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REDAKTOR/IN, FOTOGRAF/IN und ILLUSTRATOR/IN

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eXtraS<br />

26<br />

extras<br />

gerÜCHt<br />

menschliche<br />

Hamster<br />

Dass Mäuse <strong>und</strong> Hamster gerne <strong>und</strong> viel<br />

in dunklen Röhren hin <strong>und</strong> her rennen,<br />

ist im Allgemeinen bekannt. Dass sich<br />

aber deren Besitzer auch zu Gruppen zusammenschliessen,<br />

um durch die Gänge<br />

des HCI-Gebäudes des Hönggerberges<br />

zu laufen, ist eher ungewöhnlich. Und<br />

doch hört man, wenn man selbst einmal<br />

dort unten ist, öfters ein fernes Keuchen<br />

<strong>und</strong> Fussgetrampel. Gut, eigentlich<br />

hat dieses Indoor Jogging nur Vorteile.<br />

Man ist gegen Witterungseinflüsse geschützt,<br />

bekommt keinen Sonnenbrand,<br />

man wird zum Beispiel auch von keinem<br />

H<strong>und</strong> verfolgt. Ausserdem ist die reingefilterte<br />

Luft aus den Klimaanlagen frei<br />

von Pollen <strong>und</strong> Staub, also auch für Allergiker<br />

vollkommen geeignet. Ausserdem<br />

werden diese Menschen zu Meistern der<br />

Vorausplanung. Denn man hat stets das<br />

Problem mit den Türen. Wenn man aus<br />

falscher Richtung kommt, muss man erst<br />

mühsam anhalten, um die Türen zu sich<br />

hin aufzuziehen. Die Laufrouten im HCI<br />

müssen also quasi immer in Richtung<br />

der Fluchtwege verlaufen, dass man die<br />

Türen immer in vollem Schwung aufdrücken<br />

kann.<br />

In einem Punkt aber unterscheiden<br />

sich Hamster <strong>und</strong> unterirdischer Indoor<br />

Jogger deutlich voneinander. Der<br />

Vergleich zwischen ihnen hinkt, sozusagen.<br />

Die Motivation ist nämlich verschieden.<br />

Hamster rennen, gerade die im<br />

Labor, durch die Gang- <strong>und</strong> Röhrensysteme,<br />

um mit etwas Nahrung belohnt zu<br />

werden. Beim Jogger ist es erstaunlicherweise<br />

umgekehrt. Er rennt, um möglichst<br />

viel Nahrung zu verlieren, also, um abzunehmen.<br />

Oder vielleicht auch, um ges<strong>und</strong><br />

zu bleiben. Vor allem, weil man sich<br />

bei den vielen Treppen im HCI w<strong>und</strong>erbar<br />

die Füsse verdrehen kann. Tja, in diesem<br />

Falle ist man halt dumm gelaufen.<br />

mitmachen@polykum.ethz.ch<br />

FugendiCHtung<br />

kleine gedichte<br />

1. Ich war ges<strong>und</strong>. Bin krank. Bin unverändert.<br />

2. Früher war es tragisch, wenn<br />

mir etwas weh tat. Ein Luxus jetzt, wenn<br />

nichts weh tut. 3. Nachts fahre ich hoch:<br />

«Was wird nun?» Ich weiss nicht, wen<br />

ich frage, <strong>und</strong> schon schlafe ich wieder.<br />

Stecke randvoll Neugierde, obwohl ich<br />

kein Masochist bin. 4. Honig, Nächte<br />

voller Küsse, Sonnenuntergänge, gute<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das Glück können langweilig<br />

werden – die Schmerzen im Körper<br />

nie. 5. Gäbe es einen Gott, würde er<br />

mich lieben, würde meine Innereien umwickeln,<br />

mir das Knochenmark wieder<br />

richten. Da es ihn nicht gibt, liebt er mich<br />

nicht. 6. Solange du nicht die Nacht okkupierst,<br />

sollst den Augenblicken Chancen<br />

geben, selbst wenn du das Entsetzen anvisierst,<br />

denn jede einzelne Minute ist souverän.<br />

7. Liebling, mein Wort, bleib bei<br />

mir, auch dort, wo sich das Licht auflöst.<br />

Mitten im dämmrig grossen Wald, bleib<br />

bei mir: Nein. Nein. Nein, nein, nein. 8.<br />

Übrigens ist alles in Ordnung. Ich bin,<br />

wie ich war. Still auflösen werde ich mich<br />

nicht, werde wie bisher das Leben, die<br />

Stationen des Abgangs eifrig kommentieren.<br />

9. Gelingt mir mal ein Kommentar,<br />

bin ich so glücklich, dass ich den Tod vergesse,<br />

das, was ich da kommentiere. 10.<br />

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch<br />

er mich vergisst. Hinter uns gähnt die Vergangenheit,<br />

während wir uns gemeinsam<br />

langweilen. 11. Das ist ein Anfang zunächst<br />

Forts. folgt demn.<br />

– István Eörsi (1931-2005)<br />

István Eörsi war ein ungarischer Lyriker, Dramatiker,<br />

Prosaautor, Übersetzer <strong>und</strong> politischer Essayist. Er hat<br />

die vorliegenden Texte geschrieben, als er schwer krank<br />

war. Eörsi ist 2005 an Leukämie gestorben.<br />

Polykum Nr. 8/08–09 Bilder: Marie Veya (oben), Egon Schiele (unten)<br />

Polykum Nr. 8/08–09 Illustration: Marie Veya, Bilder: Niccokick (Mitte), Hannes Hübner (oben)<br />

PoLykÜmLer<br />

PLattenteLLer<br />

der nörgLer<br />

rudolf merkle<br />

alter: alte 41 Funktion: Nörgeln Studium: Germanische Philologie, Deutsche Literatur, Geschichte Freizeitgestaltung:<br />

zu eingeschränkt musik: Intelligent Dance Music, Klassik, Trip Hop Literatur: 18./19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, Mittelalter Lieblingszitat: «Das Wesentliche unseres Lebens ist nie Genuss, sondern immer<br />

Progression […].» (Herder, «Abhandlung über den Ursprung der Sprache») Phobien <strong>und</strong> ticks: Flugangst,<br />

Katzen; stilistische Vorliebe für die Hypotaxe geheime Leidenschaften: Hypotaxe, Olivenöl, Fussgelenke<br />

mit einem Haartrockner wärmen Helden: Josef K., Wilhelm von Ockham, Der Arme Heinrich, der Regimentsarzt<br />

in Joseph Roths «Radetzkymarsch», Papst Coelestin V. Über sich selbst: «Man kann vernichtet<br />

werden, aber man darf nie aufgeben.» (Hemingway, «Der alte Mann <strong>und</strong> das Meer»)<br />

niccokick – the good times We Shared<br />

In letzter Zeit musste ich mir von meiner Liebsten häufig Kommentare wie: «Jetzt hör mal mit diesem depressiven<br />

Postrock auf, es ist Frühling, lass mal was Fröhliches laufen!» anhören. Glücklicherweise schneite<br />

kurz darauf das Album «The Good Times We Shared, Were They So Bad?» von Niccokick rein. Niccokick liefern<br />

tatsächlich den ziemlich passendsten So<strong>und</strong>track zur Jahreszeit. Insgesamt tönt das dann stark nach<br />

den Shout Out Louds, manchmal ein bisschen irrer, ein bisschen fröhlicher, ein paar Bläser dazu <strong>und</strong> voilà.<br />

Andreas Söderl<strong>und</strong> (Gesang <strong>und</strong> Gitarre) <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e beziehungsweise Band schufen mit dieser<br />

Platte ein elf Stücke dauerndes Fest zu Ehren der Glückseligkeit <strong>und</strong> der Fre<strong>und</strong>schaft. Dieser Satz war jetzt<br />

einiges klebriger, als es die Platte ist. Tatsächlich verschafft das Teil aber so etwas wie gute Laune. Die Fanfaren,<br />

die Synthies, die Uhhhuhhuhhus im Hintergr<strong>und</strong>, vereinzelte Streicher <strong>und</strong> die fre<strong>und</strong>lichen Melodien<br />

(zum Beispiel im Samenlöser «Your Hands Were So Warm») vermitteln durchwegs Lebensfreude, gute Laune <strong>und</strong> ein bisschen<br />

Herzschmerz. Die Stücke bewegen sich zwischen rassigem Powerpop, solidem Indierock <strong>und</strong> lieblichem Schmusepop. Das haut nicht<br />

zwingend vom Hocker, lässt sich jedoch problem- <strong>und</strong> gewissenlos konsumieren. Nicht allzu anspruchsvoll, nicht allzu banal, nicht zu<br />

billig <strong>und</strong> nicht zu seriös. Ein Album, das sich komplett durchhören lässt, ohne auf irgendeine Weise akustisch zu beleidigen, zu enttäuschen<br />

oder zu überfordern. «The Poet» ist mein persönlicher Favorit. Seriöse Kritiker würden von einer «Catchy Hookline», gutem<br />

«Drive» <strong>und</strong> «pushendem Beat» sprechen. Mir blieb das Stück schlicht am längsten im Ohr hängen <strong>und</strong> die Stimme Söderl<strong>und</strong>s überschlägt<br />

sich im Refrain angenehm. Eine melodiöse Vertonung der typisch schwedischen Fröhlichkeit. Philipp Gautschi<br />

Fussballschönlinge<br />

Fussballer sollen fussballern. Seit geraumer Zeit freilich diagnostiziert der – zugegebenermassen<br />

wenig attraktive – fussballbegeisterte Schreibende mit wachsender Verärgerung, dass sämtliche<br />

TV-Übertragungen der Ball tretenden Zunft zu oft von unsäglichen Berichten <strong>und</strong> Kommentaren<br />

über Petitessen r<strong>und</strong> um die wichtigste Nebensache der Welt nur so strotzen. Neben ungeheuer<br />

informativen Nachrichten über Ausraster der Spieler in Discos, über deren Liebschaften mit<br />

Sternchen, die sich hernach meist als Glühwürmchen entpuppen, nimmt die ästhetische<br />

Beschaffenheit der Physis der Kicker-Jünglinge in der Darstellung der Massenmedien ungebührlich<br />

breiten Raum ein. Wir zürnen: Was soll das?<br />

Schneller, weiter, höher – dies wollen die altbackenen Passiv-Sportler, die wir hier<br />

zu repräsentieren vermeinen, sehen, mitnichten gestylter, gebräunter, metrosexueller.<br />

Geziemte es sich weiland, in der guten alten Zeit der Blutgrätsche <strong>und</strong> Schienbeinschonerlosigkeit,<br />

durchaus, nach geschlagener Schlacht mit ungeföhnter Haartracht <strong>und</strong> in<br />

Trainerhosen die bereits zeitlos dämlichen Fragen der Sportjournalisten zu beantworten,<br />

hiebei flegelhaft im Drei-Tage-Bart kraulend, käme selbiges heutzutage zweifelsohne einem<br />

Sündenfall gleich. Die Haare dem Trend gemäss wagemutig gegelt, den M<strong>und</strong> sachte geöffnet,<br />

um die seit kurzem gebleichten, derowegen strahlenden Beisserchen zu zeigen, die kräftig mit<br />

dem rosaroten Hemd kontrastieren, steht der professionelle Treter der Journaille Red <strong>und</strong> Antwort.<br />

Hierbei bewegt er sich ostentativ bedächtig, denn die Frisur könnte Schaden nehmen. Unweigerlich<br />

fragt sich der wenig geneigte Beobachter, weshalb dieses Bürschchen sich nur so feminin<br />

gebärde, <strong>und</strong> ob sich Schminke für Männer tatsächlich durchsetze. Was soll das?<br />

Im Jubel sich das Trikot vom Leib zu reissen, will man den sportiven Kugeljägern grossmütig<br />

nachsehen, aber das sonstige narzisstische Gebaren der millionenschweren Gecken bleibt ebenso<br />

unerträglich wie dessen mediale Inszenierung. Fussballer sollen fussballern.<br />

Post an den Nörgler ist an folgende Adresse zu richten: dernoergler@polykum.ethz.ch<br />

eXtraS<br />

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