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11. Schlesischer Kirchentag in Görlitz (Jauernick-Buschbach) 15 ...

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<strong>11.</strong> <strong>Schlesischer</strong> <strong>Kirchentag</strong> <strong>in</strong> <strong>Görlitz</strong> (<strong>Jauernick</strong>-<strong>Buschbach</strong>)<strong>15</strong>. Sonntag n. Tr<strong>in</strong>. 16. Sept. 2007, Stadtkirche Peter und Paul,Landespfarrer i. R. Dr. Hans-Ulrich M<strong>in</strong>ke2. Timotheus 3.14-17Liebe Schwestern und Brüder,zu Beg<strong>in</strong>n will ich gleich sagen, worum es geht: Es geht um unser christlichesErbe, das uns verb<strong>in</strong>det, das uns positiv stimmt und das uns Mut und Zuversichtgibt. ‚Bleibt bei dem, was ihr gelernt habt und was euch anvertraut ist’ - heißt esim Predigttext; ‚orientiert euch an der Bibel, die ihr von K<strong>in</strong>d an kennt’. Ke<strong>in</strong>ervon uns lebt im geschichtslosen Raum und fängt bei Null an; alle stehen wir aufden Schultern unserer Mütter und Väter. Und die nachwachsende Generationsteht hoffentlich auf unseren Schultern.Dieses geme<strong>in</strong>same Erbe ist wichtig für uns Schlesier - ganz gleich, woher wirjetzt kommen. Wir br<strong>in</strong>gen sehr unterschiedliche Biografien und sehrunterschiedliche Lebenswelten mit <strong>in</strong> diesen Gottesdienst. Da s<strong>in</strong>d vor allemSie, liebe Geme<strong>in</strong>de, die Sie immer <strong>in</strong> <strong>Görlitz</strong> gelebt haben, die Sie 40 JahreDDR mit ihren E<strong>in</strong>schränkungen h<strong>in</strong>ter sich haben. Ihr Blick g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Ihrergeteilten Stadt immer nach Osten <strong>in</strong>s polnisch gewordene Schlesien und auchnach Westen. Das ‚Schlesische’ war damals verboten. Und unter uns s<strong>in</strong>d heutedie Schlesier, die 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung zu Thür<strong>in</strong>gern,Brandenburgern, Niedersachsen, Württembergern oder Bayern geworden s<strong>in</strong>d,die aber immer noch ihre Wurzeln <strong>in</strong> Schlesien haben. Und vergessen wir dieSchlesier östlich der Neiße nicht, die dort zu den evangelischen Geme<strong>in</strong>dengehören. Wir alle s<strong>in</strong>d Erben schlesischer Frömmigkeit und Geschichte. Wir alles<strong>in</strong>d dafür verantwortlich, was jetzt aus dem geme<strong>in</strong>samen Erbe wird.Zugegeben, liebe Geme<strong>in</strong>de, es fällt uns allen schwer, genau zu sagen, was dasBesondere und Eigene der Frömmigkeit der Schlesier ist; aber s<strong>in</strong>d nicht dieKirchen, die unsere Mütter und Väter gebaut haben, ihre Lieder, ihre


Glaubenstreue beispielhaft - fordern sie doch uns, die Nachkommen, auf, esihnen nachzutun und das zu aktivieren, was die Schrift sagt und was unsanvertraut ist. ‚Bleibt bei dem, was ihr gelernt habt und was euch anvertraut ist’- sagt unser Predigttext.Was wir alle nötig haben, ist die Wiederentdeckung der Bibel. Sie ist - Gott sei’sgeklagt - zu e<strong>in</strong>em verstaubten Buch verkommen, das <strong>in</strong> Bücherregalenversteckt steht - und das <strong>in</strong> der Kirche Mart<strong>in</strong> Luthers, der die ‚Schrift alle<strong>in</strong>’ alsMaßstab für Glauben und Kirche gelten ließ. Von Gott e<strong>in</strong>gegeben sei dieSchrift - sagt unser Predigttext, und die Theologen unter uns wissen, dass mandaraus die Lehre von der Verbal<strong>in</strong>spiration gemacht hat, wonach Gott Wort fürWort diktiert hat. Dabei ist die Bibel e<strong>in</strong> irdisches menschliches Buch, vonMenschen mit Fehlern verfasst, aber von Gottes Geist begleitet, <strong>in</strong> dem wirMenschen durch Lesen, Hören und Nachdenken Gott begegnen. Die christlicheReligion ist e<strong>in</strong>e Schriftreligion, und zu ihr gehören eben nicht nur religiöseGefühle und schöne Gottesdienste; zu ihr gehören auch das genaue Lesen, dasNachfragen, was geschrieben steht, das Nachdenken und Beten. Das bedeutetfür uns zu allererst:- I -dass wir die Transzendenz für uns gelten lassen. Wir sollten begreifen, dass dasDiesseits für die Def<strong>in</strong>ition unseres Lebens nicht ausreicht, sondern dass wir fürdas Jenseits angelegt s<strong>in</strong>d. Zugegeben: Auch wir Christen haben Mühe, wennwir K<strong>in</strong>dern, Enkeln oder Nachbarn erklären sollen, warum wir an Gott glauben.Aufklärung und zwei christenfe<strong>in</strong>dliche Diktaturen haben das ihre getan und denGottesglauben für viele unmöglich gemacht. Sie kennen die Umfrageergebnisse,nach denen die Zahl derer, die an e<strong>in</strong> höheres Wesen glauben, etwa bei 70%liegt, <strong>in</strong> Mitteldeutschland s<strong>in</strong>d es deutlich weniger. Man gibt sich zufrieden mitdem, was man sieht und hat; für Gott ist bei Vielen ke<strong>in</strong> Platz im Weltbild. Manmüsste jetzt Gott nachweisen können - man müsste e<strong>in</strong>sichtig machen können,


dass ohne Christus als Leitfigur menschliches Leben nur e<strong>in</strong> Torso bleibt, dasswir ohne Gott Menschen s<strong>in</strong>d, die bei ihrer Menschwerdung steckengebliebens<strong>in</strong>d. Vielleicht müssen wir erst über uns erschrecken, wenn klar wird, wies<strong>in</strong>nlos unser Leben ohne Gott ist. Was ich me<strong>in</strong>e, zeigt e<strong>in</strong>e Geschichte aus derFrühzeit europäischer Mission: Als die ersten Glaubensboten nach Englandkamen, mussten sie beim König um Erlaubnis zu predigen nachsuchen. DerKönig versammelte se<strong>in</strong>e Ratgeber <strong>in</strong> der Königshalle. Bei offenem Feuerdiskutierte man bis <strong>in</strong> die Nacht. Da kam aus der Dunkelheit e<strong>in</strong> Vogel <strong>in</strong> dieHalle geflogen, flog irrend e<strong>in</strong>e zeitlang umher und flog dann wieder nachdraußen. Da sagte e<strong>in</strong>er der Ratgeber: War das nicht e<strong>in</strong> Zeichen des Himmels?So ist es mit uns Menschen: Wir kommen aus der Dunkelheit <strong>in</strong>s Licht desLebens, bewegen uns e<strong>in</strong>e zeitlang h<strong>in</strong> und her und kehren schließlich wieder <strong>in</strong>die Dunkelheit der Nacht zurück. Woher kommen wir? Wozu leben wir? Woh<strong>in</strong>ziehen wir? - lasst uns hören, ob die Fremden darauf e<strong>in</strong>e Antwort wissen. LiebeGeme<strong>in</strong>de, zweifellos s<strong>in</strong>d das die Grundfragen, auf die wir im Laufe unseresLebens Antwort f<strong>in</strong>den sollten - für uns, als Geme<strong>in</strong>de aber auch alsGeme<strong>in</strong>schaft evangelischer Schlesier. Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Traditionsvere<strong>in</strong>, der se<strong>in</strong>emuseale Vergangenheit zu pflegen hat - mögen wir auch Er<strong>in</strong>nerungsstückesammeln. Wir gehören auf die Seite Gottes - und das heißt: auf die Seite dessen,der Gegenwart und Zukunft bestimmt. Von ihm her sollten wir die Grundfragenunseres Lebens beantworten.- II -Das muß sich - und das ist zweitens zu sagen - <strong>in</strong> der Lebensführung auswirken.Alle Schrift, von Gott e<strong>in</strong>gegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zurBesserung, zur Erziehung <strong>in</strong> der Gerechtigkeit - heißt es im Predigttext. Es isterdrückend viel, was da e<strong>in</strong> Christ leisten soll - wer fühlt sich da nichtüberfordert?! Manches erklärt sich, wen wir uns vor Augen halten, dass hiernicht Christen der ersten Stunde angeredet werden, die also mit ihrem Glaubennoch sehr am Anfang s<strong>in</strong>d. Angeredet werden <strong>in</strong> unserem Predigttext deren


Enkel, die längst ans Christse<strong>in</strong> gewöhnt s<strong>in</strong>d. Ihnen muß man raten, bei ihremGlaubensbekenntnis und bei ihrem klaren Lebensstil zu bleiben - angesichts vonflippigen Esoterikern, die sich ständig Extravaganzen leisten, und angesichtsvon Leuten, die sich <strong>in</strong> ihren religiösen Hobbykellern ihre Religion je nachMode zurechtbasteln. Heute ist es noch wie damals. Kirchenmitglieder leiden oftdarunter, dass <strong>in</strong> unserer Kirche so viel experimentiert wird und der Glaubese<strong>in</strong>e Klarheit und Verb<strong>in</strong>dlichkeit verliert. Unsere Kirche hat anÜberzeugungskraft verloren. Wenn man von Konvertierten hört, s<strong>in</strong>d es meistnicht Konvertiten zur evangelischen Kirche. ‚Bleibe bei dem, was du gelernthast und was dir anvertraut ist’ - wäre e<strong>in</strong> erster Schritt zu e<strong>in</strong>er Erneuerung derKirche und des Glaubens. E<strong>in</strong>e neue Ethik des Umgang mite<strong>in</strong>ander benötigenwir auf jeden Fall. Wir werden nur dann zu Schwestern und Brüdern, wenn wirdas geme<strong>in</strong>same Erbe nicht totes Kapital se<strong>in</strong> lassen, sondern als Motor für e<strong>in</strong>verlässliches Mite<strong>in</strong>ander nutzen.- III -Damit, liebe Geme<strong>in</strong>de, ist noch nicht alles gesagt zu unserem Predigttext. Diechristliche Religion endet niemals bei der mitmenschlichen Ethik und derNächstenliebe; ihr geht es immer um unser Gottesverhältnis und unsereIdentität. Gottes Menschen werden wir - sagt unser Text - , vollkommen und zuallem guten Werk geschickt. Das kann ke<strong>in</strong> Mensch von sich aus aus freienStücken sagen, - das wäre im höchstem Grade arrogant, ja hybrid. Sagen kanndas nur e<strong>in</strong>er, den Gott ermutigt und für den Jesus garantiert. Ich wage vor Ihnennicht, vom ‚neuen Menschen’ zu reden, weil wir <strong>in</strong> der DDR viel zu oft von derentwickelten sozialistischen Persönlichkeit und <strong>in</strong> der alten Bundesrepublik zuoft von Selbstverwirklichung und persönlicher Authentizität gehört haben.Lassen sie mich stattdessen richtiger vom ‚Menschen Gottes’ sprechen, der wirseit unserer Taufe s<strong>in</strong>d - eben der Mensch Gottes, den Gott über den Tod h<strong>in</strong>ausbegleitet. Das ist die Grundlage für unser Leben. Wir Christen brauchen <strong>in</strong>unserem Leben zwei Standorte: e<strong>in</strong>en bei Gott und den anderen auf dieser Erde,


wo wir zu Hause s<strong>in</strong>d, woh<strong>in</strong> wir gehören. Man kann auf dieser Erde durch dieGlobalisierung se<strong>in</strong>e irdische Heimat verlieren und heimatlos werden, weil wirüberall und darum nirgends richtig h<strong>in</strong>gehören. Wir s<strong>in</strong>d nicht mehr geortet.Achten wir darauf, dass wir beides haben: den bürgerlichen und den geistlichenStandort. Letztlich s<strong>in</strong>d wir Bürger zweier Welten. Bleiben wir dabei. Bleibenwir bei dem, was wir gelernt haben und was uns anvertraut ist. So will es Gott,so steht es <strong>in</strong> der Schrift und so ist es wahr. Amen.

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