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GL 6/2004 - der Lorber-Gesellschaft eV

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<strong>GL</strong> 6/<strong>2004</strong> Man lernt nie aus im Verzeihen 53Friedens. Als ich meinen Freunden verziehen hatte, fand ich meinenhimmlischen Vater wie<strong>der</strong>.Weshalb war ich denn mitten in <strong>der</strong> Nacht aufgewacht, aufs neueaufgewühlt von dem Vorkommnis? „Meine Freunde, meine eigenenFreunde!“ dachte ich. „Menschen, die ich liebte. Wären es Fremde, sohätte es mich nicht <strong>der</strong>maßen getroffen.“ Ich saß in meinem Bett auf undzündete Licht an. „Vater im Himmel“, sagte ich, „ich glaubte, ich wäredarüber hinweg. Oh, bitte, hilf mir heraus!“ Doch in <strong>der</strong> nächsten Nachtwie<strong>der</strong>holte sich dasselbe: „Sie hatten immer so lieb mit mir gesprochen.Da war nicht <strong>der</strong> leiseste Argwohn dessen, was sie einzufädeln im Begriffwaren.“„Vater“, rief ich, „hilf mir, ich flehe Dich an!“ Und seine Hilfe kam.Sie kam in <strong>der</strong> Gestalt eines liebenswürdigen, lutherischen Pastors, demich mein Versagen in den zwei vorausgegangenen Wochen bekannte.„Dort oben in jenem Turm“, sagte er, „ist eine Glocke, die zum Läutenkommt, wenn man an einem Seil zieht. Wenn man jedoch mit ziehenaufhört, schwingt die Glocke noch eine zeitlang weiter. Sie macht Zuerstding und dann dong, wobei die Glockentöne immer schwächer und inweiter voneinan<strong>der</strong> liegenden Abständen erklingen. Schließlich noch einletztes mal dong, und die Glocke verstummt. Ich glaube, dass es mit <strong>der</strong>Vergebung ähnlich ist. Im Augenblick, da wir vergeben, lassen wir dasSeil fahren und kümmern uns nicht mehr darum. Wenn wir dann langegenug an einer Sache herumgekaut haben, müssen wir uns nicht wun<strong>der</strong>n,wenn die alten Hassgedanken wie<strong>der</strong> auftauchen. Es sind die letzten dingdong<strong>der</strong> Glocke, die bald verstummen wird.Das war die Wahrheit. Es folgten noch ein paar Gefühlsreaktionen,wenn gelegentlich in einem Gespräch die Angelegenheit berührt wurde.Dies geschah jedoch je länger je seltener, und schließlich verschwandensie ganz. So entdeckte ich ein an<strong>der</strong>es Geheimnis <strong>der</strong> Vergebung,nämlich, dass wir Gott völlig vertrauen dürfen für einen vollen Sieg, nichtbloß über unsere Gefühle, son<strong>der</strong>n auch über unsere Gedanken.Und trotzdem musste mich Gott in jenem Abschnitt meines Lebensnoch eine Lektion lehren. Viele Jahre später - es war im Jahr 1970 -besuchte mich in Holland ein amerikanischer Bekannter, dem ich vonmeiner Lektion <strong>der</strong> Glocke erzählt hatte. Er war dort meinen Freunden,von denen ich eben erzählte, begegnet. -„Sind es nicht jene Leute, die so unschön an Ihnen gehandelt haben?“fragte er mich, nachdem sie das Zimmer verlassen hatten.„Ja“, antwortete ich mit einer gewissen Selbstgefälligkeit, „doch es istalles vergeben.“

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