Eine Ganztagsschule? - Freie Waldorfschule Schopfheim
Eine Ganztagsschule? - Freie Waldorfschule Schopfheim
Eine Ganztagsschule? - Freie Waldorfschule Schopfheim
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
26 l Aus dem Umkreis der Schule<br />
Bericht von der Bundeselternratstagung vom 24.-26.9.2004 in Offenburg<br />
Die Einladung zur Tagung des Bundeselternrats<br />
in Offenburg war dieses Jahr<br />
gleichzeitig die Auftaktveranstaltung<br />
zur bundesweiten Aktionswoche der<br />
<strong>Waldorfschule</strong>n und somit etwas<br />
Besonderes.<br />
Zu Beginn gab es einen Empfang im<br />
Saal Salmen. Ein historischer Ort, da<br />
sich dort 1847 und 1849 freiheitsliebende<br />
Bürger der Stadt Offenburg trafen und<br />
Forderungen für eine freiheitliche,<br />
demokratische Verfassung formulierten.<br />
Daran knüpfte die Waldorfbewegung<br />
mit dieser Tagung an, und es wurde an<br />
eigenen Forderungen gearbeitet, wie<br />
sich Eltern und Lehrer Bildung und den<br />
Umgang mit freien Schulen in der<br />
heutigen Bildungslandschaft vorstellen.<br />
(s. Entwurf der Offenburger Erklärung<br />
2004 im Programmheft der Aktionswoche<br />
Seite 24 + 25)<br />
Die Offenburger <strong>Waldorfschule</strong><br />
wurde 1982 ins Leben gerufen. Anfangs<br />
war sie in einer alten Zigarrenfabrik an<br />
der Rheinstrasse untergebracht. Erst<br />
1997 konnte die Schulgemeinschaft in<br />
ihren sehr schönen, lebendig gestalteten<br />
Schulneubau einziehen. Ihr Schulprofil<br />
war festgelegt: Man wollte kein Waldorfgymnasium<br />
und nicht die Anzahl der<br />
Abiturienten sollte zählen. Schwerpunkt<br />
sollte besonders der künstlerischmusische<br />
Bereich sein.<br />
Heute besuchen 575 Schülerinnen<br />
und Schüler diese Schule. Wegen großer<br />
Nachfrage entstanden 5 Parallel-Kleinklassen<br />
mit jeweils nur 18 Schülerinnen<br />
und Schülern. Die „großen“ Klassen<br />
Anzeige<br />
werden jeweils von 38 Kindern besucht.<br />
Die Einbindung der Schule in die<br />
kommunale Öffentlichkeit ist sehr gut<br />
und wird auch von beiden Seiten bewusst<br />
gepflegt. Die Stadt Offenburg bezahlt<br />
pro Schüler 100 Euro jährlich zusätzlich<br />
an die Schule. (Anm. d. Redaktion: das<br />
sind 57.500 Euro jährlich = ca. die Vollfinanzierung<br />
einer ganzen Deputatsstelle.)<br />
Davon träumen wir „<strong>Schopfheim</strong>er“<br />
noch!<br />
Die Tagung war vortrefflich organisiert,<br />
und schon auf dem Bahnhof<br />
wiesen bereits Hinweisschilder auf die<br />
Veranstaltung hin. Pendelbusse waren<br />
organisiert, Gepäck wurde befördert,<br />
und Privatautos brachten die Gäste der<br />
Tagung zu ihren Quartieren. Über das<br />
Essensbuffet muss ich schweigen, sonst<br />
würde den Lesern das Wasser im Munde<br />
zusammen laufen.<br />
Die öffentliche Monatsfeier am Freitagabend<br />
begeisterte mich außerordentlich:<br />
soviel Fröhlichkeit, Lebendigkeit<br />
und Originalität habe ich auf einer<br />
Schulveranstaltung selten kennengelernt.<br />
Ob es die Mützenparade mit buntgemusterten<br />
selbstgestrickten Mützen aus<br />
dem Handarbeitsunterricht war oder der<br />
Bauchtanz der 6. Klasse, es hat mich<br />
mitgerissen und das Publikum war<br />
begeistert. Musik mit Mittelstufenbläsern,<br />
einem Rap und das Spiel<br />
Die Brücke über den Main rundeten das<br />
abendliche Programm ab.<br />
Am Samstagvormittag gab es eine<br />
Podiumsdiskussion über die von der<br />
Waldorfbewegung aufgestellte „Offen-<br />
burger Erklärung 2004“. An dieser<br />
Podiumsdiskussion nahmen neben Vertretern<br />
der Waldorfbewegung je ein<br />
Vertreter der GEW (Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft), des<br />
Kultusministeriums Baden-Württemberg,<br />
der Aktion „Mündige Schule“, ein<br />
Professor der Universität Mainz und<br />
eine Schülerin aus der Bundesschülervertretung<br />
teil. Auch wurden die Pisa-<br />
Studie, die neuen Lehrpläne, die zentralen<br />
Prüfungen und die Stellung der freien<br />
Schulen in Deutschland diskutiert.<br />
Am Nachmittag wurden verschiedene<br />
Gesprächsgruppen angeboten. Über<br />
die Arbeitsgruppe von Peter Freitag und<br />
Ute Heim zum Thema „Perspektive:<br />
Eigener Waldorfabschluss“ werden wir<br />
im Eltern-Lehrer-Schüler-Kreis (ELSK)<br />
berichten.<br />
Am Samstagabend erlebten die<br />
Teilnehmer mit Tanz, Musik, Zirkusdarbietungen<br />
und Lehrerkabarett ein<br />
ausgelassenes, kurzweiliges Programm.<br />
Der Abend endete gegen 0 Uhr mit einer<br />
Feuershow des Zirkus Calibastra auf<br />
dem Schulhof.<br />
Rundum eine gelungene Tagung, an<br />
der inhaltlich geschafft wurde, das<br />
Essen nicht zu kurz kam und geselliger<br />
Austausch stattgefunden hat. Wie es<br />
eben sein muss, wenn im Mittelpunkt<br />
der Mensch steht.<br />
Für den Bundeselternrat<br />
Anne Klapprott<br />
Die Zeiten werden rauer<br />
Bericht vom Landeselternrat, der am 18.09.2004 in der <strong>Freie</strong>n <strong>Waldorfschule</strong> Schwäbisch Hall tagte.<br />
Bereits zum siebten Male durfte ich<br />
unsere Schule bei einer Tagung des LER<br />
(Landeselternrat) der freien <strong>Waldorfschule</strong>n<br />
in Baden-Württemberg vertreten.<br />
Nach Tübingen, Pforzheim, Göppingen,<br />
Esslingen, Engelberg, Überlingen und<br />
Freiburg-St. Georgen war nun Schwäbisch-Hall<br />
an der Reihe.<br />
Der LER ist neben der Regionalkonferenz,<br />
der Geschäftsführerkonferenz,<br />
dem Sprecherkreis der Landesarbeitsgemeinschaft<br />
und den Gründungsberatern<br />
ein beratendes Organ der Landesarbeitsgemeinschaft<br />
der <strong>Freie</strong>n <strong>Waldorfschule</strong>n<br />
in Baden-Württemberg e.V.<br />
(www.waldorf-bw.de). Mitglieder des<br />
LER sind Eltern der Schüler an <strong>Freie</strong>n<br />
<strong>Waldorfschule</strong>n, idealerweise von den<br />
entsprechenden Schulen delegiert.<br />
Die Tagungen des LER leben vom<br />
gegenseitigen Austausch der 49 <strong>Freie</strong>n<br />
<strong>Waldorfschule</strong>n in Baden-Württemberg,<br />
denn obwohl jede <strong>Waldorfschule</strong> für sich<br />
eine eigenständige Institution ist und<br />
ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich<br />
regeln kann, gibt es darüber hinaus<br />
auch sehr viele Dinge, die nicht nur die<br />
Schule vor Ort angeht, sondern die von<br />
landesweitem Interesse sind.<br />
Die Themen der vergangenen zwei<br />
Jahre waren schwerpunktmäßig:<br />
• Novellierung des Privatschulgesetzes,<br />
• Lehrernachwuchskommission,<br />
• Früheinschulung und G8,<br />
• Abschlüsse an unseren Schulen,<br />
• Kürzung der Zuschüsse aufgrund der<br />
Sparmaßnahmen des Landes.<br />
Darüber hinaus werden auch immer<br />
wieder soziale Gegenwartsfragen von<br />
kompetenten Referenten behandelt:<br />
In Göppingen sprach Dr. Strawe zum<br />
Thema Globalisierung – GATS und <strong>Freie</strong><br />
<strong>Waldorfschule</strong>, Dr. Sandkühler behandelte<br />
in Überlingen die PISA-Studie, in<br />
Engelberg hielt Frau Dr. Schaffrath<br />
einen spannenden Vortrag zur<br />
Salutogenese.<br />
Aufgrund der Berichte aus den<br />
Regionalkonferenzen kommen auch die<br />
tages-aktuellen Themen zur Diskussion,<br />
und ich kann somit getrost behaupten,<br />
dass jeder Elternvertreter gut informiert<br />
an seine Schule zurückkehrt! Ich<br />
empfinde die Tagungen jedes Mal als<br />
persönliche Bereicherung, und so ging<br />
ich auch dieses Mal gerne nach<br />
Schwäbisch-Hall.<br />
Peter Lang, als Diplom-Pädagoge<br />
leitender Dozent am Waldorfkindergarten-Seminar<br />
in Stuttgart und Herausgeber<br />
der Broschüre Recht auf Kindheit<br />
– ein Menschenrecht! Lasst den Kindern<br />
Zeit, hielt einen spannenden, kurzweiligen<br />
Vortrag zum Thema Früheinschulung.<br />
Er legte sehr klar und schlüssig<br />
dar, dass aufgrund der gesetzlichen Vorgabe<br />
der Früheinschulung mit 5 Jahren<br />
– die genauso wie G8 bereits vollzogen<br />
ist – die individuelle Betrachtung<br />
unserer Kinder, die zur Einschulung<br />
anstehen, also die Einschulungskriterien<br />
unserer Aufnahmegremien immer<br />
wichtiger werden.<br />
Es gehe nicht darum zu fordern, dass<br />
alles so bleiben soll, wie es ist – auch bei<br />
der Einschulung gibt es nicht nur ein zu<br />
früh, sondern eben auch ein zu spät und<br />
es ist durchaus denkbar und möglich, ein<br />
5-jähriges Kind einzuschulen – es geht<br />
jetzt in erster Linie darum, Kriterien der<br />
<strong>Waldorfschule</strong>n zu „veröffentlichen“,<br />
unser Tun darstellbar zu machen und<br />
unsere politische Stimme zu erheben<br />
gegen Beschlüsse, die nur aus wirtschaftlich/ökonomischen<br />
Gründen und nicht<br />
aus pädagogischer Betrachtung heraus<br />
stattgefunden haben.<br />
Schlaglichtartig einige Äußerung<br />
von Peter Lang:<br />
• Schulreife ist ein Prozess und kein<br />
Stichtag, der vom Geburtstag abhängig<br />
gemacht werden kann;<br />
• Kinder sind Individuen. Alles normierende,<br />
entindividualisierende, festlegende<br />
widerspricht menschenkundlich den<br />
Entwicklungsbedingungen von Kindern;<br />
• Es gibt anerkannte wissenschaftliche<br />
Untersuchungen die sagen: Es gibt<br />
Entwicklungsgesetzmäßigkeiten bei<br />
Kindern, die geschützt werden müssen,<br />
damit Kindheit i. S. von Zeit haben, sich<br />
entwickeln können, stattfinden kann;<br />
• Die Annahme: Früh rein – früh raus<br />
stimmt so überhaupt nicht, da Studien<br />
zeigen, dass der Prozentsatz der Klassenwiederholer<br />
unter früh eingeschulten<br />
Anzeige<br />
Aus dem Umkreis der Schule l 27<br />
Kindern viel höher liegt als bei<br />
herkömmlich eingeschulten Kindern;<br />
• Erziehung heißt: Kinder beobachten“.<br />
Zur weiteren Vertiefung empfahl<br />
Peter Lang die Bücher von M. Spitzer,<br />
Neurobiologe in Ulm, G. Hüther –<br />
ebenfalls Neurobiologe sowie Remo H.<br />
Largo, Professor für Kinderheilkunde.<br />
Aus der Sicht eines Erstklass-Lehrers<br />
beleuchtete Herr Betz von der <strong>Freie</strong>n<br />
<strong>Waldorfschule</strong> Schwäbisch-Hall die<br />
Änderungen der Neufassung des Schulgesetzes.<br />
Er machte deutlich, dass rein<br />
rechtlich lediglich der Stichtag der<br />
Einschulung nach vorne verlegt wurde –<br />
alles andere, was sich geändert habe,<br />
hänge einzig und allein vom Elternwillen<br />
ab, was bedeute, dass der Elternwille<br />
noch mehr zähle als der Gesetzeswille.<br />
Entscheidend wird nun sein: Wie<br />
fordern die Eltern die Entscheidungen<br />
ein? Er regte an, dass man mit den<br />
Schulen (vor allem den staatlichen)<br />
in Kontakt treten solle und hinterfragen<br />
solle: Warum wird denn so früh eingeschult?<br />
Welche Gründe gibt es, die es<br />
rechtfertigen 5-jährige Kinder schon<br />
einzuschulen? Die Eltern müssen ermutigt<br />
werden vom Recht der Rückstellung<br />
Gebrauch zu machen, so lange es geht.<br />
Am Satz Rudolf Steiners: Die Pädagogik<br />
muss sich richten nach dem, was in<br />
den Herzen der Kinder lebt machte Herr<br />
Betz die Forderung fest: Eltern, Lehrer<br />
und Kinder müssen gemeinsam hinschauen<br />
auf das, was in den Herzen lebt!<br />
Es folgten Berichte aus den Konferenzen<br />
und Arbeitsgemeinschaften.<br />
Breiten Raum nahm dabei die Waldorf-<br />
Aktionswoche ein. Bezüglich der<br />
Novellierung des Privatschulgesetzes<br />
und der Kürzungen durch das Land wird<br />
nun Klage erhoben gegen das Land. Die<br />
<strong>Freie</strong> <strong>Waldorfschule</strong> Nürtingen tritt als<br />
Musterklage-Schule auf.<br />
Die nächste Tagung des LER wird<br />
am 4. Dez. in Stuttgart stattfinden.<br />
Georg Freidel