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INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850 ... - DigiBern

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Bern 372<br />

2 Siedlungsentwicklung<br />

2.1 Die Stadt <strong>der</strong> Mitte<br />

Der Name Berns ist für Aussenstehende bis zur<br />

Vertauschbarkeit mit dem Begriff <strong>der</strong> Bundesstadt<br />

verwachsen. Aus Berns führen<strong>der</strong> Stellung<br />

in <strong>der</strong> alten Eidgenossenschaft scheint sich zur<br />

Genüge zu erklären, weshalb die Stadt 1848 zur<br />

Hauptstadt des neuen Bundesstaates gewählt<br />

wurde. Aber es ist keineswegs selbstverständlich,<br />

dass eine Stadt, die so eng mit <strong>der</strong> alten Ordnung<br />

verbunden war, auch im neuen Staatsgebilde<br />

wie<strong>der</strong> eine Mittelstellung übernehmen konnte,<br />

statt sie an einen historisch weniger belasteten<br />

Ort abzutreten. Stadtmythologisch gesehen<br />

konnte dies dank <strong>der</strong> Fähigkeit Berns gelingen,<br />

sich den geschichtlichen Verän<strong>der</strong>ungen anzupassen,<br />

ohne die wesentlichen Charakterzüge zu<br />

verlieren.<br />

Nach <strong>der</strong> Chronik Conrad Justingers von 1420<br />

stammt <strong>der</strong> Name <strong>der</strong> Stadt vom Bären, <strong>der</strong> dem<br />

jagenden Stadtgrün<strong>der</strong>, dem Herzog Berchtold<br />

von Zähringen, zur Beute wurde. Der Englän<strong>der</strong><br />

James Boswell notierte 1764 in sein Tagebuch:<br />

«Die Berner haben eine staunenswerte Zuneigung zu diesem<br />

Tier, Abbil<strong>der</strong> davon in jedem Viertel in verschiedensten Stellungen.<br />

Zwei lebende Bären halten sie in einem Graben bei<br />

den Schanzen <strong>der</strong> Stadt. Ich hoffe keinen Katholiken zu verletzen,<br />

wenn ich sage, dass <strong>der</strong> Bär mir wie <strong>der</strong> Schutzheilige dieses<br />

Volkes erschien'.»<br />

Die boshafte Bemerkung Boswells zielt zu kurz -<br />

<strong>der</strong> Bär ist etwas archaischeres als ein Stadtheiliger,<br />

er ist das Totemtier Berns, mit dessen Charakter<br />

die Stadt sich gerne identifiziert. Urchiger<br />

als <strong>der</strong> königliche Löwe, ist er wie dieser den an<strong>der</strong>en<br />

Tieren durch seine Kraft überlegen. Der<br />

1535 geschaffene Zähringerbrunnen zeigt einen<br />

Bären mit Turnierhelm und Löwenbanner 10<br />

(Abb. 37). Es ist, als ob <strong>der</strong> Herzog sich selbst in<br />

das erlegte Tier verwandelt hätte, um sich dessen<br />

Kräfte anzueignen. Um die Macht ihres Grün<strong>der</strong>vaters<br />

zu erlangen, müssen sich die Berner<br />

ihn ihrerseits einverleiben. Justinger verquickt<br />

die Gründungsgeschichte mit jener <strong>der</strong> ersten Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Stadt, um zu verdeutlichen, dass<br />

sie von Anfang an mehr als Fürstendiener sein<br />

wollte. Ein Ritter von Bubenberg übernimmt in<br />

dieser mythologischen Darstellung die prometheische<br />

Aufgabe, die Siedler auf Kosten des<br />

Herzogs zu stärken, indem er mehr Hofstätten<br />

als erlaubt anlegt. Als das Zähringergeschlecht<br />

ausstarb, gewannen die Berner die Reichsunmittelbarkeit,<br />

und in den Wirren des Interregnums<br />

schleiften sie die zur Reichsfeste gewordene,<br />

ehemals herzogliche Burg, um den Nydeggbezirk<br />

später <strong>der</strong> Stadt einzuglie<strong>der</strong>n 11 . Die Verehrung<br />

für den Zähringer zeugt davon, dass die städtische<br />

Gemeinschaft sich als dessen Erbe betrach­<br />

tete. Obwohl Eidgenosse von ländlichen Waldstätten<br />

und Handelsstädten wie Zürich, war <strong>der</strong><br />

Stadtstaat Bern - die «Krone Burgundiens» -jenen<br />

fürstlichen Mächten verwandt, gegen die<br />

sich die Verbündeten zu wehren hatten. Wie<br />

einst <strong>der</strong> Bär und das Zähringergeschlecht musste<br />

das alte Bern zwar untergehen, aber nach<br />

einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t wurde es in neuer Gestalt<br />

wie<strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> Mitte.<br />

2.2 Bern in <strong>der</strong> Geologie: <strong>der</strong> Mythos<br />

in <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

In seinem Buch Die <strong>Schweizer</strong> Stadt schob <strong>der</strong><br />

Kunsthistoriker Joseph Gantner 1925 solche kulturhistorischen<br />

Erwägungen entschieden beiseite<br />

12 . Sie hatten für ihn mit dem explosionsartigen<br />

Wachstum <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadt ihre Bedeutung<br />

verloren. Ebenso wenig interessierten den<br />

Zeitgenossen Le Corbusiers regionale Beson<strong>der</strong>heiten.<br />

Von seinem Lehrer Heinrich Wölfflin auf<br />

die Analyse grundlegen<strong>der</strong> Formgesetze vorbereitet,<br />

suchte er nach städtebaulichen Typen, die<br />

ihre Gültigkeit auch bei tiefgreifenden Verän<strong>der</strong>ungen<br />

beibehalten. Gantners Bewun<strong>der</strong>ung gehört<br />

<strong>der</strong> «irrationalen Regelmässigkeit» 13 <strong>der</strong><br />

mittelalterlichen Stadt: vom römischen Castrum<br />

mit seinem naturfeindlichen Rastersystem übernimmt<br />

sie das Städtisch-Zivilisatorische, vom natursymbiotischen<br />

Dorf die lebendige Unregelmässigkeit.<br />

We<strong>der</strong> das Alter noch die Entstehungsweise<br />

sind für die Formqualitäten einer Stadt<br />

entscheidend 14 ; eine «gewachsene Stadt» kann<br />

sich in langweiligen Rastermustern erschöpfen,<br />

eine gegründete die Gesetze <strong>der</strong> Natur aufnehmen<br />

und steigern. Basel kann einen Römer, Luzern<br />

einen wilden Mann als Stadtgrün<strong>der</strong> anführen.<br />

Aber die Mitte von Gantners Schrift nimmt<br />

eine Stadt ein, die ihre Herkunft we<strong>der</strong> auf die<br />

Antike noch auf die Natur zurückführen kann.<br />

«Alles aber, was auf den Blättern dieses Buches bisher von <strong>der</strong><br />

Schönheit <strong>der</strong> Lage und <strong>der</strong> Situation, von dem künstlerischen<br />

Reichtum <strong>der</strong> Silhouette, gesagt worden ist, das scheint in <strong>der</strong><br />

Altstadt von Bern gesammelt, gesteigert und vertieft... Organischer<br />

ist keine Stadt gewachsen, und keine Stadt trägt in<br />

ihrem Wachstum eine so ausgesprochene künstlerische Sicherheit<br />

zur Schau ... Wo an<strong>der</strong>s als hier denn sollte man empfinden,<br />

dass grosse <strong>Architektur</strong> mit kosmischen Mächten fest im<br />

Bund steht 15 ?»<br />

Ohne es zu beabsichtigen, knüpft Gantner an die<br />

Berner Stadtmythologie und ihre Metamorphosethemen<br />

an. Schon ein spätmittelalterliches<br />

Sprichwort behauptete, dass sich <strong>der</strong> Eichenwald,<br />

an dessen Stelle Bern gebaut werden sollte,<br />

gerne habe hauen lassen 16 - gewann er doch in<br />

<strong>der</strong> Form des Häuserwaldes <strong>der</strong> jungen Stadt ein

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