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Weiße Schönheiten 96 Westphal Architekten, Bremen Die Schweiz ...

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Editorial 8<br />

Uwe A. Nullmeyer, Eberhard Syring<br />

AllES gAnz EInfACH UnD KomplIzIERT! 11<br />

Geschichte(n) zum Wohnen seit 1900 – in <strong>Bremen</strong> und anderswo<br />

PROLOG: Vom Wohnen erzählen –<br />

über IKEA-Werbung und andere Weisheiten 11<br />

Dirk Meyhöfer<br />

Ein ungewöhnlicher Wettbewerb und seine Folgen 30<br />

Dirk Meyhöfer im Gespräch mit Peter Stubbe und Martin Paßlack über<br />

Architekturwettbewerbe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

der GEWOBA<br />

Nicht mehr weiter wohnen wie gewohnt? 35<br />

Franz-Josef Höing im Gespräch mit Dirk Meyhöfer im Frühjahr 2012<br />

UngEWÖHnlICH WoHnEn! 40<br />

Fünf erste Preise eines richtungsweisenden<br />

<strong>Architekten</strong>wettbewerbs aus <strong>Bremen</strong><br />

Hybrid, einfach und dennoch überraschend bauen! 42<br />

Arno Brandlhuber, Berlin<br />

Tarzan und Jane in der Bremer Vorstadt 50<br />

Spengler/Wiescholek, Hamburg<br />

Es lebe der kleine Unterschied: <strong>Bremen</strong> Übereck 56<br />

BARarchitekten, Berlin<br />

Auffrischung, Innovation und Erweiterung 62<br />

Finn Geipel und Giulia Andi, Berlin<br />

Ein Atriumhaus ganz besonderer Art 68<br />

Atelier Kempe Thill, Rotterdam<br />

Am WASSER, In DER STADT 74<br />

Komfortabler Geschosswohnungsbau<br />

in der äußeren Überseestadt und anderswo<br />

Altengerecht? Ready? Nachhaltig? Einfach nur gut! 76<br />

Fink+Jocher, München<br />

Das schwarze Schaf und andere Überraschungen 82<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

Wohnen wie zu Bauhauszeiten – aber besser! 86<br />

Laura Jahnke, Hamburg<br />

STADTWERDER I 90<br />

Eine große Chance für <strong>Bremen</strong>: wohnen zwischen den Flüssen<br />

Maßgeschneidert ist langweilig 92<br />

Meck <strong>Architekten</strong>, München<br />

<strong>Weiße</strong> <strong>Schönheiten</strong> <strong>96</strong><br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong>, <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Schweiz</strong> auf dem Stadtwerder 100<br />

Buchner Bründler <strong>Architekten</strong>, Basel<br />

Hyggelig und ein bisschen mehr 104<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

Stadtwerder: auf den Spuren alter Vorbilder 110<br />

Haslob Kruse + Partner, <strong>Bremen</strong><br />

Gute Mischung: kleine Wohnungen, Wohngemeinschaft und eine Kita 114<br />

Wacker Zeiger, Hamburg<br />

STADTWERDER II 118<br />

Aus der Reihe tanzen – hier und anderswo<br />

Noch einmal hyggelig: Gartenschränke und andere Besonderheiten 120<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

Aus Einfamilienhäusern Stadt bauen 126<br />

zweimeterzehn, <strong>Bremen</strong><br />

Traditionelles Material neu interpretiert 130<br />

Theis Janssen, Katja-Annika Pahl, <strong>Bremen</strong><br />

Auf den Spuren des Südens 134<br />

Rainer Schürmann, <strong>Bremen</strong><br />

Bremer Haus reloaded 138<br />

FSB, <strong>Bremen</strong><br />

HYBRIDE ARCHITEKTUR 144<br />

Wohnen, Arbeiten und mehr – wie wollen wir morgen leben?<br />

Quartier der Netzwerke: das neue Abbentorswallquartier 146<br />

Bolles+Wilson, Münster<br />

Metamorphose eines Hafenschuppens 150<br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong>, <strong>Bremen</strong><br />

Wohnen und Service in einem Haus: Projekt Arberger Straße 154<br />

Hilmes Lamprecht, <strong>Bremen</strong><br />

Das Haus im Viertel: Wohnen im Alter 158<br />

Haslob Kruse + Partner, <strong>Bremen</strong><br />

Wohnraum in der Innenstadt: das Beispiel Contrescarpe 162<br />

Lars Wittorf Architekt, Hamburg<br />

Anhang 166


Editorial<br />

<strong>Bremen</strong> gilt als „wohnliche Stadt“. Der Grund dafür mag in dem urbanen<br />

Flair seiner Wohnviertel mit der typischen Bremer-Haus-Bebauung aus dem späten<br />

19. und frühen 20. Jahrhundert liegen, die den Kern der Stadt umringen. Hier<br />

leben gut situierte Bürger ebenso wie Arbeiter und Studenten. <strong>Die</strong> Wege ins Zentrum,<br />

zu den Arbeits- und Ausbildungsstätten, zu den Orten der Kultur und Freizeit<br />

sind meist nicht weit. Sogar das Grün, der Landschaftsraum, zieht sich über<br />

Bürgerpark und Stadtwerder bis ans Zentrum heran. Ein Grün, das auch für die<br />

Vor- und Hausgärten der Bremer Häuser charakteristisch ist. So gesehen kommt<br />

die Hansestadt dem heutigen städtebaulichen Ideal einer „kompakten Stadt“ mit<br />

hoher Lebensqualität ziemlich nahe.<br />

Doch es gibt auch ein anderes Bild <strong>Bremen</strong>s. Aufgrund seiner topografischen<br />

Gegebenheiten zeigt die Stadt Anklänge an eine Bandstadt. Von Mahndorf<br />

im Südosten bis Farge im Nordwesten erstreckt sich <strong>Bremen</strong> rund 40 Kilometer<br />

die Weser entlang. Eine quer dazu verlaufende Siedlungsachse misst zwischen<br />

Borgfeld und Huchting immerhin auch fast 20 Kilometer. Um historisch<br />

gewachsene Ortskerne herum haben sich hier außerhalb des innenstädtischen<br />

Nahbereichs relativ starke Stadtteile von eigener Identität und mit eigenen Wohnqualitäten<br />

herausgebildet. In diesen Außenbezirken liegen überwiegend die Stadterweiterungsgebiete<br />

der 1950er bis 1970er Jahre, vor allem im Osten mit dem<br />

neuen Siedlungsband von der Gartenstadt Vahr bis nach Tenever und im Süden<br />

– als Gegenpole einer neuen Stadtbahntrasse – mit Huchting und Kattenturm.<br />

<strong>Die</strong>se Quartiere haben <strong>Bremen</strong> den durchaus positiv gemeinten Ruf einer<br />

„Stadt des sozialen Wohnungsbaus“ eingebracht. Es galt, in einer schwierigen<br />

Zeit einen dringenden Bedarf an Wohnungen, zudem modernen Wohnungen,<br />

in der durch Kriegszerstörung und rasantes Bevölkerungswachstum geprägten<br />

Stadt zu erfüllen. Dazu diente vor allem das 1956 von der Bürgerschaft verabschiedete<br />

„Gesetz zur Behebung der Wohnungsnot im Lande <strong>Bremen</strong>“. Hiermit<br />

verpflichtete sich das Land <strong>Bremen</strong>, den „Wohnungsbau durch staatliche Maßnahmen<br />

so zu fördern, dass innerhalb von vier Jahren jährlich 10.000 Wohnungen<br />

(8000 in <strong>Bremen</strong> und 2000 in Bremerhaven) errichtet werden“. <strong>Die</strong>se Hochphase<br />

des sozialen Wohnungsbaus in <strong>Bremen</strong> nahm 1976 mit dem Baustopp in Tenever<br />

ein wenig rühmliches Ende. <strong>Die</strong> späten 1970er und die 1980er Jahre brachten<br />

eine Abkehr von den städtebaulichen Leitbildern der Nachkriegsmoderne, sei es<br />

die „funktionsgetrennte“ Stadt, die „aufgelockerte“ Siedlungsform oder die „hochverdichtete“<br />

Wohnanlage. Statt auf „Stadterweiterung“ setzte man nun auf die<br />

„Nachverdichtung“ älterer und jüngerer Stadtteile.<br />

<strong>Die</strong>ser Trend hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Dabei spielen innenstadtnahe<br />

Konversionsgebiete eine besondere Rolle. <strong>Die</strong> Überseestadt und das<br />

Gelände um den historischen Wasserturm auf dem Stadtwerder nehmen in dieser<br />

Hinsicht in <strong>Bremen</strong> eine Art Schlüsselrolle ein. Noch verläuft die Entwicklung des<br />

Wohnungsbaus in den genannten Gebieten zu einseitig in Richtung eines hochpreisigen<br />

Marktsegmentes. Der sich gegenwärtig vollziehende gesellschaftliche<br />

Wandel wird aber in starkem Maß den Bedarf erzeugen, ein auch für kleinere<br />

Einkommen bezahlbares Wohnen in zentralen Lagen zu ermöglichen. Dem mehr<br />

als drei Jahrzehnte währenden Dornröschenschlaf des sozial verantwortlichen<br />

Wohnungsbaus sollte ein Ende gesetzt werden. <strong>Bremen</strong> ist eine Stadt, die et-<br />

8 9 EDiTORiAL<br />

was auf Traditionen hält. Wenn man Tradition nicht als unreflektiertes Beharren<br />

missversteht, sondern als etwas, das Identität stiftet und Orientierung auch bei<br />

innovativen Ansprüchen gewährleistet, dann muss man sich fragen: Warum sollte<br />

nicht einer Tradition der wohnlichen Stadt auch eine Tradition des sozialen Wohnungsbaus<br />

gleichgestellt sein?<br />

<strong>Bremen</strong> ist aber auch eine Stadt, in welcher das bürgerliche Engagement<br />

in Fragen der Stadtentwicklung und Architektur traditionell eine wichtige Rolle gespielt<br />

hat und immer noch spielt. Ein Beispiel dafür ist die Aufbaugemeinschaft<br />

<strong>Bremen</strong>, die vor zwei Jahren ihr 65-jähriges Bestehen feiern konnte. Gegründet<br />

wurde sie 1945 als Wiederaufbaugemeinschaft Sögestraße. Angestoßen von dem<br />

Kaufmann Gerhard Iversen, der dem Verein bis zu seinem Tod 1982 vorstand,<br />

kümmerte sich die Aufbaugemeinschaft um den Wiederaufbau des stark zerstörten<br />

<strong>Bremen</strong>s, bald schon um allgemeine städtebauliche Belange. Nicht selten<br />

bildete sie einen Gegenpol, verstanden als kritisches Korrektiv, zur Baupolitik des<br />

Senats. Durch ihre traditionell enge Bindung zur Kaufmannschaft der Stadt lag<br />

und liegt ihr insbesondere die Entwicklung der Innenstadt am Herzen. Aber auch<br />

andere Themen wie die Umwelt-, Verkehrs- und Gewerbeflächenpolitik oder, in<br />

jüngerer Zeit, der Denkmalschutz, die Entwicklungen in der Airportstadt und in der<br />

Überseestadt sowie der Blick auf das zukünftige <strong>Bremen</strong> haben den gemeinnützigen<br />

Verein bewegt, sodass man die Worte von <strong>Bremen</strong>s Altbürgermeister Hans<br />

Koschnick nur unterstreichen kann: „<strong>Die</strong> Aufbaugemeinschaft ist etwas geblieben,<br />

was lebendig ist.“<br />

Weniger lang als die Aufbaugemeinschaft agiert das Bremer Zentrum für<br />

Baukultur (b.zb) auf der baukulturellen Bühne <strong>Bremen</strong>s. Der 2003 gegründete<br />

Verein, der im Speicher XI in der Überseestadt residiert hat, hat sich als Schwerpunkt<br />

die Vermittlung von Fragen des Bauens und des städtischen Raumes in<br />

seiner ganzen Breite und Themenvielfalt, aber mit lokalem Fokus, gesetzt und<br />

versucht damit, auch bei Laien Interesse an Baukultur zu wecken und Wege der<br />

Mitgestaltung aufzuzeigen sowie die oft konträren Positionen der unterschiedlichen<br />

Akteure kritisch-konstruktiv zusammenzubringen. So etwa beim Bremer<br />

Stadtdialog, der seit 2005 sechs- bis achtmal jährlich aktuelle Fragen der bremischen<br />

Stadtentwicklung thematisiert. Darüber hinaus hat sich das b.zb als zweiten<br />

Schwerpunkt die wissenschaftliche Aufarbeitung der jüngeren lokalen Baugeschichte<br />

gesetzt. Gemäß der Erkenntnis, dass sich in der Auseinandersetzung<br />

mit der Vergangenheit in einem nicht geringen Maße auch Lösungsmuster für die<br />

Fragen der Gegenwart finden lassen, ist diese Geschichtsarbeit des b.zb immer<br />

mit dem Blick auf das Heute verbunden. Man muss die Stadt nicht neu erfinden<br />

und den Wohnungsbau ebensowenig – man muss sie nur den gegenwärtigen<br />

Bedürfnissen und Anforderungen gemäß modifizieren. <strong>Die</strong> Bauten, Projekte und<br />

Textbeiträge dieses Buches sind in dem hier angedeuteten Sinn eines Weiterdenkens<br />

der Stadt und des Wohnens zu verstehen.<br />

Uwe A. Nullmeyer (Vorstandsvorsitzender der Aufbaugemeinschaft <strong>Bremen</strong> e. V.),<br />

Eberhard Syring (Wissenschaftlicher Leiter des Bremer Zentrums für Baukultur)


„Wenn einer keine Wohnung<br />

mehr hat, dann ist es aus. Du<br />

bist dann gar nicht mehr da,<br />

wenn du nicht wohnst!“<br />

Ungenannter Gast im<br />

Herz As in Hamburg<br />

Wohnstadt <strong>Bremen</strong> – dort wo<br />

sie sich am nächsten steht:<br />

Reihe aus historischen Bremer<br />

Bürgerhäusern, die sich<br />

bestens zum Wohnen, Arbeiten<br />

und vielem mehr eignen.<br />

Seiten 6/7: Neu und alt auf<br />

dem Stadtwerder<br />

AllES gAnz EInfACH<br />

UnD KomplIzIERT!<br />

Geschichte(n) zum Wohnen seit 1900 –<br />

in <strong>Bremen</strong> und anderswo<br />

Dirk Meyhöfer<br />

10 11 ALLES GANZ EiNFACH UND KOMPLiZiERT!<br />

pRolog: Vom Wohnen erzählen –<br />

über IKEA-Werbung und andere Weisheiten<br />

Ein Einstieg wird gesucht in ein Thema, zu dem jeder etwas zu sagen hat:<br />

Wohnen lässt es sich überall. Nichts ist einfacher als wohnen. Wohnen muss man<br />

nicht lernen, das kann man einfach.<br />

Also weiter wohnen wie gewohnt? Oder nicht? Oder kommt es gar nicht<br />

darauf an: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ 1 Fragen, die schwerlich so<br />

einfach zu beantworten sind. Eine Tatsache zählt aber dann doch:<br />

Wohnen muss jeder, der sesshaft werden will. Das wollen die meisten, auch wenn<br />

ganz tief im inneren die große Sehnsucht nach dem Nomadentum auch im 21.<br />

Jahrhundert noch nicht ganz abgehakt ist und bisweilen als Kreuzfahrtreise oder<br />

mit der Beschaffung riesiger Wohnmobile an die Oberfläche tritt. „Was braucht<br />

der Mensch zum Wohnen?“ fragte sich 1980 der Architekturkritiker und Feuilletonist<br />

Manfred Sack zum Schluss des Vorwortes seiner damals sensationellen<br />

gesellschaftlichen Momentaufnahme Das deutsche Wohnzimmer 2 , die zusammen<br />

mit der sozialkritischen Fotografin Herlinde Koelbl entstanden war – ein bunter<br />

Bilderbogen aus Schwarzweißfotos deutscher Wohnlandschaften und damit<br />

indirekt ein Seelenspiegel der Deutschen. Seine Antwort: „Er braucht, so sagen<br />

wir nun, vor allem Gelassenheit und Selbstvertrauen, um nicht immer nach dem<br />

angeblichen Besseren zu schielen. Er braucht Futter für sein Gemüt, die Lust,<br />

sich in seinen vier Wänden zu bewegen, sich auch darin darzustellen, in Maßen<br />

stolz zu sein, vor allem braucht er Vernunft und sehr viel Phantasie und etwas von<br />

dem, was man Bildung nennt. Und eine Wohnung, die groß genug ist und einen<br />

Grundriss hat, der sich Deutungen gefallen lässt.“<br />

Eine Frage, die sich zwingend daraus ergibt, ist, wann eine Wohnung groß<br />

genug sei, die auch noch bezahlbar ist? Und wenn man sie sich nicht als Neubau<br />

bestellen darf, wo findet man sie und wer hat sie bereits so gebaut, dass es<br />

passt? <strong>Architekten</strong> und Planer, Projektentwickler, Baufirmen und andere – bitte<br />

übernehmen Sie!


aulichen und stadträumlichen Qualitäten wichtig. Wilfried Turk schrieb 1980: „Es<br />

geht um die Kontinuität öffentlichen Raumes, die Wiedergewinnung von Straßen<br />

und die Entwicklung neuer sozialer Raumcharaktere, die die Übergangszone von<br />

Öffentlichkeit zu Privatheit neu definiert und entsprechend gestaltet.“ 19 Auf die<br />

heutige Zeit übertragen: Das Alt-Bremer Haus erlaubt eine Dichte und Komplexität,<br />

die die Renaissance einer emotionalen, vitalen Stadt ermöglicht.<br />

Zusammengefasst überzeugt, wie das Bremer Haus Paradigmenwechsel<br />

und Kriege überstanden hat, wie es dann als Leuchtturm städtischer Wohnzufriedenheiten<br />

wiederentdeckt wurde und immer wieder Planer- und <strong>Architekten</strong>köpfe<br />

inspiriert und angespornt hat – wie durchgängig in diesem Buch zu sehen und zu<br />

lesen ist.<br />

zWISCHEn DEn KRIEgEn: hohe zeit für den<br />

Wohnungsbau<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Inflation, mit dem Wiederaufstieg der<br />

Wirtschaft in der Weimarer Republik und so auch in der Hafenstadt <strong>Bremen</strong><br />

gewinnt vor allem der Arbeiter- und, wie es später heißt, Kleinstwohnungsbau<br />

an Bedeutung; zunächst als Grundversorgung in einem schier aussichtslosen<br />

Kampf gegen die Wohnraumnot. Später erfassen der Aufbruchsgeist der Weimarer<br />

Republik und eine „kommende Baukunst“ 20 vor allem die <strong>Architekten</strong> und<br />

Techniker – mit neuen Materialien, revolutionären Fertigungsmethoden und großer<br />

Geschwindigkeit. Nachzuvollziehen an der berühmten Wohnsiedlung Karlsruhe-<br />

Dammerstock: „das endziel der siedlung ist also die schaffung von gesunden<br />

praktischen gebrauchswohnungen, die dem sozialen standard der durchschnittsfamilie<br />

von heute entsprechen und trotz solider technischer durchführung und anmutiger<br />

gestaltung für das durchschnittseinkommen erschwinglich sind“ schrieb<br />

in einer aktuellen Variante von Vitruv 1929 Walter Gropius in den Katalog zur Ausstellung<br />

21 . Und die Grundrisse der großen und kleinen Häuser wirken in ihrer Akkuratesse<br />

und Sinnlichkeit wie die Blaupausen vieler Entwürfe unserer Tage.<br />

Kleinwohnungsbau, Frankfurter Küche und neue<br />

Gemütlichkeit<br />

Berliner Großsiedlungen entstehen als gebautes Dokument eines neuen<br />

Zeitalters, 22 als adäquate heroische Großform wie in Britz (Hufeisensiedlung) oder<br />

Siemensstadt (Ringsiedlung). Heute zählen sie zum Weltkulturerbe. So wie experimentelle<br />

Werkbundsiedlungen in Wien oder Breslau oder die berühmte <strong>Weiße</strong>nhofsiedlung<br />

in Stuttgart Höhepunkte der Baukunst des 20. Jahrhunderts sind. <strong>Die</strong><br />

Einbauküche nach Entwürfen von Margarete Schütte-Lihotzky (Frankfurter Küche,<br />

1926/27) kennzeichnet die Veränderung im Wohnen am besten: Hier wurde<br />

die ideologische Aufwertung der Hausfrauenarbeit zum Beruf durch einen perfekten,<br />

absolut neuen technischen Ausbauzustand gewürdigt. <strong>Die</strong>se Küche ist eine<br />

Lobpreisung der „Befreiung der Frau durch Rationalisierung des Haushalts“ 23 , ein<br />

leistungsorientierter Arbeitsplatz, integriert in die Wohnung.<br />

Jetzt aber regiert ein neuer Küchenkult. Ein Ausriss aus Mein Heim – praktisch,<br />

behaglich, schön von 1932 zeigt es: beispielsweise mit einem „Weekend“-<br />

16 17 ALLES GANZ EiNFACH UND KOMPLiZiERT!<br />

Küchenschrank. Auf 15 von gut 100 Seiten wird über die Küche mit Kochkisten<br />

und Kochautomaten geschrieben. 24 Das Praktische und Ideologische wird<br />

aber auch schön verpackt. Selbst die „Billige Wohnung“ nach A. G. Schneck von<br />

1928 25 knüpft an eine gewisse, wenn auch abgespeckte Gemütlichkeit der guten<br />

alten wilhelminischen Zeit. In den 1930er Jahren wird wieder bescheidener Wohlstand<br />

für fast alle erreicht und gemütliches Wohnen zum Thema.<br />

Ein Wohnungsbauunternehmen mit hanseatisch sozialem<br />

Auftrag: die GEWOBA<br />

Und in <strong>Bremen</strong>? Avantgarde und Innovation beim Wohnungsbau ist nicht<br />

das Leitthema in der Hansestadt gewesen: <strong>Bremen</strong> sei die Stadt des kleinen Ein-<br />

und Zweifamilienhauses, schrieb einer der Gründer der Gemeinnützigen Wohnungsbaugemeinschaft<br />

der freien Gewerkschaften für <strong>Bremen</strong> und Umgebung,<br />

die später verkürzt GEWOBA genannt wird 26 ; aber er glaubte auch, man könne<br />

entschieden Neues schaffen, mit der Art der neuen Häuser den Arbeiterfamilien<br />

auch ein anderes, besseres, rationelleres Leben ermöglichen. Beispielhaft und<br />

programmatisch sind die ersten beiden Projekte dieser gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft,<br />

die heute im Land <strong>Bremen</strong> über 40.000 Wohnungen besitzt<br />

und weitere Tausende betreut; eine Gesellschaft, ohne die im 20. Jahrhundert<br />

in <strong>Bremen</strong> keine umfassende Wohnungsbaupolitik hätte garantiert werden<br />

können. <strong>Die</strong> ersten Wohnhäuser, die in einigen Bauabschnitten über mehrere<br />

Jahre in der Altenescher Straße und in Nachbarstraßen errichtet wurden (und<br />

heute noch bestehen), heißen programmatisch „Gewerkschaftsblock“, denn<br />

hier durfte zunächst nur jemand wohnen, der Mitglied der beteiligten Gewerkschaften<br />

war – Mieter waren hoch qualifizierte Facharbeiter und Handwerker.<br />

Eine Vierraumwohnung im Bremer Gewerkschaftsblock mit Küche, Keller und<br />

Bodenkammer kostete monatlich 50 Mark – als ein Werftarbeiter 25 Mark die<br />

Woche als Lohn bekam.<br />

<strong>Die</strong> ersten Bauabschnitte konnten in ihrer Kleinteiligkeit, in der Reihe und mit<br />

Satteldach ihre Verwandtschaft mit dem Bremer Haus nicht leugnen. Wollten sie<br />

auch nicht. Aber innen waren sie für damalige Verhältnisse sensationell fortschrittlich<br />

und sozial organisiert, mit Zentralheizung und ständig verfügbarem warmem<br />

Wasser. In der Kulturgeschichte des Wohnens spielt bis zur heutigen Luxuseigentumswohnung<br />

Wasser eine entscheidende Rolle – neben dem Feuer. Wohnen hat<br />

archaische Wurzeln.<br />

Der Erfolg der ersten beiden Projekte hatte Folgen für die Gesamtentwicklung<br />

des Unternehmens: „Man hatte gewagt und gleich auf Anhieb ein äußerst<br />

vorzeigbares Projekt geschaffen und insbesondere die Versuche einer immer stärkeren<br />

Typisierung bei den Plänen zur Grasberger Straße zeigen, dass man hier<br />

gleich mehr im Sinne hatte (…) man wollte hier bauen und ausprobieren, was an<br />

diesem Projekt vielleicht als Exempel für andere gelten könnte.“ 27 Das nächste<br />

Großprojekt an der Rathenaustraße zeigt den Wandel. Schmückende Elemente<br />

über den Eingangstüren verschwinden: Es dominieren Flachdächer, es wird jetzt<br />

durch <strong>Architekten</strong>wettbewerbe entschieden, „um hellluftig die Zukunft zu zeigen<br />

und kompaktmassig die eigene Kraft zu demonstrieren!“ 28<br />

Mit dem Jahr 1933 geht die GEWOBA allerdings in der gleichgeschalteten<br />

Deutschen Arbeitsfront auf, der Dachorganisation der nationalsozialistischen<br />

Gewerkschaften. <strong>Die</strong> Mustersiedlung „Louis Krages“ in <strong>Bremen</strong>-Burgdamm oder


Wohnungsbaus“ 34 zu machen, und erst jetzt, bald 70 Jahre nach Kriegsende, sind<br />

wir in der Lage, das auch zu würdigen. Das gilt für den Wiederaufbau des nahezu<br />

komplett zerstörten Bremer Westens und vor allem für den Weiterbau. Insbesondere<br />

die Neue Vahr, beispielsweise mit ihrem wunderbar leicht und elegant<br />

schwingenden Hochhaus von Alvar Aalto, zeigt sich im Konzert der wirklich großen<br />

westdeutschen Großsiedlungen wie der Wohnstadt Assemwald in Stuttgart<br />

oder Neuperlach in München 35 als zurückhaltend und harmonisch. Auch wenn<br />

sie im Ranking der größten Großsiedlungen 36 überraschend weit vorn liegt: mit<br />

10.000 Wohneinheiten auf Platz sieben noch vor Chorweiler in Köln oder Hamburg-Mümmelmannsberg.<br />

Charakteristisch für <strong>Bremen</strong> ist eine hundertprozentige<br />

Quote von Sozialwohnungen in der Vahr. Das galt auch für <strong>Bremen</strong>-Huchting mit<br />

seinen 5300 Wohnungen.<br />

<strong>Die</strong> damaligen Großsiedlungen entstanden nach dem Leitbild der autogerechten<br />

Stadt vornehmlich als Wohnstadt in offener Bauweise und durch Hochbauten<br />

verdichtet. Sie waren zunächst für alle Schichten der bundesrepublikanischen<br />

Gesellschaft vorgesehen, auch für „relativ einkommensstarke und mobile<br />

Bewohnergruppen der wachsenden Mittelschicht“ 37 . Vielfach wurde der Einzug<br />

damals wie in den 1920er Jahren als Aufstieg angesehen, denn die mittlerweile<br />

komfortablen Wohnansprüche wurden durchaus erfüllt. Nachteilig war es, dass<br />

notwendige Infrastruktur, also Schulen, Kindergärten und nach amerikanischen<br />

Vorbild Einkaufszeilen und Shoppingcenter erst später, manchmal zu spät gebaut<br />

wurden. In den 1980er Jahren fliehen auch deswegen die stärkeren Einkommensgruppen<br />

in wachsendem Maß aus der Stadt. In der Gesamtheit und städtebaulich<br />

musste das in von engagierten Planern und <strong>Architekten</strong> verachteten „Wildschweingebieten“<br />

enden, wie sie unkontrolliert, unkoordiniert und unendlich in<br />

halbherziger Verdichtung (GFZ 0,4) auf Kleinstgrundstücken und in Speckgürteln<br />

rund um die Städte entstanden sind und immer noch entstehen. Derweil wurden<br />

die Wohnungen in den Großsiedlungen durch soziale „Randgruppen“ und ausländische<br />

Arbeitnehmerfamilien belegt – in einigen westdeutschen Standorten führte<br />

dies zum Status eines sogenannten „sozialen Brennpunktes.“<br />

Mag es an der durchaus beeindruckenden Architektur in jener heroischen<br />

Phase der Moderne in <strong>Bremen</strong> liegen, vielleicht auch an den spezifischen Strukturen<br />

einer Hansestadt mit selbstbewusster Arbeiterschaft und der trotz allem<br />

Wachstum kleinen Größe <strong>Bremen</strong>s – von allzu radikaler Metamorphose zum Unwirtlichen<br />

blieben <strong>Bremen</strong>s Großsiedlungen größtenteils verschont. Sicher ist das<br />

auch ein Grund dafür, dass sich heute mit einer qualitativen Nachverdichtung anschließen<br />

lässt.<br />

UmDEnKEn, VERÄnDERn: nichts ist einfacher<br />

als Wohnen!<br />

Sei es wie es sei: Man kommt ins Grübeln, wenn über die Zukunft des<br />

Wohnens nachgedacht wird 38 . Der frühere Chef des Architekturbüros HPP in<br />

Düsseldorf, Rüdiger Thoma, schrieb 1978 unter der Überschrift „Wohnwünsche<br />

hat jedes Alter: Wohnhochhäuser oder Apartmenthäuser bieten ausgezeichnete<br />

Wohnmöglichkeiten für kinderlose Ehepaare und Einzelstehende“. (Zum Vergleich:<br />

Auch der 83-jährige <strong>Schweiz</strong>er Architekt Peter Steiger glaubt 2011 39 im<br />

20 21 ALLES GANZ EiNFACH UND KOMPLiZiERT!<br />

<strong>Architekten</strong>, dass man im Alter bei kleinerem Radius den Überblick, also die Höhe<br />

liebt. Seine konventionelle Wohnung in der 5. Etage nahe der Zürcher Altstadt ist<br />

nicht barrierefrei, aber wohl immer noch zu bewirtschaften und genau richtig für<br />

ihn und seine Ehefrau.)<br />

Ebenfalls 1978 hatte der spätere Chefredakteur der Bauwelt Peter Rumpf<br />

unter der Überschrift „Nichts ist einfacher als Wohnen“ die eine oder andere<br />

amüsante Anmerkung zusammengetragen. Nicht nur das berühmte Miesvan-der-Rohe-Zitat<br />

„Mach doch die Bude groß genug“ im Gespräch mit Hans<br />

Scharoun, sondern auch die „Wohnung mit dem Trick“ im Habiflex der damals<br />

experimentellen Neuen Stadt Wulfen (Entwurf Horst Klement), wo „die sonst<br />

als Kellerräume ausgewiesenen Flächen disponible in den Wohnungen liegen.<br />

Der Balkon, für jede Wohnung im sozialen Wohnungsbau vorgeschrieben,<br />

ist hier zum Wohnraum hin durch ein außen oder innen klappbares Tür- und<br />

Fensterelement abgeteilt.“ 40 Der Volksmund nannte dies liebevoll „Gelsenkirchener<br />

Balkon“. Journalistenkollege und Kritiker Peter M. Bode forderte im<br />

Kapitel „individualität in den eigenen vier Wänden“ 41 : „Milieu, um uns wohl<br />

zu fühlen: Wir tragen Namen und brauchen auch Häuser mit Namen und Gesicht.“<br />

Das Buch hat mit der einen oder anderen Aussage antiquarischen Wert,<br />

aber es deutet an, dass mit dem Ende der 1970er Jahre Diktat und Dogma<br />

der rechnerischen und rein funktionalen Wohnwelten der Moderne ins Abseits<br />

der Architekturgeschichte geschickt werden sollten.<br />

<strong>Die</strong> heute etwas verblasste Vision von Wo wohnen, wie bauen? mit Autoren<br />

wie Hans Paul Barth, Harald Deilmann oder Richard Neutra hat aber das Verdienst,<br />

die Debatte wieder von der Quantität auf die Qualität verschoben zu haben. Etwa<br />

zehn Jahre später wurde das noch eindringlicher formuliert: „Ziel der Publikation ist<br />

es, zu fachlich und wissenschaftlich begründeten Konzepten für den Wohnungsneubau<br />

zu gelangen, der noch Mitte des nächsten Jahrhunderts die Physiognomie<br />

unserer Städte bestimmen wird.“ 42 Noch war die Wucht der Veränderung durch<br />

neue Themen wie Nachhaltigkeit, Global City und Demografiewandel nur leise<br />

als Flüstern im Hintergrund wahrnehmbar, die Umsteuerung vom sozialen Wohnungsbau<br />

zum alternativen sozialen Mietwohnungsbau oder für selbst genutztes<br />

Wohneigentum stand an ihrem Beginn. <strong>Die</strong> Stadtsoziologin Erika Spiegel stellte<br />

fest: „Je unspezifischer ein Grundriss ist, desto eher kann er unterschiedlichen<br />

Phasen des Lebenslaufs, unterschiedlichen Haushaltstypen, unterschiedlichen<br />

Formen der Erwerbstätigkeit angepasst werden.“ 43 Wohl wahr. Und: „Hierfür ist<br />

eine entsprechende Regelung der Finanzierungs- und Vergaberegelungen für öffentlich<br />

geförderte Wohnungen weit besser geeignet als der bevorzugte Bau von<br />

Wohnungs typen, aus denen gerade junge Familien bereits binnen weniger Jahre<br />

wieder herauswachsen!“<br />

Egbert Kossak, der damalige Oberbaudirektor Hamburgs, stellte im Februar<br />

1990 auf dem dazugehörigen Kongress „Wohnungsneubau in Hamburg<br />

– zwischen traditionellen Programmen und neuen Konzepten mit sozialen und<br />

ökologischen Innovationen“ ein 14-Thesen-Papier auf 44 und forderte, das damals<br />

gültige Wohnungsbauprogramm von jährlich 5000 Einheiten über Jahre fortzuführen<br />

– was bekanntlich nicht geschehen ist und die inzwischen prekäre Wohnversorgung<br />

in der wachsenden Metropole Hamburg verursacht hat. <strong>Die</strong>ser und<br />

viele andere Kongresse beschäftigten sich mit einer veränderten Dimension im


Im zweiten Jahrzehnt des<br />

21. Jahrhunderts ändern<br />

sich die Wohnwünsche<br />

von großstadtbürgern<br />

wesentlich. Auch wenn<br />

man nicht von einer<br />

neuen Wohnungsnot<br />

sprechen sollte – öffentlicheWohnungsbaugesellschaften<br />

wie die<br />

Bremer gEWoBA werden<br />

herausgefordert: von<br />

welchen gruppen dabei<br />

ganz besonders?<br />

Es gibt tatsächlich<br />

deutsche Städte, in<br />

denen vergleichbare<br />

Wohnungs unternehmen<br />

vorwiegend für den gut<br />

verdienenden mittelstand<br />

bauen und sozusagen<br />

als marketinginstrument<br />

der Wirtschaftsförderung<br />

agieren. Ist das sinnvoll?<br />

gibt es zwischen öffentlichen<br />

Bauträgern und<br />

privaten Investoren eine<br />

Aufteilung des marktes?<br />

Ein ungewöhnlicher Wettbewerb<br />

und seine folgen<br />

Dirk Meyhöfer im Gespräch mit Peter Stubbe und Martin Paßlack<br />

über Architekturwettbewerbe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

der GEWOBA<br />

Bremer Wohnraumversorgung heute –<br />

der Status quo<br />

peter Stubbe: Unsere wohnungsbaupolitischen Aufgaben sind auf breite Bevölkerungsschichten<br />

zugeschnitten. Dazu gehören die alleinstehende Rentnerin<br />

ebenso wie die zugewanderte Großfamilie, die Studenten-WG oder der Mittelständler.<br />

<strong>Die</strong> Notwendigkeiten, Wünsche und finanziellen Spielräume unterscheiden<br />

sich in unseren Zielgruppen zum Teil immens. Attraktive Wohnangebote für all<br />

diese Schichten gleichermaßen zu machen, ist eine große Herausforderung, die<br />

uns heute und in Zukunft beschäftigt – insbesondere, da sich die Bausubstanz<br />

ja nicht wesentlich verändern lässt. Waren früher Dreizimmerwohnungen gefragt,<br />

steigt heute die Nachfrage nach deutlich kleineren und deutlich größeren Wohnungen.<br />

Zum Zweiten sollte es so sein, dass die (Mehrheits-)Eigentümerin der GEWO-<br />

BA, also die Hansestadt <strong>Bremen</strong>, nicht nur bei der Ausrichtung des Wohnangebotes<br />

mitwirkt, sondern ihre öffentliche Wohnungsbaugesellschaft auch zum<br />

Partner ihrer spezifischen Stadtentwicklungspolitik machen sollte: Also nicht nur<br />

die Grundversorgung zu sichern, sondern über ein attraktives Wohnungsangebot<br />

neue Bewohner für die Stadt zu interessieren. Das heißt also, die hiesige Wirtschaft<br />

dabei zu unterstützen, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen, an die Stadt<br />

zu binden und den Wirtschaftsstandort nachhaltig zu sichern. Das funktioniert<br />

aber nur, wenn die Attraktivität der Stadtteile stimmt. Hier hat die GEWOBA in den<br />

letzten zehn Jahren für <strong>Bremen</strong> sehr viel bewegt.<br />

peter Stubbe: Es kommt auf den Rahmen an, doch gibt es ja nicht nur ein einziges<br />

Ziel des kommunalen Wohnungsbaus, sondern mehrere. Welche Schwerpunkte<br />

setzt der Eigentümer? Geht es um sozialen Ausgleich? Will er klimafreundliches<br />

Wohnen vorantreiben? Und so weiter. Wir hier in <strong>Bremen</strong> jedenfalls fordern<br />

die Bürger auf, an dieser Zielfindung mitzuwirken.<br />

peter Stubbe: Von den gebauten Wohnungen der letzten Jahre sind etwa<br />

zwei Drittel Eigenheime, der Rest teilt sich auf in einen größeren Teil von Eigentumswohnungen<br />

und viel zu wenig Mietwohnungsbau. Es ist leider wirtschaftlich<br />

so, dass man heute kaum noch nicht geförderten Mietwohnungsbau errichten<br />

Das bedeutet aber<br />

auch, dass Sie weitere<br />

zielgruppen für innovative<br />

Angebote im kommunalen<br />

Wohnungs bau ausfindig<br />

machen sollten?<br />

zu den aktuellen nachfragegruppen<br />

gehören<br />

gerade diese neuen<br />

milieus: freiberufler,<br />

Selbstständige, größere<br />

gruppierungen<br />

und familien in einer<br />

mehrgeneratio nenaufstellung<br />

– also nicht<br />

mehr nur die klassischen<br />

Kleinfamilien?<br />

In der Tat sind solche<br />

nachkriegsviertel, wenn<br />

sie gepflegt wurden, heute<br />

sehr beliebt. Wie kann<br />

man dort weiterbauen?<br />

<strong>Bremen</strong> und die<br />

Republik sind angetan<br />

vom Ergebnis zu einem<br />

Wett bewerb mit dem<br />

Titel „Ungewöhnlich<br />

Wohnen!“, der genau auf<br />

dieses Thema eingeht …<br />

30 31 iNTERViEW<br />

kann. Insofern gibt es keinen Konflikt, das bedeutet aber auch nicht, dass die<br />

GEWOBA gar keine frei finanzierten Wohnungen baut.<br />

peter Stubbe: Zunächst einmal pflegen wir die alten Zielgruppen, unsere treuen<br />

Mieter. <strong>Die</strong>se fragen wir, wie sie in Zukunft wohnen und leben möchten. Gerade<br />

bei dem Thema Nachverdichtung müssen wir das tun, weil es keine Wohnumfeldverschlechterungen<br />

für die Altmieter geben soll. Wir wollen bauen, was<br />

breite Schichten der Bevölkerung nachfragen. Unsere klassische Erfahrung auch<br />

im Bestand ist: Je spezifischer eine Wohnung ist, desto länger dauert die Angebotsphase,<br />

allerdings dann auch die Vermietung. Wenn wir heute beispielsweise<br />

über hybride Angebote für kombiniertes Wohnen und Arbeiten eines Start-ups<br />

nachdenken, dann müssen wir schon im Kopf haben, wie sich dessen wirtschaftliche<br />

und familiäre Verhältnisse entwickeln und stabilisieren lassen. Bleibt er dort,<br />

wachsen neue Ansprüche heran: Will er zwischen den Windeln seiner Kinder freiberuflich<br />

arbeiten oder gewerblich produzieren?<br />

Gemeinschaftliches oder Mehrgenerationenwohnen ist ein weiteres Thema, das in<br />

<strong>Bremen</strong> en vogue ist. <strong>Die</strong> Erwartungen an das Wohnen, die sich unter diesen Begriffen<br />

versammeln, sind in architektonischer und sozialer Hinsicht zum Teil aber<br />

sehr disparat. Um hier Typologien und Angebote zu entwickeln, setzen wir auf<br />

Dialog.<br />

peter Stubbe: In der Tat haben sich neben der klassischen Kleinfamilie viele<br />

Lebensmodelle ausdifferenziert – die „Dinks“, „living-apart-together“, die Patchworkfamilie,<br />

viele Singlehaushalte etc. Natürlich zählen auch junge Existenzgründer<br />

dazu. Unsere Aufgabe und Fragestellung ist: Mit welchen Produkten – was<br />

wir vielleicht weiter fassen müssen als nur die eigenen vier Wände zum Wohnen<br />

– werden wir diesen Zielgruppen gerecht? Und wenn wir entsprechende Neubauten<br />

konzipieren, wie erreichen wir das zu einer Miete, die diesen Gruppen gerecht<br />

wird? Am ehesten möglich ist das vielleicht in unserem Bestand, wo wir auf eigenen<br />

Grundstücken in durchaus liebenswürdigen Quartieren weiterbauen können.<br />

peter Stubbe: Meine Vorstellung: An bestehende Wohnungen anflanschen!<br />

Ein sehr großer Teil unseres Bestandes sind Dreizimmerwohnungen, wir benötigen<br />

aber mehr größere. Wir sollten die bestehenden Häuser „verlängern“, also<br />

vertikal oder horizontal erweitern – wie auch immer – und dann die bisherigen<br />

Grundrisse vergrößern.<br />

Der Wettbewerb „Ungewöhnlich Wohnen!“<br />

martin paßlack: Wir haben vor einigen Monaten in einem Triumvirat aus Senat,<br />

<strong>Architekten</strong>kammer und GEWOBA diesen Wettbewerb ausgelobt (vgl. Seiten<br />

40 ff.). Damit steht er auf einem breiten hansestädtischen Fundament. Es ging dabei<br />

nicht allein darum, nur günstigen Wohnraum und nachgefragte Grundrisse zu<br />

schaffen, um eben eine neue Klientel für uns zu gewinnen, sondern auch darum,<br />

städtebauliche Nischen zu aktivieren. <strong>Die</strong> Aufgabenstellung an die <strong>Architekten</strong> war<br />

sehr offen, sodass der Wettbewerb einen Workshopcharakter entwickelte und<br />

viele spannende Ideenskizzen geliefert hat, keine baureifen Entwürfe.


Wann ziehen die ersten<br />

menschen in diese<br />

„ungewöhnlichen“<br />

Wohnungen?<br />

Sehen Sie als gEWoBA<br />

für diese „anderen“<br />

Wohnungen einen ausreichenden<br />

markt?<br />

Bei insgesamt etwa<br />

41.000 Wohnungen der<br />

gEWoBA sind die wenigen<br />

Wohnungen, die in<br />

folge des Wettbewerbs<br />

entstehen könnten, erst<br />

einmal ein überschaubares<br />

Experiment, das man<br />

sich in <strong>Bremen</strong> zutrauen<br />

könnte.<br />

<strong>Die</strong> beteiligten <strong>Architekten</strong>,<br />

Senat und Behörde<br />

glauben, der Bedarf sei<br />

vorhanden?<br />

Wir können es auch noch<br />

einmal andersherum be -<br />

trachten: In diesem Segment<br />

des öffentlichen<br />

und öffentlich unterstützten<br />

Wohnungsbaus<br />

können vergleichbare<br />

miet preise zum Eigentumswoh<br />

nungs bau<br />

nicht erzielt werden. Was<br />

kann man tun, um die<br />

Erstellungskosten entsprechend<br />

zu senken?<br />

Bringt nachverdichtung<br />

Kostenvorteile?<br />

Erste Informationsveranstaltungen zu den Ergebnissen und auch die Medien zeigten<br />

ein überraschend hohes Interesse. Wir sortieren jetzt und entscheiden, was<br />

wir realisieren. <strong>Die</strong> ersten zwei von den insgesamt fünf Vorhaben sind in der HOAI-<br />

Betreuung der ersten Phasen.<br />

peter Stubbe: Wir wissen es noch nicht genau. Wir prüfen, welche Entwürfe<br />

wir realisieren können. Sie sind sehr brauchbare Skizzen, die wir dort weiter ausarbeiten<br />

wollen, wo wir eine zügige Realisierung für möglich halten. Zu den nun<br />

folgenden Recherchen gehören wirtschaftliche Implikationen, unter anderem zu<br />

möglichen Förderungen durch den Bund. Wir schauen, ob und wie die Vorschläge<br />

für das Weiterbauen an den Standorten wirklich funktionieren können.<br />

peter Stubbe: Das herauszufinden, gehört zu unseren Hausaufgaben. Wir<br />

haben vor allem zwei Fragen zu beantworten: Gibt es den Markt für „neue“<br />

Wohnformen, beispielsweise für Mehrgenerationenwohnen, für Hybridität etc.?<br />

Und: Funktioniert er zu Bedingungen, die ohne Förderung bei etwa neun Euro pro<br />

Quadratmeter netto beginnen? In <strong>Bremen</strong> ist das leider schwer darstellbar, wenn<br />

das Durchschnittsangebot der GEWOBA in <strong>Bremen</strong> bei gut fünf Euro liegt. Das<br />

Gros bei anderen Anbietern in <strong>Bremen</strong> wird etwa bei sechs bis sieben Euro im<br />

Bestandsmarkt liegen. Bei Neubaumieten wird die Marge von elf, vielleicht zwölf<br />

Euro kaum überschritten werden.<br />

peter Stubbe: <strong>Die</strong> Wohnungsbaukonzeption des Bremer Senats geht davon<br />

aus. Wir als öffentliches Wohnungsunternehmen fühlen uns selbstverständlich dafür<br />

zuständig, neuen Formen des Wohnens und Zusammenlebens durch ein entsprechend<br />

günstiges Wohnungsangebot Raum zu geben – nur muss es natürlich<br />

zu unseren Möglichkeiten passen. In der Tat sind die Mengen, um die es hier erst<br />

einmal gehen kann, verhältnismäßig gering. Weil das so ist, schauen wir uns auch<br />

genau an, ob aus den bisherigen Projekten Typologien entstehen können, die unabhängig<br />

von den ausgelobten Standorten, vielleicht sogar nicht nur in <strong>Bremen</strong>,<br />

wirtschaftlich realisierbar sind.<br />

peter Stubbe: <strong>Die</strong> Forderung ist alt, ich weiß allerdings nicht, wie wir unmittelbar<br />

und direkt darauf Einfluss nehmen können. Es ist nicht unbedingt eine Frage<br />

der Architektur oder der entsprechenden Wohnungstypen, ob man besonders<br />

günstig bauen kann. Der einzige Vorteil, den wir haben und weitergeben können,<br />

ist unsere Größe, die auch beim Bauen ökonomische Planungsvorteile mit sich<br />

bringen kann.<br />

peter Stubbe: Wir profitieren möglicherweise von der Nachverdichtung, weil<br />

wir den Grund und Boden nicht in allen Fällen teuer erwerben müssen. Doch im<br />

Bestand zu verdichten, heißt auch an Grenzen zu stoßen – wie die Akzeptanz der<br />

Alteingesessenen oder vorhandene Abstandsflächen. Und deswegen müssen wir<br />

eben genau überprüfen, wo die vorgeschlagenen Bautypen tatsächlich überall<br />

noch hineinpassen.<br />

Wenn Sie glauben, dass<br />

gute Architektur nicht<br />

automatisch teurer wird,<br />

was trauen Sie denn<br />

der Architektur zu, wie<br />

fördert in Ihren Augen<br />

architektonische Qualität<br />

die Wohnqualität, beispielsweise<br />

der gute<br />

architektonische Raum<br />

das gefühl, echt daheim<br />

und zu Hause zu sein?<br />

nein, aber architektonische<br />

Räume, gute<br />

Treppenhäuser, interessante<br />

öffentliche<br />

Bereiche, die so wertvoll<br />

sind, dass die Bewohner<br />

Vandalismus aus eigenem<br />

Herzensinteresse<br />

verhindern!<br />

Das täte zum Beispiel einem<br />

alten, bewährten architektonischen<br />

Element,<br />

dem laubengang gut …<br />

32 33 iNTERViEW<br />

<strong>Die</strong> Rolle der Architektur<br />

martin paßlack: Wir haben möglicherweise in den letzten Jahren das Mittel des<br />

Architekturwettbewerbs unterschätzt. Der derzeitige Senatsbaudirektor Höing<br />

hat diese Kultur entscheidend wiederbelebt. Und ich glaube, mit guten Ergebnissen,<br />

ohne unter dem Zwang zu stehen, das Rad neu zu erfinden. Ein Beispiel<br />

stellvertretend für alle: Wie der deutsch-dänische Architekt Carsten Lorenzen<br />

den Ziegelstein einsetzt oder geschickt die Wohnungen zum Wasser ausrichtet –<br />

Kompliment! Qualitäten im Grundriss verbinden sich mit dem Städtebau. <strong>Die</strong>sen<br />

Dualismus konnte man in den 1950er und 1<strong>96</strong>0er Jahren weniger berücksichtigen,<br />

weil man damals grundsätzliche Aufgaben, die aus der Not geboren waren,<br />

zu lösen hatte. Und mit den Aufgaben der Nachverdichtung steigern wir die Qualität<br />

der Orte, und als Zwischenbilanz kann man schon behaupten: Das wird gut!<br />

peter Stubbe: Mit guter Architektur für eine Wohnung als „Heimat“ zu sorgen<br />

– das sehe ich auch als wichtiges Ziel an – dafür brauchen wir diese Wettbewerbe;<br />

mit der Begründung bin ich ein wenig vorsichtiger. Wir haben schon seit<br />

den 1920er Jahren in der GEWOBA gelernt, qualitätvoll und „anheimelnd“ zu bauen<br />

– nicht umsonst leben beispielsweise im Gröpelinger Gewerkschaftsblock oder<br />

im Aalto-Hochhaus in der Vahr noch Mieter der ersten Stunde. Heimat hat aber<br />

auch eine starke soziale Komponente: <strong>Die</strong> Architektur kann beispielsweise den<br />

Rahmen für harmonische Hausgemeinschaften geben, indem sie Begegnungs-<br />

und Kommunikationsräume bereitstellt.<br />

Aber es ist schon richtig, dass wir in den Städten vielleicht das architektonische<br />

Bauen vernachlässigt haben, weil wir ja nur noch Lücken und kleine Baugrundstücke<br />

nach § 34 der Baugesetzgebung schließen oder bauen, dafür aber nur noch<br />

wenig stand alone architecture haben oder solche, die eine Ensemblewirkung im<br />

Städtebau entwickelt.<br />

Zum Zweiten glaube ich, dass wir wieder mehr für den Zusammenhang von Architektur<br />

und handwerklicher Qualität tun müssen – den Typus der Architektur als<br />

Bestandteil einer Markenwelt brauchen wir weniger.<br />

peter Stubbe: Im Kern geht es um ein ganz altes Thema – um die eindeutige<br />

Trennung zwischen privatem, öffentlichem und halböffentlichem Raum, aber<br />

auch um deren Zusammenspiel. In der Tat sind gerade Laubengangerschließungen<br />

ökonomisch günstig, wohl auch inzwischen energetisch einfacher zu bewirtschaften.<br />

Es gibt sicher eine Zielgruppe unter den Wohnungssuchenden, die nicht<br />

den größten Teil ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben wollen, so hat der<br />

Laubengang eine ökonomische Berechtigung behalten. Natürlich sollte man im<br />

Neubau auf einige Dinge achten: Wie breit sind die Laubengänge, gibt es Zonen<br />

für gemeinschaftliche Benutzungen? Muss man immer an Bädern und Küchen<br />

vorbeilaufen? Wenn man die Entwürfe von Arno Brandlhuber oder von BARarchitekten<br />

(S. 42 ff. bzw. 56 ff.) sieht, dann merkt man, wie es auch anders gehen<br />

kann, welche andere Logik zugrunde liegen könnte.


Seit der gründung der<br />

gEWoBA ist es immer<br />

um grundversorgung im<br />

Wohnungsbau gegangen.<br />

Ist das nun auch wieder<br />

die zukunft oder sieht<br />

die Vision der gEWoBA<br />

andere optionen vor?<br />

Wohnungsbau als Spiegel<br />

der gesellschaft in<br />

nachhaltigen zeiten, mit<br />

Barrierefreiheit etc. –<br />

wo ist der Standort der<br />

gEWoBA jetzt im zweiten<br />

Jahrzehnt des 21.<br />

Jahrhunderts zu suchen?<br />

Peter Stubbe ist sei 2011<br />

der Vorstandsvorsitzende der<br />

GEWOBA, Aktiengesellschaft<br />

für Wohnen und Bauen in<br />

<strong>Bremen</strong><br />

Martin Paßlack ist Leiter der<br />

Abteilung „Technik – Planung –<br />

Bau“ bei der GEWOBA<br />

<strong>Die</strong> zukunft des Wohnens<br />

peter Stubbe: Der Wohnungsbau ist ein klassisch mehrdimensionales Thema,<br />

wir müssen deswegen an die Nutzer herantreten und herausfinden, was sie<br />

wollen, was sie denken. Kurioserweise sind wir heute wieder gar nicht so weit weg<br />

von den 1920er Jahren, also den Gründungszeiten der GEWOBA. Der gewerkschaftliche<br />

Solidargedanke, aus dem die GEWOBA letztlich entstanden ist, unterscheidet<br />

sich im Kern wenig von dem, was Bewegungen wie Occupy heute fordern.<br />

Wir sollten durchaus auf Erfahrungen von damals zurückgreifen und Modelle<br />

wiederentdecken. Ich denke an städtebauliche Großformen der 1920er Jahre wie<br />

beispielsweise in Berlin, die jetzt zum Weltkulturerbe zählen. <strong>Die</strong> Aufgabenstellung<br />

wird freilich komplexer, je mehr Aspekte wir berücksichtigen – beispielsweise die<br />

Rolle der Mobilität, Generationengerechtigkeit oder Fragen des Klimaschutzes.<br />

Wenn wir heute nach Identifikation gebenden Impulsen suchen, sollten wir auch<br />

wieder zu städtebaulichen Formen zurückfinden, die Identifikation stiften. Zweitens<br />

müssen wir bei den Finanzierungen fantasievoller werden: Ganz zu Anfang<br />

des sozial verpflichteten Wohnungsbaus haben zum Beispiel die Rentenversicherungen<br />

ihr Geld bei uns festgelegt. Warum nicht wieder heute?<br />

Wo sind Sie heute morgen<br />

aufgewacht, Herr<br />

Höing?<br />

Sie spielen auf die<br />

städti sche Quali tät<br />

von fesenfeld an. Soll<br />

dieses Quartier so bleiben,<br />

wie es ist, weil es<br />

schon heute zu den<br />

beliebtesten Bremer<br />

Wohngegenden gehört?<br />

Wie entwickelt es sich<br />

weiter?<br />

Ihre persönliche lebenssituation<br />

bringt es im<br />

Augenblick mit sich,<br />

ein Selten-Wohner zu<br />

sein. Starke berufliche<br />

Belastung, kaum zeit zu<br />

Hause, aber natürlich<br />

nach Reisen auch wirklich<br />

wieder daheim sein<br />

wollen. Typisch für den<br />

heutigen metropolitanen<br />

Bürger. Was hat dieser<br />

für Erwartungen an seine<br />

Wohnung?<br />

34 35 iNTERViEW<br />

nicht mehr weiter wohnen<br />

wie gewohnt?<br />

Franz-Josef Höing im Gespräch mit<br />

Dirk Meyhöfer im Frühjahr 2012<br />

Wohnen ist ein persönliches Thema. Auch einer,<br />

der von Amts wegen zum Vordenker wird, muss<br />

seine persönlichen Ansichten nicht verleug nen. Der<br />

Bremer Senatsbaudirektor franz-Josef Höing (2009–<br />

2012) erläutert im gespräch seine Ansichten, wohin<br />

sich das Wohnen und die damit verbundene Bremer<br />

Stadtentwicklung künftig bewegen werden.<br />

franz-Josef Höing: Ich bin heute in meiner Wohnung in Fesenfeld aufgewacht. Wer<br />

<strong>Bremen</strong> kennt, weiß, dass dieses Stadtquartier nicht weit von meinem Arbeitsort<br />

im ehemaligen Siemenshochhaus an der Contrescarpe entfernt liegt. Arbeiten<br />

und wohnen – zwar nicht in einem Haus, aber nahe beieinander. Der Komfort der<br />

kurzen Wege erlaubt es mir, alles zu Fuß erledigen zu können. Für meine Situation<br />

ist das eine kommode, eine ideale Wohnsituation.<br />

franz-Josef Höing: Das ist eines dieser wertvollen, ja wunderbaren Stadterweiterungsgebiete<br />

aus der Gründerzeit, nah an der historischen Altstadt am Wallring<br />

gelegen; mit Alt-Bremer Häusern in einem durchaus städtischem Gepräge, ein<br />

begehrter Stadtteil und perfekte Ergänzung zum benachbarten, viel bekannteren<br />

Ostertorviertel. Dort wohnt man nicht nur, man lebt ziemlich komplett und in der<br />

Mitte dieser schönen Stadt. Da kann sich einiges verändern, aber es ist und bleibt<br />

ein bestes Stück „Europäischer Stadt“, man kann auch sagen: Hansestadt <strong>Bremen</strong>.<br />

franz-Josef Höing: Ganz normale. Kurze Wege zu allem oder zumindest die gute<br />

Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr! <strong>Die</strong>nstleistung, Kultur in Sichtweite –<br />

selbst wenn ich sie gar nicht immer wahrnehmen kann, wie ich das gern möchte<br />

oder sollte. Aber könnte – darauf kommt es doch an! Da unterscheidet man sich<br />

nicht vom Oft-Wohner!


„UngEWÖHnlICH<br />

WoHnEn!“<br />

Fünf erste Preise eines<br />

richtungsweisenden<br />

<strong>Architekten</strong>wettbewerbs<br />

aus <strong>Bremen</strong><br />

15 Büros wurden im Jahr 2011 aufgefordert, für fünf Wohnquartiere<br />

„ungewöhnliche Ideen“ zu entwickeln. <strong>Die</strong> Bremer Wohnbaugesellschaft<br />

GEWOBA, die anders als entsprechende Unternehmen vor<br />

allem im Osten Deutschlands im öffentlichen Besitz geblieben ist, hat<br />

erkannt, dass die Norm(alität) einer Drei- oder Vierzimmerwohnung<br />

aus den 1950er und 1<strong>96</strong>0er Jahren zu wenig mit den Realitäten<br />

des demografischen Wandels und den zukünftigen Ansprüchen der<br />

Menschen gemeinsam hat, sie schlicht den Wohnanforderungen und<br />

-wünschen der nahen Zukunft nicht mehr gewachsen sein wird. Im<br />

„Vater, mutter und zwei Kinder –<br />

schon mit der oma wird es eng!“<br />

Süddeutsche Zeitung<br />

40 41 „UNGEWöHNLiCH WOHNEN!“<br />

Wettbewerb unter dem Preisgerichtsvorsitzenden und <strong>Architekten</strong><br />

Johannes Schilling aus Köln sollten deswegen stadtverträgliche Körnung<br />

und Baumasse einer hybriden Nutzung aus Wohnen, Arbeiten<br />

und anderem so entwickelt werden, dass im Bremer Stadtgebiet<br />

verdichtet und logisch weitergebaut werden kann; dabei sollen gute<br />

Sozialstrukturen ausgebaut, schlechtere stabilisiert und weiterentwickelt<br />

und dabei insgesamt neue Bewohner für <strong>Bremen</strong> interessiert<br />

werden.<br />

Alle ausgewählten fünf Standorte zählen zur notwendigen<br />

Innenentwicklung <strong>Bremen</strong>s, sie könnten dort die Urbanität stärken<br />

– sie verteilen sich vom ehemaligen Arbeitervorort Walle im Nordwesten<br />

über die Undeloher Straße der weithin bekannten Gartenstadt<br />

Vahr im Osten, die Hermine-Barthold-Straße (Hastedt) und die südlichere<br />

Friedrich-Wagenfeld-Straße mit ihren strengen Riegelbauten<br />

bis weit in den Süden <strong>Bremen</strong>s, bis zur Kötnerweide in Huchting mit<br />

ihrem Charme der durchgrünten Nachkriegsmoderne. <strong>Die</strong> Reisen zu<br />

den fünf Büros nach Hamburg (Spengler-Wiescholek), Berlin (Arno<br />

Brandlhuber, Finn Geipel, BARarchitekten) und Rotterdam (Kempe<br />

Thill) bewiesen im Nebeneffekt, wie ein kreativer Standort des Ateliers<br />

(in drei Fällen selbst entworfen und gestaltet) sich irgendwie in<br />

den architektonischen Vorschlägen widerspiegelt – sehr eindringlich<br />

mitgeteilt an den beiden Lücken-/Stadthäusern in Berlin-Prenzlauer<br />

Berg, wo beispielsweise die rückwärtige und äußere Betontreppe in<br />

einer schlauen und gekonnten Führung Architektur in einem Berliner<br />

Hinterhof zur Showaufführung bringt und verdeutlicht: Ja, so könnte<br />

es auch in <strong>Bremen</strong> werden (Arno Brandlhuber). Ähnliches gilt für das<br />

Büro-/Wohn-Atelierhaus von BARarchitekten. Und die restaurierte<br />

Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam, wo Kempe Thill arbeiten, ist in ihrer<br />

restaurierten fantastischen Präsenz einer Ontwerpsfabriek immer<br />

noch ein Highlight der niederländischen Hochmoderne: Wer die<br />

majestätische Filigranität dieser Glasstahlkonstruktion täglich erlebt,<br />

kann nur gut entwerfen!<br />

Das Leben braucht Orte –<br />

auch als kombinierte und ungewöhnliche Wohn-Orte!


Ein Atriumhaus ganz besonderer Art<br />

Atelier Kempe Thill, Rotterdam<br />

<strong>Die</strong> gartenstadt Vahr ist für ihre grüne Wohnqualität bekannt, die<br />

vorhandene „luftigkeit“ soll verträglich bebaut werden, in diesem fall ist<br />

das ein garagenhof, auf den in zukunft verzichtet werden kann. Kompakt<br />

heißt die parole mit größen von 50 bis 85 Quadratmeter für Singles oder<br />

jene Wohnform, die sich daraus ergeben könnte: junges familienwohnen.<br />

Der soziale Wohnungsbau gehört zu <strong>Bremen</strong> wie die Weser – allerdings gilt<br />

diese Übertragung nicht für die letzten zehn bis 20 Jahre; die Raten stagnierten,<br />

die technischen Anforderungen sind gestiegen und die Kriterien der Nachhaltigkeit<br />

werden anspruchsvoller. Das alles hat die Lage verändert. <strong>Die</strong> <strong>Architekten</strong><br />

Kempe und Thill sind die deutschen, das heißt sächsischen Botschafter in den<br />

Niederlanden, kombinieren deutsche Perfektion mit niederländischer Offenheit.<br />

Sie verstehen sich in der Tradition der SuperDutch aus den 1990er Jahren mit<br />

deutschen Wurzeln. Für ihren Bürostandort hat es sich ergeben, dass sie in der<br />

restaurierten Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam, in einem kleinen einstöckigen Gewerbe<br />

ihr Atelier eingerichtet haben; dort sind sie täglich konfrontiert mit den vielleicht<br />

bestproportionierten Glasfassaden an einer Fabrik, die die klassische Moderne je<br />

produziert hat (Architektur: Jan Brinkman und Leen van der Vlugt, mit Mart Stam).<br />

Der gekonnte Umgang mit Glas gehört auch zu den hervorragenden Fähigkeiten<br />

von Kempe Thill. Auf die Frage, was die Essenz ihrer Arbeit im Wohnungsbau hier<br />

in der Vahr sein könnte, erwidert Oliver Thill:<br />

„Wir sind hier sehr kompakt vorgegangen, legen Häuser und damit<br />

Wohnungsgrundrisse noch tiefer als bisher an. Das bringt den Vorteil<br />

mit sich, preisgünstiger zu werden, weniger fassade bedeutet kleineren<br />

preis usw. Doch dann drehen wir das Spiel um. Wir können uns<br />

nämlich auf diese Weise einen größeren glasanteil leisten und mit<br />

dem paar klaustrophobisch/offen bei der Wahrnehmung spielen. Das<br />

geht einher mit serienmäßigem Bauen und vorfabrizierten Elementen.<br />

Und wir begrenzen die zahl der zu entwickelnden Details.“<br />

Kempe Thill verfügen inzwischen über eine Erfahrung von mehr als 20 Jahren,<br />

nennen diese Erfahrung auch „krass“ und haben den Aufnahmetest in den<br />

Niederlanden tapfer bestanden, wobei dieses Land als sehr anspruchsvoll und<br />

erfahren im gut strukturierten Wohnungsbau gilt. Sie sind nun in der Lage, diese<br />

Erfahrungen nach Deutschland zurückzuimportieren und in <strong>Bremen</strong>, also in der<br />

Gartenstadt Vahr erweist sich dies als Glücksfall. Das Gebiet erinnert heute nicht<br />

mehr an die einst heroische Phase der Moderne, hier decken mächtige Baumdächer<br />

die Klötzchenstatements von einst einfach zu. Gepflegt und durchaus attraktiv<br />

wirkt das. Der Neubau ist auf dem Terrain eines alten Garagenhofes geplant,<br />

der durch eine offene Tiefgarage ersetzt würde. Oliver Thill:<br />

68 69 „UNGEWöHNLiCH WOHNEN!“<br />

„Im mittelpunkt musste erstens eine neue Idee stehen! So denken<br />

wir an ein großes Atrium, zweitens versuchen wir das Wohnen in der<br />

gemeinschaft zu forcieren. Und drittens wollten wir eben das grün<br />

nutzen, denn das ist wohl die sich aufdrängende Qualität des Areals.“<br />

In der Reaktion auf die alten Fassaden, die wegen ihrer Lochstruktur den<br />

Häusern etwas Martialisches verleihen, werden die Neubauten offen gestaltet – als<br />

Reaktion auf die Umgebung, auf die neuen hofartigen eingefassten Flächen. Der<br />

wertvolle Baumbestand, der den neuen Bauplatz einrahmt, formuliert einen optischen<br />

Schutzraum für die Neubauten. <strong>Die</strong> innere Erschließungsorganisation (siehe<br />

Skizzen) ergibt sich aus Optimierungsgedanken und Kosten-Nutzen-Denken, am<br />

Ende der Gedankenkette Mehrspänner – Erschließung – Laubengang steht hier<br />

das Modell doppelter gegenüberliegender Laubengänge, die ein Atrium umschließen.<br />

Auf diese Weise kann das Laubenganghaus neu konzipiert werden und gerät<br />

zum Atriumhaus – mit der Morgengabe, dass 40 Wohnungen mit einem Lift bzw.<br />

zwei Treppenhäusern erschlossen werden können. Es entsteht eine „flexible Ringzone“<br />

der Nutzungen mit verschiedenen Wohntypen mit Zwei- bis Vierzimmerwohnungen.<br />

Und in den seitlichen „Rundungen“ erhält man zusätzlichen Gemeinschaftsraum<br />

fast gratis. Auch außen lassen sich Kempe Thill Besonderes einfallen:<br />

„Wir denken an kleine Interventionen, nennen das Intarsie und Exot,<br />

entwickeln also eine entsprechend gestaltete feine fassade, weil sie<br />

sich stark vom Bestand unterscheidet und sich damit etwas neues<br />

entwickelt – der Dialog zwischen alt und neu allein ist schon positiv!“<br />

<strong>Die</strong> Konstruktion ist als einfache Schottenbauweise auch nachhaltig, wenn<br />

eine nicht tragende Holz- bzw. Glasfassade in kompakter Form vorgehängt werden<br />

kann. Oder statt teurer Wärmeverbundsysteme über gesprühte Energiesparhäute<br />

diskutiert wird. Oder Container als Schuppen auf dem Dach statt teure Keller<br />

angeboten werden. Dort entsteht als Ersatz der aufgegebenen Garagen eine<br />

natürlich ventilierte, halb eingegrabene Fläche für PKW unter dem hochgesetzten<br />

Erdgeschoss, das für Familien mit Gartenanschluss geeignet ist.<br />

<strong>Die</strong> Strategie von Kempe Thill heißt, eingefahrene Denkweisen zu hinterfragen<br />

und weiterzuentwickeln – hier geht sie auf!


Am WASSER,<br />

In DER STADT<br />

Komfortabler<br />

Geschosswohnungsbau<br />

in der äußeren Überseestadt<br />

und anderswo<br />

Seit gut zehn Jahren hat sich auch die Hansestadt <strong>Bremen</strong> in einem<br />

aufwändigen und ambitionierten “Waterfront”-Projekt engagiert.<br />

Für mehrere Jahrzehnte wird die Überseestadt das wichtigste Bremer<br />

Stadtentwicklungsprojekt sein. <strong>Die</strong> „Umstrukturierung der Alten<br />

Hafenreviere in <strong>Bremen</strong>“, wie sie im Jahr 2000 begann, konvertiert<br />

ehemalige Hafenflächen zu urbanen Quartieren; der Strukturwandel<br />

der Häfen rechts der Weser in unmittelbarer Innenstadtnähe birgt<br />

große Chancen. Hier kann sich Stadt neu erfinden, mit einem breiten<br />

Spektrum unterschiedlicher Nutzungen. Im Vergleich zu anderen<br />

“Waterfront”-Projekten wie beispielsweise in Hamburg sind die Restriktionen<br />

durch produzierendes Gewerbe noch sehr hoch und werden<br />

für eine lange Zeit die neuen Entwicklungen beeinflussen, manchmal<br />

auch blockieren. Ein Anfang ist aber gemacht, beispielsweise mit der<br />

Bremer Kunsthochschule, die hier in einem alten Speicher Platz fand.<br />

Gemeinsam werden öffentliche Gelder und Förderungen mit Privatinitiativen<br />

in einer großen Entwicklungsstrategie zusammengefasst, um<br />

die Ziele des Masterplans (<strong>Architekten</strong> Schommers und Schürmann,<br />

2000) umzusetzen. Ein signifikantes Merkmal der Überseestadt wird<br />

der hohe Anteil von Wohnungen oder Wohnen in Kombination mit an-<br />

74 75 AM WASSER, iN DER STADT<br />

„Es ist ja wichtig, eine Wohnung so anzulegen, dass die Bewohner<br />

sich darin wohl fühlen. Denn auch darunter verstehe ich<br />

nachhaltiges Bauen, wenn die leute nicht übers Wochenende ins<br />

flugzeug steigen und fliehen wollen, weil man es zu Hause nicht<br />

so schön hat.“<br />

Andreas Meck<br />

deren Nutzungen sein. Nicht nur einfach Wohnungen, sondern Lebensräume<br />

für die Ansprüche der nächsten Jahrzehnte.<br />

Ein Modell dafür ist die „Hafenkante“, deren erstes Cluster inzwischen<br />

„Magellan-Quartier“ getauft wurde. Sie liegt weit draußen,<br />

an der südwestlichen Spitze der Überseestadt. Der Masterplan des<br />

Quartiers stammt von den niederländisch-deutschen Planern KCAP/<br />

ASTOC und schafft ein tragfähiges Gerüst für die Bebauung der einzelnen<br />

Baufelder. Es regelt die grundsätzliche Aufstellung und Aufteilung,<br />

die Bezüge zum Wasser, zu den Höfen und Freiflächen und zum<br />

sogenannten Boulevard.<br />

<strong>Die</strong> Baufelder, die direkt an der Weser liegen, sind vorzugsweise<br />

dem Thema Wohnen in allen Formen gewidmet. Für das Magellan-<br />

Quartier, das östliche Auftaktareal mit der Verbindung aus Wohnen,<br />

Freizeit und Arbeiten, wurden eine Quartiersqualität und eine Architektur<br />

gesucht, die sich von anderen Arealen der Überseestadt unterscheiden.<br />

Carsten Lorenzen aus Kopenhagen/Berlin hatte den<br />

städtebaulichen Wettbewerb gewonnen und sich für eine homogene<br />

Quartiersausbildung ausgesprochen, in der sanfte Ziegelfarben das<br />

Milieu bestimmen.<br />

Wir stellen seinen Entwurf und die grundsätzlichen Gedanken zu<br />

einem solchen Projekt der <strong>Architekten</strong> Fink und Jocher (München) vor.<br />

Geografisch woanders, nicht am Wasser, aber im attraktiven Stadtteil<br />

Schwachhausen und gedanklich vergleichbar sind drei Wohnhäuser<br />

des <strong>Architekten</strong> Helmut Riemann (Lübeck). Alle drei Projekte sind ideell<br />

über das Material, den entsprechenden Umgang mit Fassaden und<br />

der Grundrissqualität verbunden.<br />

Ähnlich anspruchsvoll ist das Projekt Guthoher Kamp der Hamburger<br />

Architektin Laura Jahnke, bei dem ebenfalls infolge der Nachverdichtung<br />

der inneren Stadt neuer Wohnraum auf der Nahtstelle<br />

zwischen mehrgeschossigem Bauen, Reihenhaus und Einzelhaus<br />

entsteht. Das Thema von Laura Jahnke dort: Doppelhausvillen!


Altengerecht? Ready? nachhaltig?<br />

Einfach nur gut!<br />

Fink+Jocher, München<br />

Entsprechend der exquisiten lage direkt an der Weser ist diese Wohnanlage<br />

im magellan-Quartier privat finanziert worden – für große mietwohnungen<br />

in moderater Dichte, mit drei bis fünf geschossen, kleinen<br />

Wohnhöfen, kleinen nachbarschaften, mit Stellplatz in der Tiefgarage.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Architekten</strong> Fink und Jocher sind erfahrene Wohnungsbauer und durch<br />

ihre Universitäten von Stuttgart und München in Lehre und Forschung sehr stark<br />

geprägt. Entsprechend grundsätzlich ist ihr Ansatz – auch hier. <strong>Die</strong>ses Projekt<br />

ist, wie im Bremer Neubau inzwischen grundsätzlich gefordert wird, weitgehend<br />

barrierefrei. Im Wettbewerb und in den frühen Planungsphasen war die Vokabel<br />

„altengerecht“ in den Planerköpfen, doch viele Menschen, die es betrifft, fühlen<br />

sich davon gar nicht angesprochen – soll heißen, noch nicht! Thomas Jocher:<br />

„Alle jungen Alten fühlen sich heute 20 Jahre jünger, die 60-Jährigen<br />

fühlen sich wie 40. Und alle wollen im alten Umfeld bleiben. Egal, wo<br />

auch immer, zu Hause ist es am schönsten! Aber Achtung: Ab 70 zieht<br />

kaum noch jemand um, wenn er nicht muss!“<br />

Thomas Jocher hat deswegen das Problem umbenannt und spricht nun<br />

von „ready!“. Vor fünf bis zehn Jahren hat man sich Fernsehgeräte kaufen können<br />

mit dem Status HD ready; heute ist man froh, wenn man schon einen entsprechenden<br />

Fernseher hat, den man weiter benutzen kann und nicht wegwerfen<br />

muss, auch wenn er damals teurer war. <strong>Die</strong>ses Prinzip wendet Thomas Jocher<br />

auch für Wohnen mit einer altengerechten Perspektive an:<br />

„Ready sind wir alle und beim Bauen zielt das manchmal darauf ab,<br />

Kleinigkeiten vorzubereiten, wie die möglichkeit, zunächst eine Badewanne<br />

einzubauen, den Ablauf gleichzeitig auf eine spätere Duschwanne<br />

auszurichten. Das muss vorbereitet werden. Kostet zwar geld<br />

im Vorgriff, ist aber trotzdem sinnvoll!“<br />

Altengerecht ist nicht „barrierefrei“ allein, mit Aufzügen oder breiteren Türen<br />

für den Rollstuhl. Altengerecht sollte als eine allgemeine Philosophie begriffen<br />

werden, mit Fragen wie: Soll die Küche mit dem Essplatz verbunden sein? Soll es<br />

Sichtbeziehungen zwischen Schlaf- und Wohnbereich geben? Muss der Sonnenschutz<br />

elektrisch zu bedienen sein?<br />

Viele Fragen, noch zu wenige Antworten. Klar ist aber heute schon, dass<br />

dies eines der großen Themen des Wohnungsbaus in Zeiten der demografischen<br />

Veränderung sein wird. <strong>Die</strong> Bremer Bauordnung unterstützt solche Projekte, weil<br />

alle neuen Wohnungen barrierefrei zu erschließen sein müssen, damit gute Voraussetzungen<br />

für ein gerechtes Wohnen für das letzte Drittel im Leben geschaffen<br />

76 77 AM WASSER, iN DER STADT<br />

werden können. <strong>Die</strong> Bremer Bauordnung hilft auch dort, wo es die Flexibilität von<br />

Räumen betrifft, denn nicht alle Innenwände müssen massiv ausgebildet werden.<br />

Thomas Jocher:<br />

„Veränderungen in der eigenen Wohnung müssen schnell gehen: Es<br />

kann ja – auch im jungen Alter – schnell ein Bein gebrochen sein, und<br />

dann wird eine Schwelle von fünf zentimetern schon zum problem<br />

und zum unüberwindlichen Hindernis. Das ziel muss sein, eine Wand<br />

in 24 Stunden herausnehmen oder den Raum verändern zu können!“<br />

In Ansätzen soll das in diesem Projekt von Fink+Jocher im Magellan-Quartier<br />

ablesbar werden. Doch Thomas Jocher glaubt, wenn man ein ganzes Haus<br />

„altengerecht“ anlegt, stigmatisiert man es damit nach heutigen Vorstellungen.<br />

Der Nachbar soll nicht mitbekommen, dass ich mich schon auf diese Lebensphase<br />

vorbereite oder mich gar bereits darin befinde, deswegen entscheidet sich<br />

Joachim Jocher für „ready!“.<br />

Neben den eindrücklichen demografischen Veränderungen ist Energie(-spar<br />

en) die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Thomas Jocher steht mit<br />

seiner Arbeit eher neben dem heutigen Mainstream, dem optimale Wärmedämmung,<br />

Passiv- oder Nullenergiehaus die wichtigsten Ziele sind. Und er bezweifelt,<br />

dass dies im Neubau oder Bestand die einzigen Möglichkeiten sind:<br />

„Wir müssen das Thema Energiesparen über die ausschließliche<br />

Dämmqualität der fassade hinaus ausdehnen. Es gibt von vornherein<br />

flächen, die weniger stark beheizt werden müssen, aber wir denken<br />

immer nur über die gesamte Hülle der Wohnung nach und setzen<br />

eine riesige maschine dafür ein. Künftig werden wir uns den luxus,<br />

sehr großen Wohnraum für 365 Tage entsprechend warm und kühl<br />

vorzuhalten, nicht mehr leisten können. Ich habe zwei Botschaften.<br />

Erstens: Wir haben noch genügend Öl und gas für die nächsten 100<br />

Jahre. zweitens: Wir haben noch genügend Öl und gas in gut zugänglichen<br />

Quellen für die nächsten drei Jahre.“ 1


Oben: Simulation Neubau<br />

Unten: So könnte es aussehen,<br />

Beispiel aus Berlin am Prenzlauer<br />

Berg (mit dem Bürositz der BARarchitekten)<br />

60 61 „UNGEWöHNLiCH WOHNEN!“<br />

„<strong>Die</strong> Ziele: Verbesserung der Erschließung und altersgerechte Anbindung<br />

für bestehenden Zeilenbau, differenziertes Raumangebot sowohl zweigeschossig<br />

(Duplex) wie auch auf der Etage, unterschiedliche Grundrisstypen für unterschiedliche<br />

Anforderungen von Alleinerziehenden (49 Quadratmeter) bis Familien<br />

mit drei Kindern (97 Quadratmeter)), Grundrisse charakterisiert durch Schaltraum<br />

mit Schiebetüren, Optionsraum in der Nähe des Eingangs für älteres Kind oder<br />

Arbeitsraum oder Gast. Im EG Studio für Wohnen und Arbeiten (zum Beispiel<br />

Existenzgründer), an der Kreuzung dagegen mit Läden. Ein gemeinsamer Hof<br />

bietet neue Aufenthalts- und Kommunikationsmöglichkeiten.“<br />

BARarchitekten<br />

BARarchitekten, Berlin<br />

1992 Gründung der <strong>Architekten</strong>gruppe BAR (Base für Architecture<br />

and Research) durch Antje Buchholz, Jack Burnett-Stuart, Michael von<br />

Matuschka und Jürgen Patzak-Poor.<br />

<strong>Die</strong> Projekte decken ein breites Spektrum ab, das die Entwicklung<br />

städtebaulicher Strategien, die Realisierung von konkreten Bauprojekten<br />

sowie die Ausarbeitung von Fallstudien zum Gebrauch des städtischen<br />

Raums umfasst. Ein zentrales Element der Arbeitsmethode von BAR stellt<br />

die Modellstadt dar, in der interaktive Modelle, die den Entwurfsprozess<br />

und die Konzeptfindung einzelner Projekte unterstützen, in Form eines<br />

„räumlichen Archivs“ gesammelt werden.<br />

www.bararchitekten.de<br />

Arndtstraße


Das schwarze Schaf und andere<br />

Überraschungen<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

„familienwohnung“ ist ein stehender Begriff, auch wenn er heute<br />

neu interpretiert wird und die Kriterien dafür aufgeweitet werden müssen.<br />

man kann aber auch ein Bauensemble in seiner städtebaulichen Qualität<br />

als „familie“ begreifen. Der Architekt Carsten lorenzen versucht dies an<br />

seinem Baufeld im magellan-Quartier zu zeigen und vergisst dabei (symbolisch)<br />

nicht einmal das schwarze Schaf.<br />

Das Magellan-Quartier soll sich in seiner Identität deutlich von der übrigen<br />

Überseestadt unterscheiden – weniger weiß, weniger solitär. Carsten Lorenzen<br />

hatte im städtebaulichen Wettbewerb gewonnen und fünf Häuser vorgeschlagen:<br />

„Wir haben eine Hausfamilie mit fünf gebäuden gezeichnet. Sie sind<br />

sozusagen verwandt miteinander, aber sie entwickeln jeweils einen<br />

starken individuellen Charakter – je nach ihrer positionierung im Quartier.<br />

Das ‚große Haus’ an der promenade ist ein stolzer Vierspänner,<br />

liegt zwischen promenade und Weser. Ein Haus, das ‚Haus am platz‘,<br />

soll einen dunkleren Stein als die anderen erhalten, ich bezeichne es<br />

gern als ‚schwarzes Schaf’.“<br />

Im städtebaulichen Gutachten brillierte der Vorschlag von Carsten Lorenzen<br />

durch seine Sensibilität für das Thema privat-halböffentlich-öffentlich. So genannte<br />

Zwillingsplätze liegen vor den Häusern und sind quartiersöffentlich, die Höfe<br />

sind privat. Durch entsprechende Bodenbeläge soll dies unterstützt werden: Vorn<br />

sind wir städtisch, innen ländlich grün. Bei den Wohnungstypen wird ein breites<br />

Repertoire ausgenutzt. Im Erdgeschoss können Familien die Gärten im Innenhof<br />

nutzen. Darüber variieren die Wohnungsgrößen; in den Penthäusern ist der<br />

Weserblick luxuriös und endlos. Aber die gesamte Anlage ist nicht elitär geplant,<br />

sondern wegen der unterschiedlich großen Wohnungen auf einen relativ breit angelegten<br />

Bewohnermix ausgerichtet.<br />

Carsten Lorenzen verwendet natürlich Ziegel, so wie er es fast immer tut, in<br />

der Anmutung zwischen robust und feinfühlig. Besonders Steine in unterschiedlichen<br />

erdigen Tönen bilden den Grundstock, ergänzt durch Aluminium und Holz:<br />

„Wir haben eine Architektur gesucht, die verdeutlicht, dass das Quartier<br />

hart am Wasser liegt. Eine gewisse Körperhaftigkeit ist uns sehr<br />

wichtig gewesen: Das heißt eine zeichenhaftigkeit am Hafen!“<br />

Der städtebauliche Wettbewerb wurde überarbeitet, und Aufgaben aufgeteilt.<br />

Carsten Lorenzen wird sich nun um den Städtebau des Quartiers kümmern,<br />

unter anderem um die Tiefgarage, und wird zwei Häuser verwirklichen.<br />

82 83 AM WASSER, iN DER STADT


Wohnen wie zu Bauhauszeiten –<br />

aber besser!<br />

Laura Jahnke, Hamburg<br />

Der Bauplatz in <strong>Bremen</strong>-nord hat großes potenzial. Das gebiet wird<br />

sich vom mischgebiet mehr und mehr zu einem Wohngebiet entwickeln. <strong>Die</strong><br />

Idee ist es, an dieser Stelle einen Wohnpark aus weißen Kuben, aus weißen<br />

Doppelvillen, zu errichten, in denen man als Eigentümer wohnen kann.<br />

In den neuen Häusern werden mittelständische Familien wohnen, zu Kaufpreisen,<br />

die über dem Durchschnitt liegen. Dabei ist es nicht „Lage, Lage, Lage“,<br />

die das rechtfertigt, sondern die Architekturqualität: <strong>Die</strong>se Häuser versprechen<br />

wirklich hohen Wohnkomfort. <strong>Die</strong> Architektin versucht dieser Erwartung mit Architektur<br />

und nicht nur mit Ausstattung gerecht zu werden, spricht bei ihren Doppelhäusern<br />

gern von Doppelvillen, weil ihre Häuser nicht gleich aussehen sollen<br />

und nur durch eine „Scheuklappe“ in der Mitte getrennt werden. Es wird hier vom<br />

„<strong>Architekten</strong>haus“ gesprochen, ein schiefer und übertriebener Begriff, aber ein<br />

marktfähiger. Laura Jahnke:<br />

„Der Begriff ‚<strong>Architekten</strong>haus‘ ist eine Altlast aus der moderne, aber<br />

viele Bauherren mögen ihn, weil man gleichzeitig Eleganz und Anspruch<br />

damit verbindet und Ruhe und Einheitlichkeit für das gesamte<br />

Quartier erreichen kann. Das zählt gerade in der Verdichtung, da<br />

müssen nicht alle Häuser blinken und leuchten – es zählt der gesamtcharakter!“<br />

16 weiße Häuser entstehen auf drei Hektar mit Wohn- und Nutzflächen<br />

zwischen 160 und 200 Quadratmetern. <strong>Die</strong>se Zahl erlaubt dem entwerfenden<br />

<strong>Architekten</strong>, sich um eine Typologisierung kümmern zu können. Und das spart<br />

Geld durch Planung einer Kleinserie für die Ausführung bei Wohnräumen, Küchen,<br />

Individualräumen etc. Sie könnte sich als „Typus“ auch an anderen Standorten<br />

vermarkten lassen. <strong>Die</strong> Kraft dieses Entwurfs entstammt seiner städtebaulichen<br />

Grundordnung. Laura Jahnke:<br />

„Das Quartier funktioniert nur deswegen so gut, weil wir vorher<br />

intensiv überprüft haben, wer schaut wem in welches fenster oder<br />

in den garten? Dann haben wir die Häuser wie Spielkarten einzeln<br />

gesetzt. geholfen haben uns die baurechtlichen Vorschriften. Auch<br />

wenn es vielleicht während der planung nervt, hilft es, wenn im Bplan<br />

steht, es dürfe keine Trenn- oder Sichtschutzwand nötig werden.<br />

Das ist eine große Herausforderung, aber macht mir Spaß!“<br />

400.000 Euro inklusive Grundstück kosten diese Häuser. Sie eignen sich<br />

exzellent für Familienwohnen. Doch gibt es auch End- und Anfangshäuser, die<br />

wegen ihrer Größe und zusätzlichen Belichtung andere Nutzungen als Wohnen<br />

86 87 AM WASSER, iN DER STADT<br />

zulassen. In den Häusern selbst wird die Treppe zum Ordnungselement, sie zoniert<br />

die jeweiligen Grundrissebenen. <strong>Die</strong> Garage ist im Haus und das Auto steht<br />

nicht auf der Straße. Laura Jahnke nennt das Klarheit und ein gewisses Aufräumen<br />

im Stadtbild:<br />

„Deutschland ist ja ein Autoland, gerade auch für familien mit Kindern;<br />

wenn man bedenkt, wie oft mütter fahrdienst für ihre Kinder<br />

übernehmen müssen …“<br />

<strong>Die</strong> Hauszeilen kommen ohne geneigte Dächer aus, das mag vielleicht nicht<br />

der weitverbreiteten Vorstellung des „Hauses vom Nikolaus“ entsprechen, die ja<br />

tiefenpsychologisch immer noch die Wünsche der Bauherren bestimmt. Aber es<br />

hat auch Vorteile: Bei dieser Komplexität, bei der Vielzahl der Ebenen und der<br />

Verknüpfung von Außenraum und Innenraum auf den verschiedenen Ebenen hätte<br />

die Architektin dem Thema Dach nicht gerecht werden können. Jetzt können<br />

die flachen Dächer fast überall auch begangen werden. Insgesamt ist das eine<br />

gelungene Komposition aus wenigen typologisierten Grundbausteinen. Und am<br />

Ende steht ein atmosphärisch ansprechender Reigen aus weißen Villen. Keiner<br />

will eigentlich Reihenhäuser oder Doppelhäuser, obwohl sie mit ihrem schmalen<br />

ökologischen Fußabdruck sehr vernünftig sind. Der Trick besteht darin, sie trotzdem<br />

zu bauen, sie aber nicht so aussehen zu lassen. Laura Jahnke:<br />

„Wir haben ein Wohnquartier mit einem Dorfplatz geschaffen, alles<br />

ist kleinmaßstäblich mit Bänkchen usw. Aber der Wiedererkennungswert<br />

jedes einzelnen Hauses ist sehr groß. Es herrscht große<br />

privatsphäre – keinerlei Einsicht von außen, es gibt kein komplett<br />

offengelegtes leben. Es geht um Schutz, Identität und geborgenheit.<br />

Das liefern wir hier.“


STADTWERDER I<br />

Eine große Chance für <strong>Bremen</strong>:<br />

Wohnen zwischen den Flüssen<br />

Der Stadtwerder in <strong>Bremen</strong> ist eine Halbinsel, die auf einer Länge<br />

von sechs Kilometern nördlich der Neustadt bis nach Habenhausen<br />

zwischen der Weser und der Kleinen Weser entstanden ist. Im<br />

mittleren Teil der Halbinsel wächst ein neues Quartier heran, das auf<br />

eindrucksvolle Weise städtische und ländliche Qualitäten kombiniert.<br />

Es sind zwar nicht, nach Kurt Tucholsky, vorn die Ostsee und hinten<br />

die Friedrichstraße, dafür aber der Blick auf Domkirche und Altstadtufer<br />

auf der einen und die grünen Weserbezüge auf der anderen<br />

Seite. Und das ist großartig genug. Nach der Konversion des alten<br />

90 91 STADTWERDER i<br />

„Innerstädtisch zentral wohnen – das ist das<br />

entscheidende Thema für die nahe zukunft in<br />

<strong>Bremen</strong> – also in einem angenehmen Quartier,<br />

das mit dem fahrrad aus der Innenstadt erreichbar<br />

ist und Eigenheimqualitäten besitzt.“<br />

Birgit <strong>Westphal</strong><br />

Wasserwerks und seiner kontaminierten Flächen könnte man schon<br />

von einem Geschenk an die Stadtentwicklung sprechen; sorgten<br />

nicht Altlasten und notwendige neue Infrastruktur dafür, dass es nicht<br />

umsonst oder auch nur billig zu haben ist.<br />

Als unverkennbare Landmarke zur Identifikation mit dem neuen<br />

Quartier wird der verbliebene, 1871–1873 im eklektischen Stil<br />

errichtete Wasserturm zum Gradmesser neuer Architekturqualität,<br />

im Volksmund wird er wegen seiner wuchtigen Form und seiner vier<br />

Ecktürme zu Recht als „Umgedrehte Kommode“ bezeichnet. Nach<br />

einem Gutachten mit entsprechenden Gestaltungsvorschlägen 1 soll<br />

die Identität des Stadtwerders untrennbar mit dem Gebäude des<br />

Wasserturmes, seiner einprägsamen Form und dem verwendeten<br />

roten Klinker verbunden werden. Als Leitmaterial für die Neubebauung<br />

ist ebenfalls Klinker vorgesehen, der allerdings in seinem<br />

Farbspektrum variieren kann. Untergeordnete Materialien können<br />

Putz, Holz, Metall und bedrucktes Glas sein. 2 <strong>Die</strong> konsequente und<br />

auch homogene Gestaltung dieses neuen Stadtquartiers nach einer<br />

fast 15-jährigen Entwicklungsphase gehört zu den Schlüsseln einer<br />

neuen städtischen Bremer Wohnkultur – erste fertiggestellte Projekte<br />

bestätigen, dass alle Beteiligten auf dem richtigen Weg sind. Und<br />

wie viele andere Kapitel dieses Buches dient dieses hier auch für den<br />

Beweis einer wichtigen These: Architektonische Detailqualität steigert<br />

die Wohnqualität und damit die Daseinsqualität!<br />

1 Spengler Wiescholek, Hamburg v.a.: Städtebaulicher Rahmenplan Stadtwerder unter<br />

Einbindung des Senators für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa, <strong>Bremen</strong> 2009<br />

2 Ebd., S. 31


<strong>Weiße</strong> <strong>Schönheiten</strong><br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong>, <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Die</strong>ses projekt auf dem ehemaligen gebiet der Wasserwerke auf<br />

dem Stadtwerder liegt in unmittelbarer nähe des alten Backsteinwasserturms<br />

– 300 meter luftlinie von der Bremer Altstadt entfernt. Von dort<br />

strahlen die strukturellen Botschaften des historischen Bremer Hauses<br />

bis auf den Stadtwerder: zum Beispiel das Durchwohnen von der Straße<br />

zum garten, mit Schiebetüren, die dazwischen Räume trennen und wieder<br />

öffnen. <strong>Die</strong> fassadenfarbe: strahlend weiß!<br />

<strong>Die</strong> beiden fünfgeschossigen Häuser mit 38 Vierspännergeschosswohnungen<br />

stehen in Südwestlage; sie sind bereits fertiggestellt. <strong>Die</strong> Besonderheiten<br />

der Wohnungen sind in den anspruchvollen Fassaden zu suchen, vor allem in<br />

außergewöhnlichen Loggien, die komplett in die Kubatur eingepasst wurden. Unterschiedlich<br />

in Form und Material, versucht die Architektur die Individualität der<br />

entsprechenden Menschen nachzuvollziehen. Das Thema lautet hier: innerhalb<br />

der Wohnung bleiben, auch wenn man nach draußen auf den Balkon geht. Fast<br />

entsteht der Eindruck, die Wohnungen seien um die Balkone herum entwickelt.<br />

Auf diese Weise können auch durch eine falsche Ausrichtung eigentlich benachteiligte<br />

Wohnungen aufgewertet werden, weil deren eigenwillig geformte Balkone<br />

plötzlich überraschende Blickrichtungen gestatten. <strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong>:<br />

„<strong>Die</strong> fassaden vermitteln Einheit und Vielfalt gleichermaßen: Einheit<br />

aus der ruhigen, hell strukturierten Körnung des putzes, Vielfalt aus<br />

den anthrazitfarbenen fensterelementen, die mäandrierend und alternierend<br />

auf die individuellen Bedürfnisse der dahinter wohnenden<br />

menschen reagieren.“<br />

Insgesamt profitieren die Wohnungen von der fantastischen Südwestlage<br />

zur kleinen Weser. Aber dieser feine architektonische Umgang mit Details ist ein<br />

zusätzlicher Aperçu, unterstützt durch ein trotz seiner Innenlage von oben mit<br />

Licht verwöhntes Treppenhaus – so begleitet die Bewohner bis in den üppigen<br />

Eingangsbereich fließend das Tageslicht. Natürlich handelt sich hier um höherpreisigen<br />

Wohnungsbau, um Eigentumswohnungen. In <strong>Bremen</strong> wird daran gearbeitet,<br />

solche Merkmale einer guten Wohnung nicht zur Sache des Budgets zu<br />

machen, sondern neue gute Ideen zu entwickeln, die nicht zwangsläufig teuer<br />

sein müssen.<br />

<strong>96</strong> 97 STADTWERDER i


Hyggelig und ein bisschen mehr<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

Der zukünftige Charakter des Stadtwerder ist mit diesem Haus<br />

schon sichtbar geworden: Wasserstrichziegel von hoher Qualität in hellen,<br />

lehmigen, nordischen farben; eine hingebungsvolle Detaildurcharbeitung,<br />

die fast manisch zu nennen ist.<br />

Carsten Lorenzen ist ein Architekt, der stark von der dänischen Nachmoderne<br />

wie Kai Fischer beeinflusst worden ist. Der erkennt die Botschaft des<br />

Funktionalismus an, hält aber nichts vom Diktat der Form in Abhängigkeit von<br />

der Funktion. Carsten Lorenzen sieht in ihm eine Art Paten:<br />

„Es geht mir um Vermittlung, nicht um die revolutionären Inhalte<br />

des modernismus aus den 1920er Jahren, sondern auch um eine<br />

Haptik in der Tradition des ortes.“<br />

<strong>Die</strong> Tradition steht hier mit der „Umgedrehten Kommode“ mächtig ins<br />

Haus. Sie ist eine Kampfansage an jeden <strong>Architekten</strong>, der hier bauen will, mit der<br />

Frage: Bist du ebenso gut? Carsten Lorenzen nimmt das ungleiche Duell auf,<br />

nicht mit dem Volumen, aber mit einer selbstbewussten Aufstellung und Einreihung<br />

in eine neue Silhouette an der Weser, wie sie von der Altstadt aus gesehen<br />

werden kann. Man kann an einem solchen Standort durchaus mit Neubauten<br />

untergehen, weil man den Geist des Ortes nicht aushält oder nicht weitertransportiert.<br />

Lorenzen reagiert hier ganz richtig mit der entsprechenden Körnung<br />

der Hafenkante und einem leicht wirkenden „Ziegelüberwurf“ seines Bauwerks.<br />

Lorenzen:<br />

„<strong>Die</strong> Wohnungen orientieren sich zur Weser, die Häuser drücken<br />

eine gewisse bremische zurückhaltung, ja Vornehmheit aus. <strong>Die</strong><br />

oberen geschosse drehen sich zur Aussicht und setzen so ein<br />

zeichen, das der Bedeutung des Standortes entspricht. großzügige<br />

Balkone ermöglichen das Wohnen zum offenen grünraum, an der<br />

Rückseite zum Quartier.“<br />

Der Umgang des <strong>Architekten</strong> mit dem sanftfarbenen, lehmigen Wasserstrichziegel<br />

beeindruckt und ist unmittelbar erlebbar – sogar mit den Händen,<br />

wenn man sich traut, über die Fassaden zu streicheln. <strong>Die</strong> Ziegelverbände sind<br />

unerwartet verlegt, bilden natürliche Reliefs. Im Eingangsbereich der Häuser beispielsweise<br />

für die Untersicht des Vordaches, wo die Steine hochkant verwendet<br />

wurden und mit dem Boden des Ziegels sichtbar werden – das ist unorthodox<br />

und wirkt überraschend. Carsten Lorenzen reanimiert die Kraft des Ziegels.<br />

Auch mit der obligatorischen Dehnungsfuge geht er sensibel um, zieht sie<br />

über alle Geschosse eines Hauses und vermeidet den Eindruck des „Durchschneidens“<br />

durch eine Außenwand. <strong>Die</strong>se Häuser zeigen wieder eine klassische<br />

Aufteilung in Unten-Mitte-Oben und bleiben trotzdem anständig modern<br />

104 105 STADTWERDER i<br />

und über fünf Geschosse sehr spannend: Fenster und Ziegelbänder und andere<br />

Flächen mäandern: Carsten Lorenzen wollte den üblichen optischen Stapeleffekt<br />

vermeiden. Und das gelang ihm hier.<br />

Wie bei anderen Projekten (zum Beispiel <strong>Die</strong> <strong>Schweiz</strong> auf dem Stadtwerder.<br />

Buchner Bründler <strong>Architekten</strong>, S. 100) arbeitet Lorenzen bewusst einen kleinen<br />

„Fehler“ ein, nämlich „verkehrtes“ Wohnen: Im Wettbewerb wurden die Grundrisse<br />

so organisiert, dass eine Ausrichtung der Wohnung nach zwei Seiten, zur<br />

Stadt und zur Sonne nach Süden möglich ist. Nach Absprache mit dem Projektentwickler<br />

und den Käufern entschied man sich, jetzt die eher privaten Räume<br />

(früher vielleicht Schlafzimmer genannt) zur Sonne in den Innenhof zu legen und<br />

die Wohnräume nach Norden mit dem repräsentativen Blick zur Weser und zur<br />

Stadt auszurichten:<br />

„Das war eine schöne Erfahrung, dass die ausschließliche Abhängigkeit<br />

der nutzungen beim Wohnen von der Himmelsrichtung nicht das<br />

allein Seligmachende ist!“<br />

Auch diese Häuser haben auch eine überdurchschnittlich große Tiefe. Das<br />

kam den <strong>Architekten</strong> sehr entgegen, weil sich dadurch der Baukörper besser gegen<br />

die „Kommode“ behaupten kann. <strong>Die</strong> untypische Ausrichtung hat dann auch<br />

ihren Ausdruck in architektonischen Details gefunden, so sind die Balkone teils<br />

halb eingezogen, teils als richtige Loggien, teils als „Sprungbretter“ in den Freiraum<br />

ausgebildet.<br />

Zurück zum Straßenraum: Mit dem kleinen gepflasterten Weg, einer Bank,<br />

den wirklich beseelten und liebevollen Ziegeldetails wird das erreicht, was in der<br />

dänischen Wohnkultur hyggelig genannt wird, also „geborgen“, „intim“, „im trauten<br />

Heim“, „lieblich“, „malerisch“, „Trost spendend“, „klein, aber fein“, und „niedlich“.<br />

Typisch dänisch, sagt man auch dazu. – Und das ist ein bisschen anders<br />

gemeint als deutsche Gemütlichkeit …


STADTWERDER II<br />

Aus der Reihe tanzen –<br />

hier und anderswo<br />

Es gehört zum Konzept der Masterplanung für den Stadtwerder,<br />

in Richtung der Kleinen Weser die Bebauung aufzulockern, der städtischen<br />

Kante eine ländliche Seite zuzugesellen, also auf dem Stadtwerder<br />

den Übergang von Innenstadt zur Vorstadt zu formulieren.<br />

Dahinter steht die These: Auch mitten in der Stadt haben Einfamilienhäuser<br />

eine Berechtigung, es kommt nur darauf an, geschickt ihren<br />

ökologischen Fußabdruck zu minimieren, das heißt die Grundstücksgrößen<br />

vernünftig kompakt zu halten.<br />

Das Bremer Haus hat schon vor vielen Jahrzehnten den Weg<br />

gezeigt, wie durch Struktur und Organisation der Platzverbrauch<br />

eines Wohnhauses in diese Richtung vorbildlich minimiert wird,<br />

118 119 STADTWERDER ii<br />

wie durch Wohnhäuser guter Städtebau entsteht. Wie aus Einzel-,<br />

Reihen- oder Kettenhäusern ein Quartier, eine Wohngruppe werden<br />

kann. Beispielsweise durch ihre einheitliche Dreigeschossigkeit. Oder<br />

durch ein Flachdach – nicht immer entspricht das der Nachfrage.<br />

Aber ein Friesenhaus mit Krüppelwalmdach wäre keine zeitgemäße<br />

Antwort auf die Bedingungen von innerstädtischen Standorten, weder<br />

was die städtebaulichen Qualitäten noch was die innere Organisation<br />

der Häuser betrifft. Wie es funktioniert, zeigen die folgenden Beispiele.<br />

Ein weiterer Teil der Bauten zur alten Weser hin ist außerdem<br />

einer neuen Interpretation der Villa gewidmet worden, also des<br />

freistehenden Einfamilienhauses. <strong>Die</strong>se Villen stehen stadtnah und<br />

trotzdem an den grünen Ufern der Weser. Sie verbinden sich zusammen<br />

zu einer städtebaulichen Figur – Einfamilienhausgebiete müssen<br />

nicht zwangsläufig als „Wildschweingebiete“ enden.<br />

Das letzte Beispiel steht nicht auf dem Stadtwerder, sondern<br />

zeigt in einer typischen Bremer Straße, wie dort eine Lücke modern<br />

und vorbildlich geschlossen werden konnte. Bei dieser Lückenschließung<br />

waren Randbedingungen wie Höhe und Dichte vorgegeben,<br />

aber der Fantasie des <strong>Architekten</strong> keine Grenzen gesetzt.


Aus Einfamilienhäusern Stadt bauen<br />

zweimeterzehn, <strong>Bremen</strong><br />

zweimeterzehn ist ein fast subversiver name für ein Architekturbüro,<br />

einer, der fragen nach seiner Bedeutung aufwirft. Aber er ist nicht das<br />

einzige, was an den Stadthausentwürfen für den Stadtwerder überrascht<br />

– in einer Kombination aus vernünftiger größe und hanseatischer geste,<br />

jenseits der üblichen Erwartungshaltungen an Einfamilienhäuser.<br />

Jost Herbert und Wolfgang Tobias, die Inhaber von zweimeterzehn, arbeiten<br />

mit ihrem Architekturbüro im Erdgeschoss einer bescheidenen, aber gewohnt gut<br />

proportionierten Ausgabe des Bremer Hauses und erleben täglich die Vorteile dieses<br />

traditionellen Haustypus. Und das passt gut zu ihrer Arbeit. Bauen in <strong>Bremen</strong><br />

fassen Jost Herbert und Wolfgang Tobias in etwa so zusammen:<br />

„Schon im Voraus heißt es immer: Egal, was da steht, Hauptsache, es<br />

sieht hanseatisch aus!“<br />

Aber was ist bremisch, hanseatisch? Vermutlich definiert sich das vor allem<br />

über das Material, eben den roten Klinker. <strong>Die</strong> Gestaltungsfibel, die für den<br />

Stadtwerder von der entsprechenden Projektentwicklungsgesellschaft aufgrund<br />

der Wettbewerbsergebnisse und deren Schnittmenge entwickelt wurde 1 , nimmt<br />

darauf Rücksicht und gibt entsprechende Hinweise. Sinn und Zweck ist es natürlich,<br />

städtebaulichen Zusammenhang und dadurch Quartierscharakter zu erzeugen<br />

– auch in diesem Teil des Stadtwerder, der recht locker durch Einzelgänger<br />

besiedelt wird. Sie korrespondieren durch einheitliche Kubatur oder Traufhöhen<br />

und Flachdach. Bei den Materialien führt Backstein die Liste der Empfehlungen<br />

an, doch werden auch Holz, Glas und anderes befürwortet. In diesem Fall spielen<br />

die <strong>Architekten</strong> mit der Farbe: statt Blaurot fein geschlemmte Steine in Richtung<br />

Braungelb. Ihr dreigeschossiger Vorschlag einer Stadtvilla mit 200 oder 300<br />

Quadratmetern für größere Grundstücke ist so entwickelt, dass er als Bautypus<br />

verwendet, also auch anderswo gebaut werden könnte. Auch wenn das Bremer<br />

Haus im Original ein Reihenhaus ist, werden Grundmotive an diesem Einzelhaus<br />

wiederholt:<br />

„<strong>Die</strong> Aufteilung in zonen zum Beispiel Erschließung, Wohnen/Arbeiten,<br />

privat/halböffentlich, durchlaufende Räume mit unterschiedlichem<br />

Charakter und ihre Belichtungsmöglichkeiten.“<br />

<strong>Die</strong> Erschließung erinnert tatsächlich an den Geist des Bremer Hauses,<br />

übereinander sind verschiedene Raum- und Nutzungsangebote gestapelt, immer<br />

auch im Stil des Durchwohnens, also mit einer möglichen Belichtung und Besonnung<br />

über den ganzen Tag. Das führt soweit, dass Etagen „getauscht“ werden<br />

können, sich also unten eine Einliegerwohnung (zum Beispiel Altenwohnen)<br />

befindet und darüber erst die Beletage des Hauptmieters. Oder der Bereich für<br />

126 127 STADTWERDER ii<br />

alltägliche Abläufe mit Küche und Essraum wird nach unten gelegt und darüber<br />

kann dann eine Art frei zu gestaltender Multifunktionsraum entstehen. Und darüber<br />

dann wieder ein Einliegerbereich usw.:<br />

„man muss allerdings immer damit rechnen, dass all die schönen<br />

Vorschläge wieder auf konventionelle Ansprüche zurückgeschraubt<br />

werden. Das soll heißen: Wenn diese Häuser dann wirklich über den<br />

Bauträger verkauft werden, muss der Entwurf auch Klischees befriedigen.<br />

Das ist zwar manchmal frustrierend, weil man vorher freiräume<br />

gefunden hatte, die offensichtlich keiner will.“<br />

Gestalterisch arbeiten die <strong>Architekten</strong> mit wenigen durchgehenden Motiven<br />

wie raumhohen Fenstern. Sie verzichten auf plastischen Schmuck. Vieles wird<br />

nach innen gelegt, so werden Loggien aus der Wand ausgestanzt, damit außen<br />

alles schlicht und einfach wirkt: Eine homogene Haut aus Klinker umhüllt die Wohnung.<br />

Sie stellt die harmonische Beziehung her zu den anderen neuen Bauten auf<br />

dem Stadtwerder und zur „Umgedrehten Kommode“ – man begreift schnell, es<br />

gehört hier alles zusammen!<br />

Es gibt wohl – nicht nur in <strong>Bremen</strong> – nur wenige gelungene Versuche, mit<br />

dem Typ Einfamilienhaus innerstädtischen Städtebau zu markieren. <strong>Die</strong>ser Versuch<br />

kann wegen seiner materiellen und auch stadträumlichen Qualität beweisen,<br />

dass die richtige Antwort auf unkontrollierten Wildwuchs nur die Stringenz von<br />

Architektur sein kann; eine gute Voraussetzung dafür ist es, dass alle Baufelder<br />

des Stadtwerder über Wettbewerbe entschieden wurden.<br />

<strong>Die</strong> Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet übrigens: <strong>Die</strong> ersten gemeinsamen<br />

Büroräume von Jost Herbert und Wolfgang Tobias lagen im Souterrain<br />

und besaßen die lichte Deckenhöhe von 2,10 Metern. Da die vollständigen<br />

Namen der beiden <strong>Architekten</strong> ausschließlich aus Vornamen bestehen, hätte das<br />

zu Verwirrungen geführt, denn die familiennamentliche Büromarke (Herbert + Tobias)<br />

eignet sich eher für den Brand eines deutschen Schlagerduos; da war doch<br />

zweimeterzehn der willkommene Ausweg für eine Firmierung mit programmatischer<br />

Deutungsfähigkeit.<br />

1 Spengler/Wiescholek/Höing u. a.: Strukturplan Stadtwerder. Gestaltungsfibel für die<br />

Bebauung des Baufeldes B3 für die Stadthäuser. <strong>Bremen</strong> 2010


Erdgeschoss 1. Obergeschoss 2. Obergeschoss<br />

<strong>Die</strong> Grundrisse stellen den Status des Wettbewerbsentwurfs dar.<br />

projekt: Stadthaus<br />

Adresse: Stadtwerder, <strong>Bremen</strong><br />

Typologie: Einzelhaus, ca. 180 m 2 Wohn- und Nutzfläche<br />

<strong>Architekten</strong>: Theis Janssen, Architekt BDA; Prof. Katja-Annika Pahl,<br />

Architektin BDA<br />

Wettbewerbsmitarbeit: Thorsten Böhlken, Architekt MA<br />

Auftraggeber: Wettbewerb: PGS Projektgesellschaft Stadtwerder/<br />

Realisierung: privat<br />

132 133 STADTWERDER ii<br />

„Ein Haus, das nach <strong>Bremen</strong> passt, aus rotem Backstein und von einer auf<br />

den ersten Blick klaren und einfachen Gestalt, die ihren Reiz im Detail vielleicht<br />

erst bei genauerem Hinsehen auf den zweiten Blick offenbart. Das Haus hat eine<br />

„öffentliche“ Seite zur Straße und eine „private“ Seite zum Garten. Zur öffentlichen<br />

Straße hin bietet die Fassade wenig Einblick, erscheint etwas reserviert und<br />

schützt die dahinter liegenden privaten Räume. Durch vor- und zurückspringende<br />

Klinkerschichten bildet sich ein Sockel, der sich im ersten Obergeschoss in eine<br />

freie Struktur aus einzelnen hervortretenden Klinkern auflöst. Ein Teil dieser Klinker<br />

wirkt durch die starke Sinterung wie glasiert. So entsteht eine in der Sonne schimmernde,<br />

zarte zweite Schicht über dem robusten Backstein.“<br />

Theis Janssen, Katja-Annika Pahl<br />

Theis Janssen<br />

1<strong>96</strong>6 geboren in Oldenburg<br />

1989–19<strong>96</strong> Architekturstudium an der TU Braunschweig<br />

19<strong>96</strong>–2004 Prof. Müller-Menckens; Beichler + Vogt, <strong>Bremen</strong><br />

2004 freischaffender Architekt<br />

2009 Lehrauftrag Entwerfen III, Hochschule <strong>Bremen</strong><br />

Katja-Annika pahl<br />

1971 geboren in Hamburg<br />

1991–1997 Architekturstudium an der TU Braunschweig<br />

1997–1998 André Poitiers <strong>Architekten</strong>, Hamburg<br />

1998–1999 Bothe Richter Teherani <strong>Architekten</strong>, Hamburg<br />

1998-2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin, TU Dresden<br />

2004 Gastprofessur Kent State University, USA<br />

seit 2008 Professorin an der Hochschule <strong>Bremen</strong><br />

www.theisjanssen.de


Bremer Haus reloaded<br />

FSB, <strong>Bremen</strong><br />

Auf die frage „Wie möchten Sie wohnen?“ werden viele Bremer antworten:<br />

innerstädtisch und am Stadtleben teilhaben. Alles beisammen<br />

haben. <strong>Die</strong> Antwort darauf: das Bremer Haus. Es wurde zum mythos, der<br />

sich bis heute gehalten hat, trotz bestimmter probleme, weil es als Reihenhaus<br />

natürlich nur von zwei Seiten zu belichten ist. Ein Beispiel, wie<br />

fortschrittlich das Bremer Haus im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts<br />

sein kann, steht in der Braunschweiger Straße.<br />

Mit einer neuen Generation von Bremer Häusern hat man sich bisher zurückgehalten,<br />

es gab ein Baulückenprogramm und in den 1980er Jahren einen<br />

Versuch, das Bremer Haus wiederaufleben zu lassen. Der Versuch verlief aber<br />

im Sande. Für die Überseestadt planen Bolles+Wilson aus Münster jetzt einen<br />

ähnlichen Bautypus, auch für die Konversion des Neuen Hulsberg-Viertels, eines<br />

früheren städtischen Klinikgeländes, könnte dieser Typus in Frage kommen. Desto<br />

mehr hat der Vorschlag von FSB <strong>Architekten</strong> prototypischen Charakter. Das<br />

Projekt löst einige Grundprobleme eines Wohnhaustypus, der sich auch für andere<br />

Nutzungen besonders gut eignet, das teilt sich schon in der repräsentativen<br />

Eingangshalle im modernen Betonoutfit mit. Bei einer Hausbreite von nur 5,21<br />

Metern! Architekt Michael Frenz:<br />

„Das zentrale Thema beim Bremer Haus heißt Verdichtung. man lebt<br />

in sehr konzentrierter form mit der nachbarschaft zusammen. Das<br />

ist eine große Chance. Das Bremer Haus ist deswegen ein so wertvoller<br />

Typus, weil es städtebaulich eine ganz klare Sortierung besitzt.<br />

Halböffentlicher zugang – Haus – privater garten! Es gibt auch im<br />

Haus durch die horizontale gliederung eine klare Hierarchie vom Öffentlichen<br />

zum privaten. Ein in dieser form organisiertes Haus lässt<br />

städtisch verdichtete Wohnformen zu. Da inzwischen die klassischen<br />

Bremerhausquartiere sozial sehr gemischt sind, wird eine große<br />

Bandbreite des Bremer lebens dokumentiert.“<br />

Weil inzwischen die Landesbauordnung in <strong>Bremen</strong> im Punkt der Abstandsflächen<br />

liberalisiert worden ist, um eine verdichtete städtische Bebauung und<br />

damit die Innenentwicklung zu fördern, hat auch dieser Neubau in der Braunschweiger<br />

Straße davon profitiert. Denn seit der letzten Gesetzesnovelle sind<br />

diese Abstandsflächen von 0,6 auf 0,4 H, mindestens jedoch drei Meter reduziert<br />

worden. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass seit der Novelle der Grenzabstand zu Nachbargrundstücken<br />

bei einem beispielsweise zehn Meter hohen Gebäude nicht mehr<br />

mindestens sechs Meter, sondern zukünftig nur noch vier Meter betragen muss.<br />

Eine solche Verringerung des Sozialabstandes (denn so sollte man die Grenzabstandsregelung<br />

bezeichnen) hat das Bauvorhaben in der Braunschweiger Straße<br />

138 139 STADTWERDER ii<br />

sehr begünstigt, denn die klassischen Bremerhausquartiere, wenn nicht gerade<br />

in den gutbürgerlichen Bereichen gelegen, sind in der Regel vom Grundstückszuschnitt<br />

sehr eng geschnitten und somit stark verdichtet. In diesem Fall entsteht<br />

aber durch die Lückenschließung keinerlei städtebauliche Verschlechterung, sondern<br />

im Gegenteil eine Aufwertung. Architekt Christian Bollmann:<br />

„<strong>Die</strong> Eingangsfassade als das gesicht zur Straße reflektiert das<br />

Wechselspiel zwischen offenheit und privatheit anhand der gewählten<br />

materialien: Beton und ziegel als archaische materialien korrespondieren<br />

mit den warm anmutenden Holzfenstern. Es geht doch<br />

immer um den ‚Respekt‘ vor dem öffentlichen Raum, der nachbarschaft.<br />

Das ist für uns ein wichtiges architektonisches Thema: Wenn<br />

man sich in einem solchen Quartier bewegt, muss man die bauliche<br />

Umgebung würdigen!“<br />

Andere alte Themen sind neu interpretiert worden. <strong>Die</strong> unteren Geschosse<br />

haben eine lichte Raumhöhe von knapp drei Metern, das Penthouse ist niedriger,<br />

aber voll verglast, wichtiger aber ist die Brüstungshöhe von 1,20 Meter für die<br />

darunter gelegenen privaten Räume, sodass diese nicht von der Straße eingesehen<br />

werden können. Im Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Auffassung von<br />

Eingangsgeschoss, den zwei Wohngeschossen und dem Penthouse entwickelt<br />

sich eine spannende Fassade aus ganz wenigen Stilmitteln – so einfach kann<br />

Architektur sein!


HYBRIDE ARCHITEKTUR<br />

Wohnen, Arbeiten und mehr –<br />

wie wollen wir morgen leben?<br />

Hybridität ist ein Schlagwort dieser Tage, wenn es um verschiedene<br />

Nutzungen unter einem Dach geht. Der Münchner<br />

Architekt Thomas Jocher hat bei den Recherchen zu diesem Buch<br />

seine Definition so wiedergegeben: „Wenn auf einen Apfelbaum ein<br />

Kirschzweig aufgepfropft wird, ist das im biologischen Sinne Hybridität.<br />

Aber es wird aus dem Apfelbaum kein Kirschbaum. Und auf<br />

die Funktionen im Haus bezogen meint hybrid nicht, dass flexibel<br />

ausgetauscht wird, sondern dass verschiedene Eigenschaften nebeneinander<br />

oder nacheinander möglich werden“. Für Thomas Jocher<br />

ist der architektonische Klassiker der Hybridität im Downtown<br />

Athletic Club in Chicago zu finden – das ist ein Hochhaus mit vielen<br />

Nutzungen: unten ein Autogeschäft, darüber Büros, ein Schwimmbad<br />

on top, dazu ein Hotel und Wohnungen. Wenn man dies alles<br />

144 145 HYBRiDE ARCHiTEKTUR<br />

in einer Einheit vorfindet, dann kann man einen solchen Container<br />

auch „Loft“ nennen, doch ist ein solches Loft eher multifunktional als<br />

Hybrid.<br />

Man kann Hybridität räumlich und baulich planen, dabei geht<br />

es vorrangig um Toleranz oder Koexistenz von verschiedenen Nutzungen,<br />

ohne das sie gegenseitig ihren eigenen Charakter aufgeben<br />

oder zu stark einschränken müssen. Es geht also um gegenseitiges<br />

Verständnis. Der aufgepfropfte Zweig muss sich mit dem Gastgeber-<br />

Ast vertragen; was zählt, ist am Ende die Frucht aus beidem, die in<br />

der Mischung eine neue Qualität gewinnt – das gilt im übertragenen<br />

Sinne auch für das Miteinander von Wohnen und Produzieren, von<br />

Leben und Arbeiten.<br />

Allerdings sind heftige Durchmischungen nicht ganz unkritisch.<br />

Wenn wir in zu großen Einheiten denken und auf die eine Seite (nach<br />

Norden beispielsweise) Büros, auf die andere Wohnungen packen,<br />

funktioniert der Ausgleich nur unter Einschränkungen und mit einer<br />

entsprechenden Erschließung, weil eben Wohnen als Funktion mehr<br />

Individualität und Intimität verlangt (siehe dazu auch Arno Brandlhuber,<br />

S. 40). Verschiedene „Schichten“ in einem Haus zu mischen,<br />

ist immer noch eine besondere Herausforderung. Das funktionierte<br />

in den 1920er Jahren in der sogenannten „Charlottenburger Mischung“,<br />

als Großbürger, Professoren und Studenten um einen Hof<br />

lebten; wie man so etwas heute auch planen kann, darum geht es<br />

unter anderem in diesem Buch. Hybride Quartiere oder Häuser sind<br />

für eine neue Vitalität unserer Städte zwingend.<br />

<strong>Die</strong> vier Beispiele zu diesem Thema bearbeiten unterschiedliche<br />

Maßstäbe: Das neue Abbentorswallquartier am ehemaligen Telekomblock<br />

könnte zwischen Überseestadt und Altstadt ein städtebauliches<br />

Zeichen für die neue Mischung eines Viertels setzen. Der<br />

ehemalige Schuppen 1 am Europahafen zelebriert das Thema dann<br />

sozusagen unter einem Dach. <strong>Die</strong> beiden weiteren Beispiele sind im<br />

kleineren Maßstab gedacht, aber ebenso plausibel, sie beschäftigen<br />

sich mit den neuen Möglichkeiten, im Alter individuell zu wohnen,<br />

Service zu nutzen und selbst noch im Arbeitsprozess zu bleiben.<br />

(Auch die Beispiele aus dem Wettbewerb „Ungewöhnlich Wohnen!“<br />

behandeln das Thema der hybriden Architektur; siehe dazu auch<br />

Kapitel „Ungewöhnlich Wohnen!“)


1<br />

Schuppen eins<br />

2<br />

Ansicht Norden<br />

1:1000<br />

Schuppen eins 3 <strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong> BDA<br />

Ansicht Süden<br />

1:1000<br />

projekt: „SC1“ – Schuppen Eins in der Überseestadt <strong>Bremen</strong>, westlicher Teil<br />

Einladungswettbewerb 1. Preis 2008<br />

Adresse: Konsul-Smidt-Straße 10, 28217 <strong>Bremen</strong><br />

Typologie: Umstrukturierung von 25.000 m 2 Lagerfläche in ein Technik-<br />

und Erlebniszentrum für historische Fahrzeuge im Erdgeschoss sowie<br />

Wohn- und Büroflächen im Obergeschoss<br />

<strong>Architekten</strong>: <strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong>, <strong>Bremen</strong><br />

Auftraggeber und Bauherr: KJH Verwaltungs GmbH<br />

Bgf: 30.102 m 2<br />

Schuppen Eins<br />

1 Obergeschoss<br />

2 Ansicht Norden<br />

3 Ansicht Süden<br />

152 153 HYBRiDE ARCHiTEKTUR<br />

„<strong>Die</strong>ses hafenbezogene Kulturdenkmal in seiner ursprünglichen Industriearchitektur<br />

zu bewahren und der heutigen Zeit anzupassen, steht bei der Umwandlung<br />

von ca. 25.000 Quadratmeter Nutzfläche im Vordergrund. Das neun<br />

Meter hohe Erdgeschoss wird durch eine großzügige Eingangssituation und durch<br />

einen durchlaufenden Boulevard erschlossen und bietet ein beeindruckendes<br />

Ambiente für eine historische Automobilausstellung. Hier werden zukünftig Oldtimer<br />

ausgestellt, restauriert, gewartet, gelagert und verkauft. Im Obergeschoss<br />

des Schuppens entstehen großzügige Büro- und Wohnlofts. <strong>Die</strong> Nutzer gelangen<br />

über einen geräumigen Autolift direkt mit ihrem Fahrzeug in das Obergeschoss.<br />

<strong>Die</strong>ses wird mit seiner Tiefe von über 50 Metern durch eine in das Volumen eingeschnittene<br />

Straße, die von mehreren Plätzen zur Gliederung des Gebäudes<br />

aufgeweitet wird, erschlossen.“<br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong><br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong> BDA<br />

<strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong><br />

1959 von Wolfgang <strong>Westphal</strong> gegründet, führen Birgit und Jost <strong>Westphal</strong><br />

das Büro <strong>Westphal</strong> <strong>Architekten</strong> BDA fort, das bis 2005 unter <strong>Westphal</strong><br />

+ Partner <strong>Architekten</strong> in Bremerhaven und <strong>Bremen</strong> firmierte. Durch die<br />

Übernahme von Klaas Dambeck seit Januar 2012 als Gesellschafter<br />

der Partnerschaft wird das Büro weiter verstärkt. Eine durchschnittliche<br />

Mitarbeiterzahl von ca. zehn Angestellten betreut hierbei überwiegend im<br />

norddeutschen Raum unterschiedlichste Projektarten und -größen.<br />

www.westphalarchitekten.de


Das Haus im Viertel: Wohnen im Alter<br />

Haslob Kruse + Partner, <strong>Bremen</strong><br />

Ein weiteres Beispiel für hybride Architektur ist bereits im ostertorviertel<br />

entstanden: Hier wurde in mehreren Abschnitten ein projekt<br />

der Bremer Heimstiftung für Wohnen mit Service errichtet. Im letzen Abschnitt<br />

wurde dabei sogar ein ehemaliges fundamt integriert und umgenutzt<br />

– das Ergebnis bietet eine neue Qualität für das Wohnen im letzten<br />

Drittel des lebens oder für bisherige Randgruppen, die sich nicht mehr<br />

so fühlen müssen.<br />

Hier gibt es alles: Wohnungen, einen Kindergarten und die Vorzeigeeinrichtung<br />

einer Dementen-Wohngemeinschaft (sie befindet sich in einem alten<br />

Fundamt); dazu ein Café und einen buddhistischen Verein. Alles zusammen liegt<br />

im lebendigen Bremer Innenstadtteil Ostertor. <strong>Die</strong> Dementen-WG ist ein Beispiel<br />

für eine neue Form des Zusammenlebens im Alter oder bei Behinderungen, die<br />

dennoch eine relativ hohe Selbstbestimmung ermöglicht. In diesem Fall wohnen<br />

acht Personen mit jeweils eigenem Zimmer und einer gemeinsamen Küche zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Vorschriften sind hierbei offener als bei stationären Pflegeheimen.<br />

Prinzipiell ist diese Lebensform heute in vielen Architekturen möglich; sie wäre integrierbar<br />

in ein altes Bremer Haus genauso wie in einen Gewerbebau. Es kommt<br />

eben auch auf die Fantasie der <strong>Architekten</strong> an. Haslob Kruse + Partner:<br />

„Entscheidend ist es bei diesen Wohnprojekten, gemeinschaftlich<br />

die Wohnform zu entwickeln und zu gestalten. Entscheidend ist der<br />

zeitpunkt, das heißt so früh wie möglich zu handeln!“<br />

In der Stadt des früheren Bürgermeisters Henning Scherf, der sich als einer<br />

der ersten um Gruppenwohnen im Alter gekümmert hatte, werden solche Projekte<br />

gern gesehen und genau analysiert. Dabei befindet man sich noch in der<br />

Experimentierphase. Aber prinzipiell ist alles möglich. Auf jeden Fall sollten die<br />

Teilnehmer einer solchen Gemeinschaft möglichst früh ausgesucht werden; im<br />

Idealfall entsteht dabei fast etwas wie eine Dorfgemeinschaft aus früheren Handwerkern,<br />

Ärzten etc. Und nebenbei bieten solche WGs noch neue Arbeitsplätze<br />

für Servicepersonal. Im Projekt Ostertorviertel sind solche Wohnungen mit Service<br />

für Behinderte ebenfalls angeschlossen – mit Notruf etc., der garantiert, dass bei<br />

Unfällen und anderen Problemen geholfen werden kann.<br />

158 159 HYBRiDE ARCHiTEKTUR<br />

Prangenstrasse<br />

1. Bauabschnitt<br />

III<br />

Seilerstrasse<br />

1. Bauabschnitt<br />

III<br />

1. Bauabschnitt<br />

Taubenstrasse<br />

Ehemaliges fundamt<br />

E0 Café, Gruppenräume<br />

E+1 Seminarräume,<br />

Leseraum<br />

E+2 Wohngemeinschaften<br />

Dach Wohnen<br />

2. Bauabschnitt<br />

Hofhaus<br />

Verwaltung, Kindergarten<br />

E+1 Wohnen mit Service<br />

E+2 Wohnen mit Service<br />

Schlauchturm<br />

Kindergarten<br />

und bestehender<br />

Bunker<br />

Eckhaus<br />

E0 Kindergarten<br />

E+1 Wohnen mit Service<br />

E+2 Wohnen mit Service<br />

Staffel Wohnen<br />

Zufahrt<br />

Wohnhaus<br />

Wohnhaus<br />

Im Krummen Arm<br />

Auf Der Kuhlen Schmidtstrasse<br />

Wohnhaus

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