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Weiße Schönheiten 96 Westphal Architekten, Bremen Die Schweiz ...

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Hyggelig und ein bisschen mehr<br />

Carsten Lorenzen, Kopenhagen/Berlin<br />

Der zukünftige Charakter des Stadtwerder ist mit diesem Haus<br />

schon sichtbar geworden: Wasserstrichziegel von hoher Qualität in hellen,<br />

lehmigen, nordischen farben; eine hingebungsvolle Detaildurcharbeitung,<br />

die fast manisch zu nennen ist.<br />

Carsten Lorenzen ist ein Architekt, der stark von der dänischen Nachmoderne<br />

wie Kai Fischer beeinflusst worden ist. Der erkennt die Botschaft des<br />

Funktionalismus an, hält aber nichts vom Diktat der Form in Abhängigkeit von<br />

der Funktion. Carsten Lorenzen sieht in ihm eine Art Paten:<br />

„Es geht mir um Vermittlung, nicht um die revolutionären Inhalte<br />

des modernismus aus den 1920er Jahren, sondern auch um eine<br />

Haptik in der Tradition des ortes.“<br />

<strong>Die</strong> Tradition steht hier mit der „Umgedrehten Kommode“ mächtig ins<br />

Haus. Sie ist eine Kampfansage an jeden <strong>Architekten</strong>, der hier bauen will, mit der<br />

Frage: Bist du ebenso gut? Carsten Lorenzen nimmt das ungleiche Duell auf,<br />

nicht mit dem Volumen, aber mit einer selbstbewussten Aufstellung und Einreihung<br />

in eine neue Silhouette an der Weser, wie sie von der Altstadt aus gesehen<br />

werden kann. Man kann an einem solchen Standort durchaus mit Neubauten<br />

untergehen, weil man den Geist des Ortes nicht aushält oder nicht weitertransportiert.<br />

Lorenzen reagiert hier ganz richtig mit der entsprechenden Körnung<br />

der Hafenkante und einem leicht wirkenden „Ziegelüberwurf“ seines Bauwerks.<br />

Lorenzen:<br />

„<strong>Die</strong> Wohnungen orientieren sich zur Weser, die Häuser drücken<br />

eine gewisse bremische zurückhaltung, ja Vornehmheit aus. <strong>Die</strong><br />

oberen geschosse drehen sich zur Aussicht und setzen so ein<br />

zeichen, das der Bedeutung des Standortes entspricht. großzügige<br />

Balkone ermöglichen das Wohnen zum offenen grünraum, an der<br />

Rückseite zum Quartier.“<br />

Der Umgang des <strong>Architekten</strong> mit dem sanftfarbenen, lehmigen Wasserstrichziegel<br />

beeindruckt und ist unmittelbar erlebbar – sogar mit den Händen,<br />

wenn man sich traut, über die Fassaden zu streicheln. <strong>Die</strong> Ziegelverbände sind<br />

unerwartet verlegt, bilden natürliche Reliefs. Im Eingangsbereich der Häuser beispielsweise<br />

für die Untersicht des Vordaches, wo die Steine hochkant verwendet<br />

wurden und mit dem Boden des Ziegels sichtbar werden – das ist unorthodox<br />

und wirkt überraschend. Carsten Lorenzen reanimiert die Kraft des Ziegels.<br />

Auch mit der obligatorischen Dehnungsfuge geht er sensibel um, zieht sie<br />

über alle Geschosse eines Hauses und vermeidet den Eindruck des „Durchschneidens“<br />

durch eine Außenwand. <strong>Die</strong>se Häuser zeigen wieder eine klassische<br />

Aufteilung in Unten-Mitte-Oben und bleiben trotzdem anständig modern<br />

104 105 STADTWERDER i<br />

und über fünf Geschosse sehr spannend: Fenster und Ziegelbänder und andere<br />

Flächen mäandern: Carsten Lorenzen wollte den üblichen optischen Stapeleffekt<br />

vermeiden. Und das gelang ihm hier.<br />

Wie bei anderen Projekten (zum Beispiel <strong>Die</strong> <strong>Schweiz</strong> auf dem Stadtwerder.<br />

Buchner Bründler <strong>Architekten</strong>, S. 100) arbeitet Lorenzen bewusst einen kleinen<br />

„Fehler“ ein, nämlich „verkehrtes“ Wohnen: Im Wettbewerb wurden die Grundrisse<br />

so organisiert, dass eine Ausrichtung der Wohnung nach zwei Seiten, zur<br />

Stadt und zur Sonne nach Süden möglich ist. Nach Absprache mit dem Projektentwickler<br />

und den Käufern entschied man sich, jetzt die eher privaten Räume<br />

(früher vielleicht Schlafzimmer genannt) zur Sonne in den Innenhof zu legen und<br />

die Wohnräume nach Norden mit dem repräsentativen Blick zur Weser und zur<br />

Stadt auszurichten:<br />

„Das war eine schöne Erfahrung, dass die ausschließliche Abhängigkeit<br />

der nutzungen beim Wohnen von der Himmelsrichtung nicht das<br />

allein Seligmachende ist!“<br />

Auch diese Häuser haben auch eine überdurchschnittlich große Tiefe. Das<br />

kam den <strong>Architekten</strong> sehr entgegen, weil sich dadurch der Baukörper besser gegen<br />

die „Kommode“ behaupten kann. <strong>Die</strong> untypische Ausrichtung hat dann auch<br />

ihren Ausdruck in architektonischen Details gefunden, so sind die Balkone teils<br />

halb eingezogen, teils als richtige Loggien, teils als „Sprungbretter“ in den Freiraum<br />

ausgebildet.<br />

Zurück zum Straßenraum: Mit dem kleinen gepflasterten Weg, einer Bank,<br />

den wirklich beseelten und liebevollen Ziegeldetails wird das erreicht, was in der<br />

dänischen Wohnkultur hyggelig genannt wird, also „geborgen“, „intim“, „im trauten<br />

Heim“, „lieblich“, „malerisch“, „Trost spendend“, „klein, aber fein“, und „niedlich“.<br />

Typisch dänisch, sagt man auch dazu. – Und das ist ein bisschen anders<br />

gemeint als deutsche Gemütlichkeit …

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