Über den architektonischen Mehrwert - Bremer Zentrum für Baukultur
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Eberhard Syring: <strong>Über</strong> <strong>den</strong> <strong>architektonischen</strong> <strong>Mehrwert</strong>*<br />
Das <strong>Bremer</strong> <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Baukultur</strong> freut sich, mit der heutigen Eröffnung der Ausstellung „Harm<br />
Haslob – Bauten und Projekte aus 40 Jahren“ an die Reihe von Porträts und Werkbiografien<br />
maßgeblicher <strong>Bremer</strong> Architekten anschließen zu können. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir in <strong>den</strong><br />
letzten Jahren mit Ausstellungen über Carsten Schröck und Gerhard Müller-Menckens zwei <strong>Bremer</strong><br />
Architekten gewürdigt, die bereits aktiv in der Wiederaufbauperiode der Hansestadt in <strong>den</strong><br />
Fünfzigerjahren tätig waren, die also zur ersten Nachkriegsgeneration gehörten. Zwei weitere<br />
werkbiografischen Ausstellungen im b.zb thematisierten die Bauten und Entwürfe von Gert Schulze<br />
und von Horst Rosengart, beides Architekten, die zur zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration<br />
gehörten (je nachdem, wie man das berechnen möchte). Damit meine ich Architekten, die sich in <strong>den</strong><br />
frühen siebziger Jahren selbstständig machten und ab <strong>den</strong> achtziger Jahren zu <strong>den</strong> bekannten und<br />
anerkannten Büros in der Hansestadt und in der Region zählten. Der Anlass <strong>für</strong> diese bei<strong>den</strong><br />
Ausstellungen war jeweils der siebzigste Geburtstag, <strong>den</strong> Gert Schulze 2005 und Horst Rosengart<br />
2006 feierte.<br />
Auch die heute zu eröffnende Ausstellung hat wieder einen siebzigsten Geburtstag zum Anlass<br />
genommen, <strong>den</strong> von Harm Haslob. Und obwohl ein paar Jahre jünger als die genannten Kollegen,<br />
gehört auch er zu der gerade angesprochenen Architektengeneration. Siebzig Jahre, das ist ein Alter,<br />
in dem sich ein kreativer Mensch ja nicht unbedingt zur Ruhe zu setzen ge<strong>den</strong>kt – und ein Harm<br />
Haslob schon gar nicht. Siebzig Jahre, das scheint aber zumindest ein Zeitpunkt, ein Anlass zu sein<br />
zurückzuschauen, <strong>den</strong> zurückgelegten Weg noch einmal zu reflektieren. Ein solcher Rückblick ist nicht<br />
jedermanns Sache. Gerade wenn man mitten im aktuellen Baugeschehen steht, mag man die<br />
Anstrengung scheuen, die damit verbun<strong>den</strong> ist, ins eigene Archiv abzutauchen, Pläne und Fotos zu<br />
suchen und eine Auswahl festzulegen, von Bauten und Projekten, die von heute aus gesehen mehr<br />
oder weniger zeigenswert erscheinen. Der Gang in die eigene Geschichte ist immer auch mit<br />
irritieren<strong>den</strong> Momenten verbun<strong>den</strong>. Wie beim Blättern in alten Fotoalben, die einem bei manchen<br />
Bildern mit einem gewissen Befrem<strong>den</strong> feststellen lassen: „Das also war ich“, kann es einem<br />
Architekten auch mit seinen älteren Bauten gehen: „Das also habe ich gebaut“.<br />
Ich weiß nicht, ob es bei Harm Haslob mehr das Eingespannt-Sein ins Tagesgeschäft war oder jene<br />
angedeutete Selbstdistanz zu <strong>den</strong> alten Sachen – je<strong>den</strong>falls hat er lange gezögert, sich auf das<br />
Vorhaben einer Werkschau einzulassen, als ich ihm schon vor ein paar Jahren einen entsprechen<strong>den</strong><br />
Vorschlag unterbreitet habe. Was ihn schließlich dazu gebracht hat zuzustimmen, wird er uns<br />
vielleicht gleich noch erzählen. Ich möchte nur ein paar Sätze <strong>für</strong> <strong>den</strong> Wert anführen, <strong>den</strong> solche<br />
Projekte, die sich mit der Produktion einzelner Architekten auseinandersetzen, <strong>für</strong> die <strong>Baukultur</strong><br />
allgemein besitzen. Eine gängigen Künstlerauffassung lautet: „Das Werk spricht <strong>für</strong> sich“. Ich möchte<br />
das, zumindest auf die Architektur bezogen, infrage stellen beziehungsweise relativieren. Ein<br />
architektonisches Werk spricht nicht nur <strong>für</strong> sich, sondern es spricht auch zu uns. Und zwar in einer<br />
Art und Weise, die uns zu einer aktiven Teilhabe auffordert, mitunter sogar nötigt.<br />
Architektur ist in einem besonderen Maße in soziale Prozesse eingebun<strong>den</strong>. Das beginnt mit ihrem<br />
extrem öffentlichen Charakter. Gebäu<strong>den</strong> kann man bekanntlich schlecht aus dem Weg gehen, sie<br />
sind Bestandteile unserer Alltagswelt und prägen uns in einem gewissen Maße – sowohl positiv als<br />
auch negativ. Architekten sollten und können sich diesem Faktum gegenüber nicht gleichgültig<br />
verhalten, <strong>den</strong>n ein architektonischer Entwurf enthält in der Regel auch ein Lösungsversprechen <strong>für</strong><br />
eine als problematisch erkannte Situation. Diese Lösungsversprechungen und Konflikthintergründe<br />
1
sind einem Bauwerk nur bedingt anzusehen. Es bedarf der Vermittlung, der Erklärung, der<br />
Diskussion. Eine architektonische Werkschau ist in meinen Augen ein hervorragendes Mittel, diesen<br />
Diskurs herauszufordern, weil das präsentierte Werk sich in der Regel alles andere als homogen<br />
ausnimmt, sondern uns, wenn man es zu lesen versteht, etwas über die Entstehungszeit der<br />
einzelnen Bauwerke vermittelt und über die in sie eingeschrieben Wünsche und Lösungsvorschläge.<br />
Dadurch lässt sich nicht zuletzt das aktuelle Architekturgeschehen ein Stück weit relativieren und in<br />
eine hilfreiche kritische Distanz rücken.<br />
Da ich vermute, dass nicht alle der Anwesen<strong>den</strong> mit dem hier behandelten Werk ganz vertraut sind,<br />
möchte ich im Folgen<strong>den</strong> eine kleine Einführung in die Architekturproduktion geben, die unter dem<br />
Namen Harm Haslob in verschie<strong>den</strong>en Bürokonstellationen entstan<strong>den</strong> ist. Dabei werde ich<br />
versuchen, einzelne Werkphasen im Kontext der allgemeinen <strong>architektonischen</strong> wie<br />
gesellschaftlichen Entwicklungen zu verorten, die es nicht nur begleitet, sondern in vielen Aspekten<br />
auch bedingt haben. Grob gesagt lassen sich die Arbeiten in drei Abschnitte gliedern, die, wie könnte<br />
es anders sein, allgemeine Architekturentwicklungen widerspiegeln.<br />
Doch zunächst sollte die Sprache auf die individuellen Voraussetzungen kommen, die dem Werk<br />
zugrunde liegen. Die architektonische Gestalt besitzt ja immer auch eine biografische Dimension.<br />
Frühe Prägungen spielen dabei ein Rolle, bei Architekten aber in besonderem Maß auch das Studium.<br />
Da sich die Entscheidungen über die Gestalt eines Gebäudes kaum in einem klassisch<br />
wissenschaftlichen Sinn objektivieren lassen, sind in diesem Berufsfeld formale und inhaltliche<br />
Ideale, Wert- und Weltanschauungssysteme und so genannte „Schulen“ notwendig. Ein wichtiger Ort<br />
der Vermittlung solcher Orientierungsmuster sind die Hochschulen, beziehungsweise namhafte<br />
Architekten, die an Hochschulen lehren und bestimmte Ideen und Ideale verkörpern. Das Ergebnis<br />
der latenten Wertediskurse, <strong>den</strong>en sich ein Architekturstu<strong>den</strong>t aussetzen muss, um seine Entwürfe<br />
legitimieren zu können, ist im besten Sinn etwas, was man mit „Haltung“ und „Einstellung“ und<br />
formal mit einer bestimmten „Handschrift“ umschreiben könnte.<br />
Ein in diesem Sinn Einfluss gebender Bezugspunkt war bei Harm Haslob zunächst der Vater. Hermann<br />
Haslob war Architekt und Baudirektor in Bremen-Nord. Er hatte vor dem Krieg in Stuttgart studiert.<br />
Die so genannte Stuttgarter Schule, geprägt durch die Architekten Paul Bonatz und Paul<br />
Schmitthenner, vertrat eine antimodernistische Richtung im Bauen. In Bremen gab es zahlreiche<br />
Adepten dieser traditionalistischen Architekturhaltung. Friedrich Schumacher, Kurt Haering,<br />
Hermann Gildemeister, Hans Storm, Erik Schott, Friedrich Heuer und unter <strong>den</strong> jüngeren Gerhard<br />
Müller-Menckens – alles Architekten, die in Stuttgart ihre Ausbildung gemacht hatten und die in<br />
Bremen am Nachkriegsbaugeschehen maßgeblich beteiligt waren. Der Architekturstreit zwischen<br />
Traditionalisten und Modernisten erreichte in Bremen schließlich um 1960 mit dem Wettbewerb um<br />
das Haus der Bürgerschaft seinen Höhepunkt. Keine Frage, dass<br />
auch Hermann Haslob in diesem Streit auf der Seite der Tradition<br />
stand. Es war wohl weniger dieser architekturideologische<br />
Disput als die kreative Atmosphäre in einem<br />
Architektenhaushalt und das direkte sinnlich ansprechende<br />
Vorbild des schlichten und handwerklich soli<strong>den</strong> Einfamilienhauses,<br />
das der Vater in <strong>den</strong> späten vierziger Jahren <strong>für</strong> die<br />
Familie in St. Magnus gebaute hatte, was bei Harm Haslob schon früh <strong>den</strong> Wunsch geweckt hatte,<br />
auch Architekt zu wer<strong>den</strong>. Da ich kein Foto von diesem Haus habe, zeige ich eines aus der gleichen<br />
Zeit, das aus einer ähnlichen <strong>architektonischen</strong> Haltung heraus entstan<strong>den</strong> sein dürfte.<br />
2
Zum Studium ging Harm Haslob auf Empfehlung des Vater<br />
1963 nach Braunschweig. Als „Braunschweiger Schule“<br />
hatte die dortige Technische Hochschule aufgrund von<br />
Professorennamen wie Friedrich Wilhelm Kraemer, Dieter<br />
Oesterlen und Walter Henn eine große Ausstrahlung als<br />
ein Ort der Vermittlung einer pragmatischen wie<br />
ästhetisch anspruchsvollen Architektur. Während des<br />
Grundstudiums, das Harm Haslob dort verbrachte, bekam<br />
er die genannten Koryphäen allerdings kaum zu Gesicht. In<br />
seiner Erinnerung bleibt der Eindruck eines verschulten<br />
Studiums, in welchem nur zwei Dinge herausstachen: die<br />
Zeichenseminare bei Professor Heinz Röcke und die<br />
Freundschaft mit dem Kommilitonen Peter Hartlich, die<br />
sich im Umkreis dieses Seminars entwickelte, und die <strong>den</strong><br />
weiteren Berufsweg der bei<strong>den</strong> mit bestimmen sollte. Der<br />
Wunsch, sich gemeinsam als Architekten selbstständig zu<br />
machen, entstand schon in Braunschweig. Der weitere Studienweg kann somit auch als Probelauf <strong>für</strong><br />
die spätere Partnerschaft gesehen wer<strong>den</strong>.<br />
Er führt zunächst an die renommierte ETH nach Zürich. Aufgrund formaler Schwierigkeiten, das<br />
Auslandsstudium anerkannt zu bekommen, dauerte der Zürich-Aufenthalt nur zwei Semester. Diese<br />
stellten sich im Nachhinein aber als Höhepunkt der Studienzeit heraus. Vor allem wur<strong>den</strong> die<br />
Studieninhalte hier spannender. Professor Bernhard Hoesli verstand es, architekturgeschichtliche<br />
Untersuchungen eng mit entwurflichen<br />
Fragen zu verknüpfen. In seinen Veranstaltungen<br />
bekamen die bei<strong>den</strong> erstmals<br />
intensiven Kontakt zu <strong>den</strong> Meistern der<br />
klassischen Moderne, vor allem zu Le<br />
Corbusier und Frank Lloyd Wright. Berufspraktische<br />
Erfahrungen konnten zudem in <strong>den</strong><br />
Büros von bekannten Zürcher Architekten<br />
gesammelt wer<strong>den</strong>, Peter Hartlich war bei<br />
Dolf Schnebli, Harm Haslob bei Otto Glaus,<br />
einem erklärten Le Corbusier-Anhänger und<br />
wichtiger Vertreter des Bauens in Sichtbeton<br />
in der Schweiz.<br />
Der Studienabschluss erfolgte dann an der TH Stuttgart. Von der alten „Stuttgarter Schule“ war Ende<br />
der sechziger Jahre nicht mehr viel übrig geblieben. Die Ausbildung in der Schwabenmetropole<br />
zeichnete sich vielmehr durch einen hohen Grad an „Verwissenschaftlichung des Entwerfens“ aus. In<br />
dem Bestreben, objektivierbare Kriterien und rationale Entwurfsverfahren herauszuarbeiten, hatte<br />
man sich dort weit von der klassischen künstlerisch-intuitiven Architekturausbildung entfernt.<br />
Beispielhaft mag da<strong>für</strong> das Institut <strong>für</strong> Hochschulbau und Stadtplanung von Professor Horst Linde<br />
genannt wer<strong>den</strong>. Hier wur<strong>den</strong> rationale Bausysteme entwickelt, die <strong>für</strong> die großen Hochschulbau-<br />
und Schulbauprojekte der späten sechziger und frühen siebziger Jahre einflussreich waren. In diesem<br />
Dunstkreis wurde ein funktionalistischer Pragmatismus vermittelt, dessen gebaute Ergebnisse in<br />
3
weiten Kreisen des Bildungsbürgertums bereits kritisch in Augenschein genommen wur<strong>den</strong>.<br />
Alexander Mitscherlichs Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ mag da<strong>für</strong> beispielhaft stehen.<br />
Gleichwohl setzte sich ein selbstkritischer Blick der Architekten auf das bauliche Erscheinungsbild der<br />
so genannten Spätmoderne erst langsam durch. Ähnliches ist über die 68er-Stu<strong>den</strong>tenbewegung zu<br />
sagen. Sie ist an der TH Stuttgart von <strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>ten Haslob und Hartlich kaum wahrgenommen<br />
wor<strong>den</strong>. Harm Haslob sagt in dem Gespräch, das wir miteinander geführt haben und das Sie im Buch<br />
zu dieser Ausstellung nachlesen können: „Uns mangelte es tatsächlich an kritischer Distanz, als wir<br />
nach dem Studium auf die Menschheit losgelassen wur<strong>den</strong>. Irgendwie hatte man ein<br />
undifferenziertes Verhältnis zu dem, was man machen sollte. Wir kannten uns aus im Schulbau, im<br />
Krankenhausbau, im verdichteten Wohnungsbau. Wir waren fitgemacht <strong>für</strong> Funktionsfragen,<br />
rationale Entwurfsverfahren und Betriebsabläufe. Das war unser Kapital, mit dem wir uns<br />
selbstständig machen wollten.“<br />
Es sind vielleicht zusammengefasst drei wesentliche Momente zu nennen, die sich aus <strong>den</strong><br />
Studienerfahrungen der bei<strong>den</strong> heraus zu zum Fundament einer <strong>architektonischen</strong> Haltung<br />
verdichtet haben. In der Braunschweiger Zeit hat wohl der gekonnte Umgang mit der Skizze als<br />
Analyse- und ein Entwurfsinstrument seinen Ursprung, das Haslob und Hartlich mit <strong>den</strong> Jahren<br />
immer weiter verfeinert haben. Aus Zürich resultierte, könnte ich mir vorstellen, eine unter dem<br />
Einfluss von Hoesli und Glaus gewachsene Vorstellung von einem gewissermaßen überhistorischen<br />
<strong>architektonischen</strong> Qualitätsbegriff. Aus Stuttgart blieben wesentlich die bereits erwähnten<br />
Kenntnisse über Funktionsfragen, rationale Entwurfsverfahren und Betriebsabläufe. Diese Mischung<br />
aus Fertigkeiten, Kenntnissen und Wertsetzungen stellten keine schlechten Voraussetzungen dar, als<br />
sich Harm Haslob und Peter Hartlich 1970 mit einem Büro in einer von Peter Schnorrenberger<br />
umgestalteten Gebäudegruppe in der Schwachhauser Heerstraße selbstständig machten.<br />
Die ersten Projekte waren noch<br />
deutlich vom Geist spätmoderner<br />
Architekturkonzepte bestimmt. So die<br />
städtebauliche Studie, die die bei<strong>den</strong><br />
Architekten zusammen mit Peter<br />
Schnorrenberger <strong>für</strong> <strong>den</strong> Nordostrand<br />
der damals noch aktuellen<br />
Mozarttrasse erarbeiteten. Sie zeigt die<br />
bekannten Facetten der seinerzeit<br />
propagierten hoch verdichteten<br />
Bauweise, von der man sich „Urbanität“ versprach. Acht- bis zehngeschossige terrassierte<br />
Wohnriegel und Bürohochhäuser umfassten einen Hofbereich mit Fußgängerzone auf mehreren<br />
Ebenen. Die bei<strong>den</strong> ersten großen Wettbewerbserfolge, das Gymnasium Wildeshausen und das<br />
Schulzentrum Leeste, entstan<strong>den</strong> noch im Büro an der Schwachhauser Heerstraße. Ihre Realisierung<br />
erfolgte bereits im Rahmen des Büros Zill Haslob Hartlich Schütz. 1971 wur<strong>den</strong> die bei<strong>den</strong> sowie<br />
Dieter Schütz Partner im Büro von Martin Zill, einem der prägen<strong>den</strong> Architekten der<br />
Wiederaufbauphase, der 1976 dann aus Altergrün<strong>den</strong> aus dem Büro ausschied. Neuer Bürostandort<br />
war nun und ist bis heute die Rembertistraße.<br />
Auch die erwähnten Schulbauten sind noch stark von einer spätmodernen Architektursprache<br />
bestimmt. Den Baukörper dominiert eine Horizontalstruktur mit wuchtigen Brüstungsbändern aus<br />
Sichtbeton. Durch seine cluster-artiges Untergliederung nimmt er zwar – wie beim hier gezeigten<br />
4
Beispiel in Leeste – maßstäblich Bezug zur Umgebung, bleibt insgesamt aber durch seine Materialität<br />
und monolithische Einheitlichkeit eher ein Fremdkörper.<br />
Im Laufe der siebziger Jahre verlor dieser harte,<br />
kantige Stil rasch an Bedeutung. Analog zu <strong>den</strong><br />
gesellschaftlichen und ökonomischen<br />
Veränderungen jener Jahre, wie sie vielleicht<br />
am prägnantesten in der Erkenntnis von <strong>den</strong><br />
„Grenzen des Wachstums“ zusammenzufassen<br />
sind, machte sich auch in der Architektur ein<br />
Wandel bemerkbar. Bauliche Großstrukturen<br />
wur<strong>den</strong> rarer. Es gab verschie<strong>den</strong>e Ansätze zu<br />
einer alternativen Architektursprache, die Sie<br />
auch in dem hier präsentierten Werk fin<strong>den</strong><br />
können. So lässt sich beim Schulzentrum<br />
Brinkum eine feingliedrige Oberflächengestaltung<br />
ausmachen, die die Baumasse<br />
optisch leichter wirken lässt. Bei der Sonderschule an der Fritz-Gansberg-Straße in Bremen wecken<br />
Ziegel, Pultdächer und kleinmaßstäbliche Gliederung Anklänge an die regionalistisch geprägte<br />
skandinavische Moderne. Der Erweiterungsbau des Rembertistifts wiederum demonstriert eine<br />
eigenwillige Mischung aus spätmodern rationalistischer Grundrissorganisation im Sägezahnmuster<br />
und einem romantischen Zug bei <strong>den</strong> Details mit Segmentbögen, bauchigen Balkongittern und<br />
biberschwanzgeschmückten Baldachinen.<br />
5
Was sich in <strong>den</strong> siebziger Jahren ankündigte, das Abrücken von einer modernen Formensprache,<br />
erreichte in <strong>den</strong> achtziger Jahren seinen Höhepunkt und wurde bald mit dem Begriff von der<br />
„postmodernen Architektur“ belegt. Der von dem amerikanischen Architekturtheoretiker Charles<br />
Jencks eingeführte Begriff stand <strong>für</strong> einen weltweit zu registrieren<strong>den</strong> Wandel in der<br />
Architektursprache, der sich im Wesentlichen als Antithese zu <strong>den</strong> Spielarten der modernen<br />
Architektur darstellte. War die Moderne sachlich und abstrakt, so setzte die Postmoderne auf<br />
fiktionale und metaphorische Momente, der Geschichtsfeindlichkeit der Moderne setzte die<br />
Postmoderne unbekümmert eklektizistische Momente entgegen, gegen <strong>den</strong> Universalimus eines<br />
„Internationalen Stils“ vertraute die Postmoderne auf <strong>den</strong> Genius Loci. Den stadtzerstörerischen<br />
Momenten moderner Großstrukturen stellte sie schließlich eine „kritische Rekonstruktion“<br />
historischer Stadtstrukturen gegenüber, wie das die Internationale Bauausstellung in Berlin seinerzeit<br />
exemplarisch vorführte.<br />
Dieser allgemeine formalästhetische Trend spiegelt sich deutlich in <strong>den</strong> Bauten des hier betrachteten<br />
Werks bis weit in die neunziger Jahre hinein wider. Ich will das an einigen Beispielen demonstrieren.<br />
So zeigt das Parkhaus Violenstraße in Bremen, wie sich ein eher technisch-funktionales Großbauwerk<br />
mit einer kleinteiligen und differenzierten Fassade in eine historisch geprägte Umgebung einfügen<br />
lässt. Der Rathaus-Neubau in Stuhr kann als der Versuch gesehen wer<strong>den</strong>, in einer gesichtslosen<br />
Stadtrandsituation einen Mittelpunkt zu schaffen. Typologisch und in der Materialwahl lehnt sich<br />
dieses Bauwerk zudem an regionale Vorbilder an, während<br />
mit einigen Palladio-Motiven eine eklektische<br />
Stilkomponente auftaucht.<br />
Mit dem Bau der Berufsschule in Syke gelingt es wiederum,<br />
einer vom Programm her technisch-funktional geprägten<br />
baulichen Großstruktur eine angemessene städtebauliche<br />
Maßstäblichkeit zu geben und innenräumlich eine<br />
angenehme Atmosphäre zu erzeugen. In seiner natürlichen<br />
Materialität erinnert dieses Bauwerk wiederum an<br />
skandinavische Vorbilder.<br />
Die Friedhofskapelle in Stuhr-Moordeich zeigt neben regionalistischen Bezügen in der Art der<br />
Feinstruktur und Detailbehandlung bestimmte Referenzen zu <strong>den</strong> von Haslob und Hartlich damals<br />
6
sehr geschätzten Außenseitern in der zeitgenössischen Architekturentwicklung wie Carlo Scarpa oder<br />
Karljosef Schattner.<br />
Das Wuppesahl-Gebäude auf dem <strong>Bremer</strong> Teerhof ist nicht nur in seiner unmittelbaren<br />
Nachbarschaft ein städtebaulich geschickt eingefügter Solitär. Als „kleine Schwester“ des historischen<br />
Wasserturms stellt er auch großräumige Bezüge in der Flusslandschaft her. Die formale Anspielung<br />
auf <strong>den</strong> prägnanten Bau am Stadtwerder ist mehr als eine postmoderne Zitier-Laune. Sie erinnert<br />
auch an das von Oswald Mathias Ungers seinerzeit formulierte Gestaltungsverfahren einer<br />
Miniaturisierung architektonischer Objekte.<br />
Eine ähnlich exponierte Lage hat das Terramare-Gebäude am Wilhelmshavener Südstrand zu bieten.<br />
Auch bei diesem Bauwerk entdeckt man bildhafte Anspielungen. Der turmartige Kopfbau ließe sich<br />
als Seezeichen oder als Schiffsbrücke interpretieren, der Hauptzugang erfolgt in der Tat über die so<br />
genannte Gangway. Durch seine Materialität (Wittminder Klinker) wer<strong>den</strong> aber auch Referenzen an<br />
<strong>den</strong> norddeutschen Backsteinexpressionismus der zwanziger und dreißiger Jahre erkennbar. Mit der<br />
historischen Strandhalle liegt ein Beispiel dieser Architektursprache gleich vis-a-vis.<br />
Auch das Verwaltungsgebäude des Bauunternehmens H.F. Wiebe in Achim-Uesen zeugt von dem<br />
Ehrgeiz der Architekten Haslob und Hartlich in jenen Jahren, ein Bauwerk metaphorisch zu<br />
überhöhen, beziehungsweise ihm mit einem bildhaften Thema eine eigene I<strong>den</strong>tität zu verleihen.<br />
Dass sich die Interpretation bildhafter Assoziationen bei Gebäu<strong>den</strong> auch gegen die Intentionen ihrer<br />
Schöpfer wen<strong>den</strong> kann, belegt gelegentlich der Volksmund, wenn beispielweise Stubbins<br />
Kongresshalle in Berlin als „Schwangere Auster“ verballhornt wird. Im vorliegen<strong>den</strong> Fall sollten die<br />
gewölbten Dächer an Bahnwaggons erinnern – Wiebe ist im Gleisbau engagiert. Das empfan<strong>den</strong> auch<br />
die Juroren des BDA-Preises Niedersachsen 1994 als „etwas weit hergeholt“. Gleichwohl vergaben sie<br />
<strong>für</strong> die <strong>architektonischen</strong> Qualitäten des Gebäudes eine Anerkennung.<br />
7
Der Erweiterungsbau der Deutschen Gesellschaft zur Rettung<br />
Schiffbrüchiger in Bremen zeigt ein anderes typisches Moment<br />
einer postmodernen Architekturhaltung: die Vorliebe <strong>für</strong> die<br />
einfache, archaisch wirkende Hausform mit Giebeldach, wohl<br />
eine Anspielung an die Ur-Hütten-Diskussion in der<br />
Architekturtheorie des 18. Jahrhunderts, die seinerzeit neu<br />
aufgegriffen wurde. Durch eine Fuge zum seitlichen Vorbau wird<br />
dieser Giebel bewusst schlank gehalten. Erinnerungen an<br />
historische Speicher sollten damit geweckt wer<strong>den</strong>.<br />
Mit dem Bau der Domshofpassage in der zweiten Hälfte der<br />
neunziger Jahre, die im Rahmen des Umbau der Deutschen Bank entstand, fand die postmoderne<br />
Phase in dem hier betrachteten Werk ihren Abschluss. Die Wiederentdeckung der Passage, ein<br />
Bautyp des ausgehen<strong>den</strong> 19. Jahrhunderts, passte hervorragend zum postmodernen Zeitgeist, der<br />
sich ja auch die Erschließung neuer Erlebnisdimension in historischen Stadtzentren zum Ziel gesetzt<br />
hatte. Bereits in <strong>den</strong> frühen neunziger Jahren waren Haslob und Hartlich, zusammen mit Rosengart<br />
und Partner und dem Düsseldorfer Büro Rhode, Kellermann, Wawrowsky, mit dem Bau der<br />
Lloydpassage befasst, die ja streng genommen keine Passage,<br />
sondern eine überbaute Nebenstraße ist. Die Domshofpassage ist<br />
dagegen eine echte. Sie erfüllt städtebaulich in der <strong>Bremer</strong><br />
Innenstadt eine wichtige Funktion in der fußläufigen Erschließung<br />
der zuvor eher vernachlässigten Nordseite des Domshofes. Dieter<br />
Bartetzko, Architekturkritiker des FAZ, lobte an dem Bauwerk, dass<br />
die Architekten „ohne plump nachzuahmen, die zentralen<br />
Glaskuppeln und Wegekreuze der ,Urpassagen‘ in Paris, Mailand,<br />
Rom und Brüssel wiederaufgegriffen“ hätten. Wie dort<br />
konstatierte Bartetzko auch in Bremen eine gelungene Mischung<br />
aus „Opulenz und Orientierung, suggerierte Raumverschwendung<br />
und tatsächliche Raumökonomie“.<br />
Im Laufe der neunziger Jahre vollzog sich in der allgemeinen Architekturentwicklung allmählich ein<br />
Wandel. Die postmoderne Motivfülle erlitt einen gewissen Abnutzungseffekt, die Bildsprache der<br />
postmodernen Architektur drohte mehr und mehr in Beliebigkeit und Banalität abzugleiten. Immer<br />
häufiger tauchten in der zeitgenössischen Architektur wieder Bezüge zur Architektursprache der<br />
Moderne auf. Heinrich Klotz, der Gründungsdirektor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt<br />
führte Ende der neunziger Jahre <strong>den</strong> Begriff „Zweite Moderne“ ein. Andere sprachen von „Neo-<br />
Moderne“ oder von „Reflexiver Moderne“, womit angedeutet wurde, dass man sich jetzt anschickte,<br />
die ästhetischen Stärken der historisch gewor<strong>den</strong>en modernen Architektur wieder zu beleben ohne<br />
ihre offensichtlichen Schwächen, die ja nicht zuletzt die Postmoderne aufgedeckt hatte, zu<br />
wiederholen.<br />
Ähnlich wie in der <strong>Über</strong>gangsphase der siebziger Jahre gab es<br />
auch in <strong>den</strong> späten neunziger Jahren Bauten in dem hier<br />
betrachteten Werk, die zwischen dem alten und dem neuen<br />
Formkonzept changierten. Ein gutes Beispiel stellt da<strong>für</strong> das<br />
1999 fertiggestellte Hauptgebäude <strong>für</strong> die Firma OHB dar.<br />
Modernistisch in seiner Formensprache, steht bei diesem<br />
Gebäude immer noch ein bildhaft- symbolisches Moment im<br />
Vordergrund. „Das gewählte Oval als Eingangsmotiv“, heißt es<br />
in dem Erläuterungstext, „spielt im weitesten Sinne auf die Umlaufbahn eines Satelliten an.“<br />
8
Das Bauwerk, das <strong>den</strong> Paradigmenwechsel von der Postmoderne zur Zweiten Moderne am klarsten<br />
verdeutlicht, ist der Erweiterungsbau der Sparkassenzentrale am Brill in Bremen. Sein Entwurf fiel in<br />
eine Zeit des Wandels auch in der Bürostruktur an der Rembertistraße. 1990 war der Partner Dieter<br />
Schütz aus gesundheitlichen Grün<strong>den</strong> aus dem Büro ausgeschie<strong>den</strong>. Peter Hartlich, seit<br />
Stu<strong>den</strong>tenzeiten kongenialer Partner und Freund von Harm Haslob, verstarb 1998. Ein Jahr zuvor war<br />
mit Jens Kruse ein junger Partner dazugekommen. <strong>Über</strong> die Entwurfsphase beim Wettbewerb <strong>für</strong> die<br />
Sparkasse erzählte mir Harm Haslob, er habe sich vorgenommen: „Wenn ich diesen Wettbewerb<br />
gewinne, höre ich auf.“ Es gibt zwei positive Dinge zu vermel<strong>den</strong>. Erstens: er hat ihn gewonnen;<br />
zweitens: er hat nicht aufgehört. Ein wichtiger Teil dieser Ausstellung fehlte, hätte er sein Vorhaben<br />
wahrgemacht. Nämlich die dritte Phase des hier betrachteten Werks – ich vermeide es bewusst, von<br />
„Spätwerk“ zu sprechen.<br />
Betrachtet man die gläserne Südfassade des Sparkassenerweiterungsbaus mit dem scharf<br />
geschnittenen Flugdach, dann wird der Wandel zur modernistischen Formensprache besonders<br />
deutlich. Anders als manches Gebäude der Nachkriegsmoderne weiß sich dieses aber hervorragend<br />
in seinen städtebaulichen Kontext einzufügen. Aber auch das Innenraumkonzept ist hier<br />
hervorzuheben: Als radiale Erweiterung der historischen Rotunde entstand eine großzügige innere<br />
Plaza, die <strong>den</strong> öffentlichen Raum der Stadt gewissermaßen in das Gebäude hinein verlängert.<br />
Ich weiß nicht genau, ob es ein allgemeines<br />
Charakteristikum der Zweiten Moderne ist oder<br />
ein Spezifikum der jüngeren Produktion aus der<br />
Architekturwerkstatt von Harm Haslob –<br />
je<strong>den</strong>falls fällt auf, dass die Bauten und Projekte,<br />
die ich noch beschreiben werde, alle etwas<br />
gemeinsam haben: Ein ausgeprägtes Wechselspiel<br />
zwischen Innen und Außen. Im Gegensatz zu <strong>den</strong> Bauten der postmodernen Phase, die vor<br />
allem als Objekte im Raum wirkten, ist nun eine intensivere Beziehung zwischen Gebäudeinnerem<br />
und Umgebung festzustellen. Das gilt auch <strong>für</strong> <strong>den</strong> Wettbewerbsentwurf <strong>für</strong> das Ozeaneum in<br />
Stralsund. Ein öffentlicher Weg als kurze Verbindung zwischen Stadtkern und Hafen sollte hier die<br />
Bauanlage durchdringen. Die organisch geschwungene Formensprache kann als formales Experiment<br />
9
im hier betrachten Werk gewertet wer<strong>den</strong>. Interessant ist allerdings, dass die Wettbewerbssieger,<br />
Behnisch Architekten, ein ähnliches Architekturkonzept verfolgten, das inzwischen realisiert wurde.<br />
Das Jugendfreizeitheim in Brinkum auf dem Gelände des in<br />
<strong>den</strong> siebziger Jahren ebenfalls von dem Büro gebauten<br />
Schulzentrums zeigt die typische Merkmale jener<br />
zahlreichen Bauten <strong>für</strong> soziale Zwecke, die das Büro immer<br />
wieder verwirklichen konnte: Sie erscheinen unprätentiös,<br />
robust und funktional. Doch sind sie immer auch mehr als<br />
nur funktional. Bei diesem Beispiel ist es wieder das Spiel<br />
mit Raumbegrenzung und Raumöffnung, aber auch der<br />
Umgang mit Materialstrukturen und Farben, mit<br />
Wandscheiben und einer weit auskragen<strong>den</strong> Dachscheibe,<br />
in der ein Ausschnitt <strong>den</strong> Blick auf die Wolken eröffnet.<br />
Ähnliches lässt sich über Haus 21 der Pflegeklinik<br />
Friedehorst in Bremen-Nord sagen: Viel Transparenz in <strong>den</strong><br />
halböffentlichen Bereiche im Innern, ein lichter Eingang, ein<br />
wohl gestalteter Vorplatz – alles einfache, aber<br />
wirkungsvolle Mittel, um einen geschlossenen<br />
Heimcharakter nicht aufkommen zu lassen. Die nach rechts<br />
und links verspringen<strong>den</strong> angeschrägten Laibungen<br />
verleihen dem einfachen Fassa<strong>den</strong>raster einen fast<br />
heiteren Akzent.<br />
In <strong>den</strong> Jahren 2005 bis 2007 überraschte das Büro mit einer<br />
Reihe von Wettbewerbserfolgen gegen starke nationale, teils auch internationale Konkurrenz. Beim<br />
offenen Kunsthallenwettbewerb in Bremen waren Haslob und Kruse das einzige lokale Büro, das <strong>den</strong><br />
Sprung in die letzte Runde geschafft hatte. Bei drei anderen Wettbewerben – es ging um einen<br />
Hotelneubau auf dem Bre<strong>den</strong>platz, um die Bebauung des letzten großen Grundstücks auf dem<br />
Teerhof <strong>für</strong> die Beluga-Reederei sowie um die Schaubox, dem Erweiterungsbau des Science Centers<br />
Universum – gewann das Büro jeweils <strong>den</strong> ersten Preis und konnte diese attraktiven Bauaufgaben<br />
realisieren.<br />
10<br />
Mit der Schaubox setzten die Architekten<br />
einen bewussten Kontrast zu dem<br />
ikonischen Hauptgebäude, dem silbern<br />
glänzen<strong>den</strong> „Wal“ von Thomas Klumpp. Der<br />
geschlossene, nur durch zwei über Eck<br />
geführte Fensterbänder gegliederte<br />
Quader, ist komplett mit rautenförmigen<br />
Cortenstahl-Tafeln verkleidet. Blob und<br />
Box, zwei zentrale Themen der jüngeren<br />
Architektur, wer<strong>den</strong> hier zu einem<br />
spannen<strong>den</strong> Ensemble gefügt.
Das <strong>für</strong> die Beluga-Reederei entworfene Gebäude auf dem Teerhof hat sich schon bald nach<br />
Fertigstellung als markanter, aber auch irgendwie selbstverständlich wirkender Baukörper in die<br />
<strong>Bremer</strong> Wesersilhouette eingefügt. Das er eigentlich etwas zu groß <strong>für</strong> diesen Ort ist, wird durch die<br />
Eleganz seiner äußeren Hülle und durch seine schnittige Kontur, die dem Bau fast schwebend wirken<br />
lässt, kunstvoll überspielt.<br />
Eine geräumige halböffentliche Zone setzt im Inneren mit gewun<strong>den</strong>en Treppen und Brücken<br />
überraschende Akzente und sorgt <strong>für</strong> spannende Raumerlebnisse. <strong>Über</strong>raschend ebenfalls, dass<br />
weder die skulpturalen Treppen noch das Fassa<strong>den</strong>material ursprünglich von <strong>den</strong> Architekten so<br />
geplant wor<strong>den</strong> waren. Erst ein konstruktiver Dialog mit dem Bauherrn hat zu diesen besonderen<br />
Merkmalen geführt, die dem Gesamtwerk gut zu Gesicht stehen. Ob von fern oder in Nahsicht, ob<br />
oben oder unten, innen oder außen – das Gebäude bietet vielfältigste Raumeindrücke und steht<br />
exemplarisch <strong>für</strong> die von mir angesprochene Dimension der Verknüpfung von innen und außen, wie<br />
wir sie in <strong>den</strong> meisten Bauten der jüngeren Werkphase des Büros fin<strong>den</strong>.<br />
Zum Schluss meines Werküberblicks will ich zwei Projekte vorstellen, die noch nicht gebaut sind. Das<br />
erste, der Haus <strong>für</strong> die Arbeitnehmerkammer <strong>Bremer</strong>haven, wird demnächst realisiert wer<strong>den</strong>. Er ist<br />
Teil einer Reihe quer zum Becken des Neuen Hafens stehender Zeilen. Mit zwei abgefasten Ecken<br />
nimmt das Gebäude ein Motiv der Spätmoderne auf, verwendet es aber auf ganz neue Weise. <strong>Über</strong><br />
die bei<strong>den</strong> Schrägen wird nämlich jeweils ein attraktiver Ausblick in Szene gesetzt: zum einen zur<br />
<strong>Bremer</strong>havener Stadtmitte, zu anderen zum Neuen Hafen und zum Leuchtturm. Diesem Konzept<br />
entsprechend sind auch die Räume <strong>für</strong> <strong>den</strong> Publikumsverkehr in ihrer Höhe sehr großzügig gehalten:<br />
Ein weiteres Beispiel <strong>für</strong> das Konzept einer komplexen Beziehung zwischen Innen- und Außenraum.<br />
Beim Wettbewerb <strong>für</strong> eine Bürohausensemble am Stephanibollwerk in der Nähe der <strong>Bremer</strong><br />
Wesertowers errang Haslob Kruse + Partner 2011 einen ersten Preis. Für die Ausführung wurde aber<br />
der Entwurf eines Konkurrenten vorgezogen. Auch diesem Entwurf vom Büro Haslob ist die Absicht<br />
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eingeschrieben, dass sich privater Nutzer und Öffentlichkeit <strong>den</strong> neu gestalteten Raum in einem<br />
gewissen Maße teilen, wie das schon beim Beluga-Gebäude und bei der Angestelltenkammer<br />
intendiert war. Jede Architektur enthält ein Versprechen, hatte ich eingangs gesagt. Die Idee eines<br />
„inklusiven Raums“ („Inklusion“ und „Shared Space“ sind ja auch in anderen Lebensbereichen heute<br />
wichtige Stichworte) scheint in der jüngeren Produktion des hier ausgebreiteten Werks ein zentrales<br />
Motiv zu sein.<br />
Nachdem wir nun einen <strong>Über</strong>blick über das Schaffen der Architekten Harm Haslob und seiner Partner<br />
und Mitarbeiter erhalten haben, möchte ich mit einem kleinen Resümee abschließen. Wie in dieser<br />
Abbildung auf Zwanzig-Jahre-Schritte komprimiert, wer<strong>den</strong> noch einmal die drei Phasen seines<br />
Werkes anschaulich: die spätmoderne, postmoderne und neomoderne – wenn man das auf solche<br />
vereinfachen<strong>den</strong> Begriffe reduzieren darf. Das sind keine ausschließlich individuellen<br />
Entwicklungsphasen, sondern immer auch Stichworte <strong>für</strong> allgemeine Trends, <strong>den</strong>en sich ein<br />
erfolgreich operierendes Architekturbüro kaum entziehen kann. Für uns macht der zeitbedingte<br />
Charakter der Architektur Stadt erst lesbar als Ort eines permanenten Wandlungsprozesses. Um<br />
diesen Ort zu verstehen, muss man die Intentionen und Lösungsangebote, die sich in steinerne<br />
Substanz niedergeschlagen haben, mit ins Kalkül ziehen.<br />
Die spätmoderne Architektur lebte von der Idee eines rational durchfunktionalisierten Gebäudes.<br />
Das Haus wurde gewissermaßen als eine Maschine aufgefasst. Von Le Corbusiers „Wohnmaschinen“<br />
bis Renzo Pianos und Richard Rogers „Kulturmaschine“ des Centre Pompidou ist das Bild der<br />
Maschine dabei durchaus positiv besetzt. In der Postmoderne zog sich dagegen die Idee des Haus<br />
wieder gewissermaßen auf sich selbst zurück, suchte sich in historischen Mustern und Typologien<br />
Anregungen und Orientierungen. Die Metapher von der „Urhütte“ hatte ich angesprochen. Einer<br />
solch übertrieben retrospektiven Sicht hat sich Architektur heute weitgehend entzogen. Dass es da<br />
einen nicht unbedeuten<strong>den</strong> Gegentrend gibt, will ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Die Zweite<br />
Moderne, zu der ich auch die jüngste Produktion des hier gezeigten Werks zähle, steht wieder <strong>für</strong> ein<br />
deutliches Bekenntnis zu Gegenwart und Zukunft. Formal auf einen Begriff gebracht würde ich – in<br />
Anschluss an die Idee der Maschine <strong>für</strong> die Spätmoderne und die Idee des Hauses in der<br />
Postmoderne – hier von der Idee des Gebäudes als einer Skulptur sprechen.<br />
Wie dem auch sei. Mit Blick auf die Bauten aus der Werkstatt von Harm Haslob lässt sich sagen, dass<br />
sie immer ganz gut auf der Höhe ihrer Zeit waren. Das allein macht aber noch lange das aus, was man<br />
als architektonische Qualität, als <strong>den</strong> <strong>Mehrwert</strong> der Architektur bezeichnen würde. Auch davon hat<br />
das haslobsche Werk zweifellos eine Menge zu bieten. Doch woran genau lässt sich architektonische<br />
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Qualität festmachen? Architektur ist mehr als eine Maschine, das war die Erkenntnis der<br />
Postmoderne. Architektur ist mehr als ein gebautes Bild, das war die Erkenntnis der Zweiten<br />
Moderne. Architektur ist mehr als ein skulpturales Objekt im Stadtraum, das ist eine aktuelle<br />
Erkenntnis. „Gute Architektur ist, wenn der Kunde zufrie<strong>den</strong> ist“, hat mir Harm Haslob, Norman<br />
Foster zitierend, gesagt. Auch das, darüber sind wir uns einig gewor<strong>den</strong>, ist nur ein Teil der Wahrheit.<br />
Gute Architektur, bzw. der architektonische <strong>Mehrwert</strong> verfestigt sich offensichtlich in <strong>den</strong> besten<br />
Fällen in einer komplexen Synthese aus gesellschaftlicher Bedarfserfüllung und ästhetischem<br />
Eigensinn. Ich möchte mich hier mit Lobhudeleien zurückhalten. Harm Haslob kennt deren<br />
Doppelbödigkeit. Nur eines sollte gesagt wer<strong>den</strong>: An dieser erwähnten komplexen Synthese arbeitet<br />
Harm Haslob nun seit mehr als 40 Jahren.<br />
*) Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Harm Haslob - Bauten und Projekte aus 40 Jahren“ am 23. 2.<br />
2012 im Roten Salon, Speicher XI, 28217 Bremen<br />
Abbildungen<br />
Seite 2 Rudi Richter, Haus Pott, 1949 (Foto: b.zb-Archiv)<br />
Seite 3 o. Harm Haslob und Peter Hartlich 1966 in Laibach (Katalog)<br />
Seite 3 u. Entwurfsübung bei Bernhard Hoesli (in Rowe, Slutzky, Hoesli: Transparenz, Birkhäuser-Verlag 1989)<br />
Seite 4 Schaubild Studie Auf <strong>den</strong> Häfen (Abb.: Weser-Kurier 27. 6. 1970)<br />
Seite 5 o. Schulzentrum in Leeste (Katalog)<br />
Seite 5 u. Erweiterungsbau Rembertistift (Foto: b.zb-Archiv)<br />
Seite 6 o.l. Parkhaus Violenstraße (Katalog)<br />
Seite 6 o.r. Rathaus Stuhr (Katalog)<br />
Seite 6 u. Berufsschule in Syke (Katalog)<br />
Seite 7 o.l. Friedhofskapelle in Stuhr-Moordeich (Foto: Maline Rieffers)<br />
Seite 7 o.r. Wuppesahl-Gebäude (rechts) (Katalog)<br />
Seite 7 u.l. Terramare-Gebäude (Katalog)<br />
Seite 7 u.r. Verwaltungsgebäude Wiebe (Katalog)<br />
Seite 8 o. Erweiterungsbau DGzRS (rechts) (Katalog)<br />
Seite 8 m. Domshofpassage (Katalog)<br />
Seite 8 u. Verwaltungsgebäude OHB (Katalog)<br />
Seite 9 o. Erweiterungsbau der Sparkasse, Südfassade und Halle (Katalog)<br />
Seite 9 u. Wettbewerb Ozeaneum in Stralsund (Katalog)<br />
Seite 10 o. Jugendfreizeitheim Brinkum (Katalog)<br />
Seite 10 m. Haus 21 Pflegeklinik Friedehorst (Katalog)<br />
Seite 10 u. Universum Schaubox (Katalog)<br />
Seite 11 o. Beluga-Gebäude, Südfassade und Foyer (Katalog)<br />
Seite 11 u.l. Arbeitnehmerkammer <strong>Bremer</strong>haven (Katalog)<br />
Seite 11 u.r. Bürohausensemble am Stephanibollwerk (Katalog)<br />
Seite 12 l. Schulzentrum in Leeste (Katalog)<br />
Seite 12 m. . Wuppesahl-Gebäude (Katalog)<br />
Seite 12 r. Beluga-Gebäude (Foto. Jenia Dück)<br />
Katalog: Harm Haslob – Bauten und Projekte aus 40 Jahren, Schriftenreihe des <strong>Bremer</strong> <strong>Zentrum</strong>s <strong>für</strong> <strong>Baukultur</strong>,<br />
Band 15, Bremen 2012, 30 Euro, ISBN978-3-938795-37-8<br />
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