ÖsterreichKoralmbahnIst die Koralmbahn politischer Größenwahn oder einesinnvolle Infrastrukturinvestition?Obwohl die Planungsarbeiten so gut wie abgeschlossen wurdenund in Teilbereichen die Bestandsausbauten für dieses Projektumgesetzt sind, kommt die Koralmbahn immer wieder ins Gerede,wenn es um die Prioritäten im Ausbau des ÖBB-Netzes geht.Das Projekt Koralmbahnsieht eine HochleistungsstreckezwischenGraz und Klagenfurtmit einem 32 km langen Tunnelzwischen Deutschlandsbergund St. Paul im Lavanttalals deren Herzstück vor.Im Bereich Graz und Klagenfurtwerden dabei die bestehendenStrecken eingebundenbzw. ausgebaut.Keine ProvinzbahnEin bekannter Verkehrsexpertehat zu diesem Themapolemisiert, dass die StädteGraz und Klagenfurt täglichevakuiert werden müssten,damit sich dieses Projekt jemalsrechnen könne. Für sichbetrachtet mag man dem etwasabgewinnen können, einederartige Argumentation gehtjedoch völlig an der in Wirklichkeiteuropaweiten Bedeutungdieser künftigen Bahnstreckevorbei.Korridor VIDer Europäische KorridorVI (Baltisch-AdriatischerKorridor) verbindet das seitJahrzehnten zu den stärkstenWirtschaftsregionen Europaszählende Oberitalien – alleindie Lombardei hat 9 MillionenEinwohner – mit der Wachstumsregiondes Raumes Warschaumit 3 Millionen Einwohnernvia Wien–Tschechien–Slowakei.In Polen ist derKorridor VI mit den KorridorenII (Berlin–Moskau) undIII (Dresden–Kiew) verbunden,beide setzen sich über dieTranssibirische Eisenbahn bisnach Zentralasien bzw. Chinafort.Der Korridor VI findet seinenNiederschlag in den TranseuropäischenNetzen (TEN),konkret im Priority Project(PP) 23, wieder. Dieses siehtHochleistungsstrecken zwischenWarschau und Wienvor. Dass das PP 23 derzeitin Wien bzw. Bratislava endetund nicht dem oben beschriebenenKorridor bis Oberitalienfolgt, liegt in erster Liniean der Rechtsunsicherheit bezüglichdes Baues des Semmeringbasistunnels.Aus diesemGrund wurde die Pontebbana-Achse2004 nicht alseine der 30 vorrangigen TEN-Achsen ausgewiesen. Dennochbesteht seitens der betroffenenLänder großes Interessean einer Verlängerungdes PP 23 im Rahmen der Baltisch-AdriatischenAchse unddiese bekräftigten ihre Absichtam 20. Oktober 2006 ineinem Letter of Intend.VorleistungenDie Arbeiten für die Verwirklichungdes Korridors VIsind in großen Bereichen vorallem außerhalb Österreichsschon sehr weit vorangeschritten.So ist der 300 km langeAbschnitt Grodzisk Mazowiecki–Zawierciein Polen sowieder Abschnitt Petroviceu Karviné mit 200 km Längein Tschechien bereits für160 km/h ausgebaut.Ebenfalls zu erwähnen istdie italienische „Pontebbana“,welche die Südbahn abdem Grenzübergang Tarvisfortsetzt. Diese in den letztenJahrzehnten zur Hochleistungsstreckeausgebaute Bahnweist zur Erreichung einerNeigung von maximal 12,5 ‰im schwierigen Gelände desKanaltales einen Tunnelanteilvon immerhin 42 km auf. Vonitalienischer Seite wurden alsoweder Kosten noch Mühenfür die Verwirklichung diesesKorridors gescheut.AlternativenVon den Gegnern der Koralmbahnwerden immer wiederdiverse Alternativen zurVerbindung von Wien nachKärnten und weiter an die Adriains Spiel gebracht. Im Zusammenhangmit dem ebenfallsumstrittenen Semmeringtunnelwird argumentiert,dass man dieses Gebirgsmassivüber Ungarn (Sopron–Szombathely–Szentgotthárd)umfahren könne und Klagenfurtüber Maribor–Dravogradzu erreichen sei. Diese Streckeverläuft zwar überwiegendim Flachen, ist jedochgroßteils nur eingleisig undnicht elektrifiziert. Abgesehendavon, dass es in diesem Fallnötig wäre, die Züge in Grazzu stürzen, was betrieblichaufwändig wäre und Zeit kostenwürde, verlängert sich dieStrecke Graz–Wien von 214auf 260 km. Die Fahrzeit würdeanalog zum Semmeringbasistunneletwa 2 Stundenbetragen, die Kosten für denAusbau der wesentlich längerenStrecke würden jedochkaum unter jenen des Semmeringbasistunnelsliegen.DrautalAuch die VerbindungGraz–Klagenfurt über dasDrautal würde enorme Investitionskostennach sich ziehen.Selbst wenn man diesemit 185 km im Vergleich zurKoralmbahn um 50 % längereStrecke ausbauen würde, bedeutetedies eine Fahrzeit vonetwa 90 min. Somit ergibt sichbei Realisierung dieser Variantezwischen Klagenfurt undWien eine Gesamtfahrzeit vonetwa 3 h 30 min. Damit sinddie Reisezeiten zum PKW sowohlauf der Gesamtstreckeals auch zwischen Graz undKlagenfurt nicht konkurrenzfähigund zudem um 30 minlänger als bei Realisierung derKoralmbahn.Ebenfalls vorgeschlagenwird ein Tunnel durch denRadlpass zur Drautalstrecke.Dieser Tunnel wäre zwar kürzerals der Koralmtunnel, jedochwären für die Zulaufstreckedurch die Weststeiermarkweitere kleinere Tunnelabschnittenötig und eswürden praktisch überhauptkeine größeren Ortschaftendamit erreicht werden.GüterzugsumfahrungWas den Güterverkehr betrifft,wird auch die vor wenigenJahren wiedererrichteteStrecke zwischen Ungarn undSlowenien ins Treffen geführt.Jedoch sind die dafür vorgesehenenBahnstrecken zwischenSzombathely und Pragerskoalle eingleisig, nicht elektrifiziertund weisen teilweise ausgesprochenenNebenbahncharakterauf. Im Ausbauplan desslowenischen Eisenbahnnetzesscheint die Drautalbahnüberhaupt nicht auf, die obenerwähnte Strecke Ormož–Hodoš wird ebenfalls nichtals prioritär eingestuft. Die(ehemalige) Südbahn hat abLjubljana bis zur Staatsgrenzenach Italien ausgesprochenenGebirgscharakter und ist alsHochleistungsstrecke nichtbrauchbar. Es bestehen zwarPläne für eine Neubaustreckein Richtung Venezia, der Realisierungszeitpunktist jedochnicht abzusehen.8<strong>FAHRGAST</strong> 1/2007
ÖsterreichBestandsausbau SüdbahnVor allem wegen der hohenKosten und des Anteils anNeubaustrecken ist auch dieAlternative einer Ertüchtigungder bestehenden Südbahn indie Überlegungen einzubeziehen.Um den Anforderungeneiner Europäischen Hochleistungsstreckegerecht zu werden,ist auch hier der Bau eineszumindest 25 km langenTunnels unter dem NeumarkterSattel zwischen Unzmarktund Friesach erforderlich, ohnejedoch die raumstrukturellenVerbesserungen der Koralmbahnzu erzielen.Vorteile der KoralmbahnDie Koralmbahn ist alsoaus europäischer Sicht jenesProjekt, welches (gemeinsammit dem Semmeringbasistunnel)die einzige realistischeMöglichkeit darstellt, den bereitsweit gediehenen KorridorVI in absehbarer Zeit vonein bis eineinhalb Jahrzehntenzu komplettieren. Darüberhinaus stellt sie mit demebenfalls in Planung befindlichenAusbau der SteirischenOstbahn eine wesentlich leistungsfähigereVerbindungItalien–Ungarn–Ukraine imRahmen des Korridors V dar.Bessere ErschließungDie verkehrsgeografischeProblematik der bestehendenSüdbahn besteht neben ihrerAufspaltung in Bruck ander Mur in zwei Äste vor allemauch darin, dass ihre Linienführungnicht der Bevölkerungsverteilungentspricht.Das bedeutet einerseits, dasssich Graz momentan in einerRandlage des österreichischenEisenbahnnetzes befindet unddaher nur suboptimal bedientwird. Andererseits verbindetdie Koralmbahn die für österreichischeVerhältnisse bedeutendenWirtschaftsräume GrazerBecken mit 900.000 undKärntner Becken mit 400.000Einwohnern erstmals auf kurzemSchienenweg, wogegensich die von der derzeitigenSüdbahn erschlossene Mur-Mürz-Furche mit insgesamt200.000 Einwohnern (inklusiveoberes Murtal und Lungau!)relativ bescheiden ausnimmt.Statt entweder/oderwerden die Züge der Südbahnkünftig sowohl Graz als auchKlagenfurt mit Wien verbinden.Durch die neue Streckenführungwird sich in Verbindungmit dem Semmeringbasistunneldie Fahrzeit Klagenfurt–Wienauf drei Stundenreduzieren.Regionalwirtschaftlich bedeutetdie Koralmbahn vor allemfür die Weststeiermarkund das Lavanttal eine enormeAufwertung, Pendler ausDeutschlandsberg und Wolfsbergwerden mit 30 im Gegensatzzu jetzt über 50 MinutenFahrzeit in die jeweiligeLandeshauptstadt massiv zumUmsteigen auf den ÖffentlichenVerkehr bewegt werdenkönnen. Darüber hinaus ergibtsich sowohl für den RaumVillach–Klagenfurt als auchden Raum Graz erstmals eineleistungsfähige Anbindung anUngarn bzw. Oberitalien.Auswirkungen, KostenEs überrascht daher wenig,dass das Institut für StadtundRegionalforschung derTU Wien für die Koralmbahnein jährliches regionalesWertschöpfungspotenzialvon rund 170 Mio. Euro errechnethat. Damit können diederzeit geschätzten Baukostenvon 4,2 Mrd. Euro (davon ca.1,6 Mrd. Euro für den Tunnelselbst) in etwa 25 Jahren amortisiertwerden, was für ein Infrastrukturprojektdurchausbeachtlich ist. Umgekehrt bedeutetdies, dass bis zur Inbetriebnahmejährlich 170 Mio.Euro für die Steiermark undKärnten verloren gehen. Dasbedeutet, es ist höchste Zeitfür die Koralmbahn!Thomas Schilcher<strong>FAHRGAST</strong> 1/2007 9