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DT Magazin | Ausgabe 4 - Spielzeit 2009/10 - Deutsches Theater

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Wir kreisen immer wieder um die Frage, inwieweit<br />

<strong>Theater</strong> eine politische Situation ist und was politisches<br />

Schreiben sein kann. Du, Nuran, hast gesagt,<br />

dass man sich von der politischen Erregung manchmal<br />

fernhalten muss, um aufmerksamer bei der Figur zu<br />

landen…<br />

Nuran David Calis<br />

Mich behindert die Erregung in der Analyse. Ich ertappe<br />

mich dann dabei, dass ich durch die Wut so ungerecht<br />

werde, dass ich das Erzählen aus den Augen<br />

verliere. Wenn ich mich von dieser Erregung fernhalte,<br />

kann ich den Dingen, die drum herum passieren, ein<br />

Stück weit Gerechtigkeit zukommen lassen. Auch einem,<br />

der ein Arschloch ist, auch wenn man natürlich<br />

unfair sein darf.<br />

Dea Loher<br />

Arschlöcher sind Arschlöcher.<br />

Eine der großen Glaubensfragen des <strong>Theater</strong>s: Wie gerecht<br />

oder ungerecht kann, darf und muss man sein?<br />

Dea Loher<br />

Für mich wird es mit der Zeit immer schwieriger, mich<br />

über bestimmte Dinge aufzuregen, und das finde ich<br />

furchtbar. Ich merke bei mir eine gewisse Erschöpfung,<br />

dass ich auf bestimmte Auseinandersetzungen<br />

keine Lust mehr habe. Ob das jetzt mit den Schauspielern,<br />

dem Publikum oder den Kritikern ist. Bei bestimmten<br />

Dingen denke ich, dass ich diesen Kampf<br />

schon oft genug gekämpft habe und nicht mehr will.<br />

Ist es so, dass es eine gewisse Form von Absolutheit,<br />

Unbedingtheit braucht? Und je mehr man sich mit<br />

<strong>Theater</strong> beschäftigt, je mehr Erfahrungen man macht,<br />

je älter man wird, desto mehr fängt man an zu relativieren,<br />

und das Absolute kommt einem abhanden …<br />

Dea Loher<br />

Vielleicht gibt es zwei natürliche Neigungen. Die einen<br />

sind mehr die Woyzeck-Fans, die anderen die<br />

Tschechow-Fans. Diejenigen, die eher in das kriegerische<br />

<strong>Theater</strong> gehen, und die, die das Seelenvolle mögen.<br />

Vielleicht ist die Klippe für unsereins, dass man<br />

mit den Jahren irgendwann von einem Lager ins andere<br />

wechseln muss, weil man sich sonst total zum Deppen<br />

macht. Andererseits gehört das auch dazu.<br />

Dirk Laucke<br />

Wenn man an Schiller oder Büchner denkt, darf man<br />

nicht vergessen, dass diese Autoren, die absolute Figuren<br />

mit ihren aufklärerischen Ansprüchen gezeichnet<br />

haben, im Absolutismus gelebt haben. Sie waren<br />

Revolutionäre gegen eine Obrigkeit, die das <strong>Theater</strong><br />

finanziert hat. Außerdem wissen wir mittlerweile,<br />

dass absolute Antworten nicht funktionieren, und ich<br />

fände es dreist, Figuren auf die Bühne zu stellen, wie<br />

Brecht, die sagen, dass es so und nicht anders ist. Ich<br />

halte das für gefährlich, auch wenn ich mich nach politischer<br />

Veränderung sehne. Der einzig mögliche Weg<br />

ist die Kritik: Den Finger in die Wunden zu legen. Das<br />

ist das einzige, was mir bleibt.<br />

Der einzig mögliche<br />

<strong>10</strong><br />

<strong>Spielzeit</strong> <strong>2009</strong>/<strong>10</strong><br />

Weg ist Kritik:<br />

den Finger<br />

in die Wunden<br />

zu legen.<br />

Das ist das einzige,<br />

was mir bleibt.<br />

Dirk Laucke<br />

,alter ford escort dunkelblau‘ von Dirk Laucke<br />

mit Jörg Koslowski, Norman Hacker und Claudius Franz<br />

(Aufführung Thalia <strong>Theater</strong> Hamburg)<br />

Dea Loher<br />

Ich finde nicht, dass sich die Setzung von absoluten<br />

Ansprüchen erledigt hat. Es gibt ja gerade Maximal-<br />

Forderungen, die sich das Subjekt selber stellt, z. B.<br />

die unbedingte Forderung, ein total unkorrumpierbares<br />

Leben zu führen oder einfach auch der Anspruch,<br />

sich nicht von den äußeren Umständen eingrenzen zu<br />

lassen. Also eigentlich das, was die Figuren in deinen<br />

Stücken auch machen.<br />

Auch heutzutage wird das <strong>Theater</strong> von Politikern gelegentlich<br />

als Ort der Kritik oder der kritischen Aus-<br />

einandersetzung angesprochen. In Sonntagsreden<br />

und Leitartikeln wird immer wieder nach „dem“ Stück<br />

zur Finanzmarktkrise gerufen. Warum habt ihr das<br />

nicht geschrieben?<br />

Nuran David Calis<br />

Ich bin kein Journalist, sondern ein Autor. So etwas<br />

ist nicht Sinn und Zweck des <strong>Theater</strong>s, wie ich es ver-<br />

stehe.<br />

11<br />

<strong>Spielzeit</strong> <strong>2009</strong>/<strong>10</strong><br />

Dirk Laucke<br />

Es ist Quatsch zu sagen, dass sich Banker unmoralisch<br />

benehmen. Das ist Teil ihres Jobs. Deswegen finde<br />

ich es auch Quatsch, sich über eine Krise zu beklagen,<br />

weil die Teil des Systems ist und man – wenn schon,<br />

denn schon – über das Ganze reden müsste und nicht<br />

nur über diese geplatzte Blase.<br />

Dea Loher<br />

Wenn solche lauten Forderungen aufkommen, das<br />

<strong>Theater</strong> sollte sich jetzt mal des Problems annehmen,<br />

habe ich immer den Verdacht, dass das der Wunsch<br />

ist, die eigene Läuterung an jemand anderen zu delegieren.<br />

„Das Problem soll doch jetzt bitte mal die<br />

Kunst für uns lösen.“ Nein.

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