M.A. Thesis - senior street art
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„Kunst ist öffentlich seit der Antike, das ist wahr, aber keiner hätte je gewagt,<br />
die Agora auf eigene Faust neu zu gestalten. Die Götter hätten ihn zermalmt.<br />
Immer war Kunst Hingabe an etwas Größeres. Jeder, der dem David von<br />
Michelangelo begegnet, begreift, dass er das sinnliche Gedächtnis Europas<br />
bewahrt.“<br />
Mittlerweile sind auch Graffiti schon Teil des sinnlichen Gedächtnisses<br />
Europas geworden, wie ich verschiedenen Aussagen in den Interviews<br />
mit den <strong>senior</strong> <strong>street</strong> <strong>art</strong> TeilnehmerInnen entnehmen konnte. Die<br />
Götter dagegen sind wohl seit einiger Zeit von den meisten Menschen<br />
durch Konsum substituiert worden, und als Schlussfolgerung ergibt<br />
sich daraus: Heute werden wir von Werbeplakaten zermalmt, auch und<br />
gerade wenn wir gar nichts unternehmen.<br />
„Private Bedürfnisse werden gegen die Öffentlichkeit durchgesetzt, gemeinsame<br />
Wahrnehmungsstrukturen zerstört.“<br />
Unsere von Sophie Dannenberg so genannten „gemeinsamen<br />
Wahrnehmungsstrukturen“ sind kein Naturgesetz, sondern werden<br />
von uns selbst produziert, und heutzutage nicht zuletzt durch Werbung<br />
und Sponsoring. Wer kann es sich denn leisten, im so genannten<br />
„öffentlichen“ Raum präsent zu sein? Wer bildet damit, und zwar im<br />
doppelten Sinne des Wortes, die so genannte Öffentlichkeit?<br />
Man nehme zum Beispiel die Rosenthaler Straße anno 006: In der<br />
schmalen und viel frequentierten Straße werden die Fassaden zweier<br />
sich gegenüberliegender Häuser mit Reklameflächen von je mindestens<br />
00 qm „bespielt“. Sie zeigen fotorealistische Werbewirklichkeiten,<br />
zwischen denen sich Passanten und Anwohner gezwungenermaßen<br />
je nach Abbild im Maßstab von :6 bis : 0 in ihrem Lebensalltag<br />
bewegen. Hat man diesen Realitätsabschnitt überwunden in Richtung<br />
Hackescher Markt, so kommt fünf Häuser weiter auf der rechten Seite<br />
eine alle paar Sekunden wechselnde Werbefläche von in etwa 10 Meter<br />
Breite und über Meter Höhe. Passanten bleiben stehen und starren,<br />
Ebda<br />
Ebda<br />
0<br />
Menschen vor einer Werbefassade am Potsdamer Platz, April 006