DT Magazin | Ausgabe 4 - Spielzeit 2009/10 - Deutsches Theater
DT Magazin | Ausgabe 4 - Spielzeit 2009/10 - Deutsches Theater
DT Magazin | Ausgabe 4 - Spielzeit 2009/10 - Deutsches Theater
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wir kreisen immer wieder um die Frage, inwieweit<br />
<strong>Theater</strong> eine politische Situation ist und was politisches<br />
Schreiben sein kann. Du, Nuran, hast gesagt,<br />
dass man sich von der politischen Erregung manchmal<br />
fernhalten muss, um aufmerksamer bei der Figur zu<br />
landen…<br />
Nuran David Calis<br />
Mich behindert die Erregung in der Analyse. Ich ertappe<br />
mich dann dabei, dass ich durch die Wut so ungerecht<br />
werde, dass ich das Erzählen aus den Augen<br />
verliere. Wenn ich mich von dieser Erregung fernhalte,<br />
kann ich den Dingen, die drum herum passieren, ein<br />
Stück weit Gerechtigkeit zukommen lassen. Auch einem,<br />
der ein Arschloch ist, auch wenn man natürlich<br />
unfair sein darf.<br />
Dea Loher<br />
Arschlöcher sind Arschlöcher.<br />
Eine der großen Glaubensfragen des <strong>Theater</strong>s: Wie gerecht<br />
oder ungerecht kann, darf und muss man sein?<br />
Dea Loher<br />
Für mich wird es mit der Zeit immer schwieriger, mich<br />
über bestimmte Dinge aufzuregen, und das finde ich<br />
furchtbar. Ich merke bei mir eine gewisse Erschöpfung,<br />
dass ich auf bestimmte Auseinandersetzungen<br />
keine Lust mehr habe. Ob das jetzt mit den Schauspielern,<br />
dem Publikum oder den Kritikern ist. Bei bestimmten<br />
Dingen denke ich, dass ich diesen Kampf<br />
schon oft genug gekämpft habe und nicht mehr will.<br />
Ist es so, dass es eine gewisse Form von Absolutheit,<br />
Unbedingtheit braucht? Und je mehr man sich mit<br />
<strong>Theater</strong> beschäftigt, je mehr Erfahrungen man macht,<br />
je älter man wird, desto mehr fängt man an zu relativieren,<br />
und das Absolute kommt einem abhanden …<br />
Dea Loher<br />
Vielleicht gibt es zwei natürliche Neigungen. Die einen<br />
sind mehr die Woyzeck-Fans, die anderen die<br />
Tschechow-Fans. Diejenigen, die eher in das kriegerische<br />
<strong>Theater</strong> gehen, und die, die das Seelenvolle mögen.<br />
Vielleicht ist die Klippe für unsereins, dass man<br />
mit den Jahren irgendwann von einem Lager ins andere<br />
wechseln muss, weil man sich sonst total zum Deppen<br />
macht. Andererseits gehört das auch dazu.<br />
Dirk Laucke<br />
Wenn man an Schiller oder Büchner denkt, darf man<br />
nicht vergessen, dass diese Autoren, die absolute Figuren<br />
mit ihren aufklärerischen Ansprüchen gezeichnet<br />
haben, im Absolutismus gelebt haben. Sie waren<br />
Revolutionäre gegen eine Obrigkeit, die das <strong>Theater</strong><br />
finanziert hat. Außerdem wissen wir mittlerweile,<br />
dass absolute Antworten nicht funktionieren, und ich<br />
fände es dreist, Figuren auf die Bühne zu stellen, wie<br />
Brecht, die sagen, dass es so und nicht anders ist. Ich<br />
halte das für gefährlich, auch wenn ich mich nach politischer<br />
Veränderung sehne. Der einzig mögliche Weg<br />
ist die Kritik: Den Finger in die Wunden zu legen. Das<br />
ist das einzige, was mir bleibt.<br />
Der einzig mögliche<br />
<strong>10</strong><br />
<strong>Spielzeit</strong> <strong>2009</strong>/<strong>10</strong><br />
Weg ist Kritik:<br />
den Finger<br />
in die Wunden<br />
zu legen.<br />
Das ist das einzige,<br />
was mir bleibt.<br />
Dirk Laucke<br />
,alter ford escort dunkelblau‘ von Dirk Laucke<br />
mit Jörg Koslowski, Norman Hacker und Claudius Franz<br />
(Aufführung Thalia <strong>Theater</strong> Hamburg)<br />
Dea Loher<br />
Ich finde nicht, dass sich die Setzung von absoluten<br />
Ansprüchen erledigt hat. Es gibt ja gerade Maximal-<br />
Forderungen, die sich das Subjekt selber stellt, z. B.<br />
die unbedingte Forderung, ein total unkorrumpierbares<br />
Leben zu führen oder einfach auch der Anspruch,<br />
sich nicht von den äußeren Umständen eingrenzen zu<br />
lassen. Also eigentlich das, was die Figuren in deinen<br />
Stücken auch machen.<br />
Auch heutzutage wird das <strong>Theater</strong> von Politikern gelegentlich<br />
als Ort der Kritik oder der kritischen Aus-<br />
einandersetzung angesprochen. In Sonntagsreden<br />
und Leitartikeln wird immer wieder nach „dem“ Stück<br />
zur Finanzmarktkrise gerufen. Warum habt ihr das<br />
nicht geschrieben?<br />
Nuran David Calis<br />
Ich bin kein Journalist, sondern ein Autor. So etwas<br />
ist nicht Sinn und Zweck des <strong>Theater</strong>s, wie ich es ver-<br />
stehe.<br />
11<br />
<strong>Spielzeit</strong> <strong>2009</strong>/<strong>10</strong><br />
Dirk Laucke<br />
Es ist Quatsch zu sagen, dass sich Banker unmoralisch<br />
benehmen. Das ist Teil ihres Jobs. Deswegen finde<br />
ich es auch Quatsch, sich über eine Krise zu beklagen,<br />
weil die Teil des Systems ist und man – wenn schon,<br />
denn schon – über das Ganze reden müsste und nicht<br />
nur über diese geplatzte Blase.<br />
Dea Loher<br />
Wenn solche lauten Forderungen aufkommen, das<br />
<strong>Theater</strong> sollte sich jetzt mal des Problems annehmen,<br />
habe ich immer den Verdacht, dass das der Wunsch<br />
ist, die eigene Läuterung an jemand anderen zu delegieren.<br />
„Das Problem soll doch jetzt bitte mal die<br />
Kunst für uns lösen.“ Nein.