Wandel der Patientenrolle - Hogrefe
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Kerstin Rie<strong>der</strong> und Manfred Giesing<br />
in <strong>der</strong> abendländischen Geschichte zu unterschiedlichen Zeiten, beginnend bereits in<br />
<strong>der</strong> Antike (Beck, 1996). Jedoch waren diese jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt.<br />
So war die feudale Ständegesellschaft des Mittelalters überwiegend gekennzeichnet<br />
durch die Tatsache, dass je<strong>der</strong> in seinen Stand hineingeboren war und kaum Möglichkeiten<br />
hatte, aus dem damit vorgezeichneten Lebensweg auszubrechen. Mit <strong>der</strong> Neuzeit<br />
und später <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne entstand zunehmend die Möglichkeit, das eigene Leben entsprechend<br />
individueller Vorlieben und Talente selbst zu gestalten. In den Städten entwickelte<br />
sich ein gebildetes Bürgertum, mit dem Aufkommen des Protestantismus<br />
verlor die Kirche als Institution an Bedeutung und das individuelle Verhältnis zu Gott<br />
wurde wichtiger. Die Philosophie <strong>der</strong> Aufklärung betonte schließlich die Mündigkeit<br />
des einzelnen Bürgers und die Demokratisierung in vielen Län<strong>der</strong>n Europas schaffte<br />
die politische Grundlage für ein stärker selbstbestimmtes Leben des einzelnen.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg fand in den westlichen Industrienationen und speziell<br />
auch in Deutschland ein weiterer massiver Individualisierungsschub statt (Beck, 1996).<br />
Mit dem deutlich gestiegenen Wohlstand, den verbesserten Bildungschancen für die<br />
breite Bevölkerung sowie den Verän<strong>der</strong>ungen in den Geschlechterverhältnissen in Folge<br />
<strong>der</strong> zweiten Frauenbewegung boten sich den Individuen ganz neue Spielräume für die<br />
Gestaltung des eigenen Lebensentwurfs. Die Loslösung aus traditionellen Lebensformen<br />
brachte jedoch auch den Verlust von Sicherheiten und neue Risiken.<br />
Schaut man sich die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten an, so wird deutlich, dass<br />
die Massenmedien und speziell auch das Internet für die Herausbildung eines je eigenen<br />
Lebensentwurfs eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Identitätsbildung und<br />
Vergesellschaftung finden zunehmend über Medienkommunikation statt (Sutter, 2005;<br />
Jäckel & Mai, 2005). Das Internet bietet beispielsweise eine Grundlage für eine virtuelle<br />
Vergesellschaftung, etwa über soziale Netzwerke wie „Facebook“ o<strong>der</strong> „MySpace“.<br />
Hier kann sich <strong>der</strong> einzelne in soziale Systeme integrieren und zugleich seine Einzigartigkeit<br />
darstellen, etwa über die Veröffentlichung seines Profils und das „Mitreden“<br />
in Chats o<strong>der</strong> Foren.<br />
Bei aller Vielfalt <strong>der</strong> möglichen Lebensentwürfe heute ist allerdings zu berücksichtigen,<br />
dass tatsächlich getroffene Wahlentscheidungen (z. B. bezogen auf Berufswahl, Konsummuster,<br />
Lebensgemeinschaften) sich nicht selten auf ein recht enges Spektrum <strong>der</strong><br />
potenziell verfügbaren Optionen beschränken. An<strong>der</strong>s formuliert: Die Individualisierung<br />
„geht […] einher mit Tendenzen <strong>der</strong> Institutionalisierung und Standardisierung“<br />
(Beck, 1996, S. 119). Dies lässt sich beispielsweise anhand <strong>der</strong> Mode veranschaulichen,<br />
wo im Alltag einige wenige Kleidungsstücke gemäß den Gesetzen <strong>der</strong> Massenproduktion<br />
allgegenwärtig sind. Man stellt seine Individualität z. B. generationsübergreifend<br />
millionenfach dar mittels Tragen von Cargohosen, Jeans und T-Shirts.<br />
Ein dritter zentraler Trend, welcher unsere Gesellschaft massiv verän<strong>der</strong>t, ist die rasante<br />
technische Entwicklung. Dieser Trend besteht schon seit mindestens 200 Jahren, er hat<br />
sich in den letzten Jahrzehnten jedoch noch einmal erheblich beschleunigt. Veranschaulichen<br />
lässt sich dies am Beispiel <strong>der</strong> Audiotechnik. Wer heute Mitte 40 ist, hat bereits<br />
eine ganze Serie von umwälzenden Neuerungen auf diesem Gebiet miterlebt: vom<br />
Schallplattenspieler über das Tonbandgerät und den Kassettenrekor<strong>der</strong> bis hin zum