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1 Volker Plagemann Palladio und der Palladianismus in Bremen ...

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<strong>Volker</strong> <strong>Plagemann</strong><br />

<strong>Palladio</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Palladianismus</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> (Ausstellungseröffnung)<br />

Andrea della Gondola wurde 1508 als Sohn e<strong>in</strong>es Müllers <strong>in</strong> Padua geboren. E<strong>in</strong> Patenonkel regte ihn<br />

erst e<strong>in</strong>mal zu dem Beruf des Ste<strong>in</strong>metzen an. Er blieb lange <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Werkstatt <strong>in</strong> Vicenza, <strong>der</strong> so<br />

genannten Pedemuro-Werkstatt, <strong>der</strong>en Meister e<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong>metz <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Baumeister waren. Hier<br />

arbeitete er an komplizierten Ste<strong>in</strong>schneidearbeiten mit. Dann aber ließen ihn se<strong>in</strong>e Meister auch<br />

baumeisterliche Arbeiten ausführen.<br />

Se<strong>in</strong> 1537 begonnenes erstes Bauwerk war <strong>der</strong> Umbau e<strong>in</strong>es älteren Landhauses für den Grafen Gian<br />

Giorgio Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Cricoli. Dieser wünschte sich e<strong>in</strong>e neue Fassade nach dem Vorbild e<strong>in</strong>es<br />

Raffaelentwurfes für e<strong>in</strong>e römische Renaissance-Villa.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Cricoli (Vicenza), um 1537, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Triss<strong>in</strong>o war von <strong>der</strong> Ausführung durch den etwa 30 jährigen Andrea so angetan, dass er ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Kreis von Vicent<strong>in</strong>er Aristokraten aufnahm, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Architektur von Landhäusern<br />

beschäftigte. Triss<strong>in</strong>o gab ihm den Be<strong>in</strong>amen <strong>Palladio</strong> nach e<strong>in</strong>em antiken Landwirtschaftsschriftsteller<br />

Palladius. Aus dem Kreis von Vicent<strong>in</strong>er Aristokraten erhielt <strong>der</strong> nun Andrea <strong>Palladio</strong><br />

genannte Neubauten von Landhäusern <strong>in</strong> Auftrag, die dem Landhaus- o<strong>der</strong> Villenbau <strong>der</strong> Antike<br />

nachstreben sollten. Damit begann e<strong>in</strong>e Architektenkarriere, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Palladio</strong> – mit r<strong>und</strong> 40 Projekten<br />

– im Bau von Villen se<strong>in</strong>e wichtigste Bauaufgabe fand.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Cricoli (Vicenza), um 1537, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Auch etwa 20 Stadtpaläste errichtete er <strong>in</strong> Vicenza.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Palazzo Chiericati (Vicenza), um 1560, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

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Se<strong>in</strong> Ansehen als Architekt stieg noch, nachdem er sich 1549 gegen alle namhaften venezianischen<br />

<strong>und</strong> norditalienischen Architekten mit se<strong>in</strong>em Projekt e<strong>in</strong>er Ummantelung des Vicent<strong>in</strong>er Palazzo<br />

Comunale, <strong>der</strong> so genannten Basilica, durchgesetzt hatte.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; „I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570): Palazzo Comunale<br />

3


Auch Brücken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung von Vicenza gehörten zu se<strong>in</strong>en Aufgaben.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; „I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570): Brücke bei Bassano<br />

Schließlich wurde er <strong>der</strong> Architekt so berühmter venezianischer Kirchenbauten wie San Giorgio<br />

Maggiore o<strong>der</strong> Il Redentore <strong>in</strong> Venedig.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; „San Giorgio Maggiore” (Venedig), 1566–1579 (jedoch nicht vollendet), Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; „Il Redentore„ (Venedig), 1577–1592, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

<strong>Palladio</strong>s Erfolge als Renaissance-Architekt beruhen auf se<strong>in</strong>er immer weiter gesteigerten Kenntnis<br />

<strong>der</strong> antiken Baukunst durch Studium <strong>der</strong> antiken Architekturtheorie <strong>und</strong> durch zahlreiche Romreisen.<br />

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Dabei wurde er von dem Architekturtheoretiker Daniele Barbaro zur Mitarbeit an dessen Kommentar<br />

zu dem antiken Architekturschriftsteller Vitruv herangezogen, zu dem <strong>Palladio</strong> die Illustrationen<br />

ausführte. Der anfängliche Ste<strong>in</strong>metz, dann Baumeister entwickelte sich dabei zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />

fruchtbarsten Architekturschriftsteller, <strong>der</strong> Bücher über die antike Architektur <strong>in</strong> Rom <strong>und</strong> schließlich<br />

e<strong>in</strong>en Architekturtraktat schrieb, die „I Quattro Libri dell‘Architettura“ von 1570.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; „I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570): Titelblatt<br />

<strong>Palladio</strong> ist aber zum „e<strong>in</strong>flussreichsten Architekten <strong>der</strong> westlichen Welt“ (Bruce Boucher) geworden,<br />

weil die Entwürfe <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Traktat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bauten, darunter vor allem se<strong>in</strong>e Villen, über<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte zu Vorbil<strong>der</strong>n für die Architektur des so genannten <strong>Palladianismus</strong> <strong>in</strong> ganz Europa <strong>und</strong><br />

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Nordamerika geworden s<strong>in</strong>d. Nach Ersche<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>es Buches wurden se<strong>in</strong>e Bauten zu Zielen<br />

italienreisen<strong>der</strong> Architekten <strong>und</strong> Bauherren aus ganz Europa, von Inigo Jones <strong>und</strong> Lord Burl<strong>in</strong>gton bis<br />

zu Goethe <strong>und</strong> dem amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson, <strong>der</strong> selbst Architekt war.<br />

Die symmetrische Anlage <strong>und</strong> die antikische Dekoration se<strong>in</strong>er Bauten, vor allem <strong>der</strong> Mittelportikus<br />

mit Freitreppe, Kolossalsäulen <strong>und</strong> Tempelgiebel wurden zu Vorbil<strong>der</strong>n für aristokratische Bauten.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Almerico “La Rotonda” (Vicenza), 1566 – 1570, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Als die neuen Kulturbauten, Theater, Museen, Bibliotheken, um 1800 entstanden, erhielten sie<br />

palladianistische Fassaden. Bauten, die republikanischen Charakter erhalten sollten, im Frankreich<br />

<strong>der</strong> Revolution, <strong>in</strong> England <strong>und</strong> Nordamerika – allen voran das Weiße Haus des nordamerikanischen<br />

Präsidenten – wurden palladianistisch angelegt.<br />

James Hoban; „Das Weiße Haus“ (Wash<strong>in</strong>gton D. C.), 1792 – 1800, Foto: Matt H. Wade<br />

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Palladianistische Landhäuser <strong>in</strong> englischen Gärten verbreiteten sich <strong>in</strong> ganz Europa. Palladianistische<br />

Wellen haben von Frankreich <strong>und</strong> England aus auch die Freie Hansestadt <strong>Bremen</strong> erreicht.<br />

Verme<strong>in</strong>tlich republikanische antikische Architektur, rekonstruiert von e<strong>in</strong>em Architekten <strong>der</strong><br />

Republik Venedig <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gesetzt von den neuen sich republikanisch gebenden Staaten Frankreich,<br />

England <strong>und</strong> Nordamerika fasz<strong>in</strong>ierte auch die Bewohner <strong>der</strong> Bürgerstadt <strong>Bremen</strong>.<br />

Jean Baptiste Broebes; Entwurf „Alte Börse auf dem Liebfrauenkirchhof“, um 1686 (Focke Museum)<br />

Es gibt durchaus e<strong>in</strong>zelne frühe Palladianismen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Aber e<strong>in</strong>e richtige erste Welle begann vor<br />

<strong>und</strong> nach 1800 mit palladianistischen Landhäusern außerhalb <strong>der</strong> Stadt.<br />

Landhaus Tenever, nach 1755, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Als die Wallanlagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en r<strong>in</strong>gförmigen englischen Garten verwandelt wurden, rückten<br />

palladianistische Landhäuser bis an die Contrescarpe.<br />

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Ansicht von Häusern Am Wall; Alte Ansicht <strong>der</strong> Wallanlagen (Focke Museum)<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt wurden palladianistische Bauten angelegt, wie das zum Stadthaus umformulierte<br />

„Alte Palatium“.<br />

Nicolaus Blohm; Umbau des alten Palatiums zum Stadthaus, 1816 – 1818 (Focke Museum)<br />

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Die ersten Theaterbauten wurden palladianistisch dekoriert.<br />

Theater am Ostertorwall; Kupferstich von Anton Radl aus dem Jahr 1819, <strong>der</strong> den Ostertorwall zeigt. L<strong>in</strong>ker Hand das 1792<br />

errichtete Theater. (Focke Museum)<br />

Die Clubhäuser <strong>der</strong> Lesegesellschaften, wie das Haus „Museum“, erhielten palladianistische Portiken.<br />

Das erste Haus <strong>der</strong> „Gesellschaft Museum“ <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, um 1808. (Focke Museum)<br />

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Selbst die Wachen <strong>in</strong> den Wallanlagen haben diesen Charakter.<br />

Friedrich Moritz Stamm; Die Wachhäuser am Ostertor, um 1825, Entwurfsbild <strong>in</strong> Sepia von Stamm (Focke Museum)<br />

Weitere palladianistische Bauten gab es um 1900. Darunter ragen das Schauspielhaus, das spätere<br />

„Theater am Goetheplatz“, o<strong>der</strong> das heutige „Medienhaus“ heraus.<br />

Schauspielhaus am Ostertorste<strong>in</strong>weg, um 1913 (Focke Museum)<br />

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Das Bremer Medienhaus; ehemalige Villa <strong>der</strong> Familie Dr. Groß, Chefarzt des St. Joseph Stiftes, errichtet um 1911, Foto:<br />

Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Interessant ist, dass auch um 2000 Bauten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> entstanden s<strong>in</strong>d, die <strong>in</strong> postmo<strong>der</strong>ner Zeit<br />

e<strong>in</strong>en palladianistischen Charakter erhalten haben, auch wenn nicht immer das Baumaterial weiße<br />

palladianistische Putzarchitektur ist. Bauten, wie <strong>der</strong> <strong>der</strong> Deutschen Bank von Ewald Brune an <strong>der</strong><br />

Ecke Schwachhauser Heerstraße/Schwachhauser R<strong>in</strong>g, orientieren sich am Zentralbau <strong>der</strong> „Villa<br />

Rotonda“.<br />

Ewald Brune; Bankgebäude an <strong>der</strong> Schwachhauser Heerstraße/Schwachhauser R<strong>in</strong>g, 1991, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Aber auch Privatbauten wie das an <strong>der</strong> Marcusallee 35 lassen Formen palladianistischer Villen<br />

erkennen.<br />

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Matthias Ocker Architekten; Privathaus Marcusallee 35, 2011, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

E<strong>in</strong> Verhältnis bremischer Architekten zu <strong>Palladio</strong> existiert noch immer. Unter mehreren zeichnenden<br />

<strong>und</strong> malenden Bremer Architekten gibt es e<strong>in</strong>e Architektengeme<strong>in</strong>schaft, „Die malenden Vier“, die<br />

seit den 1980er Jahren ausschwärmt, um geme<strong>in</strong>sam zu malen. Sie hat regelmäßig Italien bereist <strong>und</strong><br />

dabei auch Bauten, vor allem Villen, von <strong>Palladio</strong> im Veneto aufgesucht. Ihre künstlerischen<br />

Ergebnisse bilden auch e<strong>in</strong>en Aspekt des „<strong>Palladianismus</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>“. (So viel zur Gr<strong>und</strong>idee unserer<br />

Ausstellung. Jetzt aber noch e<strong>in</strong> paar mehr Details)<br />

Frühe <strong>Palladio</strong>villen<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Almerico “La Rotonda” (Vicenza), 1566 – 1570, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

<strong>Palladio</strong>s Villen hatten ke<strong>in</strong>eswegs von vornhere<strong>in</strong> den Charakter, den uns unsere Vorstellungen vom<br />

<strong>Palladianismus</strong> suggerieren: Mittelportikus mit Freitreppe, Kolossalsäulen <strong>und</strong> Tempel-Giebel.<br />

Vielmehr mussten sie sich zu diesem klassischen Charakter erst h<strong>in</strong> entwickeln.<br />

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Se<strong>in</strong> erstes Villenprojekt, <strong>der</strong> Umbau des Mittelteils <strong>der</strong> Fassade <strong>der</strong> Villa Triss<strong>in</strong>o, war noch e<strong>in</strong>e<br />

Etüde: nach Vorbil<strong>der</strong>n applizierte er e<strong>in</strong>e Renaissance-Dekoration auf den Mittelteil dieser älteren<br />

Quattrocento-Villa mit e<strong>in</strong>er Öffnung von drei R<strong>und</strong>bogen.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Cricoli (Vicenza), um 1537, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Se<strong>in</strong> erster Villenneubau, den er seit 1537 über Jahre betreute, die Villa Godi <strong>in</strong> Lonedo di Lugo, hat<br />

ebenfalls e<strong>in</strong> Mittelportal von drei R<strong>und</strong>bogen <strong>und</strong> sonst wenig antikische Details.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Godi <strong>in</strong> Lonedo di Lugo, nach 1537, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Auch weitere frühe Villen haben noch ke<strong>in</strong>en Portikus, son<strong>der</strong>n weisen r<strong>und</strong>bogige Öffnungen auf.<br />

<strong>Palladio</strong> hat nur wenige von ihnen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e „Quattro Libri“ aufgenommen, darunter die Villa Saraceno<br />

<strong>in</strong> F<strong>in</strong>ale.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Saraceno <strong>in</strong> F<strong>in</strong>ale, um 1545, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Villen mit noch zweigeschossigem Portikus<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Pisani <strong>in</strong> Montagnana, nach 1552, aus “I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570)<br />

An frühen Villenbauten für venezianische Bauherren, nach 1552, ersche<strong>in</strong>en dann erstmals Portiken,<br />

zum Teil noch nicht vor die Fassade vortretend <strong>und</strong> noch doppelgeschossig: bei den Villen Pisani <strong>in</strong><br />

Montagnana <strong>und</strong> Cornaro <strong>in</strong> Piomb<strong>in</strong>o Dese.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Cornaro <strong>in</strong> Piomb<strong>in</strong>o Dese, nach 1552, aus “I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570)<br />

Klassische Villen<br />

Dann entstanden seit etwa 1555 zahlreiche Villen mit dem klassischen palladianischen Portikus aus<br />

Freitreppe, vier o<strong>der</strong> sechs Kolossalsäulen, Tempelgiebel sowie Seitenteilen <strong>und</strong> meist<br />

Barchessenanlagen, das s<strong>in</strong>d landwirtschaftliche Nebengebäude. E<strong>in</strong>ige prom<strong>in</strong>ente Beispiele:<br />

Klassische Villa mit kolossalem Portikus (vier Säulen) <strong>und</strong> gera<strong>der</strong> Barchessa: Villa Barbaro <strong>in</strong> Maser,<br />

nach 1554<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Barbaro <strong>in</strong> Maser, nach 1554, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Klassische Villa mit kolossalem Portikus (vier Säulen) <strong>und</strong> gera<strong>der</strong> Barchessa: Villa Emo <strong>in</strong> Fanzolo, vor<br />

1556<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Emo, vor 1556, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Klassische Villa mit kolossalem Portikus (sechs Säulen) ohne Barchessa: Villa Foscari <strong>in</strong> Malcontenta,<br />

um 1555<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Foscari, nach 1554, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Klassische Villa mit kolossalem Portikus (sechs Säulen) <strong>und</strong> halbkreisförmiger Barchessa: Villa Badoer<br />

<strong>in</strong> La Fratta, nach 1554<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Badoer, nach 1554, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Späte Villen<br />

Am Ende <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Villen <strong>Palladio</strong>s stehen zwei späte Villen, für die e<strong>in</strong> Herrenhaus als<br />

Zentralbau mit vier Portiken nach allen vier Seiten vorgesehen war. Die e<strong>in</strong>e ist die berühmte Villa<br />

Almerico, genannt „La Rotonda“, nach 1566, <strong>der</strong>en Herrenhaus ganz vollendet wurde.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Almerico „La Rotonda“, nach 1566, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Die an<strong>der</strong>e, die Villa Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Meledo, nach 1569, ist fast ganz unausgeführt geblieben: e<strong>in</strong><br />

Zentralbauprojekt mit e<strong>in</strong>er komplizierten Barchessenanlage.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Triss<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Meledo, etwa 1566 – 1669, aus „I Quattro Libri Dell´ Architettura” (1570)<br />

Das Herrenhaus mit vier Portiken sollte auf e<strong>in</strong>er Anhöhe stehen. Die viertelkreisförmigen <strong>und</strong><br />

rechteckigen Arme <strong>der</strong> Barchessenanlage sollten jeweils etwas tiefer angelegt werden.<br />

Villa Triss<strong>in</strong>o; Rekonstruktionszeichnung von Fritz Burger aus dem Jahre 1909<br />

Von e<strong>in</strong>em letzten 1572 begonnenen Villenprojekt s<strong>in</strong>d lediglich zehn Säulenstrümpfe erhalten.<br />

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Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Porto <strong>in</strong> Mol<strong>in</strong>a, 1572 datiert, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Aus ihnen sollte e<strong>in</strong> riesiger Portikus mit zehn kor<strong>in</strong>thischen Säulen entstehen.<br />

Andrea <strong>Palladio</strong>; Villa Porto <strong>in</strong> Mol<strong>in</strong>a (Säulenstümpfe), 1572 datiert, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

<strong>Palladianismus</strong> vor 1800 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Palladio</strong>s „Quattro Libri“ von 1570 waren <strong>in</strong> ganz Europa verbreitet. Se<strong>in</strong>e Bauten <strong>in</strong> Vicenza <strong>und</strong><br />

Venedig wurden seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert von den begüterten <strong>und</strong> gebildeten Italienreisenden <strong>und</strong><br />

Architekten <strong>und</strong> Künstlern aufgesucht. E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er E<strong>in</strong>fluss war <strong>in</strong> England, Frankreich <strong>und</strong> den<br />

Nie<strong>der</strong>landen seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert zu beobachten.<br />

Im Ostgiebel des Schütt<strong>in</strong>g, 1565 von Karsten Husmann mit ionischen Pilastern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em so<br />

genannten <strong>Palladio</strong>-Motiv wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Basilica“ von 1549, ließe sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bereits e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

früher <strong>Palladianismus</strong> nie<strong>der</strong>ländischer Prägung erkennen.<br />

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Karsten Husmann; Ostgiebel des Schütt<strong>in</strong>g, um 1565, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

E<strong>in</strong> weiterer früher <strong>Palladianismus</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wurde offenbar 1686 durch e<strong>in</strong>en französischen<br />

Baumeister importiert. Der Hugenotte Jean Baptiste Broebes (1660 – 1720), kam 1685 nach <strong>Bremen</strong><br />

<strong>und</strong> brachte offenbar so gute Architekturkenntnisse mit, dass <strong>der</strong> Rat ihn 1686 zum Ratsbaumeister<br />

ernannte. Der wichtigste Auftrag während se<strong>in</strong>es Aufenthaltes von 1685 bis 1692 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war <strong>der</strong><br />

Entwurf <strong>der</strong> alten Börse auf dem Liebfrauenkirchhof. Dieser Entwurf zeigt für den E<strong>in</strong>gang <strong>der</strong> Börse<br />

e<strong>in</strong>en viersäuligen dorischen Portikus.<br />

Jean Baptiste Broebes; alte Börse auf dem Liebfrauenkirchhof, Entwurfszeichnung, um 1686 (Focke Museum)<br />

Das nach se<strong>in</strong>em Weggang von dem <strong>in</strong> Holland geschulten Baumeister Hermann Brüggemann<br />

vollendete Gebäude entsprach zwar diesem Entwurf nicht mehr ganz, son<strong>der</strong>n wurde zu e<strong>in</strong>em<br />

zweigeschossigen Bau umformuliert. Dieser war aber mit e<strong>in</strong>er Pilasterstellung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em<br />

zweigeschossigen übergiebelten Portikus ausgestattet.<br />

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Hermann Brüggemann; ausgeführter Entwurf <strong>der</strong> Börse, nach 1692 (Focke Museum)<br />

Solche Beispiele palladianistischer Architektur s<strong>in</strong>d noch E<strong>in</strong>zelersche<strong>in</strong>ungen. In allen Fällen waren<br />

es Baumeister mit E<strong>in</strong>drücken aus den palladianistischen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande <strong>und</strong> Frankreich,<br />

die solche Elemente e<strong>in</strong>führten.<br />

Palladianistische Landhäuser um 1800<br />

Palladianismen gab es dann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erst im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert wie<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Anlage <strong>und</strong> dem Bau<br />

von Landhäusern. In dieser Zeit g<strong>in</strong>gen auch die Deutschen auf Italienreisen. Wie die Frankfurter<br />

Goethes, Vater Johann Caspar Goethe <strong>und</strong> später Sohn Johann Wolfgang Goethe, 1786 – 1788,<br />

waren auch Bremer <strong>und</strong> Hamburger unter denen, die Italien bereisten.<br />

Von Goethe wissen wir, dass er Vicenza besuchte, dort das Buch von Ottavio Bertotti Scamozzi (1719<br />

– 1790) über <strong>Palladio</strong>s Bauten kennen lernte <strong>und</strong> sich mit dem Verfasser über <strong>Palladio</strong>s Villen<br />

unterhielt. Später lernte er <strong>in</strong> Rom den Hamburger Architekten Johann August Arens (gestorben<br />

1806) kennen <strong>und</strong> beauftragte ihn mit dem römischen Haus für se<strong>in</strong>en Herzog Carl August.<br />

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Johann August Arens; Das „Römische Haus“ <strong>in</strong> Weimar, 1792 – 1797, aus: Grüneberger/Schnei<strong>der</strong>: Römisches Haus,<br />

Weimar 1999<br />

Dieses römische Haus <strong>in</strong> Weimar, außerdem das „Gartenreich“, das Fürst Franz von Anhalt-Dessau<br />

mit se<strong>in</strong>em Architekten Wilhelm von Erdmannsdorff <strong>in</strong> Wörlitz errichtete, s<strong>in</strong>d Reaktionen auf<br />

<strong>Palladio</strong>s Villenbauten.<br />

Wilhelm von Erdmannsdorff; „Gartenreich“ <strong>in</strong> Wörlitz<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung von <strong>Bremen</strong> wurden nun solche palladianistischen Landhäuser <strong>in</strong> Auftrag<br />

gegeben. Die Neigung dazu kam jetzt offenbar von den Bauherren.<br />

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Herrenhaus von Gut Tenever, nach 1755, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Nach 1755 kann die Entstehung des Landhauses Tenever datiert werden, dass die Wappen <strong>der</strong> ersten<br />

Eigentümer trägt, des Ratsherrn Dr. Hermann Daniel von Büren (1709 – 1755) <strong>und</strong> Dr. Gerhardt<br />

Oelrichs (gestorben 1789). Der dritte Besitzer hieß ausgerechnet – wie ursprünglich <strong>Palladio</strong> –<br />

Ratsherr Dr. Simon Hermann Gondola. Sie alle kommen als Italien bereisende <strong>Palladio</strong>-Kenner <strong>in</strong><br />

Frage, die das Haus mit den kolossalen Pilastern <strong>und</strong> dem zentralen Portikus im Charakter e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Palladio</strong>-Villa angelegt haben.<br />

E<strong>in</strong> Altbau des Gutes Landruhe Am Rüten wurde 1795 vom östereichischen Konsul Carl Philipp Cassel<br />

(1842 – 1807) durch e<strong>in</strong>en Neubau des Architekten Joachim Andreas Deetjen ersetzt. Von dem<br />

österreichischen Konsul ist e<strong>in</strong>e Italienreise wahrsche<strong>in</strong>lich, von dem Architekten lei<strong>der</strong> nicht<br />

bekannt. Das palladianistische Haus präsentiert e<strong>in</strong>en Mittelportikus von vier ionischen Pilastern<br />

<strong>in</strong>mitten von dreiachsigen Seitenteilen.<br />

Joachim Andreas Deetjen; Herrenhaus von Gut Landruhe, nach 1795, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Weitere Beispiele s<strong>in</strong>d:<br />

Das Landgut Holdheim, 1809 von Johann Friedrich Abegg neu errichtet mit e<strong>in</strong>em viersäuligen<br />

toskanischen Portikus.<br />

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Johann Friedrich Abegg; Landgut Holdheim, um 1809, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Das Landhaus Hoogenkamp, um 1825 von Conrad Christian Hucke mit viersäuligem dorischen<br />

Portikus erbaut.<br />

Conrad Christian Hucke; Landhaus Hoogenkamp, um 1825, historisches Foto (Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Das Sommerhaus Fritze <strong>in</strong> Vegesack, 1827 von Karl Wilhelm August Fritze mit e<strong>in</strong>em viersäuligen<br />

ionischen Portikus versehen.<br />

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Karl Wilhelm August Fritze; Sommerhaus Fritze <strong>in</strong> Vegesack, um 1827, Darstellung: Focke Museum<br />

Palladianistische Amtsbauten, Kulturbauten, Wachen <strong>und</strong> Privathäuser<br />

In <strong>der</strong> Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich Privatleute solche Landhäuser schufen, erhielten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> Bremerhaven<br />

auch die beiden höchstrangigen Amtsbauten palladianistische Züge:<br />

Der Baukondukteur Nicolaus Blohm (1779 – 1855), damals erster bremischer Baubeamter, von dem<br />

e<strong>in</strong>e frühe Italienreise wahrsche<strong>in</strong>lich ist, hat 1816 über den Gr<strong>und</strong>mauern des „Alten Palatium“<br />

e<strong>in</strong>en dreigeschossigen Dreiflügelbau errichtet, <strong>der</strong> dem Dom e<strong>in</strong>e palladianistische Fassade mit<br />

e<strong>in</strong>em Mittelportikus von vier ionischen Kolossalpilastern zuwandte. Hier das ausgeführte Stadthaus,<br />

mit Schütt<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Liebfrauenkirche.<br />

Nicolaus Blohm; Stadthaus, um 1816, Darstellung: Focke Museum<br />

Für das „Hansestadt Bremische Amt“ <strong>in</strong> Bremerhaven (ganz rechts im Bild) zog Hafenbaudirektor<br />

Jakobus Johannes van Ronzelen den holländischen Baumeister van Limbeek heran. Dieser errichtete<br />

e<strong>in</strong> zweigeschossiges Gebäude mit Mittelportikus von vier ionischen Kolossalsäulen.<br />

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Van Limbeek; Bremisches Amts- <strong>und</strong> Hafenhaus, Bremerhaven, um 1829, Zeichnung von F. W. Kohl (Focke Museum)<br />

In <strong>Bremen</strong> waren vorher schon die Kulturbauten <strong>der</strong> Theater <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lesegesellschaften als<br />

palladianistische Bauten angelegt worden.<br />

Das 1792 errichtete erste Theater Am Wall (wo heute das Olbers-Denkmal steht) war e<strong>in</strong> aus Holz<br />

gezimmerter Putzbau mit palladianistischem Mittelportikus von vier dorischen Kolossalsäulen.<br />

Theater am Ostertorwall; Kupferstich von Anton Radl aus dem Jahr 1819, <strong>der</strong> den Ostertorwall zeigt. L<strong>in</strong>ker Hand das 1792<br />

errichtete Theater. (Focke Museum)<br />

Se<strong>in</strong> Nachfolgebau auf dem Theaterberg, 1843 von He<strong>in</strong>rich Seemann als Putzbau errichtet, erhielt<br />

zum Wall h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en vorkragenden Mittelgiebel.<br />

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He<strong>in</strong>rich Seemann; Theater auf dem Theaterberg, errichtet 1845, Alte Ansicht vom Wall (Focke Museum)<br />

Die erste „Lesegesellschaft“ nannte sich seit 1783 „Gesellschaft Museum“. Nach 1806 ließ sie sich<br />

von H<strong>in</strong>rich Averdieck an <strong>der</strong> Ecke Domshof/Schüsselkorb e<strong>in</strong> zweigeschossiges Gebäude mit e<strong>in</strong>em<br />

palladianistischen Mittelportikus von vier ionischen Kolossalsäulen errichten.<br />

H<strong>in</strong>rich Averdieck; Haus <strong>der</strong> „Gesellschaft Museum“, erbaut 1808, Kupferstich: Focke Museum<br />

1838 wurde das Gebäude durch Jacob Ephraim Polz<strong>in</strong> um e<strong>in</strong> Geschoss aufgestockt <strong>und</strong> erhielt e<strong>in</strong>en<br />

noch höheren Mittelportikus.<br />

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Jacob Ephraim Polz<strong>in</strong>; das Haus für die „Gesellschaft Museum“, aufgestockt 1838, Darstellung: Focke Museum<br />

Die Anregungen, die von solchen Bauten kamen, führten zu palladianistischen Zügen <strong>der</strong> Gebäude<br />

<strong>der</strong> Wachen, die <strong>in</strong> den Wallanlagen errichtet wurden.<br />

Friedrich Moritz Stamm; Ostertorwache (das heutige Wilhelm-Wagenfeld-Haus), erbaut 1823, Foto: Jochen Römer<br />

Und auch Privatbauten auf beiden Seiten des Englischen Gartens <strong>der</strong> Wallanlagen nahmen solche<br />

palladianistischen Züge an. In dieser Zeit wurde <strong>der</strong> <strong>Palladianismus</strong> e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Bewegung.<br />

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<strong>Palladianismus</strong> um 1900<br />

Zeichnung von Häusern Am Wall von F. W. Kohl, um 1850 (Focke Museum)<br />

Waren die frühen Palladianismen eher zufällige Ergebnisse von Baumeistern, die Kenntnisse<br />

palladianischer Bauten hatten, so muss die Zeit von <strong>der</strong> Mitte des 18. bis zur Mitte des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts als die e<strong>in</strong>er regelrechten Welle des <strong>Palladianismus</strong> ersche<strong>in</strong>en.<br />

Um die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nahm diese Welle offenbar vorerst e<strong>in</strong> Ende.<br />

In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts schafften sich Historismus <strong>und</strong> Eklektizismus <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Baukunst verschiedene Möglichkeiten <strong>der</strong> Wahl von Vorbil<strong>der</strong>n. Darunter konnten durchaus noch<br />

wie<strong>der</strong> palladianische Bauten se<strong>in</strong>. Aber um 1900 kam es offenbar nicht mehr zur Ausrichtung vieler<br />

verschiedener Bauten, son<strong>der</strong>n nur noch für wenige Bauaufgaben zur Wahl palladianischer Vorbil<strong>der</strong>.<br />

Vor allem die Gebäude für kulturelle Aktivitäten hielten sich an palladianistische Architekturformen.<br />

Palladianistische Kulturbauten um 1900<br />

Die zunehmende Reisetätigkeit <strong>und</strong> Erfahrung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en deutschen <strong>und</strong> europäischen Kulturstädten<br />

führte den Protagonisten <strong>und</strong> Teilnehmern des bremischen Kulturlebens vor, wie stark europäische<br />

<strong>und</strong> nordamerikanische Kulturbauten von palladianischen Vorbil<strong>der</strong>n geprägt waren. Dadurch mag<br />

<strong>der</strong> Schub für weitere Palladianisierung <strong>der</strong> Bremer Kulturbauten um 1900 ausgelöst worden se<strong>in</strong>.<br />

Unter den Theaterbauten hatte nicht nur <strong>der</strong> von 1792, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> von 1843<br />

palladianistischen Charakter. Dieser wurde bei zahlreichen Umbauten, um 1866 <strong>und</strong> 1900 bis zur<br />

Zerstörung 1943 gewahrt.<br />

Stadttheater auf dem Theaterberg, Zustand nach mehreren Umbauten, altes Foto vor <strong>der</strong> Zerstörung 1943 (Focke Museum)<br />

Nach Antritt des Italien gereisten Renaissance-Spezialisten Gustav Pauli (1866 – 1938) sollte das<br />

Kunsthallengebäude bei e<strong>in</strong>em Umbau 1902 – 1904 e<strong>in</strong>en stärker palladianistischen<br />

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Charakter erhalten. Vermutlich hatten nicht nur Pauli <strong>und</strong> die ausstattenden Künstler <strong>der</strong> Gebrü<strong>der</strong><br />

Ste<strong>in</strong>häuser Italien besucht, son<strong>der</strong>n auch beide Architekten, Eduard Gildemeister (1848 – 1946) für<br />

den Außenbau <strong>und</strong> Albert Dunkel (1856 – 1905) für das Innere. Nach vorne erhielt die Kunsthalle im<br />

Mittelrisalit dorische Säulen im Erdgeschoss <strong>und</strong> e<strong>in</strong> <strong>Palladio</strong>-Motiv im Obergeschoss, die se<strong>in</strong>en<br />

palladianistischen Charakter auch nach dem Umbau von 2007 – 2011 bestimmen.<br />

Kunsthalle, Hauptfassade nach dem Umbau von 1902 – 1904, Foto: Kunsthalle<br />

Auch die bis heute erhaltene Rückfassade erhielt durch den Umbau palladianistischen Charakter.<br />

Kunsthalle, Rückfassade nach dem Umbau von 1902 – 1904, Foto: Denkmalamt<br />

Der Neubau des Schauspielhauses von 1913, das heutige Theater am Goetheplatz, wurde mit se<strong>in</strong>em<br />

mächtigen Mittelportikus von sechs dorischen Säulen e<strong>in</strong> exponiert palladianistisches Gebäude. Wie<br />

Pauli bekannten sich die Theaterleiter Johannes Wiegand <strong>und</strong> Eduard Ichon <strong>und</strong> die Architekten<br />

August Abbehusen (1875 – 1941) <strong>und</strong> Otto Blen<strong>der</strong>mann (1879 – 1944) ausdrücklich zu solcher<br />

Auffassung von Kulturarchitekturen.<br />

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Schauspielhaus am Ostertorste<strong>in</strong>weg, um 1913, historisches Foto (Focke Museum)<br />

Unter den palladianistischen Bauten um 1900 nimmt das Krematorium auf dem Riensberger Friedhof<br />

e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>rolle e<strong>in</strong>. Der 1902 gegründete Vere<strong>in</strong> für Feuerbestattung gab es 1903 – 1906 bei dem<br />

Architekten He<strong>in</strong>rich Behrens (1873 – 1956) <strong>in</strong> Auftrag, <strong>der</strong> 1902 beim Umbau <strong>der</strong> Kunsthalle<br />

beteiligt gewesen war.<br />

He<strong>in</strong>rich Behrens; Krematorium auf dem Riensberger Friedhof, 1903 – 1906, Foto: Jochen Römer<br />

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E<strong>in</strong>e palladianistische Stadtvilla<br />

In e<strong>in</strong>igen Fällen konnten sich private bürgerliche Villen <strong>in</strong>mitten von Gärten weiterh<strong>in</strong> <strong>Palladio</strong>s<br />

Landhäuser zu Vorbil<strong>der</strong>n nehmen. Es gibt ke<strong>in</strong> besseres Exempel für den <strong>Palladianismus</strong> um 1900 als<br />

das heutige Bremer Medienhaus an <strong>der</strong> Schwachhauser Heerstraße 78 von 1911. Die<br />

Bauherrenfamilie des Chefarztes des St. Joseph-Stiftes konnte e<strong>in</strong> respektables Herrenhaus mit<br />

Mittelportikus von vier ionischen Kolossalsäulen repräsentativ an die Schwachhauser Heerstraße<br />

rücken, nicht weit vom Stadtzentrum <strong>und</strong> vom St. Joseph-Stift entfernt. Auch war die formale Nähe<br />

zu <strong>Palladio</strong>s Villen ungleich präziser, als bei früheren Landhäusern. Ke<strong>in</strong> Bauwerk <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> betont<br />

so deutlich se<strong>in</strong>en palladianistischen Charakter.<br />

Das heutige Bremer Medienhaus, um 1911, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

<strong>Palladianismus</strong> um 2000<br />

Wie <strong>der</strong> Eklektizismus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Architektur um 1900 die Möglichkeit schuf, sich wie<strong>der</strong> Vorbil<strong>der</strong> für<br />

baukünstlerische Aufgaben zu suchen, bot auch die Postmo<strong>der</strong>ne um 2000 Architekten die<br />

Möglichkeit, sich auf Vorbil<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Architekturgeschichte zu berufen. Wo <strong>der</strong> Eklektizismus sogar<br />

exakte Nachbildungen zuließ, wählten Architekten <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne aber eher die Mittel <strong>der</strong><br />

Anspielung. Auch auf <strong>Palladio</strong>s Bauten ist dabei <strong>in</strong> manchen Fällen mehr o<strong>der</strong> weniger deutlich<br />

angespielt, selten aber s<strong>in</strong>d dabei Baumaterial, Baukörper, e<strong>in</strong>zelne Baudetails komplett<br />

übernommen worden. Auch s<strong>in</strong>d Palladianismen nie konsequent auf bestimmte Bauaufgaben<br />

ausgerichtet worden. Sie ersche<strong>in</strong>en bei Firmenbauten, Bankgebäuden <strong>und</strong> Privathäusern.<br />

So stellt zum Beispiel das Wuppesahl-Gebäude auf dem Teerhof, 1990, von Harm Haslob, e<strong>in</strong>e<br />

Anspielung auf e<strong>in</strong>e nach vier Seiten gleichmäßig ausgerichtete Architektur wie die Villa Rotonda dar,<br />

aber diese Seiten haben ke<strong>in</strong>eswegs den Charakter e<strong>in</strong>er Fassade mit Portikus. Und auch das<br />

Baumaterial e<strong>in</strong>es farbigen Kl<strong>in</strong>kers wie<strong>der</strong>holt nicht die helle Putzarchitektur <strong>der</strong> Rotonda.<br />

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Harm Haslob; das Gebäude <strong>der</strong> Firma Wuppesahl auf dem Teerhof, erbaut 1990, Foto: Jochen Römer<br />

Das Gebäude <strong>der</strong> Deutschen Bank an <strong>der</strong> Ecke Schwachhauser Heerstraße/Schwachhauser R<strong>in</strong>g,<br />

1991, von Ewald Brune, wie<strong>der</strong>holt ebenfalls nicht die Putzarchitektur, son<strong>der</strong>n ist aus farbigem<br />

Stahl, Glas <strong>und</strong> <strong>in</strong>dustriellen Ste<strong>in</strong>platten. Aber hier ist die Gleichförmigkeit <strong>der</strong> vier Seiten schon<br />

deutlicher. Vor allem die Ausbildung von übergiebeltem Mittelportikus <strong>und</strong> gleichen Seitenteilen<br />

kommt <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Villa Rotonda schon näher.<br />

Ewald Brune; Filiale <strong>der</strong> Deutschen Bank, errichtet 1991, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Auffällig palladianistischen Charakter von Miet- <strong>und</strong> Privatgebäuden gibt es an prom<strong>in</strong>enten Straßen<br />

wie <strong>der</strong> Schwachhauser Heerstraße o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Marcusallee. Hier ist durchaus auch auf den Charakter<br />

<strong>der</strong> hellen Putzarchitektur angespielt worden. Alle drei Beispiele – das Mietshaus „Atrium“,<br />

Schwachhauser Heerstraße 251, 2005, Architekten Olaf Ellen <strong>und</strong> Gerhard Peleikis,<br />

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Olaf Ellen / Gerhard Peleikis; Mietshaus „Atrium“, erbaut 2005, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

das Mehrparteienhaus Schwachhauser Heerstraße 355, von 2011, von Architekt Bernd Helken,<br />

Bernd Helken; Mehrparteienhaus Schwachhauser Heerstraße, 2011, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

das Privathaus Marcusallee 35, von 2011, von Matthias Ocker Architekten – setzen für die<br />

Hauptfassade e<strong>in</strong>e Symmetrie e<strong>in</strong>, bilden Mittelgiebel meist mit mo<strong>der</strong>nen Stützen aus <strong>und</strong> erzeugen<br />

so den Gesamtcharakter e<strong>in</strong>er historistischen Architektur, die sich an palladianische Vorbil<strong>der</strong><br />

anlehnt.<br />

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Matthias Ocker Architekten; Privathaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Marcusallee, 2011, Foto: Johann <strong>Plagemann</strong><br />

Verhältnis mo<strong>der</strong>ner Architekten zu <strong>Palladio</strong><br />

Das Verhältnis von Architekten <strong>der</strong> klassischen Mo<strong>der</strong>ne zu <strong>Palladio</strong> ist e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Kapitel.<br />

Zeichnungen Le Corbusiers von Architekturen <strong>Palladio</strong>s s<strong>in</strong>d bekannt.<br />

Auch wenn sich Architekten <strong>in</strong>zwischen vom Zeichentisch verabschiedet haben <strong>und</strong> mit dem<br />

Computer arbeiten, gibt es bis heute Bremer Architekten, die seit ihrer Ausbildung zeichnen <strong>und</strong><br />

malen, um mit diesen Techniken Anregungen festzuhalten <strong>und</strong> sich künstlerisch auszudrücken.<br />

„Die malenden Vier“ <strong>in</strong> den 1980er Jahren<br />

In <strong>der</strong> 1980er Jahren hat sich die Gruppe <strong>der</strong> „malenden Vier“ um Harm Haslob gebildet, die<br />

regelmäßig Reisen unternommen haben, meist nach Zielen <strong>in</strong> Italien, auf denen sie vor Landschaften<br />

<strong>und</strong> Architekturen sitzen <strong>in</strong> tagelanger konzentrierter künstlerischer Arbeit. Helmut Rabien, Peter<br />

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Hartlich, Harm Haslob, <strong>und</strong> Gert Schulze (auf dem Foto von l<strong>in</strong>ks nach rechts) gehörten <strong>und</strong> gehören<br />

zu ihnen.<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>es immer noch vorhandenen Verhältnisses mo<strong>der</strong>ner Architekten zu <strong>Palladio</strong> s<strong>in</strong>d ihre<br />

Besuche palladianischer Bauwerke von den 1980er Jahren bis 2011, die sich <strong>in</strong> ihren künstlerischen<br />

Ergebnissen wi<strong>der</strong>spiegeln. Hier e<strong>in</strong> Aquarell <strong>der</strong> Villa Rotonda von Schulze.<br />

Gert Schulze; Aquarell Villa Almerico „La Rotonda“<br />

Hier das gleiche Motiv auf e<strong>in</strong>em Aquarell von Haslob. (In unserer Ausstellung zeigen wir je fünf<br />

Arbeiten <strong>der</strong> Herren Haslob, Rabien <strong>und</strong> Schulze).<br />

Harm Haslob; Aquarell Villa Almerico „La Rotonda“<br />

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Hier zum Schluss e<strong>in</strong>e Zeichnung <strong>der</strong> Villa Rotonda von Rabien.<br />

Helmut Rabien; Zeichnung Villa Almerico „La Rotonda“<br />

Ke<strong>in</strong>eswegs ist es aber so, dass die drei immer vor <strong>der</strong> Rotonda gesessen haben. Unsere Ausstellung<br />

zeigt durchaus verschiedene <strong>Palladio</strong>-Motive.<br />

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