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Weiße Schönheiten 96 Westphal Architekten, Bremen Die Schweiz ...

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aulichen und stadträumlichen Qualitäten wichtig. Wilfried Turk schrieb 1980: „Es<br />

geht um die Kontinuität öffentlichen Raumes, die Wiedergewinnung von Straßen<br />

und die Entwicklung neuer sozialer Raumcharaktere, die die Übergangszone von<br />

Öffentlichkeit zu Privatheit neu definiert und entsprechend gestaltet.“ 19 Auf die<br />

heutige Zeit übertragen: Das Alt-Bremer Haus erlaubt eine Dichte und Komplexität,<br />

die die Renaissance einer emotionalen, vitalen Stadt ermöglicht.<br />

Zusammengefasst überzeugt, wie das Bremer Haus Paradigmenwechsel<br />

und Kriege überstanden hat, wie es dann als Leuchtturm städtischer Wohnzufriedenheiten<br />

wiederentdeckt wurde und immer wieder Planer- und <strong>Architekten</strong>köpfe<br />

inspiriert und angespornt hat – wie durchgängig in diesem Buch zu sehen und zu<br />

lesen ist.<br />

zWISCHEn DEn KRIEgEn: hohe zeit für den<br />

Wohnungsbau<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Inflation, mit dem Wiederaufstieg der<br />

Wirtschaft in der Weimarer Republik und so auch in der Hafenstadt <strong>Bremen</strong><br />

gewinnt vor allem der Arbeiter- und, wie es später heißt, Kleinstwohnungsbau<br />

an Bedeutung; zunächst als Grundversorgung in einem schier aussichtslosen<br />

Kampf gegen die Wohnraumnot. Später erfassen der Aufbruchsgeist der Weimarer<br />

Republik und eine „kommende Baukunst“ 20 vor allem die <strong>Architekten</strong> und<br />

Techniker – mit neuen Materialien, revolutionären Fertigungsmethoden und großer<br />

Geschwindigkeit. Nachzuvollziehen an der berühmten Wohnsiedlung Karlsruhe-<br />

Dammerstock: „das endziel der siedlung ist also die schaffung von gesunden<br />

praktischen gebrauchswohnungen, die dem sozialen standard der durchschnittsfamilie<br />

von heute entsprechen und trotz solider technischer durchführung und anmutiger<br />

gestaltung für das durchschnittseinkommen erschwinglich sind“ schrieb<br />

in einer aktuellen Variante von Vitruv 1929 Walter Gropius in den Katalog zur Ausstellung<br />

21 . Und die Grundrisse der großen und kleinen Häuser wirken in ihrer Akkuratesse<br />

und Sinnlichkeit wie die Blaupausen vieler Entwürfe unserer Tage.<br />

Kleinwohnungsbau, Frankfurter Küche und neue<br />

Gemütlichkeit<br />

Berliner Großsiedlungen entstehen als gebautes Dokument eines neuen<br />

Zeitalters, 22 als adäquate heroische Großform wie in Britz (Hufeisensiedlung) oder<br />

Siemensstadt (Ringsiedlung). Heute zählen sie zum Weltkulturerbe. So wie experimentelle<br />

Werkbundsiedlungen in Wien oder Breslau oder die berühmte <strong>Weiße</strong>nhofsiedlung<br />

in Stuttgart Höhepunkte der Baukunst des 20. Jahrhunderts sind. <strong>Die</strong><br />

Einbauküche nach Entwürfen von Margarete Schütte-Lihotzky (Frankfurter Küche,<br />

1926/27) kennzeichnet die Veränderung im Wohnen am besten: Hier wurde<br />

die ideologische Aufwertung der Hausfrauenarbeit zum Beruf durch einen perfekten,<br />

absolut neuen technischen Ausbauzustand gewürdigt. <strong>Die</strong>se Küche ist eine<br />

Lobpreisung der „Befreiung der Frau durch Rationalisierung des Haushalts“ 23 , ein<br />

leistungsorientierter Arbeitsplatz, integriert in die Wohnung.<br />

Jetzt aber regiert ein neuer Küchenkult. Ein Ausriss aus Mein Heim – praktisch,<br />

behaglich, schön von 1932 zeigt es: beispielsweise mit einem „Weekend“-<br />

16 17 ALLES GANZ EiNFACH UND KOMPLiZiERT!<br />

Küchenschrank. Auf 15 von gut 100 Seiten wird über die Küche mit Kochkisten<br />

und Kochautomaten geschrieben. 24 Das Praktische und Ideologische wird<br />

aber auch schön verpackt. Selbst die „Billige Wohnung“ nach A. G. Schneck von<br />

1928 25 knüpft an eine gewisse, wenn auch abgespeckte Gemütlichkeit der guten<br />

alten wilhelminischen Zeit. In den 1930er Jahren wird wieder bescheidener Wohlstand<br />

für fast alle erreicht und gemütliches Wohnen zum Thema.<br />

Ein Wohnungsbauunternehmen mit hanseatisch sozialem<br />

Auftrag: die GEWOBA<br />

Und in <strong>Bremen</strong>? Avantgarde und Innovation beim Wohnungsbau ist nicht<br />

das Leitthema in der Hansestadt gewesen: <strong>Bremen</strong> sei die Stadt des kleinen Ein-<br />

und Zweifamilienhauses, schrieb einer der Gründer der Gemeinnützigen Wohnungsbaugemeinschaft<br />

der freien Gewerkschaften für <strong>Bremen</strong> und Umgebung,<br />

die später verkürzt GEWOBA genannt wird 26 ; aber er glaubte auch, man könne<br />

entschieden Neues schaffen, mit der Art der neuen Häuser den Arbeiterfamilien<br />

auch ein anderes, besseres, rationelleres Leben ermöglichen. Beispielhaft und<br />

programmatisch sind die ersten beiden Projekte dieser gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft,<br />

die heute im Land <strong>Bremen</strong> über 40.000 Wohnungen besitzt<br />

und weitere Tausende betreut; eine Gesellschaft, ohne die im 20. Jahrhundert<br />

in <strong>Bremen</strong> keine umfassende Wohnungsbaupolitik hätte garantiert werden<br />

können. <strong>Die</strong> ersten Wohnhäuser, die in einigen Bauabschnitten über mehrere<br />

Jahre in der Altenescher Straße und in Nachbarstraßen errichtet wurden (und<br />

heute noch bestehen), heißen programmatisch „Gewerkschaftsblock“, denn<br />

hier durfte zunächst nur jemand wohnen, der Mitglied der beteiligten Gewerkschaften<br />

war – Mieter waren hoch qualifizierte Facharbeiter und Handwerker.<br />

Eine Vierraumwohnung im Bremer Gewerkschaftsblock mit Küche, Keller und<br />

Bodenkammer kostete monatlich 50 Mark – als ein Werftarbeiter 25 Mark die<br />

Woche als Lohn bekam.<br />

<strong>Die</strong> ersten Bauabschnitte konnten in ihrer Kleinteiligkeit, in der Reihe und mit<br />

Satteldach ihre Verwandtschaft mit dem Bremer Haus nicht leugnen. Wollten sie<br />

auch nicht. Aber innen waren sie für damalige Verhältnisse sensationell fortschrittlich<br />

und sozial organisiert, mit Zentralheizung und ständig verfügbarem warmem<br />

Wasser. In der Kulturgeschichte des Wohnens spielt bis zur heutigen Luxuseigentumswohnung<br />

Wasser eine entscheidende Rolle – neben dem Feuer. Wohnen hat<br />

archaische Wurzeln.<br />

Der Erfolg der ersten beiden Projekte hatte Folgen für die Gesamtentwicklung<br />

des Unternehmens: „Man hatte gewagt und gleich auf Anhieb ein äußerst<br />

vorzeigbares Projekt geschaffen und insbesondere die Versuche einer immer stärkeren<br />

Typisierung bei den Plänen zur Grasberger Straße zeigen, dass man hier<br />

gleich mehr im Sinne hatte (…) man wollte hier bauen und ausprobieren, was an<br />

diesem Projekt vielleicht als Exempel für andere gelten könnte.“ 27 Das nächste<br />

Großprojekt an der Rathenaustraße zeigt den Wandel. Schmückende Elemente<br />

über den Eingangstüren verschwinden: Es dominieren Flachdächer, es wird jetzt<br />

durch <strong>Architekten</strong>wettbewerbe entschieden, „um hellluftig die Zukunft zu zeigen<br />

und kompaktmassig die eigene Kraft zu demonstrieren!“ 28<br />

Mit dem Jahr 1933 geht die GEWOBA allerdings in der gleichgeschalteten<br />

Deutschen Arbeitsfront auf, der Dachorganisation der nationalsozialistischen<br />

Gewerkschaften. <strong>Die</strong> Mustersiedlung „Louis Krages“ in <strong>Bremen</strong>-Burgdamm oder

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