Die WOGEDO – von allem ein bisschen mehr - Evangelische ...
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Freundlich fragen mich zwei junge Männer im ICE <strong>von</strong><br />
Berlin nach Düsseldorf, ob sie sich neben mich setzen<br />
können. Warum nicht. Es sind noch zwei Plätze frei.<br />
Aber dann geht es los und hört erst in Duisburg wieder auf.<br />
Jeder Satz der beiden endet mit „Hey Alter!“. Dabei sind die<br />
beiden doch erst um die Zwanzig. Was soll eigentlich dieser<br />
Spruch? Einfach <strong>ein</strong> Zeichen, dass man „echt cool“ ist. Oder<br />
die Einsicht, dass wir<br />
alle altern, jeden Tag?<br />
Ich stelle mir vor, »Hey Alter«<br />
dass jemand zu mir<br />
sagt: „Hey Alte“. Das<br />
fände ich gar nicht cool. Neulich fragte mich der Schwimmlehrer<br />
m<strong>ein</strong>er 9-jährigen Tochter: „Und Sie sind die Oma <strong>von</strong><br />
der Kl<strong>ein</strong>en?“. Ich <strong>–</strong> Jahrgang 1963 <strong>–</strong> musste schlucken. M<strong>ein</strong><br />
Bild <strong>von</strong> mir sch<strong>ein</strong>t mit dem der Anderen nicht ganz über<strong>ein</strong><br />
zu stimmen. Nur, wenn sich das <strong>ein</strong> oder andere Zipperl<strong>ein</strong><br />
meldet, fühle ich mich manchmal so alt, wie ich wirklich bin.<br />
Übers Altern nachdenken, das tun wir nicht gern. Sie vielleicht?<br />
Wir wollen gerne alt werden, aber nicht altern.<br />
„Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das<br />
wir klug werden.“ So steht es im 90. Psalm. Ein Vers nicht nur<br />
für den Friedhof, sondern <strong>ein</strong> Lebensmotto.<br />
Das ist für manche, auch im mittleren Alter, k<strong>ein</strong> Th ema.<br />
Vor kurzem erzählte bei <strong>ein</strong>em Elternstammtisch <strong>ein</strong>e der<br />
Mütter, dass sie in den letzten Wochen sehr viele Beerdigungen<br />
in ihrer Familie und im Freundeskreis hatte. Sie überlegte,<br />
wie sie selbst <strong>ein</strong>mal beerdigt werden wolle. Eine andere<br />
Stufen<br />
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend<br />
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,<br />
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend<br />
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.<br />
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe<br />
bereit zum Abschied s<strong>ein</strong> und Neubeginne,<br />
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern<br />
in andre, neue Bindungen zu geben.<br />
Und jedem Anfang wohnt <strong>ein</strong> Zauber inne,<br />
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.<br />
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,<br />
an k<strong>ein</strong>em wie an <strong>ein</strong>er Heimat hängen,<br />
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,<br />
er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.<br />
Kaum sind wir heimisch <strong>ein</strong>em Lebenskreise<br />
und traulich <strong>ein</strong>gewohnt, so droht Erschlaffen,<br />
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,<br />
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.<br />
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde<br />
uns neuen Räumen jung entgegen senden,<br />
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...<br />
Wohlan denn, Herz,<br />
nimm Abschied und gesunde!<br />
Hermann Hesse<br />
Geistliches Wort<br />
m<strong>ein</strong>te, dass sie noch nie darüber nachgedacht habe und das<br />
auch nicht gerne tun würde.<br />
Hält die Angst vor dem Tod da<strong>von</strong> ab? Man mag k<strong>ein</strong>em<br />
wünschen, dass er durch den Anlass gezwungen ist, sich öfter<br />
mit dem Th ema aus<strong>ein</strong>anderzusetzen. Aber es führt mit der<br />
Zeit zu <strong>ein</strong>er größeren Gelassenheit.<br />
Der Psalmbeter spricht vom „klug werden“. Es ist <strong>ein</strong>e Lebensaufgabe,<br />
sich mit der eigenen Endlichkeit aus<strong>ein</strong>anderzusetzen.<br />
Wir haben dazu bis zu unserem letzten Atemzug<br />
Zeit.<br />
Wenn der Psalmist Gott anruft, dass er ihn lehren möge zu<br />
bedenken, dass wir sterben müssen, dann sch<strong>ein</strong>en wir auch<br />
manchen Impuls <strong>von</strong> außen zu brauchen, um das zu verinnerlichen.<br />
Zeit und Anstöße, um klug zu werden.<br />
Andere übersetzen: „auf dass wir <strong>ein</strong> weises Herz gewinnen“.<br />
Das ist angemessener. Es geht nicht um <strong>ein</strong>e Kopfsache,<br />
sondern um <strong>ein</strong>e Herzensangelegenheit.<br />
Wer s<strong>ein</strong>e Grenzen verinnerlicht hat, kann mit der Zeit<br />
sinnvoller umgehen, kann den Moment mit Genuss und Lebenslust<br />
genießen und muss nicht jammern, wie schrecklich<br />
schnell alles vergeht.<br />
Aber, genießen, auch wenn die Kräfte weniger werden? Das<br />
ist nicht <strong>ein</strong>fach. Dennoch ist es die wichtigste und größte<br />
Aufgabe des Alterns, jede Stufe des Lebens anzunehmen und<br />
die vorherige loszulassen, wie Hesse es in s<strong>ein</strong>em Gedicht<br />
„Lebensstufen“ beschreibt. Möge das Ihnen und mir gelingen.<br />
Pfarrerin Inga Bödeker<br />
Gem<strong>ein</strong>debrief 2 · 2012 3