REDAKTOR/IN, FOTOGRAF/IN und ILLUSTRATOR/IN
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SPort<br />
12<br />
«Wie das Leben<br />
im Zeitraffer»<br />
Im Glauben, dass Sport <strong>und</strong> Militär mehr verbindet<br />
als der blosse Zusammenschluss im VBS, machten wir<br />
uns auf die Suche nach Exponenten beider Kategorien.<br />
Fündig wurden wir auf der Polyterrasse schnell. Liegestütz, kniebeugen <strong>und</strong> 100-kilometer-marsch sollen nicht nur Kampf-, sondern auch Lebensgeister wecken.<br />
Von Oriana Schällibaum<br />
Donnino, der drahtige, braungebrannte<br />
Masterstudent, lässt die grosse Sporttasche,<br />
sein Alter Ego, mit Schwung auf den Boden<br />
fallen <strong>und</strong> erklärt: «Ich komme grad vom<br />
Intervall-Training, für den Marathon. Davon<br />
bin ich bisher schon drei gelaufen, <strong>und</strong> auch<br />
Ultramarathons.» [Längere Strecke als Marathon,<br />
Anm. d. Red.]<br />
Weshalb tut man sich solche Trainings<br />
<strong>und</strong> erst noch den Marathon an, fragt man<br />
sich als Normalsterbliche unwillkürlich. Donnino,<br />
der an der Uni Physik studiert, meint:<br />
«Um mich wohlzufühlen, brauch ich einfach<br />
Sport. Ich trainiere sechs Mal in der Woche.<br />
Sonst habe ich Entzugserscheinungen, ich<br />
werde ganz zappelig. Als positiver Trainingseffekt<br />
kommen sicher die Muskeln hinzu, der<br />
Ges<strong>und</strong>heitsfaktor zählt auch. Wenn du einen<br />
Unfall hast, dann ist ein trainierter Körper<br />
überlebensfähiger.» Für seinen ersten 100-<br />
Kilometer-Marsch hat Donnino sich angemeldet<br />
wegen des Reizes, sich auf einer<br />
anderen Ebene als dem Studium, wo der<br />
Lerndruck sehr hoch ist, durchbeissen zu<br />
müssen.<br />
«da wirst du geschliffen»<br />
Sich durchzubeissen ist aber nicht nur<br />
positiv. Donnino: «Ich bin mal krank einen<br />
Marathon gerannt, letztes Jahr in Berlin. Ich<br />
war kurz davor, aufzugeben. Mit ges<strong>und</strong>em<br />
Menschenverstand hätte ich das auch getan.<br />
Aber ich konnte es nicht akzeptieren <strong>und</strong><br />
hab’s durchgestiert. Da brauchte ich länger,<br />
bis ich wieder ges<strong>und</strong> wurde, etwa einen<br />
Monat.»<br />
Cyrill, ETH Masterstudent in Erdwissenschaften<br />
kurz vor dem Abschluss, braungebrannt<br />
<strong>und</strong> muskelbepackt, berichtet vom<br />
einschneidensten Erlebnis seiner sportlichen<br />
Karriere: «Das war das Finish meines ersten<br />
100-Kilometer-Marsches. Am Schluss der<br />
Offiziersschule absolviert man eine Durch-<br />
halteübung: Während zehn Tagen wenig<br />
Schlaf, wenig Essen, viel Velofahren <strong>und</strong><br />
Laufen, da wirst du geschliffen. Und am<br />
letzten Tag dann der 100-Kilometer-Marsch.<br />
Nachher bist du Leutnant. Es gibt Augenblicke<br />
im Leben, die sind Gold wert. Die kann<br />
man nicht mal mit der Mastercard kaufen.» Ist<br />
es die Begeisterung für das Militär oder<br />
für den Sport, die den jungen Mann dazu<br />
brachte, die Offiziersschule abzuschliessen?<br />
Cyrill: «Mein Vater hat sehr viel Sport gemacht,<br />
auch übers Militär. Darum bin ich<br />
da reingekommen. Im Militär erbringst du<br />
eine Leistung, die gesellschaftlich anerkannt<br />
ist. Das Sportangebot ist sehr gross, das<br />
machte mir immer Spass. Im Zivilen hab ich<br />
eigentlich noch kaum einen Wettkampf bestritten.<br />
Da bin ich wahrscheinlich zu<br />
bequem dazu. Wenn du in der RS<br />
bist, musst du einfach mitmachen.»<br />
«Sobald man kein Ziel mehr hat, lebt<br />
man nur noch so vor sich hin. Ein Ziel zu<br />
haben ist etwas vom Wichtigsten.» Cyrill lebt<br />
sein Leben nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip.<br />
«Man muss sich selber klar sein: Wie viel Aufwand<br />
will ich betreiben, um dieses Ziel zu erreichen?<br />
Welchen Ertrag krieg ich, wenn ich<br />
es erreicht habe?»<br />
Der unhinterfragte Positivismus unse-<br />
rer leistungs- <strong>und</strong> erfolgsorientierten Gesellschaft<br />
gibt zu denken. Ein Mensch ohne Arbeit<br />
<strong>und</strong> ohne gesellschaftlich anerkanntes Ziel ist<br />
wertlos <strong>und</strong> damit untragbar geworden. Gerade<br />
in Zeiten der Wirtschaftskrise birgt diese<br />
Einstellung ein grosses Risiko.<br />
eine Lebensschule<br />
Aber Sport im Militär sei ja gerade kein<br />
Einzelkampf, meint Cyrill: «Du bist mit deinen<br />
Kameraden, die alle den gleichen<br />
‹Scheiss› durchmachen <strong>und</strong> ebenso leiden.<br />
Das schweisst zusammen.» Donnino, der die<br />
RS ebenfalls gemacht hat, bestätigt: «Du bist<br />
nur so stark wie das schwächste Glied!» Er<br />
führt weiter aus: «Immer mehr Kaderleute<br />
des Finanzsektors machen Überlebenstrainings<br />
in Extremsituationen, um den Teamgeist<br />
zu fördern, zum Beispiel Kletterausflüge<br />
an extremen Wänden. Das kann so falsch<br />
nicht sein, das mit dem Teamgeist.» Bleibt für<br />
eine allfällige Notsituation bloss zu hoffen,<br />
iStockphoto<br />
dass sich hinter Teamgeist nicht nur ver-<br />
Bild:<br />
kappter Egoismus <strong>und</strong> Siegeswille verbergen.<br />
Etwas ges<strong>und</strong>e Nächstenliebe täte es vielleicht<br />
auch.<br />
8/08–09<br />
Vokabular <strong>und</strong> Geisteshaltung der er-<br />
Nr.<br />
folgshungrigen Berufswelt scheinen dem<br />
Sport entlehnt. Dies steht ganz im Einklang Polykum<br />
Polykum Nr.8/08–09 Illustration: Stephan Schmitz<br />
mit dem unaufhaltsamen Trend des Körperkultes<br />
<strong>und</strong> Fitnesswahns. Donnino: «Sport<br />
ist eine Lebensschule! Man lernt Disziplin<br />
<strong>und</strong> Zielstrebigkeit.» Gleiches gelte fürs<br />
Militär, bestätigt Cyrill. Kann man denn<br />
diese Qualitäten nicht auch anders erreichen?<br />
«Sicher», meint Donnino achselzuckend.<br />
«Aber wenn man darin nicht geschult<br />
ist, braucht man einfach einen noch stärkeren<br />
Willen. Tja, heutzutage gibt es Seminare für<br />
alles. Es gibt natürlich auch erfolgreiche<br />
fette Leute.»<br />
Cyrill: «Sport ist ein Mikrokosmos des<br />
Lebens. Du hast alles: Einen Wettkampf, du<br />
hast Höhen <strong>und</strong> Tiefen – wie das Leben im<br />
Zeitraffer.» Erfolg, Kampf <strong>und</strong> Disziplin sind<br />
primär männliche Prinzipien. Fehlt da<br />
nicht etwas? Cyrill: «Klar, es gibt viele Wer-<br />
te, die man im Militär nicht holen kann, das<br />
muss im Zivilen geschehen.» Ausserdem<br />
lerne man im Sport <strong>und</strong> im Militär mit Niederlagen<br />
umzugehen, vorauszublicken, aufzustehen<br />
<strong>und</strong> weiterzukämpfen, betont Donnino.<br />
Das klingt, als wäre das ganze Leben<br />
ein Kampf? «Das kann man so sagen.»<br />
oriana Schällibaum (23) ist Redaktorin des Polykum <strong>und</strong><br />
studiert Physik, Deutsche Sprach- <strong>und</strong> Literaturwissenschaft<br />
sowie Indogermanistik an der Universität Zürich.<br />
oriana.schaellibaum@access.uzh.ch<br />
karate<br />
Wut tut gut<br />
Als Student ist man es sich gewohnt, Gefechte<br />
auszutragen. Kunstvoll wird das verbale<br />
Florett geschwungen, mit sorgfältig<br />
konstruierten Argumenten <strong>und</strong> geschliffenen<br />
Worten wird debattiert. Ein Argument<br />
eines Mitstudenten durch eine reductio<br />
ad absurdum entkräften oder sogar<br />
eine Äquivokation entlarven; ein Hochgenuss<br />
für die studentische Seele. Selbstverständlich<br />
werden Diskussionen an der Uni<br />
sorgfältig codiert geführt, man ist ja kein<br />
Barbar. Lieber Mitstudent hier, liebe Kolloquiumsteilnehmer<br />
da, danke für die Wortmeldung,<br />
danke für die Aufmerksamkeit,<br />
danke für alles. Friede, Freude, Eierkuchen.<br />
Regelrechter Harmoniefetischismus.<br />
Um dieser (allzu) heilen Welt zu entfliehen,<br />
lasse ich mich zweimal die Woche<br />
auf etwas handfestere Diskurse ein. Das<br />
Karate-Training findet in einem muffigen<br />
Keller unter einer Pizzeria statt, die Menschen,<br />
die ich hier treffe, heissen nicht Manuel<br />
<strong>und</strong> Heiri, sondern Ivan <strong>und</strong> Burak.<br />
Hier, fernab von Netiquette <strong>und</strong> «Du hast<br />
natürlich Recht, aber man könnte es auch<br />
anders sehen …», in diesem schlecht belüfteten<br />
Keller finde ich meine kleine Oase.<br />
Harmonie gibt’s schon genug<br />
Das Training beginnt, nachdem wir<br />
uns gemäss unserer Graduierung aufgestellt<br />
haben (ganz rechts die Braun- <strong>und</strong><br />
Schwarzgurtträger, ganz links die Anfänger,<br />
ich irgendwo dazwischen) mit einer<br />
kurzen Meditation. Unser Sensei sagt, man<br />
solle dabei versuchen, seine Gedanken nicht<br />
festzuhalten, da es nicht möglich sei, an<br />
überhaupt nichts zu denken. Mittlerweile<br />
glaube ich aber, dass mir genau das gelingt<br />
– klick <strong>und</strong> weg ist der ganze Alltag.<br />
Kampfsport gibt mir die Möglichkeit,<br />
eine Facette meiner Persönlichkeit zu<br />
leben, auf die ich mich sonst (fast) nirgends<br />
ohne negative Konsequenzen einlassen<br />
kann. Karate ist für mich kein Weg zum inneren<br />
Frieden <strong>und</strong> Harmonie – im Gegenteil,<br />
hier kann ich loslassen, kann auch<br />
mal wütend werden, eine gewisse Aggression<br />
ist hier nichts Schlechtes. Das System<br />
ist einfach <strong>und</strong> genial, jeweils am Ende des<br />
Trainings (wenn man schon erschöpft ist)<br />
finden Zweikämpfe (Randori) statt. Eigentlich<br />
ist dabei kein oder nur leichter Kontakt<br />
vorgesehen. Eigentlich. Aber bei Pierre<br />
vom Stahlwerk muss ich mich nicht zurückhalten,<br />
Dietmar schlägt ohnehin ohne Rücksicht<br />
drauflos <strong>und</strong> gegen Burak <strong>und</strong> Ivan<br />
kämpfe ich gerne, weil sie über 1,90 Meter<br />
SPort<br />
13<br />
gross sind. Natürlich bekommt man mal<br />
einen Kick in den Solarplexus, natürlich hat<br />
man mal eine Faust im Gesicht. Es lohnt sich<br />
aber, so merkt man schnell, diesen Preis<br />
zu bezahlen <strong>und</strong> dafür zu spüren, wie man<br />
kontinuierlich stärker, schneller <strong>und</strong> treffsicherer<br />
wird – <strong>und</strong> schliesslich den Gegner<br />
dominieren kann. Dieses Gefühl lässt sich<br />
im Alltag durch nichts substituieren <strong>und</strong> ist<br />
unbeschreiblich. Die Beine sind müde, der<br />
Rücken brennt, die Fäuste sind schwer <strong>und</strong><br />
es bleibt einem nicht anderes übrig, als den<br />
leeren Kohlenhydratespeicher mit Wut auszugleichen.<br />
Wut auf die Schaumschlägereien<br />
an der Uni, Wut auf den Klugscheisser<br />
im Philo-Seminar, Wut auf den selbstverliebten<br />
Dozenten.<br />
Es fühlt sich so viel besser an, dem Zorn<br />
freien Lauf zu lassen, anstatt Ende Semester<br />
auf dem Feedback-Formular einfach<br />
negative Kreuzchen zu machen <strong>und</strong> Kommentare<br />
mit subtilem Sarkasmus zu hinterlassen.<br />
Nicht, dass ich das nicht auch mag,<br />
aber seien wir ehrlich: So richtig befriedigend<br />
ist das nicht.<br />
Ich bin kein Schlägertyp, überhaupt<br />
nicht. Noch nie in meinem Leben bin ich<br />
ausserhalb des Dojo in eine Situation physischer<br />
Gewalt geraten. Im Karate finde ich<br />
Abstand von der überharmonischen Realität<br />
an der Uni, Abstand von Menschen, die<br />
nur aus Köpfen zu bestehen scheinen oder<br />
die ihr Herz auf Weichspüler gestellt haben.<br />
Und wie narkotisierte Hindukühe durchs<br />
Leben gehen. (vc)<br />
Handfeste diskurse im Karate-Training.