zweite Frau Anna Magdalena, geborene<br />

Moltrecht aus Gübs.<br />

21 Magdeburgische Zeitung, 21.1.1880, Amtliches Kreisblatt für den ersten Jerichowschen Kreis, 27.1.1880, Magdeburger Tageblatt, 22.1.1880, Tageblatt für die Jerichowschen und<br />

benachbarten Kreise und Burgsche Zeitung, 27.1.1880. 22 Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong><br />

1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726. 23 Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-<br />

Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong> 1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep.A, Spec.G, Nr.6726. 24 Perlberg, Richard, Zeitzeugenbefragung 2002, in: Stadtarchiv<br />

Magdeburg Rep.47 S2, s.p. 25 Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur, Schönebeck 1929, S. 32f.


Die Schule<br />

„Ueber Gründung und Einrichtung der Schule ist keine<br />

Kunde auf uns gekommen. Man darf annehmen, daß mit<br />

dem Uebertritt des Klosters Berge zur Reformation die<br />

Gründung einer Schule in die Wege geleitet wurde.“<br />

Martin Kahlo 1929 (S.33)<br />

Wie Der sChulunterriCht<br />

noch im 18. Jahrhundert in Preußen aussah,<br />

ist für uns heute kaum mehr vorstellbar. Der<br />

Schullehrer war manchmal ein ausgedienter<br />

Soldat, in besseren Fällen der Kantor und<br />

Organist, häufig der Küster. Diese Personen<br />

hatten natürlich auch ihre Aufgaben innerhalb<br />

der Kirchengemeinde zu erledigen und<br />

wurden nur äußerst gering und mit der Nutzung<br />

eines kleinen Gemüseackers entlohnt.<br />

Ein Visitationsprotokoll der benachbarten<br />

Randauer Kirchengemeinde aus dem Jahr<br />

1651 gibt beispielsweise Auskunft darüber,<br />

der Pastor habe den Unterricht meist selbst<br />

erteilt, weil der Schulmeister für seinen<br />

Lebensunterhalt sein Schneiderhandwerk<br />

habe ausüben müssen. 26<br />

Sowohl in den Dörfern als auch in der Stadt<br />

bestand eine Klasse häufig aus mehr als 50<br />

Schülern. Der Unterricht fand in dunklen,<br />

feuchten, viel zu kleinen Räumlichkeiten<br />

statt und reduzierte sich während der Erntezeit<br />

oft auf nur zwei Stunden täglich. Es<br />

passierte regelmäßig, dass ein Schulkind<br />

in den dumpfen Klassenzimmern aufgrund<br />

von Sauerstoffmangel in Ohnmacht fiel. Ein<br />

Schulzimmer war nicht selten gleichzeitig<br />

Gemeindesaal oder ein Raum in einem<br />

Privathaus. Ähnlich einfach sah die Wohnung<br />

des Lehrers aus, manchmal nur eine<br />

feuchte, unbeheizbare Stube unter dem<br />

Dach. Ende des 18.Jahrhunderts wurde die<br />

Schulbildung, zuvor gänzlich in kirchlicher<br />

Hand, verstaatlicht.<br />

Schulkind in <strong>Calenberge</strong><br />

(Bild W.K.)<br />

Die Zustände in <strong>Calenberge</strong> werden ähnlich,<br />

aber vielleicht schon wegen der relativ<br />

geringen Einwohnerzahl des Dorfes<br />

nicht ganz so drastisch gewesen sein. Von<br />

Pechau ist vergleichsweise überliefert,<br />

dass sich die Schule im Wesentlichen aus<br />

einem Schulzimmer, Küche, Speisekammer<br />

und Schlafzimmer und einem weiteren<br />

Giebelzimmer unterm Dach, kleinen<br />

Dachkammern, Bodenraum mit Taubenschlag,<br />

dazu Stallgebäude mit Scheune<br />

und Tenne, zusammensetzte. 27 Seit Ende<br />

des 17.Jahrhunderts ist in <strong>Calenberge</strong> regelmäßiger<br />

Schulunterricht nachgewiesen,<br />

da ab 1687 die amtierenden Dorflehrer<br />

oder Schulmeister – wie üblich auch hier<br />

gleichzeitig Küster und Kantor – namentlich<br />

49


50<br />

<strong>Calenberge</strong>r Schule um 1912, Aufnahme<br />

vor dem ehemaligen Pfarrhaus (Bild E.S.)<br />

überliefert sind. 1786 ließ der Ortspfarrer<br />

das Einkommen aus einem Wiesenstück für<br />

den Lehrer abzweigen, um dessen finanzielle<br />

Situation etwas zu verbessern. Die<br />

vielerorts beklagten Umstände änderten<br />

sich erst im Verlauf des 19.Jahrhunderts<br />

und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht<br />

1919.<br />

Seit wann es in <strong>Calenberge</strong> ein eigenes<br />

Schulhaus gab, ist nicht überliefert.<br />

Der früheste Hinweis ist an ein trauriges<br />

Ereignis geknüpft, denn 1702 ertrank der<br />

sechsjährige Sohn des Schulmeisters Conrad<br />

Mertz im Graben hinter dem Schulgarten.<br />

1872 wurde das alte, sehr beengte<br />

Mit Lehrer Gustav Seeger, 1929 (Bild D.P.)<br />

und baufällige Schulhaus abgerissen und<br />

auf Kosten der Kirchenkasse ein Neubau<br />

errichtet. Das inzwischen überbaute und<br />

dadurch stark veränderten Gebäude dient<br />

heute als Gemeindehaus.<br />

Schülerzahlen lassen sich erst ab der<br />

zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts belegen.<br />

1856 besuchten 50 Kinder die Schule<br />

(bei etwa 155 Einwohnern insgesamt), 1866<br />

waren es 38. Dann sank die Schülerzahl auf<br />

20 Kinder 1889, 1895 waren es 24 (Einwohnerzahl<br />

160), 1899 29 (Einwohnerzahl<br />

171). 1927 nutzten nur noch 12 Kinder die<br />

<strong>Calenberge</strong>r Dorfschule (155 Einwohner),<br />

wobei man davon ausgehen muss, dass<br />

Auf dem Schulweg nach Randau (Bild F.H.)<br />

inzwischen das ein oder andere Kind eine<br />

Schule in den Städten der Umgebung besuchte.<br />

Richard Perlberg berichtet, dass in<br />

den 1930er Jahren die Schülerzahl wieder<br />

auf 18 bis 20 Kinder gestiegen war und die<br />

Dorfschule aus 8 Klassen bestand, die gemeinsam<br />

in einem Raum ihrem Unterricht<br />

folgten. 28 Der letzte <strong>Calenberge</strong>r Lehrer<br />

Wilhelm Rinne unterrichtete bis 1939, bis<br />

die Wehrmacht ihn einzog, anschließend<br />

wurde die Schule geschlossen. Die Kinder<br />

gingen jetzt in die Randauer Dorfschule. Ab<br />

den 1970er Jahren mussten die Schulkinder<br />

nach Elbenau fahren, da auch das Randauer<br />

Schulhaus aufgegeben worden war.<br />

26 Hennige, Max, Randau, Gut und Dorf in Vorzeit und Gegenwart, München 1913, S.49. 27 <strong>Festschrift</strong> zur 1000 Jahrfeier der Gemeinde Pechau, Magdeburg 1948, S.13. 28 Perlberg,<br />

Richard, Zeitzeugenbefragung 2002, in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.


Die ganze Schule<br />

1937, Lehrer Wilhelm<br />

Rinne und 8 Klassen<br />

(Bild E.S.)<br />

51


52<br />

Manöverkarte der<br />

8.Division, 1910,<br />

Ausschnitt (St.A.<br />

Rep. KS II 29)


Kriegerdenkmal<br />

auf Dem kleinen Dorfanger<br />

unter einer großen Eiche steht das<br />

wohl in den 1920er Jahren für die Gefallenen<br />

des Ersten Weltkrieges errichtete Kriegerehrenmal.<br />

An einer großen schlichten<br />

Steinstele ist eine Bronzetafel montiert,<br />

darauf die Inschrift:<br />

„1914 + 1918<br />

Ihren tapferen Helden<br />

Wilh. Dankert verm. 24.8.14<br />

Adolf Biebeler gefl. 10.11.14<br />

Herm. Biebeler gefl. 1.1.15<br />

Erich Blume verm. 25.9.15<br />

Felix Biebeler gefl. 3.12.15<br />

Herm. Götze gefl. 28.5.16<br />

Albert Dankert gefl. 27.2.17<br />

Hans Seeger verm. 1.8.17<br />

Gust. Dankert gest. 14.10.18<br />

Heinr. Hesse gest. 16.9.20<br />

die Gemeinde <strong>Calenberge</strong>.“<br />

Denkmal für die<br />

Gefallenen des<br />

Ersten Weltkriegs<br />

(Foto St.M.)<br />

Das Ehrenmal steht unter Denkmalschutz.<br />

In der Dorfkirche hängt an der südlichen<br />

Stirnseite eine weitere Gedenktafel, die<br />

an Friedrich Kahlo, Musketier im 1. Magd.<br />

Infanterie-Regiment Nr.26, erinnert, der im<br />

deutsch-französischen Krieg 1871 fiel. Vor<br />

ein paar Jahren erst haben die <strong>Calenberge</strong>r<br />

im Kirchhof eine weitere Gedenkplatte<br />

für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs<br />

aufgestellt.<br />

Ulan Emil Perlberg (Bild D.P.)<br />

53


54<br />

Partie in Wolters Garten<br />

(Bild E.S.)<br />

Im Dorfkrug<br />

Im Jahr 1898 gründeten der Gärtner<br />

Gustav Wolter und seine Frau Else einen<br />

Baumschul- und Obstbaubetrieb, dem<br />

eine Gaststätte angegliedert war. Gustav<br />

Wolter übernahm die Gaststätte von der<br />

Familie Hesse. Vor und nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg führten Bruno Gustav Wolter und<br />

seine Frau Charlotte in zweiter Generation<br />

die inzwischen bekannte Ausflugsgaststätte<br />

„Parkrestaurant Wolter“ in <strong>Calenberge</strong><br />

weiter. Zum Parkrestaurant gehörten ein<br />

Rosengarten und ein kleiner Park, darin<br />

Gehege für Waschbären, Fasane und Füchse.<br />

1958 musste die Familie Wolter ihren<br />

Betrieb an die Konsumgenossenschaft<br />

Familienrunde im Garten der Gaststätte<br />

Wolters, Postkarte um 1910 (S.L. GF8)<br />

Wolters Parkrestaurant, alte<br />

Postkarte, gestempelt 1908<br />

(S.L. GF4)<br />

zwangsverpachten. Die Eheleute arbeiteten<br />

jetzt als Angestellte im ehemals eigenen<br />

Betrieb, ihre Söhne siedelten noch in<br />

den 1950er Jahre nach Westdeutschland<br />

um und bauten sich eine neue Existenz auf.<br />

Nachdem das Anwesen nach der Wiedervereinigung<br />

zurück in die Hände der Familie<br />

Wolter kam, ist es 1996 an den Niederländer<br />

Henk Til verkauft worden. Seitdem<br />

heißt die Gaststätte „Landhaus Elbebiber“.<br />

Sie ist inzwischen verpachtet.<br />

Der Anfang eines Gaststättenbetriebes<br />

in <strong>Calenberge</strong> ist spätestens im<br />

18.Jahrhundert zu suchen, denn schon<br />

1819 verkaufte Sophie Justine Nicolai das<br />

Im Garten der Gaststätte<br />

Wolters, Postkarte 1929 (S.L. GF7)<br />

gesamte Eigentum ihrer Eltern, das einstige<br />

Gut des Ortsschulzen. Der Hof mit den<br />

Wirtschaftsgebäuden und dem Garten<br />

sowie der angeschlossene Krug gingen in<br />

den Besitz von Johann Andreas Blume über.<br />

Dieser übertrug die Schankgenehmigung<br />

auf seinen eigenen Hof, den wiederum<br />

Heinrich Hesse 1888 erwarb.


Hochzeitsgesellschaft im<br />

Saal des Parkrestaurants<br />

(Bild E.S.)<br />

55


56<br />

Im Falle eines Feuers<br />

„Der Feuerkommissarius und sein Stellvertreter<br />

müssen, damit desto gewisser einer zugegen ist,<br />

beide nach dem Orte des Feuers eilen, sobald die<br />

Sturmglocke geht, oder sie sonst vom Ausbruch<br />

eines Feuers Kunde erhalten. Bis zu ihrer Ankunft<br />

übernimmt der Ortsvorsteher die Leitung der<br />

Löschungs- und Rettungsarbeiten. Erscheint der<br />

Landrath am Orte des Feuers, so steht ihm die<br />

Anordnung der Löschanstalten zu.“ 29<br />

§ 18 der Bestimmungen<br />

des Feuerpolizeikommissarius 1823<br />

Vertrag zwischen der<br />

<strong>Calenberge</strong>r und der<br />

Randauer Feuerwehr<br />

1934 (Eigentum E.S.)


Spritzenhaus<br />

im falle eines feuers mussten<br />

alle <strong>Calenberge</strong>r Männer, sobald die<br />

Sturmglocke läutete, als Spritzenmänner<br />

oder beim Wasserwagen ihren Dienst tun,<br />

und zwar nicht nur im eigenen Dorf. In jedem<br />

Hausflur hing für den Notfall ein lederner<br />

Löscheiner bereit. Für die Wartung<br />

der Spritzen hatte als Spritzenmeister der<br />

Schmied zu sorgen. Brach in einem Nachbarort<br />

ein Feuer aus, so erhielten die eif-<br />

rigen <strong>Calenberge</strong>r Feuermänner oftmals<br />

eine Prämie, die der zuerst angekommenen<br />

auswärtigen Spritze gezahlt wurde. Maurermeister<br />

Ruthe baute 1850 ein neues<br />

Spritzenhaus.<br />

Im Jahr 1934 verschmolzen die Feuerwehren<br />

<strong>Calenberge</strong> und Randau bei einem<br />

Festakt im Gasthof Wolter in Anwesenheit<br />

des Kreisfeuerwehrführers Herrn Bezirksschornsteinfegermeister<br />

Wagner aus Loburg<br />

und unter den Augen von 24 Randauer und<br />

15 <strong>Calenberge</strong>r Männern. Oberbrandmeister<br />

Karl Cupitz kam aus Randau, sein Stellvertreter<br />

Fritz Hesse aus <strong>Calenberge</strong>. Nach<br />

dem Krieg teilten sich die Wehren wieder<br />

in zwei eigenständige Dorffeuerwehren. Ein<br />

1940 vom Baugeschäft Otto Möbes geplantes<br />

zweigeschossiges Gemeinde- und Spritzenhaus<br />

mit Gemeindewohnung und Arrestzelle<br />

ist nicht realisiert worden. 1991 folgte<br />

die Freiwillige Feuerwehr <strong>Calenberge</strong> einer<br />

Einladung der Freiwilligen Feuerwehr Uetze<br />

in Niedersachsen. Aus dieser Begegnung<br />

entwickelte sich in den folgenden Jahren<br />

eine intensive Partnerschaft mit<br />

gemeinsamen Treffen<br />

und Veranstaltungen.<br />

Familienfreundschaften,<br />

die sich damals<br />

entwickelten, bestehen<br />

bis heute.<br />

Entwurf für ein<br />

Feuerwehrhaus<br />

in <strong>Calenberge</strong><br />

(St.A., Bauaktenkammer,<br />

Bestand<br />

<strong>Calenberge</strong>)<br />

29 Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Magdeburg Nr.2 vom 10. Januar 1824, S.12, in: Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt, LHASA, MD, Rep.C30 Landratsamt Magdeburg Lit F Nr.13.<br />

57


58<br />

Nazi-Regime und<br />

Zweiter Weltkrieg<br />

„Das Ende kam, und es war grauenvoll! Zu<br />

Hunderten kamen sie, Flüchtlinge mit und<br />

ohne Gepäck, mit kleinen Kindern und alten<br />

Leuten, immer in Richtung Westen, weg von<br />

den Russen, keiner dachte daran zu bleiben. Aus Ost- und<br />

Westpreußen und aus dem Sudentenland kamen die meisten<br />

und versuchten über die Elbe zu kommen. Und dann<br />

kam die Rote Armee. Nicht mit Panzern und schweren<br />

Waffen, nein, mit kleinen zottigen Pferden, Panjewagen und<br />

Kalaschnikows kamen sie wie die Heuschrecken in unübersehbarer<br />

Zahl, Fahrräder und Armbanduhren waren ihre<br />

liebsten Trophäen, und nachts hallten die Hilferufe vergewaltigter<br />

Frauen und Mädchen durchs Dorf.“<br />

Ernst Schwarzlose 2009<br />

<strong>Calenberge</strong>r Schmiede<br />

und Bäckerei nach<br />

dem Bombenangriff<br />

1942 (Bild E.S.)


Straßenszene in den 1930er Jahren<br />

(Bild D.P.)<br />

anfang Des 20. JahrhunDerts<br />

gab es in <strong>Calenberge</strong> eine Schmiede und<br />

eine Bäckerei, die von ein und derselben<br />

Person geführt wurden. Die Dorfbewohner<br />

brachten sozusagen ihren Blechkuchen<br />

zum Schmied, um ihn backen zu lassen. Als<br />

später der zugezogene Bäckermeister Richard<br />

Lohse die Bäckerei übernahm, stellte<br />

er einen eigenen Schmied ein. Lohse besaß<br />

auch das erste Auto im Dorf.<br />

Was die Verblendung der Menschen<br />

durch das Hitler-Regime betrifft, so stellte<br />

der kleine Ort in der Elbniederung keine<br />

Ausnahme im Deutschen Reich dar.<br />

Es gab keine nennenswerte Opposition<br />

gegen den Diktator, man fügte sich mit<br />

mehr oder weniger patriotischem Eifer<br />

Erntefest in den 30er Jahren (Bild G.H.) Kriegszeiten (Bild D.P.)<br />

und mit der Hoffnung auf bessere Zeiten.<br />

Mit Kriegsausbruch 1939 gingen alle<br />

wehrfähigen Männer an die Front. 1941 fiel<br />

Alfred Richter als erster junger Mann aus<br />

<strong>Calenberge</strong>. Frauen und Kinder sowie die<br />

Großeltern mussten nun allein die Landwirtschaft<br />

bewältigen, bis ihnen serbische<br />

Kriegsgefangene zur Unterstützung für<br />

die Landwirtschaft zugeteilt wurden. Die<br />

Serben wohnten im ehemaligen Schulhaus<br />

und durften sich tagsüber frei bewegen. Ein<br />

deutscher Soldat versah den Wachdienst.<br />

Selbst das kleine und strategisch unbedeutende<br />

Dorf <strong>Calenberge</strong> blieb nicht von<br />

den alliierten Angriffen verschont. Gab es<br />

Bombenalarm, so blies der Gemeindediener<br />

lautstark in seine Trompete und alle<br />

Bewohner liefen zu ihren mit Holz ausgekleideten<br />

Bunkern hinter den Höfen. 1942<br />

brannte nach einem Fliegerangriff die<br />

Bäckerei nieder. Am 22.Janunar 1944 um<br />

21:30 Uhr wurde das Dorf schwer getroffen,<br />

vermutlich durch vom Wind abgetriebene<br />

Leuchtmarkierungen, die eigentlich<br />

auf die Industrieanlagen in Magdeburg<br />

Südost zielten. Es brannte an mehreren<br />

Stellen. Der Nachtwächter Ignatz Wyrembeck<br />

kam durch die Geschütze der Tiefflieger<br />

ums Leben. In Folge dieses Angriffs<br />

stationierte die Fliegerabwehr zum Schutz<br />

der Schönebecker und Magdeburger Industrie<br />

vorübergehend sechs Fliegerabwehrgeschütze<br />

südlich des Dorfes, rechts vom<br />

Winkelweg. Der dazugehörige Scheinwerfer<br />

stand vor dem Kantorkolk.<br />

59


60<br />

<strong>Calenberge</strong> in jüngerer Vergangenheit<br />

Parkrestaurant <strong>Calenberge</strong>,<br />

Gaststube, Saal,<br />

Bauernstube, Veranda,<br />

um 1950 (S.L. GF9)<br />

„Die Mitglieder einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft<br />

verpflichten sich, ihre genossenschaftliche<br />

Wirtschaft zu stärken, ehrlich<br />

zu arbeiten, das Einkommen der Wirtschaft entsprechend<br />

der Menge und Qualität des eingebrachten<br />

Landes und der geleisteten Arbeit zu<br />

verteilen, das staatliche und genossenschaftliche<br />

Eigentum zu behüten, die Traktoren und<br />

die genossenschaftlichen Maschinen und<br />

Geräte zu pflegen, das Zucht- und Nutzvieh<br />

gut zu betreuen, ihre Pflichten gegenüber<br />

dem Demokratischen Staat zu erfüllen und<br />

auf diese Weise ihre Genossenschaft zu<br />

einer mustergültigen landwirtschaftlichen<br />

Großwirtschaft zu entwickeln und alle<br />

Mitglieder der Genossenschaft wohlhabend<br />

zu machen.“ 30<br />

Hoffmann, Referatsleiter Kataster beim Rat des<br />

Kreises Schönebeck 1964


als Die rote armee in <strong>Calenberge</strong><br />

1945 einzog, richteten die Soldaten<br />

im Haus Schwarzlose ihre Kommandantur<br />

ein. Die Russen holten alle älteren <strong>Calenberge</strong>r<br />

und den Bürgermeister Albert Horn<br />

ab. Letzterer kehrte nicht zurück, er starb<br />

1948 im Internierungslager. 1946 enteignete<br />

die sowjetische Besatzungsmacht seinen<br />

Besitz. Innerhalb einer Stunde musste<br />

seine Familie mit Handgepäck den Landkreis<br />

verlassen. Nach dem Vorbild sowjetischer<br />

Arbeiter- und Bauernräte richtete<br />

die Standortverwaltung der Roten Armee<br />

auch in <strong>Calenberge</strong> ein Verwaltungsgremium<br />

ein, das ein aus Schlesien vertriebener<br />

Deutscher namens Gellwitz anführte.<br />

Für die Dorfgemeinschaft, die das<br />

Schicksal aller Deutschen teilte und einige<br />

Väter und Söhne im Krieg verloren hatte,<br />

waren die ersten Nachkriegsjahre eine entbehrungsreiche<br />

Zeit, obwohl es ihnen um<br />

ein Vielfaches besser ging als den vielen<br />

Flüchtlingen und Großstadtbewohnern. Im<br />

Jahr 1947 erfror das Wintergetreide und<br />

anschließend regnete es kaum, sodass das<br />

Soll der Zwangsablieferungen pro Hektar,<br />

an welches sich die Schlachterlaubnis<br />

koppelte, nicht erfüllte werden konnte.<br />

Wie überall nach dem Krieg schlachteten<br />

auch die <strong>Calenberge</strong>r Bauern schwarz und<br />

setzten sich damit großer Gefahr aus. Im<br />

LPG-Bauern (Bild H.G.) Bei der Rübenernte (Bild H.G.)<br />

Lauf der 1950er Jahre entspannte sich die<br />

Situation, nicht zuletzt durch ein neues<br />

Preissystem, mit dem Überproduktionen<br />

drei- und vierfach vergütet wurden.<br />

Mit Datum vom 1.Juli 1958 schlossen<br />

sich die <strong>Calenberge</strong>r Bauern in einer LPG<br />

Typ I zusammen. Dies bedeutete, dass die<br />

Viehwirtschaft vorübergehend noch bei den<br />

einzelnen Bauern verblieb, während sie die<br />

Äcker gemeinsam bestellten. Obwohl man<br />

diesen Zusammenschluss von offizieller<br />

Seite als freiwillig propagierte, war er doch<br />

erzwungen worden. Die Einzelbauern hatten<br />

entweder kein oder nicht genügend Saatgut<br />

und Düngemittel erhalten. Schon wenige<br />

Monate später, am 1.Januar 1959 wandelte<br />

sich die LPG Typ I in Typ III, sodass die ge-<br />

meinsame Bewirtschaftung nun alle Bereiche<br />

umfasste und aller Besitz, das Vieh, die<br />

Maschinen und das Land, in der LPG aufgingen.<br />

Zur Eigennutzung bzw. Eigenversorgung<br />

blieb jeder Familie ein Grundstück von<br />

0,5 ha und etwas Vieh. Ältere <strong>Calenberge</strong>r<br />

können sich noch daran erinnern, wie das<br />

Vieh von den Höfen getrieben wurde. Friedrich<br />

Wille übernahm das Amt des ersten<br />

Vorsitzendenden der LPG. Die ersten Bauten<br />

für den Wirtschaftshof entstanden ab<br />

1964 am Nordausgang des Dorfes. Im Jahr<br />

1963 richtete ein Brand großen Schaden in<br />

<strong>Calenberge</strong> an.<br />

Nach dem Zusammenschluss mit der<br />

LPG Randau im Jahr 1974 erzielte die Genossenschaft<br />

gute Erfolge. Hingegen war<br />

61


62<br />

Luftbild Mitte<br />

1980er Jahre,<br />

Ausschnitt (St. M.)


LPG-Gebäude heute<br />

die Bildung einer KAP (Kooperative Agrarproduktion)<br />

zwei Jahre später, welche die<br />

Ackerwirtschaft von der Dornburger Wische<br />

bis zur Berliner Chaussee in Magdeburg zusammenschloss<br />

und von der Viehwirtschaft<br />

abkoppelte, ein Fehler. Wegen der großen<br />

Fläche bereitete es enorme Mühe, die Produktion<br />

zu überschauen und die Erträge sanken.<br />

Außerdem musste nun das Futter für die<br />

Viehwirtschaft eingekauft werden, denn die<br />

Abteilung Tierproduktion blieb bis zur politischen<br />

Wende ein eigenständiger Betrieb.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte<br />

der Landkreis Jerichow I kurzzeitig zu<br />

Calbe und dann zum Landkreises Schö-<br />

30 Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 47 S4, S. 38.<br />

Hochsitz am Rand der<br />

Alten Elbe<br />

nebeck/Elbe. Bis zum Zusammenschluss<br />

mit Randau 1952 gab es im Dorf einen<br />

Bürgermeister. Dieser hatte ein Telefon,<br />

ebenso die Gaststätte und später auch die<br />

LPG. Frau Meseberg und Frau Schwarzlose<br />

stellten einem Arzt zum Praktizieren ihre<br />

Wohnstuben zur Verfügung, um kranken<br />

Dorfbewohnern lange Anreisewege zu ersparen.<br />

Schon vor dem Krieg bestand bis<br />

1945 im ehemaligen Pfarrhaus eine kleine<br />

Polizeistation. Diese Stelle übernahm zu<br />

DDR-Zeiten ein Volkspolizist. Das Spritzenhaus<br />

verfügte über eine kleine Arrestzelle.<br />

Jagd- und Fischereirechte lagen ursprünglich<br />

in den Händen des Klosters.<br />

Erst 1870 gingen sie auf den Grundbesitz<br />

der jeweiligen Bauern über. Der DDR-Staat<br />

trennte Jagdrecht und Grundeigentum erneut.<br />

Seit der politischen Wende ist die<br />

Jagd wieder an das Grundeigentum gebunden.<br />

1991 gründete sich die Jagdgenossenschaft<br />

<strong>Calenberge</strong>, welche die Flächen<br />

verpachtet.<br />

Die politische Wende 1989/90 haben<br />

viele Dorbewohner sehr intensiv erlebt und<br />

auch aktiv mitgestaltet. Zu nennen sind<br />

hier vor allem die Familien Hesse und Czogalla<br />

sowie der ehemalige Bürgermeister<br />

Werner Riemer.<br />

63


64 Gehrenkolk


Naturraum Elbe – Kolke,<br />

Altarme, Altwässer<br />

im laufe Der JahrhunDerte<br />

änderte die Elbe mehrmals ihren Lauf,<br />

spaltete sich in zwei oder manchmal auch<br />

drei Arme, so dass die angrenzende Landschaft<br />

einer ständigen Veränderung unterworfen<br />

war und sich Altarme bildeten,<br />

während sich der Fluss einen neuen Weg<br />

suchte. Dieser Prozess ist für einen frei<br />

fließenden Fluss etwas ganz Natürliches.<br />

Bis um das Jahr 1.000 flossen die größten<br />

Wassermengen durch die heutige Alte Elbe.<br />

Später verlor der Ostarm immer mehr an<br />

Bedeutung. Dennoch hinterließen regelmäßige<br />

Überflutungen Kolke, die allmählich<br />

wieder verlandeten, während sich neue<br />

bildeten.<br />

Kolke sind Erosionserscheinungen und<br />

entstehen in Flussbetten in der Fließgewässersohle<br />

oder in Flussauen durch Hochwasserereignisse.<br />

Während der leichte Boden<br />

durch das Wasser fortgeschwemmt<br />

wird, bleibt der festere Untergrund, Lehm<br />

oder Festgestein, stehen. Kolke können<br />

große Tiefen aufweisen. Da mit dem Bau<br />

Altwässer bei <strong>Calenberge</strong><br />

des Elbe-Umflutkanals und des Pretziener<br />

Wehrs seit fast 150 Jahren die gefährlichen<br />

Fluten endgültig gebannt sind, entstehen<br />

auch keine neuen Wasserlöcher mehr. Seit<br />

gleichzeitig die Alte Elbe vom Hauptstrom<br />

abgeschnitten ist, entwickelten sich aus<br />

dem ehemaligen Altarm der Elbe Stillgewässer,<br />

Altwässer genannt, die sich zunehmend<br />

fragmentierten. Die naturgegebene<br />

Dynamik der Landschaft ist seither unterbunden.<br />

Was dem Menschen nutzt und für<br />

die Kulturlandschaft von grundlegender<br />

Bedeutung ist, schadet hingegen der Tierwelt.<br />

Den Altwässern fehlt der Kontakt zum<br />

Hauptstrom und somit der Wasseraustausch,<br />

sie verlieren zunehmend an Tiefe<br />

und Sauerstoff.<br />

Viele Kolke und Wasserlöcher sind<br />

schon vor hundert Jahren zugepflügt und<br />

verfüllt worden, weitere verlandeten und<br />

verschwanden in den vergangenen Jahrzehnten.<br />

Alte Bezeichnungen wie „Schultenkolk<br />

vor der Hölle“, „krumme Lake“ und<br />

65


66<br />

Kolk mit alten Eichen mitten in der Weide<br />

„Winkelkölke“, „Heidensümpfe“ oder „der<br />

Kolk auf dem Möhreken“ und auch „Klauslaake“<br />

geraten zunehmend in Vergessenheit,<br />

da die Wasserlöcher hierzu nicht mehr<br />

existieren. Vorhanden sind hingegen noch<br />

der „Scheidkolk“ an der Gemarkungsgrenze<br />

(nur noch in Resten) und der „Katzenkolk“<br />

(heute nicht mehr <strong>Calenberge</strong>r Feldmark),<br />

die „Gehrenkolke“ (nur noch einer) und die<br />

„Pfingstwiesenkolke“, die „Höllenkolke“ vor<br />

dem Pechauer Busch, ein Kolk im Pechauer<br />

Busch, der „<strong>Calenberge</strong>r See“, dessen südlicher<br />

Teil schon lange verlandet ist, die<br />

Im Niederholz bei <strong>Calenberge</strong><br />

„Kirchsee“ und der „Kanterkolk“ vor dem<br />

Winkel.<br />

Für die Verlandung der Altwässer sind<br />

diverse Prozesse verantwortlich. So auch die<br />

Tatsache, dass sich die Elbe im letzten Jahrhundert<br />

um etwa 1,5m vertiefte und gleichzeitig<br />

der Grundwasserspiegel sank. Außerdem<br />

beschleunigen Düngemittel aus der<br />

Landwirtschaft das Pflanzenwachstum im<br />

Wasser und somit die Verschlammung und<br />

anschließende Verlandung. Hierbei wirken<br />

sich Lage, Wind und Wetter unterschiedlich<br />

auf den Verlandungsprozess aus.<br />

Altwässer in der <strong>Calenberge</strong>r Feldmark<br />

Liebeseiche, im<br />

abgestorbenen<br />

Holz sind Gänge<br />

des Eichenheldbocks<br />

zu sehen


Nördlicher Ausläufer des <strong>Calenberge</strong>r Sees<br />

67


68<br />

Besondere und seltene Tierarten<br />

Die elBauenlanDsChaft südlich<br />

von Magdeburg ist ein artenreiches<br />

Biotop für seltene Tier-, Insekten- und<br />

Pflanzenarten und im großen, nahegelegenen<br />

Naturschutzgebiet Kreuzhorst besonders<br />

geschützt. In fließenden Gewässern<br />

der Elbauen sind Biber, Fischotter<br />

und Wasserspitzmaus heimisch. Noch im<br />

19.Jahrhundert war der Elbebiber den <strong>Calenberge</strong>r<br />

Bauern ein Dorn im Auge, da große<br />

Biberkolonien die Deiche beschädigten<br />

und das fließende Gewässer stauten. Wiederholt<br />

versuchten die Dorfbewohner, die<br />

Nager aus der <strong>Calenberge</strong>r Gemarkung in<br />

die Kreuzhorst zu vertreiben. Seit mit dem<br />

Bau des Umflutkanals der Wasserspiegel<br />

der Alten Elbe sank, ist der Biber in der unmittelbaren<br />

Nachbarschaft des Dorfes nur<br />

noch selten zu finden gewesen. In jüngster<br />

Zeit hat die Population allerdings wieder<br />

deutlich zugenommen.<br />

Als besondere, im Schilf nistende Röhrichtbewohner<br />

gelten Rohrweihe, Teich-<br />

und Drosselrohrsänger sowie die Wasserralle.<br />

Mit etwas Glück begegnet man auch<br />

dem Eisvogel. In der Uferregion nistet die<br />

Beutelmeise. Stehende Altwässer sind<br />

ideal für Laubfrosch, Kammmolch, Rotbauchunke<br />

und Ringelnatter, aber auch für<br />

den überwiegenden Teil aller existierenden<br />

Wasserkäferarten. Die feuchten Tümpel<br />

und sumpfigen Stellen um <strong>Calenberge</strong> mit<br />

ihren Röhrichten, Rieden und Gebüschen<br />

bieten außerdem einen idealen Lebensraum<br />

für zahlreiche Libellenarten. Der<br />

vom Aussterben bedrohte Spitzfleck, die<br />

blaugrüne Mosaikjungfer und die Südliche<br />

Binsenjungfer sind nur drei davon. In Überschwemmungsgebieten<br />

legen Hirschkäfer<br />

unter der Baumrinde von alten abgestorbenen,<br />

dicken Eichen ihre Eier ab.<br />

In der Magdeburger Elbregion sind wegen<br />

des guten Nahrungsangebotes Milane<br />

besonders gehäuft anzutreffen, neben dem<br />

Rotmilan auch der seltenere Schwarzmilan.<br />

Außerdem vermehren sich Kolkrabe und<br />

Nebelkrähe, deren Lebensräume jedoch<br />

nicht auf Feuchtgebiete beschränkt sind,<br />

auffallend zahlreich. Im Auenwald – wie<br />

etwa in der Kreuzhorst – fühlt sich der Pirol<br />

Libellula depressa (Plattbauch); die Libellenart<br />

besiedelt ausdauernd oder zeitweise<br />

trockenfallende, flache Gewässer, besonders<br />

auch Flutrillen von Überschwemmungsgebieten;<br />

sie schlüpft bereits ab<br />

Mitte April, fliegt bis Mitte Juli und legt<br />

ihre Eier im Flachwasserbereich auf treibenden<br />

Grünalgenmatten oder faulenden<br />

Blättern ab<br />

zu Hause. Ein besonderer Schmetterling,<br />

der Schwalbenschwanz, benötigt Trockenrasenflächen<br />

wie sie die Weiden um das<br />

Dorf bieten. Seltene Vogelarten, Wendehals,<br />

Neuntöter und Sperbergrasmücke,<br />

fühlen sich auf Streuobstwiesen wohl.<br />

Als im Jahr 2000 in der Dornburger Alten<br />

Elbe unweit von <strong>Calenberge</strong> die Europäische<br />

Sumpfschildkröte wiederentdeckt<br />

wurde, galt dies unter Wissenschaftlern als<br />

kleine Sensation.


Europäische Sumpfschildkröte<br />

(Emys orbicularis orbicularis),<br />

als die Schildkröte in der Dornburger<br />

Alten Elbe im Jahr 2000<br />

wiederentdeckt wurde, galt<br />

dies als Sensation (Foto H.P.)<br />

69


70<br />

Von der politischen Wende<br />

1989 bis heute<br />

Nachwort von Bernhard Czogalla<br />

Wie üBerall in Der ehemaligen<br />

DDr stand auch die Mehrzahl der<br />

<strong>Calenberge</strong>r dem „Wendegeschehen“ zunächst<br />

zurückhaltend und teilweise kritisch<br />

gegenüber. Es gab aber einige Familien, die<br />

sich schon sehr früh an den Montagsgebeten<br />

und später den Montagsdemonstrationen<br />

im Dom und in Magdeburg beteiligten.<br />

In oppositionellen Gruppen und Initiativen,<br />

wie dem Wirtschaftskreis und der Wendezeitung<br />

„Halle-Magdeburger“, arbeiteten<br />

sie aktiv mit. Am Tag der Einheit, dem<br />

3. Oktober 1990, wurde im Rahmen einer<br />

kleinen, von der Pastorenfamilie Lippold<br />

organisierten Feierstunde durch Richard<br />

Perlberg und Werner Künne im Wendekreis<br />

des Dorfes eine Eiche gepflanzt.<br />

Als sich die Wiedervereinigung abzeichnete<br />

und der Zusammenbruch der ostdeutschen<br />

Betriebe nicht mehr aufzuhalten war,<br />

mussten sich auch die meisten <strong>Calenberge</strong>r<br />

beruflich neu orientieren. So mancher<br />

machte dabei die schmerzhafte Erfahrung<br />

der Arbeitslosigkeit. Die wenigsten ließen<br />

sich aber entmutigen. Das Heft selbst in<br />

die Hand zu nehmen, war und ist eine „<strong>Calenberge</strong>r<br />

Tugend“.<br />

In den schwierigen Jahren des demokratischen<br />

Neuanfangs übernahmen viele<br />

Frauen und Männer aus <strong>Calenberge</strong> auch<br />

politische Verantwortung. Dem Gemeinderat<br />

gehörten von 1990 bis 1994 Richard<br />

Perlberg, Werner Riemer (1992 bis 1994<br />

Bürgermeister von Randau-<strong>Calenberge</strong>),<br />

Juliane Czogalla, Kurt Rüdiger Schulle und<br />

Werner Koch an. Seit der Eingemeindung<br />

am 1. Juli 1994 arbeiteten bis heute <strong>Calenberge</strong>r<br />

im Ortschaftsrat mit. Dies sind:<br />

Wolfgang Hesse, Heike Marzinkowski,<br />

Bernhard Czogalla (musste sein Mandat<br />

niederlegen, da er Beigeordneter in Magdeburg<br />

war), Wilfried Künne, Werner Czogalla,<br />

Torsten Schulle und Elmar Baugut.<br />

Im Rahmen der ersten Gebietsreform<br />

des Landes Sachsen-Anhalt fanden u.a.<br />

öffentliche Veranstaltungen zur Frage der<br />

Eingemeindung der Dörfer Pechau, Randau<br />

und <strong>Calenberge</strong> statt. Nach langen und zum<br />

Teil heftigen Diskussionen sprachen sich<br />

in geheimer Wahl 857 Einwohner mehrheitlich<br />

für die Eingemeindung in das Gemeindegebiet<br />

der Landeshauptstatt Magdeburg<br />

aus. In <strong>Calenberge</strong> votierten 72 %<br />

der Bevölkerung dafür. Am 20.12.1993<br />

fasste die aus 149 Mitgliedern bestehende<br />

Stadtverordnetenversammlung in Magdeburg<br />

unter der Nummer 639-51 (I 93) den<br />

Beschluss für die Eingemeindung der VerwaltungsgemeinschaftRandau-<strong>Calenberge</strong>.<br />

Oberbürgermeister Dr. Willi Polte nahm<br />

zusammen mit Ortsbürgermeister Werner<br />

Riemer am 30.6.1994 die Enthüllung der<br />

neuen Ortstafeln vor.


Oberbürgermeister Dr. Willi Polte und<br />

Bürgermeister Werner Riemer vor<br />

dem Schloss Randau mit dem neuen<br />

Ortswappen von Randau-<strong>Calenberge</strong>,<br />

30.6.1994 (St.A., Foto W.Kl.)<br />

71


72<br />

30.6.1994, Oberbürgermeister Willi Polte<br />

und Bürgermeister Werner Riemer enthüllen<br />

das neue Ortsschild anlässlich der<br />

Eingemeindung (St.A., Foto W.Kl.)<br />

Seit der politischen Wende 1989 und besonders<br />

seit der Eingemeindung hat sich <strong>Calenberge</strong><br />

enorm verändert. Die Elektro- und<br />

Trinkwasserversorgung wurde bereits kurz<br />

nach der Eingemeindung auf den neuesten<br />

Stand der Technik gebracht. Außerdem<br />

wurde das Dorf an die zentrale Abwasserentsorgung<br />

der Landeshauptstadt Magdeburg<br />

angeschlossen. Die Straße zwischen<br />

<strong>Calenberge</strong> und Magdeburg ist grundlegend<br />

ausgebaut. Ein neues Wartehäuschen für<br />

die Bushaltestelle steht schräg gegenüber<br />

der Kirche. Der Personennahverkehr funktioniert<br />

zuverlässig. Das Ortsbild ist mit neu<br />

gestalteter Straße und renovierten Gebäuden<br />

ein komplett anderes geworden. Das<br />

Radwegenetz wurde ausgebaut und durch<br />

touristische Erlebnispfade ergänzt.<br />

Beschilderung für den Erlebnispfad Elbaue<br />

bei <strong>Calenberge</strong><br />

Weitere Beispiele für die positive Entwicklung<br />

sind die Modernisierung der Telekommunikation,<br />

der Ausbau des Bürgerhauses, ein neuer<br />

Kinderspielplatz, die Ausstattung der Feuerwehr<br />

mit moderner Technik sowie die Einbindung<br />

<strong>Calenberge</strong>s in die Dorfentwicklung.<br />

Aber nicht nur die öffentliche Förderung,<br />

auch die Eigeninitiative der Bewohner<br />

gaben den Häuserfassaden und der<br />

Dorfstraße ein neues und liebenswertes<br />

Aussehen. Nach der Kirchenrenovierung<br />

sammelte Richard Perlberg Spenden für<br />

eine neue, funkgesteuerte Turmuhr.<br />

1997 konnte der Ortsteil <strong>Calenberge</strong><br />

(als Dorf) im Rahmen des 3. Landes- und<br />

Regionalwettbewerbes „Unser Dorf soll<br />

schöner werden“ den 2. Platz belegen und<br />

Naturerlebnispfad <strong>Calenberge</strong><br />

erhielt als Preis eine Bank, die jetzt vor dem<br />

Gemeindehaus steht.<br />

Der solidarische Zusammenhalt der<br />

Dorfgemeinschaft wurde vor der „drohenden<br />

Jahrhundertflut 2002“ besonders deutlich.<br />

Jeder Bewohner, der dazu in der Lage<br />

war, füllte und schleppte Sandsäcke, half<br />

bei der Deichsicherung oder kümmerte sich<br />

um ältere oder kranke Nachbarn.<br />

Seinen dörflichen Charakter hat <strong>Calenberge</strong><br />

bei allen Veränderungen gottlob<br />

nicht verloren und wird ihn hoffentlich auch<br />

in Zukunft behalten.<br />

Durch seine idyllische Lage inmitten der<br />

Elbauen und die wiedergewonnene Attraktivität<br />

des Ortes gehört <strong>Calenberge</strong> heute zu<br />

den lebens- und liebenswerten Ortsteilen<br />

der Landeshauptstadt Magdeburg.


Kurze Chronik des Dorfes<br />

1209 erste schriftliche Erwähnung als Besitz<br />

des Klosters Berge<br />

1309 erste Erwähnung eines Pfarrers<br />

1562 die <strong>Calenberge</strong>r Kirche erscheint im Klosterinventar<br />

1635 Schenkung <strong>Calenberge</strong>s an die Stadt Magdeburg durch<br />

König Gustav Adolf<br />

1808 von Napoleon dem Königreich Westfalen angegliedert<br />

1809 Aufhebung der Klosterverwaltung Berge<br />

1815 das Amt Gommern fällt an die preußische Krone,<br />

<strong>Calenberge</strong> wird preußisch im Kreis Jerichow I<br />

1847 Separationsrezess<br />

1869 Gründung des Elbenauer Deichverbandes<br />

1882 Bau der neuromanischen Kirche St. Georg<br />

1884 Bau einer befestigten Straße nach Magdeburg<br />

1952 Bildung der Gemeinde “Randau – <strong>Calenberge</strong>“ im Kreis<br />

Schönebeck/Elbe<br />

1992 Agrar GmbH Randau-<strong>Calenberge</strong> aus den<br />

ehemaligen LPG’s Randau und <strong>Calenberge</strong> gegründet<br />

1994 Eingemeindung nach Magdeburg<br />

1997 2. Platz im Wettbewerb „Unser Dorf soll<br />

schöner werden“<br />

1999 Einweihung der renovierten Dorfkirche<br />

2009 Feier des 800-jährigen Dorfjubiläums<br />

73


74<br />

Winterstimmung (Foto I.S.)


Statistische Angaben zu <strong>Calenberge</strong><br />

charakteristik: Einstraßendorf<br />

lage: 11° 44´ 32´´ östl. Länge;<br />

52° 03´ 44´´ nördl. Breite<br />

höhe: ca. 50 m über NN<br />

einwohner: 93 (46 weibliche und<br />

47 männliche)<br />

Altersdurchschnitt: 45,6 Jahre<br />

Kraftfahrzeuge pro einwohner: 68,09 Prozent<br />

(vgl. MD 47,32 Prozent)<br />

besondere gebäude: Ev. Kirche St. Georg,<br />

Gaststätte mit Park,<br />

Spritzenhaus,<br />

ehemaliges Pfarrhaus,<br />

Gemeindehaus mit<br />

Kinderspielplatz<br />

75


76<br />

<strong>Calenberge</strong>r Bilderbogen


78<br />

Abkürzungen<br />

zu den Abbildungen<br />

B.C. Bernhard Czogalla<br />

D.P. Dorle Perlberg<br />

E.S. Ernst Schwarzlose und Bild -<br />

material von den Bewohnern<br />

<strong>Calenberge</strong>s, zusammengestellt<br />

von Ernst Schwarzlose<br />

E.Sch. Elsbeth Schulle<br />

F.B. Fritz Balzer<br />

F.H. Familie Horn<br />

G.H. Gertraude Hesse<br />

H.G. Heiderose Gruß<br />

H.H. Helmut Hesse<br />

H.M. Heinz Mattern<br />

H.P. Dr. Hans Pellmann, Naturkun-<br />

demuseum Magdeburg<br />

I.S. Ina Schulle<br />

W.K. Wilfried Künne<br />

W.Ko. Werner Koch<br />

LHASA 1 Landeshauptarchiv Sachsen-<br />

Anhalt, Abteilung Magde-<br />

burg, A 4k Kloster Berge vor<br />

Magdeburg Teil I, P Nr.7a Bl.91.<br />

LHASA 2 Landeshauptarchiv Sachsen-<br />

Anhalt, Abteilung Magdeburg,<br />

A 31b I Kursächsische Zentral-<br />

und Lokalbehörden. Akten<br />

betr. das Amt Gommern,<br />

Nr. 432 Deckblatt.<br />

S.L. Kunst- und Kulturstiftung der<br />

Stadtsparkasse Magdeburg,<br />

Postkartensammlung, Samm-<br />

lung Lück<br />

St.A. Stadtarchiv Magdeburg<br />

St.M. Stadtplanungsamt<br />

Magdeburg<br />

W.K. Wilfried Künne<br />

W.Kl. Werner Klapper<br />

<strong>Calenberge</strong>r<br />

Bilderbogen: Fritz Balzer, Dorle Perlberg,<br />

Heiderose Gruß, Gertraude<br />

Hesse, Lotte Perlberg, Elsbeth<br />

Schulle, Werner Koch, Wilfried<br />

Künne, Familie Horn<br />

sonstige<br />

Fotos: Sabine Ullrich 2009


Literatur und Quellen<br />

Amtliches Kreisblatt für den ersten Jerichowschen<br />

Kreis, 27.1.1880.<br />

Amtsblatt der Königlichen Regierung zu<br />

Magdeburg Nr.2 vom 10. Januar 1824,<br />

S.12, in: Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt,<br />

LHASA, MD, Rep. C30 Landratsamt<br />

Magdeburg Lit F Nr.13.<br />

Böttge, Gerhard, Remy, Dominique und<br />

Christian Kunz, Genese von Altwässern, in:<br />

Flussaltwässer, Ökologie und Sanierung,<br />

hrsg. von Volker Lüderitz, Uta Langheinrich<br />

und Christian Kunz, Wiesbaden<br />

2009.<br />

Claude, Dietrich, Geschichte des Erzbistums<br />

Magdeburg bis in das 12.Jahrhundert,<br />

2 Teile, Mitteldeutsche Forschungen, hrsg.<br />

von Reinhold Olesch, Walter Schlesinger<br />

und Ludwig Erich Schmidt, Band 67/1 und<br />

67/2, Köln 1972, 1975.<br />

Consistorium für die Provinz Sachsen, Acta<br />

betreffend die Kirchen-Visitationen in der<br />

Parochie <strong>Calenberge</strong>, 1842 – 1874, Archiv<br />

der Kirchenprovinz Sachsen, AKPS, Rep. A,<br />

Spec. G, Nr. 6718.<br />

Consistorium für die Provinz Sachsen,<br />

Acta betreffend die Kirchen-, Pfarr- und<br />

Küsterei-Bauten in der Parochie <strong>Calenberge</strong><br />

1879 – 1890, Archiv der Kirchenprovinz<br />

Sachsen, AKPS, Rep. A, Spec. G, Nr. 6726.<br />

Dittmar, Max, Zur Bevölkerungsstatistik<br />

des Magdeburgischen Landes im Jahre<br />

1635, in: Geschichts-Blätter für Stadt<br />

und Land Magdeburg, Jg.29, 1894. S.262<br />

– 302.<br />

<strong>Festschrift</strong> zur 1000 Jahrfeier der Gemeinde<br />

Pechau, Magdeburg 1948.<br />

Handbuch der Provinz Sachsen, Magdeburg<br />

1865.<br />

Handbuch vom Regierungsbezirke Magdeburg,<br />

Zweiter oder topografischer Teil,<br />

hrsg. von Hermes, I. A. F. und M. J. Weigelt,<br />

Magdeburg 1842.<br />

Heineccius, Johann Ludwig von, Ausführliche<br />

topographische Beschreibung des Herzogthums<br />

Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld,<br />

Magdeburgischen Antheils, Berlin 1785.<br />

Hennige, Max, Randau, Gut und Dorf in Vorzeit<br />

und Gegenwart, München 1913.<br />

Hesse, Gertraude, Zeitzeugenbefragung 2002,<br />

in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.<br />

Hoffmann, (?), Vom werktätigen Einzelbauern<br />

zum Genossenschaftsbauer im<br />

Ortsteil <strong>Calenberge</strong> der Gemeinde Randau<br />

79


80<br />

und Nachweis der Besitzverhältnisse der<br />

letzten 200 Jahre, Schönebeck 1964, in:<br />

Stadtarchiv Magdeburg, Rep.47 S4.<br />

Kahlo, Martin, <strong>Calenberge</strong> Dorf und Flur,<br />

Schönebeck 1929.<br />

Libellenatlas, hrsg. vom Umweltamt der<br />

Landeshauptstadt Magdeburg, Schönebeck<br />

2002.<br />

Lüderitz, Volker, Langheinrich, Uta und<br />

Christian Kunz (Hrsg.), Flussaltwässer,<br />

Ökologie und Sanierung, Wiesbaden<br />

2009.<br />

Magdeburgische Zeitung, 21.1.1880.<br />

Magdeburger Tageblatt, 22.1.1880.<br />

Mattern, Heinz, Dorferneuerungsplanung<br />

<strong>Calenberge</strong> (unveröffentlichtes Manuskript<br />

1997).<br />

Perlberg, Richard, Zeitzeugenbefragung 2002,<br />

in: Stadtarchiv Magdeburg Rep.47 S2 s.p.<br />

Riecke, Willy Otto, Chronik Prester-Cracau,<br />

Magdeburg 1932.<br />

Römer, Christof, Das Kloster Berge bei<br />

Magdeburg und seine Dörfer 968 – 1565,<br />

Göttingen 1970.<br />

Schlüter, Otto und Oskar August, Atlas des Saale-<br />

und mittleren Elbgebietes, Leipzig 1957.<br />

Schwarzlose, Ernst, Chronik <strong>Calenberge</strong>s<br />

(Manuskript).<br />

Tageblatt für die Jerichowschen und benachbarten<br />

Kreise und Burgsche Zeitung,<br />

27.1.1880.<br />

Urkunden im Besitz von Ernst Schwarzlose<br />

Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg,<br />

Halle 1879.<br />

Urkundenmaterial aus dem Landeshauptarchiv<br />

Sachsen-Anhalt in Magdeburg und<br />

dem Stadtarchiv Magdeburg.<br />

Hilfreiche Auskünfte und Informationen erteilten<br />

der unermüdliche Heimatforscher<br />

Herr Ernst Schwarzlose, dessen Chronik den<br />

Anlass für die <strong>Festschrift</strong> gab, außerdem Frau<br />

Maria Meussling und Herr Dipl.-Ing. Heinz<br />

Mattern über die Restaurierungsarbeiten der<br />

<strong>Calenberge</strong>r Dorfkirche. Herr Mattern stellte<br />

außerdem seinen leider unveröffentlichten<br />

Dorferneuerungsplan zur Verfügung. Gedankt<br />

sei auch Herrn Dr. Thomas Weber vom Landesamt<br />

für Archäologie und Denkmalpflege<br />

für Informationen über erste Siedlungsspuren<br />

in der Region, Frau Annett-Petra Warschau<br />

als zuständige Pastorin für die Einsicht in die<br />

Pfarrakten sowie den Dorfbewohnern Heiderose<br />

Gruß, Gertraude Hesse, Ina Schulle und<br />

Bernhard Czogalla für ihre Unterstützung<br />

und stellvertretend für alle <strong>Calenberge</strong>r, die<br />

aus ihren Familienarchiven Bilder zur Verfügung<br />

gestellt haben. Besonderer Dank gilt<br />

Herrn Prof. Volker Lüderitz für die vorab erteilten<br />

Informationen aus seiner erst später<br />

erschienenen Publika tion „Flussaltwässer“<br />

sowie Frau Petra Wißner von der Unteren<br />

Denkmalschutzbehörde für die Vermittlung<br />

des Projektes „<strong>Festschrift</strong> <strong>Calenberge</strong>“.


Topografische<br />

Übersichtskarte des<br />

Deutschen Reiches,<br />

Blatt 88 Magdeburg<br />

von 1906, Ausschnitt<br />

(St.A. Rep. KS II 22)<br />

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