Ordnungsmuster im modernen Wohlfahrtsstaat
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gen werden durchgängig innerhalb dieses Bezugsrahmens thematisiert, wobei es regelmäßig<br />
um ein Mehr oder Weniger an Staat, ein Mehr oder Weniger an Gesellschaft<br />
geht. 1<br />
Diese "Diskussionsbedingung" scheint an sich fast trivial zu sein, bezeichnet sie doch<br />
nichts anderes als zwei Pole rechts-, politik- und allgemein gesellschaftswissenschaftlicher<br />
Programmarbeit. Gerade aber der Blick auf einzelne Bereiche der Staatsdebatte<br />
zeigt, in welchem Maße die Pole von "Staat und Gesellschaft" die Programmarbeit von<br />
vornherein binden, in Bahnen lenken und die Innovationsfähigkeit rechtlicher Instrumentarien<br />
selbst behindern. Die Privatisierungsdebatte etwa operiert mit einem Katalog<br />
an Stufenmodellen, der sich ganz und gar dem dualistischen Bild staatlicher Verantwortung<br />
und gesellschaftlicher Freiheit verdankt. Best<strong>im</strong>mend bleiben dabei Vorverständnisse<br />
über die allgemeinwohlbezogene Eingriffs-, Leistungs-, Kontroll- und Aufsichtsfunktion<br />
des Staates auf der einen und die am Individuum orientierten Austausch-,<br />
Konkurrenz- und Freiheitsräume der Gesellschaft auf der anderen Seite. Die Kluft zwischen<br />
Gemeinwohlorientierung und egoistischem Gewinnstreben scheint nicht anders<br />
überbrückbar zu sein als durch Politikmodelle, die einzig und allein mit Misch-, Auffang-<br />
oder Schnittmengenkonzepten arbeiten. Die Sphären von Staat und Gesellschaft,<br />
von Politik und Markt, von Öffentlich und Privat bleiben ihrer Natur nach voneinander<br />
geschieden, auch wenn es aufgrund von Interventionen und aufgabenbedingter Synergieeffekte<br />
zu Querverbindungen, Überlagerungen und Grenzverschiebungen kommt.<br />
Außen vor bleiben damit aber Überlegungen, die auf eine wechselseitige Hereinnahme<br />
von Erfahrungen zielen. Lernerfahrungen, die das öffentliche Recht, die Grundrechtslehre<br />
und die Verwaltungswissenschaft <strong>im</strong> Rechts-, Sozial-, Umwelt- und Risikostaat<br />
gemacht haben und noch machen werden, finden so keinen Eingang in die internen<br />
Problembeschreibungsformeln des Zivilrechts. Und umgekehrt. Im Rückgriff der Privatisierungsmodelle<br />
auf das Zivilrecht wird in diesem ein allein durch horizontale Austausch-<br />
und Mehrwertbeziehungen geprägtes Privat- und Marktrecht gesehen, welches<br />
zum größten Teil noch zur Eigensteuerung anhand seines Leitprinzips der Privatautonomie<br />
in der Lage sei. Tiefgreifende Weiterentwicklungen des Privatrechts durch die<br />
Wahrnehmung und Verrechtlichung von Interessen, Betroffenheiten und Schutzbedürfnissen,<br />
in zunehmendem Maße auch aufgrund europäischer Rechtssetzung, werden in<br />
den herkömmlichen Beschreibungen von Privatisierungspotentialen und -grenzen nicht<br />
ausreichend zur Kenntnis genommen. Die Thematisierung von Verkehrskreisstandards,<br />
Verantwortungsschwellen und Machtungleichgewichten findet in jeder Teilrechtsordnung<br />
weitestgehend isoliert voneinander statt. Aber auch dort, wo es zum Zugriff des<br />
Verwaltungsrechts auf Regelungen des Privatrechts kommt, unterbleibt eine wechsel-<br />
1 Zur Herausforderung tradierter Staatsvorstellungen siehe jüngst Böckenförde, Die Zukunft politischer<br />
Autonomie, 103, 106 ff.; Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, 521, 523 ff.; Arnaud,<br />
De la régulation par le droit à l'heure de la globalisation, 11, 24 ff.; Walter, Die Folgen der<br />
Globalisierung für die Europäische Verfassungsdiskussion, 1, 7 ff.; Berthold, Der Sozialstaat <strong>im</strong><br />
Zeitalter der Globalisierung; Habermas, Der europäische Nationalstaat unter dem Druck der Globalisierung,<br />
424 ff.; Zürn/Wolf, European Law and International Reg<strong>im</strong>es: The Features of Law<br />
Beyond the Nation State, 272 ff.; Seeleib-Kaiser, Wohlfahrtssysteme unter Bedingungen der Globalisierung,<br />
3, 9 ff.<br />
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