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„Motivation im Fernstudium. Oder: Warum ist eine ...

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„Motivation <strong>im</strong> <strong>Fernstudium</strong>. <strong>Oder</strong>: <strong>Warum</strong> <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> Orientierungsveranstaltung zumAuftakt so wichtig?“Ein Beitrag von Dr. Herbert Asselmeyer, Universität Hildeshe<strong>im</strong>, Angewandte Organisationspädagogik.I. Wie die Orientierungsphase ins <strong>Fernstudium</strong> kamDas <strong>Fernstudium</strong> wurde in der alten Bundesrepublik erst ab 1975 mit der Gründung der FernUniversität Hagenernst(er) genommen. In der radikalsten Variante verstand man <strong>Fernstudium</strong> zum <strong>eine</strong>n als Chance, Lehren undLernen ‚industrialisieren‘ zu können 1 , zum anderen überhöhte man die Selbstlernkompetenzen der Lerners, dersich nun mittels Studienbrief verheißungsvoll fernab vom Hörsaal orts- und zeitunabhängig allein bilden könne 2 .Erst schrittweise und sehr zaghaft wurde den Forderungen nach wohnortnahmen Beratung und Betreuung vonFernstudierenden mit der Gründung von Studienzentren (außerhalb Nordrhein-Westfalens) entsprochen.Angesichts zunehmender Irritationen (Wie funktioniert <strong>Fernstudium</strong>?) und hohen drop out-Quoten wuchs zudemdie Einsicht, dass nicht nur <strong>eine</strong> fernstudienbegleitende Betreuung wichtig sei, sondern <strong>eine</strong> gelungeneOrientierungsphase vor Beginn des eigentlichen <strong>Fernstudium</strong>s dazu beitragen kann, dass Lerner undFernstudiensystem von Anfang an besser zusammen ‚passen‘. Fernstudierende müssen eben nicht nur das Fachverstehen und Einsendeaufgaben me<strong>ist</strong>ern, sondern sie müssen unterstützt werden bei der Suche, dem ganzenStudiensystem „Sinn“ zu geben und bei der Wahl der Strategien, die „Situation“ <strong>eine</strong>s selbsttätigen Lerners zume<strong>ist</strong>ern.Durch <strong>eine</strong>n Kontrakt zwischen der FernUniversität und der Universität Göttingen (Lehrstuhl Allgem<strong>eine</strong> Didaktik)stellte sich <strong>eine</strong> studentische „Arbeitsgruppe zur Studienvorbereitung“ 3 der Herausforderung, <strong>eine</strong> entsprechendeOrientierungsphase zu konzipieren und diese an den mittlerweile in Niedersachsen errichten Studienzentren zuerproben und zu evaluieren 4 . Der Erfolg dieser Konzeption zeigt sich an der Nachfrage nach dem Konzept, dasdiese Gruppe seit 1980 über 25 Jahre ununterbrochen in Studienzentren durchführte. In diesem Zusammenhangentstand 1996 ein diesbezüglicher Kontakt zwischen den Niedersächsischen und dem RostockerStudienzentrum, wo das StEB-Wochenende 5 seit 1997 – 2007 mit Mitgliedern dieser StEB-Gruppe und seit 2008in Eigenregie nun auch regelmäßig durchgeführt wird.1 Vgl. Peters, O. (1973): Die didaktische Struktur des Fernunterrichts. Untersuchungen zu <strong>eine</strong>r industrialisierten Form desLehrens und Lernens. Tübinger Beiträge zum <strong>Fernstudium</strong> Band 7, Weinhe<strong>im</strong>.Otto Peters wurde 1974 Gründungsrektor der FernUniversität.2 Taveggia, T.C. (1977): Goodbye teachter, goodbye classroom, hello learning. A radical appraisal of teaching – learninglinkagesat the college level. Journal of Personalized Instruction 2, 2, 119 - 1223 Herbert Asselmeyer, Claudia Diener, Chr<strong>ist</strong>ine Worbs sowie Prof. Dr. Karl-Heinz Flechsig4 Vgl. Chr<strong>ist</strong>ine Worbs (1982): Konzept und Praxis der Studienzentren der FernUniversität. Göttingen (M.A.-Arbeit Phil.Fak)5 Studien-Eingangs-Beratung


II. Orientierung macht die zukünftige Lebenswelt als Fernstudent transparentOrientierung <strong>ist</strong> ein Best<strong>im</strong>mungsmerkmal von <strong>Fernstudium</strong>! 6 . Es wird die These vertreten, dass erst wenn manweiß,- woher man kommt (Welche Lernformen haben mich in 15000 Stunden Schule geprägt? Inwieweit habeich Selbstlernkompetenzen in <strong>eine</strong>m Schulsystem mit hoher Fremdsteuerung und Lehrerzentrierungerworben?)- wo man steht (was hat mich dazu gebracht, dieses Fach in dieser Form studieren zu wollen?Motivationsanalyse?)- wo man hin will (Wie will ich zukünftig Leben, Arbeiten und Lernen?),dass man aufgeklärt(er) <strong>eine</strong> solche Fern-Studien-Entscheidung treffen und entsprechend reflektiert an das neueStudium herangehen kann. Und – mehr noch - es wird aufgrund von Erfahrungswerten unterstellt, dass sich nichtalle <strong>im</strong>matrikulierten Fernstudierenden bewusst sind (und auch <strong>im</strong> relevanten sozialen Umfeld nicht transparentgemacht haben!), dass sie sich <strong>im</strong> Blick auf ein abschluss-orientiertes Masterstudium (120 LP) inmitten <strong>eine</strong>s‚prallen‘ privaten/sozialen/beruflichen Lebens ‚mal eben‘ für 3.600 Stunden individueller/lerngruppenbezogenerLernzeit entschieden haben, was – rein rechnerisch betrachtet! – zu <strong>eine</strong>r studienbezogenen Arbeitsbelastungvon 180 Wochen a 20 Lernstunden führt.III. Die zentralen D<strong>im</strong>ensionen des OrientierungswochenendesDas Verständnis von Orientierung <strong>ist</strong> bis ins späte Mittelalter bekannt und zielt auf <strong>eine</strong> umfassende‚Ortsbest<strong>im</strong>mung‘ (z.B. in der Seefahrt; vgl. auch die Ausrichtung von Gebäuden in der Architektur). Das WortOrientierung wird <strong>im</strong> Deutschen seit dem 19. Jahrhundert verwendet und meint in s<strong>eine</strong>r Ursprungsbedeutung‚Ausrichtung, Kenntnis von Weg und Gelände, ge<strong>ist</strong>ige Einstellung‘. 7 Von Kant wissen wir, dass „Sich <strong>im</strong> Denkenüberhaupt orientieren heißt also: sich, bei der Unzulänglichkeit der objektiven Prinzipien der Vernunft, <strong>im</strong>Fürwahrhalten nach <strong>eine</strong>m subjektiven Prinzip derselben best<strong>im</strong>men.“ 8 Und in der Allgem<strong>eine</strong>n Psychologie giltdie Orientierung als die kognitive Fähigkeit, sich bezüglich Zeit, Ort, Situation und der eigenen Person(autopsychische Orientierung) zurechtzufinden. Als Voraussetzungen für <strong>eine</strong> Orientierung gelten ein ungestörtesBewusstsein, <strong>eine</strong> le<strong>ist</strong>ungsfähige Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Zeitsinn und Gedächtnis. 9 Für unserenZusammenhang <strong>ist</strong> die pädagogisch akzentuierte Orientierung wichtig, die dazu beitragen kann, nach derVerarbeitung von Reizen (intensive Begegnungen und aufrüttelnde Übungen zur intensiven Wahrnehmung auf<strong>eine</strong>m ersten Wochenendseminar) zu <strong>im</strong> Idealfall angemessenen Varianten des Fernstudienverhaltens alsbestmögliche Reaktion führt. Eine solche mentale Orientierung soll die Bewusstheit <strong>eine</strong>s zukünftigenFernstudierenden zu folgenden D<strong>im</strong>ensionen erhalten:6 Anlehnung an Raapke, H.-D. (1968): Didaktische Aspekte der Erwachsenenbildung. In: Ritters, C. (Hrsg.):Theorien der Erwachsenenbildung. Weinhe<strong>im</strong>/Berlin/Basel, S. 117–1447 Das zugrunde liegende Verb orientieren wurde bereits <strong>im</strong> 18. Jahrhundert aus dem französischen orienter entlehnt undgeht auf das lat. oriens (Sonnenaufgang, siehe Orient) zurück, also die (Aus-)Richtung nach Osten. Vgl. Duden«Etymologie» – Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2. Auflage, Dudenverlag, 19898 Immanuel Kant: Was heißt: sich <strong>im</strong> Denken orientieren? In: Schriften zur Metaphysik und Logik 1. Werkausgabe hgg. vonWilhelm Weischedel. stw 188. 1. Aufl. Frankfurt/Main 1977. ISBN 3-518-27788-X. S. 270, Anm.9Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 257. Auflage, 1993


- Orientierung zur Identität als Lerner: Mithilfe <strong>eine</strong>s Lern-/Arbeitsstil-Tests soll anhand <strong>eine</strong>rSelbsteinschätzung aufgeklärt werden, welche Vorlieben, Stärken und Schwächen be<strong>im</strong> Problemlösen eigensind und inwieweit sich die Fernstudierenden in der Lerngruppe unterscheiden. Die Unkenntnis diesesSachverhalts kann – so die These – zu <strong>eine</strong>r naiven Prolongation des Schülerverhaltens führen, nach demMotto ‚Es <strong>ist</strong> schon <strong>eine</strong>r da, der mir <strong>im</strong>mer sagt, was ich machen muss‘. Wird diese Analyse in der neuenFernstudierendengruppe transparent gemacht (Punkt-Abfrage auf <strong>eine</strong>r Moderationswand), entstehenerhebliche Irritationen, weil ein eigener Lerntyp als ‚begrenzte Ressource‘ erkannt und Fremdheit bzgl.anderer Fernstudierenden als produktive Vielfalt gedeutet und die diesbezügliche Verschiedenheit als <strong>eine</strong>Ursache für Lern-/Arbeitskonflikte interpretiert werden können.- Orientierung zur Zeit: Anhand <strong>eine</strong>s Wochenstundenplans (Stundenniveau) <strong>eine</strong>r bisher typischen Wochesoll erkannt und anerkannt werden, wie sich für zukünftige Wochen 10, 15 oder 20 Lernstunden einplanenlassen und welche ‚Transaktionskosten‘ (Verzichts-/Verlustmuster) dabei entstehen, die verarbeitet undkommuniziert werden müssen. Es <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> irritierende Erfahrung, sich gegen bisherige, tw. liebgewonneneAktivitäten entscheiden zu lernen zugunsten neuer Lerngewinne.- Orientierung zu Werkzeugen: Das Medium des <strong>Fernstudium</strong>s <strong>ist</strong> der Studienbrief! Es muss bewusstgemacht werden, dass Fernstudierende überwiegend allein insgesamt tausende Seiten wissenschaftlicherTexte lesen müssen. Diese erfordert ökonomisches Lesen – deshalb wird die professionelle LesetechnikSQrrr vermittelt, die zur Einsicht beitragen soll, dass man nicht drauflos lesen sollte, sondern zunächst fürsich <strong>eine</strong>n einordenden Überblick verschafft (Survey), sich sodann nützliche Fragen (Questions) an dieLektüre stellt und erst dann liest (read), rezitiert (recite) und wiederholt (review).- Orientierung zu Raum: Wer bisher durch viel Interaktion und Kommunikation (Gruppenarbeit, Diskussion,Gespräche) gelernt hat, muss sich und er muss erkennen, dass er kommunikative settings erst organisierenmuss mit Menschen, die weitverstreut in der Bundesrepublik leben. Vorstellungsrunden,Herkunftsbeschreibungen und der Austausch von Erreichbarkeiten sind das <strong>eine</strong>. Das andere <strong>ist</strong>, dass dieFernstudierenden erkennen, dass Räume nicht unüberwindlich sind (am StEB-Wochenende wird dazubeigetragen, dass moderne Fernstudien-Kommunikationsinfrastrukturen beherrscht werden), das andere <strong>ist</strong>,dass Fernstudierende das Fernstudienzentrum als <strong>eine</strong>n Lernort kennenlernen, der <strong>im</strong> <strong>Fernstudium</strong> sehrnützlich sein kann.- Orientierung zum bedeutsamen Gegenüber: Anhand <strong>eine</strong>s Gruppenexper<strong>im</strong>ents (Nagelspiel) soll deutlicherfahren werden, an welchen Stellen die Errichtung <strong>eine</strong>r Lerngruppe vorteilhaft sein kann. Nicht nur wird derUnterschied von Gruppe und Spitzenteam vermittelt, sondern es wird auch bilaterales feed back gegebenzum konkreten eigenen Problemlöseverhalten in studentischen Teams. Diese Erfahrung fördert die Einsicht,dass die studentische Gruppenle<strong>ist</strong>ung wesentlich abhängt von produktiver Kommunikation, um auchscheinbar unlösbare Aufgaben <strong>im</strong> <strong>Fernstudium</strong> bewältigen zu lernen.IV. Orientierung <strong>ist</strong> nicht alles…Orientierung entsteht als <strong>eine</strong> Le<strong>ist</strong>ung des Fernstudierenden, sich nach <strong>eine</strong>m solchen Auftaktwochenendes<strong>eine</strong> künftige Lebenswelt sinnvoll und bereichernd zu gestalten. Sie <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> Erkenntnis, die der Fernstudentaktiv, handelnd <strong>im</strong> Umgang mit der Fernstudien-Umwelt gewinnt und die auch nur in diesem Zusammenhang ihreFunktion hat.Von Schaarschmidt (2010) lässt sich lernen, dass die Indikatoren psychischer Gesundheit <strong>eine</strong>s erfüllten Lebensaus drei 3 Bereichen arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens stammen:Arbeitsengagement Widerstandskraft Emotionen- Bedeutsamkeit der Arbeit - D<strong>ist</strong>anzierungsfähigkeit- Erfolgserleben <strong>im</strong> Beruf- Beruflicher Ehrgeiz- Resignationstendenz- Lebenszufriedenheit- Verausgabungsbereitschaft - Offensive Problembewältigung - Erleben sozialer Unterstützung- PerfektionsstrebenInnere Ruhe und Ausgeglichenheit


Vor diesem Hintergrund <strong>ist</strong> besonders auch das StEB-Wochenende <strong>eine</strong> wichtige Grunderfahrung, und es <strong>ist</strong> einGrundanliegen der Organisatoren, diesen Zusammenhang erlebbar zu machen. Bei allem darf die humorvolleBegegnung nicht fehlen, will man dem System <strong>Fernstudium</strong> abnehmen, dass es das zukünftige Leben bereichert.

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