Jürgen LeisteWer vor dem Krieg in DeutschlandElche beobachten o<strong>der</strong> auch jagenwollte, <strong>der</strong> musste sich nachOstpreußen <strong>und</strong> dort in den äußersten Teil,in das Memeldelta o<strong>der</strong> auf die KurischeNehrung begeben. Hier zog dieses urige<strong>Wild</strong> in den stillen Erlenwaldbrüchen amHaff <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Nehrung seine unverwechselbareFährte.Mit einer Wi<strong>der</strong>risthöhevon bis zu 200 Zentimeternbeim Hirsch <strong>und</strong> einer Körperlängevon bis zu 260 Zentimeternwar <strong>der</strong> ostpreußische Elchin diesem Landstrich eine sehrbeeindruckende Erscheinung<strong>und</strong> stand den skandinavischenVertretern seiner Art inNorwegen, Finnland <strong>und</strong>Schweden kaum nach. AuchTrophäen <strong>und</strong> <strong>Wild</strong>bretgewichtevon 500 Kilogramm<strong>und</strong> mehr hatten den Vergleichmit den skandinavischen Verwandtennicht zu scheuen. <strong>Im</strong>Durchschnitt wog nach OberforstmeisterHans Kramer ein älterer Elchhirschin Ostpreußen aufgebrochen <strong>und</strong>ohne Haupt 300 Kilogramm. Ein Alttier dagegenbrachte es nur auf 250 bis 300 Kilogramm.<strong>Auf</strong> <strong>der</strong> Kurischen Nehrung waren Maße<strong>und</strong> Gewichte sehr viel geringer. Auchwenn <strong>der</strong> Elch in Ostpreußen mit seinerGeweihstärke nicht mit den Kanada-, Alaska-o<strong>der</strong> Kamtschatka-Schauflern konkurrierenkonnte, so wurden doch Geweihgewichtebei kapitalen Schauflern von 15 Kilogramm<strong>und</strong> mehr erreicht.Bis 1800 war <strong>der</strong> Elch noch häufig invielen Waldungen Ostpreußens anzutreffen.Danach verschwand er ziemlich kurzfristigaus den westlichen <strong>und</strong> südlichenTeilen des Landes <strong>und</strong> ist nach <strong>der</strong> Revolutionvon 1848 nur noch im Samland <strong>und</strong>im Nordosten <strong>der</strong> Provinz Ostpreußen vorhanden.Die Geschehnisse <strong>der</strong> Revolutionswirrenbewirkten einen radikalen A<strong>der</strong>lass,so dass <strong>der</strong> Bestand 1849 mit 11 bis 16Elchen beziffert wird.Die Elchpopulationen waren über dieJahrh<strong>und</strong>erte starken Schwankungen unterworfen.Kriege <strong>und</strong> Revolutionen mitihren unübersehbaren Folgen trieben dasElchwild nicht nur einmal in Ostpreußenan den Rand <strong>der</strong> Ausrottung. Der Elchbestan<strong>der</strong>holte sich jedoch immer wie<strong>der</strong>,<strong>und</strong> so überlebte das Wappentier <strong>der</strong> nordöstlichstenProvinz Deutschlands überdie Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg.Die alten Preußen haben den Elch sehrverehrt. In den Wappen des LandkreisesElchnie<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> im Städtewappen vonHeydekrug war <strong>der</strong> Elch zu finden. Die siebenendigeElchschaufel war seit 1787 dasBrandzeichen <strong>der</strong> im Hauptgestüt Trakehnengezogenen Pferde. Der LandesverbandOstpreußen des Allgemeinen DeutschenJagdschutzvereins (ADJV) führte als Vereinsabzeichendas Haupt des Elchschauflers.Dass sich <strong>der</strong> Elchbestand in <strong>der</strong> ProvinzOstpreußen immer wie<strong>der</strong> regenerierenkonnte, dafür waren unterschiedliche Faktorenverantwortlich. Zum einen botensich dem Wie<strong>der</strong>käuer als Baumäser geradein den Regierungsbezirken Gumbinnen<strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>ung durch die noch zahlreichenBruchwäl<strong>der</strong>, Seen <strong>und</strong> Flussnie<strong>der</strong>ungen<strong>und</strong> das Vorkommen von Weichhölzern,wie Weide, Erle <strong>und</strong> Aspe, ideale Lebensbedingungen.Zum an<strong>der</strong>en sind es die Unwegsamkeiten<strong>der</strong> urwaldähnlichen Gebiete,die eine Ausrottung des Elchwildesverhin<strong>der</strong>t haben.Diese Faktoren hätten jedoch nicht alleindie drohende Vernichtung des urigen<strong>Wild</strong>es aufhalten können, wenn es nichtverdienstvolle Heger, Jäger <strong>und</strong> Forstbe-Das kaiserlicheJagdhaus Pait 1935(oben) <strong>und</strong> restauriertim Juli 2005. Hier hieltensich viele berühmteElchjagdgäste vonTawellningken aufamte, wie OberförsterErnst Meyer Tawellningken,OberförsterOlberg Ibenhorst o<strong>der</strong>Landforstmeister Wrobel,verstanden hätten,den Gedanken <strong>der</strong> <strong>Wild</strong>hege in den staatlichenElchrevieren des Memeldeltas <strong>und</strong>in wenigen großen privaten Revieren zuetablieren.Natürlich setzen auch immer wie<strong>der</strong>kehrendeNaturkatastrophen, wie Hochwasser,Seuchen <strong>und</strong> Schädigung <strong>der</strong> Weidenäsung,dem ostpreußischen Elchwildzu. Auch hatte man die Wichtigkeit desWahlabschusses für das Heranhegen starkerSchaufler noch nicht erkannt. Doch dieGr<strong>und</strong>lagen für eine ausgewogene Erhaltung<strong>und</strong> Pflege des Elchbestandes in Ostpreußenwaren geschaffen worden.Bereits 1885 äußerte Oberförster Reischaus Ibenhorst zu dem bekannten Jagdschriftsteller<strong>und</strong> Kenner des Elchwildes,Fritz Bley, dass eine Besserung <strong>der</strong> Geweihbildungso lange nicht möglich sei, bisnicht <strong>der</strong> <strong>Ab</strong>schuss ewig gering bleiben<strong>der</strong>Hirsche gestattet werde.Oberförster Schall regte den Bau vonDämmen sowie über das ganze Revier Tawellningken<strong>und</strong> Ibenhorst verteilte Hügel<strong>und</strong> Pol<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Bepflanzung mitWeiden zum Schutz <strong>der</strong> Elche <strong>und</strong> zurÄsungsverbesserung an. Diese Maßnahmenwaren sehr weitsichtig <strong>und</strong> stabilisiertendie Elchbestände.Nach <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> fast 8 000 Hektargroßen Oberförsterei Tawellningken ver-FOTOS: ARCHIV JÜRGEN LEISTEWILD UND HUND 16/2005 21
TITELTHEMAlegte sich <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> Elchhege<strong>und</strong> -jagd dorthin. Der Ausbau des ForsthausesPait zum kaiserlichen Jagdhaus magdiese Schwerpunktverlagerung noch geför<strong>der</strong>thaben.Oberförster Ernst Meyer, <strong>der</strong> am 1. Januar1904 die Oberförsterei Tawellningkenübernahm, ist wohl <strong>der</strong>jenige Forstbeamte<strong>der</strong> Kaiserzeit, <strong>der</strong> sich die größten Verdiensteum die Elchhege erworben hat. Erwar <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Hege mit <strong>der</strong> Büchse“.Den vereinten Bemühungen Meyers,Wrobels <strong>und</strong> von Koylinski ist es zu verdanken,dass sich vernünftige Gr<strong>und</strong>sätzefür die Elchhege durchsetzten <strong>und</strong> in gesetzlichenRegelungen ihren Ausdruck fanden.Elchwald: Typischer Biotop mitWeidenpflanzungen, zugänglich gemachtdurch Kanäle <strong>und</strong> Dämme aus <strong>der</strong>en AushubUm 1900 wurden in ganz Ostpreußen390 Elche gezählt. 1905 wahren es bereits700. In den Staatswaldungen traten dadurchverstärkt <strong>Wild</strong>schäden auf, demdurch radikalen <strong>Ab</strong>schuss begegnet wurde.Durch die Jägerkreise Ostpreußens ging ein<strong>Auf</strong>schrei des Entsetzens <strong>und</strong> <strong>der</strong>Empörung. Daraufhin wurden 1906 Elchhege-Gesetzedurch Kaiser Wilhelm II. erlassen.Man versuchte, die Probleme zwischen<strong>Wild</strong>schaden <strong>und</strong> Jagd zu entspannen<strong>und</strong> die Elch-Bestände auf ein erträglichesMaß einzupegeln.Wilhelm II. waidwerkte nur wenige Maleauf den Elchhirsch. Am 16. September1904 <strong>und</strong> am 20. September 1904 erlegte<strong>der</strong> Kaiser zwei Schaufler, die aber nur alsHirsche „zweiter Klasse“ eingestuft wurden.Danach hielt sich <strong>der</strong> Kaiser nur noch1907 <strong>und</strong> 1910 zur Elchjagd im JagdhausPait auf. Den stärksten Elch, einen 22-En<strong>der</strong>,erlegte am 15. September1912 <strong>der</strong> preußischeLandwirtschaftsministerClemens Freiherr vonSchorlemer-Lieser in Tawellningken.Dieser kapitaleSchaufler war als Kopie jahrelangam Giebel des JagdhausesPait zu bew<strong>und</strong>ern.Das Original befindet sichheute im Besitz des OstpreußischenLandesmuseumsin Lüneburg. Als letzterVertreter des kaiserlichenDeutschlands erlegte 1915unter <strong>der</strong> Führung von OberförsterBorggreve Generalfeldmarschallvon Hindenburgeinen starken Schauflermit 282 Punkten in Nemonien.Meyer <strong>und</strong> Wrobel fielenim Ersten Weltkrieg, an<strong>der</strong>eHeger <strong>und</strong> Jäger setzten dasWerk im Sinne dieser hervorragendenForstbeamtenfort. 1919 übernahm ForstmeisterBruno Orlowski Tawellningken.Durch das nach dem 1. Weltkriegverstärkt auftretende Wil<strong>der</strong>ei-Unwesenwar <strong>der</strong> Bestand an Elchen in ganz Ostpreußenauf unter 200 gesunken.Nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einführung geordneterVerhältnisse in den ostpreußischen Forstenwar es Orlowski, <strong>der</strong> in enger Zusammenarbeitmit dem Vorsitzenden des ADJVin Ostpreußen, von Kobylinski, Korbsdorf,<strong>und</strong> unter Schirmherrschaft des preußischenMinisterpräsidenten, Dr. h.c. OttoManfred von Kobylinski (links) mit seinem stärksten Elch,<strong>der</strong> in Tawellningken zur Strecke kamBraun, die Hege des Elchwildes so forcierte,dass auf den jährlich in Königsberg stattfindendenGeweihausstellungen die Erfolge<strong>der</strong> Elchhege immer augenscheinlicherwurden. Hervorragen<strong>der</strong> Jagdschutz, konsequenterHegeabschuss <strong>und</strong> die Mitarbeitvon engagierten Beamten, wie Quednau<strong>und</strong> Weber, die zurecht die „Elchväter“ genanntwurden, ermöglichten diesen <strong>Auf</strong>schwung.Auch aus dem Ausland, zum Beispielaus Schweden <strong>und</strong> Russland, reisten Fachleutezum Erfahrungsaustausch in die deutschenElchreviere. Als nach fünfjährigervölligen Schonung des Elchwildes ab 1926ein beschränkter <strong>Ab</strong>schuss zugelassen wurde,kamen bereits starke Schaufler zurStrecke. Hans Kramer nennt in seinem hervorragendenBuch „Elchwald“ die altenreifen Hirsche des Herrn v. Kobylinski sowiedie Schaufler des Grafen Kayserling-Rautenburg, des Ministerpräsidenten OttoBraun <strong>und</strong> des Oberlandforstmeisters Frhr.v. d. Bussche. <strong>Im</strong> Jahre 1932 war <strong>der</strong> Bestandbereits auf 1 000 Elche angewachsen.Nach dem Ende <strong>der</strong> Weimarer Republikerschien 1933 Hermann Göring in Tawellningken<strong>und</strong> erlegte dort auf Anhieb dreistarke Schaufler. Orlowski, <strong>der</strong> Göring geführthatte, wurde zum ersten Elchjägermeisterernannt <strong>und</strong> zum Oberforstmeister22WILD UND HUND 16/2005