21.08.2012 Aufrufe

Aus den Annalen des Gerichtsmediziners Richard Kockel

Aus den Annalen des Gerichtsmediziners Richard Kockel

Aus den Annalen des Gerichtsmediziners Richard Kockel

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

und kommt zu dem für die Witwe <strong>des</strong> Verstorbenen und deren künftige<br />

Versorgung sehr wichtigen Schluß: »Da der von Lehmann begangene<br />

Selbstmord zweifellos ein Effekt jener durch <strong>den</strong> Unfall erworbenen<br />

Erkrankung ist, so ist der Tod <strong>des</strong> Lehmann als die direkte Folge<br />

<strong>des</strong> Unfalls vom August 1899 zu bezeichnen.«<br />

Soweit <strong>Richard</strong> <strong>Kockel</strong> zu diesem konkreten Fall. Aber welche<br />

Bedeutung hatte das Problem »Selbsttötung« im Königreich Sachsen<br />

überhaupt?<br />

»In mehr als einer Beziehung haben wir Sachsen Ursache, auf<br />

unseren Volksstamm stolz zu sein, <strong>den</strong>n wenige Staaten in der Welt<br />

befin<strong>den</strong> sich in einer so erfreulichen Entwicklung aller Volkskräfte<br />

und leisten in diesem Jahrhundert in Gewerbe, Kunst und Wissenschaft<br />

so Hervorragen<strong>des</strong> wie gerade Sachsen.«<br />

Mit diesen Jubelworten auf die Leute in Sachsen hat der Herausgeber<br />

<strong>des</strong> 1901 erschienenen Buches »Sächsische Volkskunde«,<br />

Robert Wuttke, ein von ihm verfaßtes Kapitel eingeleitet. 1 Dieses Kapitel<br />

trägt die Überschrift »Verbrechen und Selbstmord«. Schon die<br />

Kombination der bei<strong>den</strong> Begriffe deutet an, daß man eine Selbsttötung<br />

noch zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts als etwas durchaus Unehrenhaftes,<br />

ja Anrüchiges ansah, eben als einen Selbst-»Mord«: Der<br />

Selbstmörder entzog sich der irdischen Gerechtigkeit, er ließ sich vom<br />

Satan dazu verleiten.<br />

Neben dieser eher mittelalterlichen, theologisch gestützten Anschauung<br />

gab es jedoch schon im Zeitalter der Aufklärung sehr<br />

fortschrittliche, naturwissenschaftliche Ansichten zu diesem Problem.<br />

So sprach die Juristische Fakultät der Universität Leipzig in einem<br />

Gutachten vom 21. Januar 1777 von dem Selbstmörder als von einem<br />

»Unglücklichen«. Eine suizidale Handlung sei zwar eine widernatürliche<br />

Handlung, man müsse es aber <strong>den</strong> Ärzten anheimstellen zu untersuchen,<br />

inwieweit eine Unrichtigkeit der Sinne darunter verborgen<br />

liege. Der Selbstmord sei nach der Beschaffenheit der Luft und <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> immer einem Volke mehr eigen als einem anderen, er sei nicht<br />

etwa das Schicksal leichtsinniger Gemüter, sondern im Gegenteil<br />

meist gesetzter und nach<strong>den</strong>kender Menschen.<br />

Gerade in Sachsen scheinen Luft, Land und Leute seit Jahrhunderten<br />

so beschaffen zu sein, daß Selbsttötungen häufiger vorkommen<br />

als in anderen deutschen Gegen<strong>den</strong>. Der Italiener Bianconi<br />

spricht in Briefen aus Dres<strong>den</strong> (1762) von der »Raserei <strong>des</strong> Selbstmor<strong>des</strong><br />

... Soviel ist gewiß, daß es hier Leute giebt, die sich leicht das<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!