03.12.2012 Aufrufe

Schlesischer Gottesfreund

Schlesischer Gottesfreund

Schlesischer Gottesfreund

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

BEITRÄGE 86<br />

darauf eine neue Heimat aufzubauen. Die Konzentration<br />

städtischen und bäuerlichen Deutschtums im Lodzer Raum,<br />

isoliert von polnischen Kulturzentren, hat entscheidend<br />

dazu beigetragen, daß die Lodzer Sprachinsel rasch zum<br />

Mittelpunkt des Deutschtums in Kongreßpolen auf allen<br />

Lebensgebieten wurde. So hat es schon 1860 einen Versuch<br />

gegeben, in Lodz ein deutsches Gymnasiumzu gründen,<br />

das freilich nach wenigen Jahren der Erfolge wieder geschlossen<br />

wurde. Erst 1906 gelang es wieder, ein deutsches<br />

Realgymnasium zu gründen, das bis 1945 bestanden hat.<br />

Es entwickelte sich mit 1.200 Schülern zu einer der größten<br />

Anstalten auf dem Kontinent und diente der Ausbildung<br />

einer rasch heranwachsenden Elite der deutschen Volksgruppe<br />

in Mittelpolen. Unter schwierigen äußeren Bedingungen<br />

entwickelte sich ein reiches deutsches Kulturleben<br />

mit eigenen Dichtern, Künstlern, Gelehrten und heimatforschern.<br />

Mit den neuen Kolonien im Lodzer Raum mit den deutschen<br />

Siedlern entstanden auch evangelische Kirchen, denn<br />

der lodzerdeutsche Volksstamm bestand aus evangelischen<br />

Christen pietistischer und puritanischer Glaubensrichtung.<br />

Diese Menschen waren von einem unermüdlich unruhevollen<br />

Fleiß, verbunden mit puritanischer Schlichtheit und<br />

Das Wappen von £odz stellt ein goldfarbenes Holzboot mit<br />

einem Ruder auf rotem Hintergrund dar und ist in dieser<br />

Form aus dem Jahre 1577 bezeugt.<br />

(Meyers Neues Lexikon, 1924)<br />

Redlichkeit. Vor allem in den neuen mittelpolnischen Industriezentren<br />

mit ihrer Ansammlung von deutschen<br />

Tuchmachern und Webern entstanden viele evangelische<br />

Kirchen. Organisation des evangelischen Kirchenlebens<br />

und Entwicklung der Textilindustrie gingen dort Hand in<br />

Hand. In der Anfangszeit war der Pfarrer auch gleichzeitig<br />

Gutsherr und Landwirt. Natürlich kümmerte man sich auch<br />

um die Erziehung der Kinder und betrieb evangelische<br />

Schulen, deren Anzahl 1865 größer war als die Zahl aller<br />

Schulen in Kongreßpolen. Die Schule in den Siedlungen<br />

war zugleich oft auch Bethaus. Das Schulwesen entsprach<br />

der Forderung Martin Luthers, den Kindern so viel<br />

Unterricht zu geben, daß sie Bibel und Gesangbuch - eine<br />

Grundausstattung jedes Kolonistenhauses - selbst lesen<br />

konnten, um als bewußte Protestanten zu bestehen.<br />

Jedenfalls lebten die deutschen Siedlungskerne immer in<br />

der Reichweite ihrer vertrauten evangelischen Kirche und<br />

deutschen Schule. So verfestigten sich die deutschen<br />

Sprachinseln immer mehr.<br />

Ich will noch einmal auf die Entstehungsgeschichte von<br />

Lodz eingehen. Wie konnte aus einem kleinen unbedeutenden<br />

Dorf in Mittelpolen die zweitgrößte Stadt Polens werden,<br />

die 1939 570.000 Einwohner hatte - darunter übrigens<br />

noch 70.000 Deutsche? Lodz, an der Verbindungsstraße<br />

von Krakau nach Thorn, aber auch an der Wasserscheide<br />

von Oder und Weichsel, liegt am Rande eines bis 283 m<br />

hohen Höhenzuges, von dem ein Bach mit beträchtlicher<br />

Strömung in das im Wald versteckte Dorf floß. Das scheint<br />

für die ins Land kommenden schlesischen Weber Ende des<br />

18. Jahrhunderts ein geeigneter Standort für ihre Textilmanufaktur<br />

gewesen zu sein. Die nachfolgende Industrialisierung<br />

ging aber so schnell vonstatten, daß man vom<br />

Wunder von Lodz sprach. In Lodz und seinen Satellitenstädten<br />

bauten die deutschen Weber eingeschossige Langhäuser<br />

mit Satteldächern, die das Straßenbild beherrschten.<br />

Die Tuchmacher wurden allmählich durch die Leinen- und<br />

Baumwollweber verdängt.<br />

Mit der Gründerzeit verschwanden die niedrigen, meist<br />

grün gestrichenen Kolonistenhäuser - die letzten wurden<br />

um 1970 abgerissen - und wurden durch Wohnkasernen in<br />

der Nähe der riesigen Fabrikanlagen ersetzt. Durch die fortschreitenden<br />

Mechanisierung nahm die Zahl der polnischen<br />

Arbeiter im ausgehenden 19. Jahrhundert zu und der<br />

prozentuale Anteil der deutschen Bevölkerung sank kontinuierlich.<br />

Die Deutschen bildeten freilich als qualifizierte<br />

Web- und Spinnmeister die Betriebsleiter und Ingenieure.<br />

Ein Vorort von Lodz hieß Neu-Schlesien und eine Angestelltensiedlung<br />

Schlesing.<br />

Ein anderes Geschehen reduzierte den deutschen Einfluß<br />

in Mittelpolen: die polnischen Aufstände richteten sich<br />

nicht nur gegen die russische Besatzung, sondern auch gegen<br />

die deutschen Protestanten, wie ja überall in Europa<br />

der nationale Gedanke sich in aggressiven Nationalismus<br />

wandelte, der im Anderssprachigen nicht mehr den Nachbarn,<br />

sondern den Feind sah. Es kam zu pogromartigen<br />

Ausschreitungen seitens der Polen, vor denen viele einst<br />

aus Schlesien gekommene Siedler nun nach Wolhynien<br />

auswichen.<br />

Ich schließe mit einem Zitat aus dem Buch „Deutsche<br />

mitten in Polen - unsere Vorfahren am Webstuhl der Geschichte“<br />

von Eugen Kossmann: „Was immer gesagt werden<br />

mag, der Deutsche hat seine Schuldigkeit getan. Daß er<br />

nach getaner Arbeit gehen mußte, mag historisch verständlich<br />

und den Weisen keine Überraschung sein. Aber jeder<br />

Abschied ist bitter.“ Wir können unseren schlesischen<br />

Landsleuten von Lodz hier aus eigener Erfahrung nur<br />

zustimmen. �

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!