13.07.2015 Aufrufe

und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht

und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht

und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Michael Penzold: WirtschaftsethikM 5Der Markt – Schicksalsmacht oderDenkmodell?510152025303540Obschon jeder Marktteilnehmer nur an seiner »privaten«Wettbewerbsposition interessiert ist, übt er durchseine Erfolgsstrategien unweigerlich einen wenn auchunter Umständen fast unmerklichen, bloß marginalenZwang auf seine Mitbewerber aus, <strong>und</strong> zwar ganz ohnedass er mit ihnen persönlich in Interaktion tritt. Da jedochjeder auf jeden diesen wirksamen Zwang ausübt<strong>und</strong> dieser Prozess in offenen Märkten unabgrenzbarfortwirkt, kumulieren sich diese Wechselwirkungen aufeinem funktionierenden Markt mit einer hinreichendenZahl Beteiligter im Endeffekt zu einem unpersönlichenFunktionsmechanismus: Niemandem ist persönlich derWettbewerbszwang zurechenbar, es ist vielmehr die sichstets verändernde Konstellation aller Marktteilnehmer,Anbieter wie Nachfrager, die auch alle zum […] Verhaltenzwingt. […]Der Markt wählt sich selbst jene Wirtschaftssubjekteheraus, die ihm am konsequentesten »gehorchen«. Eswar einmal mehr Max Weber [1864–1920] der diese Selektionsfunktiondes Marktes als erster klar erkannt hat[…] Belohnt werden vom marktwirtschaftlichen Systemjene Personen, die »auf der Basis streng rechnerischenKalküls« – strikt <strong>und</strong> ohne Rücksicht auf lebensweltlicheNebenwirkungen ihren privaten Erfolg zu maximierenbestrebt sind, denn so können sie im harten Wettbewerbjenen vielleicht entscheidenden komparativenLeistungs- oder Kostenvorteil gegenüber ihren Konkurrenten(Mitanbietern) erzielen, der sie zum Gewinner<strong>und</strong> die Konkurrenten zu Verlierern macht. […]Die rein »sachlichen«, quasinatürlichen Marktgesetzetreten den in den Wettbewerb »verstrickten« Individuenals eigensinnige Funktionslogik des Marktesgegenüber, der sie um so weniger entrinnen können, jemehr Markt »herrscht« <strong>und</strong> je intensiver der Wettbewerbist. Was im kulturellen Ursprung religiöses oderzumindest religiös verklärtes Motiv freier Personenwar, hat sich somit in dem Maß, wie die unpersönlicheMarktsteuerung zum alles dominierenden, uneingeschränktenOrganisationsprinzip der Marktgesellschaftgeworden ist, zu jenem unpersönlichen Sachzwang verselbständigt,den Weber kurz <strong>und</strong> bündig als die »herrenloseSklaverei« des Marktes bezeichnet hat. Der Calvinistoder Puritaner vermochte dieser »herrenlosen«Herrschaft des Marktes noch einen höheren Sinn abzugewinnen.Er war sich gewiss, dass hinter dem Determinismusder Marktgesetze der freie Wille des Schöpferswaltet, die Eigengesetzlichkeit des Marktes also letztlichAusdruck der göttlichen Gesetze <strong>und</strong> der ihnen entsprechendenguten Ordnung des Kosmos ist, auch des»ökonomischen Kosmos«, <strong>und</strong> dass deshalb »der Wettlauf,wenigstens soweit er die Interessen der Menschenberührt, ein irgendwie sinnvoller Vorgang sei.« Dochwenn der Markt erst einmal genügend wirksam ist, indemer »schließlich unentrinnbare Macht über denMenschen« ausübt, bedarf er der religiösen Motivationnicht mehr: der freigelassene Sachzwang herrscht. […]Seither war <strong>und</strong> ist es die ordnungspolitische Intentionder liberalen Politischen Ökonomie, theoretisch zuzeigen, dass der den meisten Menschen als Zwang erscheinendeMarktdeterminismus zugleich als Gewährsinstanzeiner freien Gesellschaft zu begreifen sei, denes durch »Deregulierung« weitest möglich wirksam zumachen gelte, damit er sein gutes, von den einzelnenWirtschaftssubjekten unmittelbar nicht intendiertesWerk vollbringe. Das erkenntnisleitende Interesse der»liberalen« Markttheorie geht im Kern stets dahin, dienicht-intentionale Funktionsweise des »freien« Marktesso zu erklären, als ob sie sinnvoll <strong>und</strong> zweckmäßig eingerichtetwäre. […]Gerade die Unpersönlichkeit <strong>und</strong> Anonymität desMarktmechanismus erschien […] als das Zeichen dafür,dass die großen Pläne des Schöpfers das persönlicheInteresse seiner »Werkzeuge« […], der Menschen alsWirtschaftssubjekte, »in die Bahnen sachlichen (unpersönlichen)Wirkens lenken« denn die übergeordneten»Zwecke Gottes … können nur unpersönliche sein.« Dieunpersönliche Sachlichkeit der Marktsignale lässt sichso als Ausdruck der vermeintlichen Unparteilichkeit desMarktes deuten. Die Sachzwangstruktur des Marktesverbürgt also, dass die Wirtschaftssubjekte im Sinne derunergründlichen Zwecke Gottes Gutes tun; von ihr sollensie sich daher ruhig lenken lassen. Nicht die schwachemoralische Kraft des Menschen, sondern der Marktist damit als der Ort der Moral gedeutet.Peter Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik. Gr<strong>und</strong>lagen einer lebensdienlichenÖkonomie, Haupt Bern 4 2008, S. 149–153. 179 f.455055606570758023© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525776643 — ISBN E-Book: 9783647776644

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!