Daylight & Architecture | Architektur-Magazin von VELUX, Ausgabe ...
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LIVERPOOL:<br />
WIEDERGEBURT EINER<br />
HANDELSSTADT<br />
Als Großbritannien eine industrielle<br />
Großmacht war, diente Liverpool als<br />
seine internationale Verkehrsdrehscheibe.<br />
Der Liverpooler Hafen an<br />
der Mersey-Mündung im Nordwesten<br />
Englands war das Eingangstor,<br />
durch das Rohstoffe für die Fabriken<br />
und Textilindustrien des Landes<br />
strömten. Von seinen 11 Kilometer<br />
langen Docks wurden Fabrikerzeugnisse<br />
in die ganze Welt exportiert.<br />
Der Wohlstand, der um 1900<br />
seinen Höhepunkt erreichte, schuf<br />
eine bemerkenswert reiche Stadtlandschaft.<br />
Die Banken und Bürogebäude<br />
führender Architekten legten<br />
ein beredtes Zeugnis ab <strong>von</strong> der Wirtschaftsmacht<br />
der Stadt. Die Docks<br />
zählten zu den großen Triumphen viktorianischer<br />
Ingenieurskunst, und die<br />
St. George‘s Hall – eine riesige Stadthalle<br />
mit Konzert- und Gerichtssälen<br />
– brachte die kulturellen Ambitionen<br />
der Stadt zum Ausdruck.<br />
Doch auf den schwindelerregenden<br />
Fortschritt im neunzehnten<br />
Jahrhundert folgte im zwanzigsten<br />
ein katastrophaler Niedergang. Der<br />
Zusammenbruch der britischen Industrie,<br />
der Verlust des Empire und<br />
der Aufstieg Europas als britischer<br />
Haupthandelspartner anstelle <strong>von</strong><br />
Amerika wurden Liverpool und dem<br />
umliegenden Mersey-Gebiet zum<br />
Verhängnis. Die Einwohnerzahl Liverpools<br />
fiel <strong>von</strong> ihrem Spitzenwert<br />
856.000 im Jahre 1931 auf 510.000<br />
im Jahr 1981. Die Stadt wurde zum<br />
Inbegriff <strong>von</strong> Armut und Arbeitslosigkeit,<br />
während ihr großartiges <strong>Architektur</strong>erbe<br />
zunehmend wie die<br />
Ruinen einer untergegangenen Zivilisation<br />
wirkte.<br />
Im Laufe der vergangenen 25<br />
Jahre wurde das Stadtzentrum je-<br />
doch schrittweise umgeformt. Die<br />
Wiederbelebung begann 1981, als<br />
die britische Regierung die ‚Merseyside<br />
Development Corporation‘ gründete.<br />
Weitere massive Finanzspritzen<br />
der öffentlichen Hand folgten ab 1994,<br />
nachdem die Mersey-Region als eine<br />
der ärmsten Regionen der Europäischen<br />
Union ausgewiesen und ihr der<br />
‚Objective One‘-Status verliehen worden<br />
war, was sie zur Förderung durch<br />
den Europäischen Regionalentwicklungsfonds<br />
berechtigte. Bis zum Abschluss<br />
der Förderung 2006 erhielt<br />
das Gebiet über 1,5 Milliarden Pfund<br />
EU-Zuschüsse. Jetzt hofft man, dass<br />
ausreichend Vertrauen besteht, um<br />
die Entwicklung ohne öffentliche<br />
Gelder voranzutreiben. Und tatsächlich<br />
wurde das jüngste – und größte<br />
– Bauvorhaben in der Stadt, das Einkaufszentrum<br />
Liverpool One, <strong>von</strong><br />
dem privaten Investor Grosvenor finanziert.<br />
Ein Überangebot an Baubestand?<br />
Der Umbau älterer Gebäude spielte<br />
bei dieser Umformung eine Schlüsselrolle.<br />
Die lokale Begeisterung für<br />
Liverpools historische <strong>Architektur</strong><br />
ist groß, doch die langen Jahre wirtschaftlichen<br />
Niedergangs haben <strong>von</strong><br />
der Stadtstruktur ihren Tribut gefordert.<br />
Dies und die überwältigende Anzahl<br />
denkmalgeschützter Gebäude<br />
– <strong>von</strong> denen Liverpool angeblich mehr<br />
als jede andere englische Provinzstadt<br />
besitzt – lassen ihre Erhaltung<br />
und Sanierung zu einer ernsthaften<br />
Herausforderung werden. Bei einigen<br />
der besonders wichtigen Gebäude –<br />
darunter die neoklassizistischen Wellington<br />
Rooms und die Speicher am<br />
Stanley Dock – geht der Verfall nach<br />
jahrelangem Leerstand weiter; doch<br />
viel wurde bereits erreicht, und das<br />
Gesamtbild stimmt um einiges zuversichtlicher<br />
als zuvor.<br />
Das wichtigste Erneuerungsprojekt<br />
der 80er-Jahre war die Restaurie-<br />
rung der baufälligen Albert Docks, der<br />
landesweit größten Gruppe <strong>von</strong> denkmalgeschützten<br />
Gebäuden der Stufe I,<br />
die nun ein Schifffahrtsmuseum und<br />
eine Außenstelle der Tate Gallery beherbergen.<br />
Kulturelle Einrichtungen<br />
spielen auch weiterhin eine wichtige<br />
Rolle in der Renaissance Liverpools.<br />
Die aus dem frühen achtzehnten<br />
Jahrhundert stammenden Bluecoat<br />
Chambers – Sitz eines blühenden<br />
Kunstzentrums – erhielten erst<br />
kürzlich einen ansprechenden Anbau<br />
durch die niederländischen Architekten<br />
BIQ, während sich an der Uferpromenade<br />
zu einer neuen Konzert- und<br />
Tagungsstätte <strong>von</strong> Wilkinson Eyre<br />
bald ein Museum für Stadtgeschichte<br />
nach dem Entwurf des dänischen <strong>Architektur</strong>büros<br />
3XN gesellen wird.<br />
Neben kulturellen Neuzugängen<br />
brachten die letzten fünfzehn Jahre<br />
auch eine deutliche Zunahme an innerstädtischen<br />
Wohnungen mit sich.<br />
Ein wichtiger Schwerpunkt lag hier<br />
auf dem sogenannten ‚Ropewalks‘-<br />
Viertel, einem dichten Geflecht enger<br />
Straßen aus dem 18. Jahrhundert,<br />
an denen sich heruntergekommene<br />
georgianische Reihenhäuser, viktorianische<br />
Lagerhäuser und diverse Industriebauten<br />
drängen. Pionier bei der<br />
Erneuerung dieses vernachlässigten<br />
Stadtteils war das Immobilienunternehmen<br />
Urban Splash, das eine Chemiefabrik<br />
aus den 1890er-Jahren in<br />
Liverpools erste, 1994 fertiggestellte<br />
Loftapartments umwandelte.<br />
Urban Splash errichtete noch weitere<br />
Wohn-, Büro- und Freizeitbauten<br />
in derselben Gegend, deren klare<br />
moderne <strong>Architektur</strong> gut mit dem<br />
strengen industriellen Charakter der<br />
älteren Nachbargebäude harmoniert.<br />
Andere Bauherren folgten dem Modell,<br />
wenn auch mit unterschiedlichen,<br />
gelegentlich in historisches Flickwerk<br />
abgleitenden Ergebnissen. Eine bedauerliche<br />
Anzahl Häuser aus dem 18.<br />
Jahrhundert ist noch immer unsaniert,<br />
und einige bereits eingestürzt, nachdem<br />
sie jahrzehntelang leer standen.<br />
Nun sollen Zuschüsse des Liverpooler<br />
Stadtrats den Hausbesitzern dabei<br />
helfen, gefährdete Gebäude in diesem<br />
faszinierenden Viertel zu retten.<br />
24 D&A WINTER 2008 AUSGABE 10<br />
Liverpool, die Hafenstadt des Frühkapitalismus,<br />
erlebte im 19. Jahrhundert einen nie dagewesenen<br />
Wohlstand und im 20. Jahrhundert einen ebenso<br />
spektakulären Niedergang. Obwohl viele Gebäude<br />
immer noch dem Abriss geweiht sind, wächst in der<br />
Stadt das Bewusstsein, dass umgenutzte Altbauten<br />
dem Wohnraumbedarf in der Stadt oft besser gerecht<br />
werden als Neubauten.<br />
Liverpools neue Skyline<br />
Doch nicht nur Umbauten, auch die<br />
Neubauwohnungen, die in den vergangenen<br />
Jahren überall in Liverpool<br />
aus dem Boden schossen, prägen<br />
das Stadtbild. Am Nordrand des Geschäftsviertels,<br />
nah am Wasser, hat<br />
ein Komplex hoher Wohntürme Liverpools<br />
Skyline in den letzten fünf<br />
Jahren verändert. Die beiden höchsten<br />
Gebäude, darunter der 40-stöckige<br />
West Tower, wurden <strong>von</strong> der<br />
Beetham-Organisation gebaut, einem<br />
weiteren Pionier des innerstädtischen<br />
Wohnungsbaus. Dazu kamen zahlreiche<br />
kleinere Projekte, verteilt im gesamten<br />
Stadtzentrum. Dort stieg die<br />
Einwohnerzahl <strong>von</strong> 2340 im Jahre<br />
1991 auf 15.000 im Jahre 2007 an.<br />
Abgesehen <strong>von</strong> einigen lobenswerten<br />
Ausnahmen, wie dem gemischtgenutzten<br />
Unity-Gebäude <strong>von</strong><br />
Allford Hall Monaghan Morris, ist die<br />
Entwurfsqualität dieser Projekte<br />
meist unbedeutend und reicht nicht<br />
an die kraftvolle Individualität und die<br />
robusten Baustoffe heran, welche die<br />
<strong>Architektur</strong> Liverpools traditionell geprägt<br />
haben. In der Regel wurde der<br />
Schwerpunkt statt auf großzügige<br />
Unterkünfte vor allem auf kleinere<br />
Zwei- und Dreizimmerwohnungen gelegt.<br />
Die Belegungsraten sind schwer<br />
zu ermitteln, doch wie es scheint,<br />
herrscht in Liverpools Stadtzentrum<br />
derzeit bereits ein Überangebot kleiner<br />
Wohnungen, und der gegenwärtige<br />
wirtschaftliche Abschwung lässt<br />
Zweifel hinsichtlich der Zukunft dieses<br />
Baubooms aufkommen.<br />
Oft haben Sanierung und Umbau<br />
historischer Gebäude zu ansprechenderen<br />
Ergebnissen geführt. Die Collegiate<br />
Institution, eine große Schule<br />
aus den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts,<br />
einen Kilometer vom Zentrum<br />
entfernt im Ortskern <strong>von</strong> Everton gelegen,<br />
war nur noch eine Brandruine,<br />
als sich Urban Splash in den späten<br />
90er-Jahren ihrer annahm. Die Architekten<br />
shedkm schufen hinter der<br />
Altbaufassade 96 Apartments und<br />
lösten das Problem der enormen Deckenhöhen<br />
durch das Einziehen <strong>von</strong><br />
Mezzaningeschossen, die sie etwas<br />
<strong>von</strong> den deckenhohen neugotischen