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Die Geister, die er rief - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

ihm begann eine Irrfahrt, bei d<strong>er</strong> sich <strong>die</strong> Betroffenen plötzlich mit Gewalt<br />

in ein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>kehrten mod<strong>er</strong>nen Welt wied<strong>er</strong>fanden, in d<strong>er</strong> <strong>die</strong> totale H<strong>er</strong>rschaft<br />

eines politisch-ideologischen Ordens das fi ktionale Surrogat ein<strong>er</strong> angeblich<br />

historischen Klasse darstellen sollte. 1989 war ein profanes Jahr, als das<br />

menschliche Int<strong>er</strong>esse üb<strong>er</strong> <strong>die</strong>se seit langem siech und kraftlos gewordene<br />

industrielle Variante von Glauben und Erlösung siegte, indem es von d<strong>er</strong><br />

kommunistischen Staatsmacht v<strong>er</strong>lassene und offen stehende Türen in<br />

ein<strong>er</strong> Sekunde plötzlich möglich geworden<strong>er</strong> Freiheit ohne nennensw<strong>er</strong>ten<br />

Wid<strong>er</strong>stand einrannte.<br />

Marx als Politik<strong>er</strong> und Geschichtsphilosoph ist spätestens seit <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

ein Thema, das nur noch Historik<strong>er</strong> beschäftigt. Als Theoretik<strong>er</strong> des<br />

Kapitalismus und d<strong>er</strong> historischen Evolution ab<strong>er</strong> lebte <strong>er</strong> lange Zeit in ein<strong>er</strong><br />

babylonischen Gefangenschaft, umstellt von affi rmativen Ideologen und<br />

fanatischen Gegn<strong>er</strong>n, und ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten,<br />

Wid<strong>er</strong>sprüchen und produktiven Fehleinschätzungen <strong>er</strong>st noch<br />

unbefangen zu entdecken. Gescheit<strong>er</strong>te Prophezeiungen, meinte Richard<br />

Rorty einmal, sind oft eine inspiri<strong>er</strong>ende Lektüre. Es wäre am besten, wenn<br />

wir ohne Prophetien und ohne Ansprüche auf ein höh<strong>er</strong>es Wissen um <strong>die</strong><br />

Kräfte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschichte lenken, auskommen könnten. Doch auch wenn<br />

Marx heute in vielem v<strong>er</strong>altet wirke, so Rorty, habe <strong>er</strong> in imm<strong>er</strong> noch bewund<strong>er</strong>nsw<strong>er</strong>t<strong>er</strong><br />

Weise <strong>die</strong> wichtige Lektion formuli<strong>er</strong>t, <strong>die</strong> wir angesichts eines<br />

ungebremsten Kapitalismus gel<strong>er</strong>nt haben, nämlich dass d<strong>er</strong> Sturz autoritär<strong>er</strong><br />

Regi<strong>er</strong>ungen und <strong>die</strong> Schaffung konstitutionell<strong>er</strong> Demokratien zur<br />

Sich<strong>er</strong>ung von Gleichheit und Anstand zwischen den Menschen nicht ausreichen.<br />

Mehr als seine dem unruhigen Zeitgeist des 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts geschuldeten<br />

apokalyptischen Antworten beschäftigen uns heute <strong>die</strong> nach wie vor irriti<strong>er</strong>enden<br />

Fragen von Marx bezüglich des labilen Zustands und d<strong>er</strong> selbstz<strong>er</strong>stör<strong>er</strong>ischen<br />

Tendenzen uns<strong>er</strong><strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen Welt. Marx wollte eine auf<br />

den Kopf gestellte Welt durch <strong>die</strong> Einebnung von als Entfremdung und V<strong>er</strong>dinglichung<br />

int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>ten Komplexitäten grundsätzlich v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>n, anstatt

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