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Historischer Teil - Narr.de

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4.11 Altkirchenslavisch und Latein im Vergleich 414.11 Altkirchenslavisch und Latein im VergleichEin bisweilen bemühter Vergleich <strong>de</strong>s AKS mit <strong>de</strong>r lateinischen Sprache als <strong>de</strong>rVorläuferin o<strong>de</strong>r Mutter <strong>de</strong>r romanischen (Tochter-)Sprachen ist nicht ohne weiteresstatthaft. Tatsächlich haben sich die romanischen Einzelsprachen nämlich nichtaus <strong>de</strong>m klassischen (Schrift-)Latein entwickelt, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>ssen gesprochener,regional durchaus variieren<strong>de</strong>r Spielart, <strong>de</strong>m sog. Vulgärlatein (lat. vulgus ‚Volk,Volksmenge’). Das Vulgärlatein war also – im Gegensatz zum AKS – eine allen (primärmündlichen) Kommunikationserfor<strong>de</strong>rnissen gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, natürlich gewachseneVolkssprache. Die lateinische Sprache, zumal in ihrer klassischen Form,wur<strong>de</strong> die Sprache <strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong>ten und <strong>de</strong>r Bildung, sie war lingua franca und linguavernacula, die eine grenzüberschreiten<strong>de</strong> Kommunikation über beliebige Themen<strong>de</strong>s Alltags ermöglichte, unter <strong>de</strong>n Gebil<strong>de</strong>ten funktional also maximal belastet war(das einfache Volk bediente sich selbstverständlich auch in Westeuropa seiner angeborenenUmgangssprache, die lange Zeit – etwa bis zum Aufkommen <strong>de</strong>s nationalstaatlichenGedankens – von <strong>de</strong>r Bildungsschicht mit Verachtung gestraftwur<strong>de</strong>). Aufgrund seines hohen Status als europäische Kultursprache wur<strong>de</strong> Lateinvon <strong>de</strong>r römischen Kirche auch zur Sakralsprache erhoben, während das AKS erstnach seiner Einführung als Sakralsprache auch zur ostslavischen Kultursprache wer<strong>de</strong>nkonnte; die Entwicklung verlief mithin in umgekehrter Richtung.Eine Parallele ist dagegen bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s klassischen Lateins und <strong>de</strong>sAKS zu sehen. Im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte wur<strong>de</strong> in bei<strong>de</strong>n Sprachen durch volkssprachlicheEinflüsse eine gewisse „Degenerierung“ spürbar, <strong>de</strong>r bewusst entgegengewirktwer<strong>de</strong>n sollte. Für die lateinische Sprache war dies <strong>de</strong>r Fall mit <strong>de</strong>r sog. KarolingischenReform im Jahre 800 unter Kaiser Karl <strong>de</strong>m Großen, <strong>de</strong>r das klassischeLatein wie<strong>de</strong>r auf sein altes Niveau heben wollte, dies um <strong>de</strong>n Preis, dass es sich immerweiter von <strong>de</strong>r Volkssprache entfernte und nur noch <strong>de</strong>n gebil<strong>de</strong>ten Kreisenzugänglich war. Vergleichbar verhielt es sich für das AKS mit <strong>de</strong>m sog. Zweiten südslavischenEinfluss, als erneut Lehrer aus südslavischen Län<strong>de</strong>rn als Vertreter einer„reineren“ kirchenslavischen Sprache gerufen wur<strong>de</strong>n 18 , um das ver<strong>de</strong>rbte AKS imostslavischen Bereich zu säubern. Aufgrund verschie<strong>de</strong>ner Interferenzerscheinungenvom AKS zur Volkssprache (lautlich und v.a. grafisch meist nicht systematisch,son<strong>de</strong>rn akzi<strong>de</strong>ntell durch um sich greifen<strong>de</strong> Unachtsamkeiten o<strong>de</strong>r die Unwissenheitvon Schreibern und Sprechern) war Ersteres im Laufe <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte teilweisevon seiner ursprünglichen, hohen Norm abgewichen. Etwa ab <strong>de</strong>m 11. Jh.kam es durch diese Entwicklungen zu einer ostslavischen Redaktion <strong>de</strong>s Kirchenslavischen.Sowohl die Karolingische Reform als auch <strong>de</strong>r Zweite südslavische Einfluss fielenin die Epoche <strong>de</strong>s Mittelalters. Im Vergleich von West- und Ost-/Südosteuropakann man jedoch nicht von <strong>de</strong>m Mittelalter als einem hier wie dort gleichartigenAbschnitt <strong>de</strong>r historischen Entwicklung sprechen. Vielmehr umfasste das Mittelal-18ISSATSCHENKO (1980: 214) weist darauf hin, dass die Lehrer aus <strong>de</strong>r Südslavia keineswegsgezwungenermaßen nach Moskau gekommen seien, son<strong>de</strong>rn völlig freiwillig und„mit einem offiziellen Auftrag vom Patriarchen von Konstantinopel“. Der Gedanke einerMassenemigration südslavischer Vertreter <strong>de</strong>r Intelligenz unter osmanischemDruck sei mithin historisch nicht haltbar (vgl. weiter unten).

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