Brennessel - Bund Naturschutz in Bayern eV

BN Aktuell
Nationalpark Hainich
Das Wandern ist des Müllers Lust
Auch im 21. Jahrhundert, im
Zeitalter von Datenautobahnen
und Hoch geschwindigkeitszügen?
Warum nicht? Man taucht ein in
stille Erlebniswelten, weicht ab von
den im Alltag ausgetretenen Pfaden,
geht neue Wege, spürt dem Geheimnis
der Natur nach, kehrt zurück zu
den Wurzeln.
18 Naturschützer aus Forchheim
und Umgebung hatten dieses im
Sinn, als sie an einem sonnigen Wochenende
im Juni - eingeladen von
der BN-Kreisgruppe - voller Entdeckerlust
nach Thüringen aufbrachen.
Um hier - in der Mitte Deutschlands
- den Nationalpark Hainich
zu erwandern. Der Schönheit dieses
5000 Hektar großen Urwalds in der
Region von Werra und Unstrut kann
man sich wahrlich nicht entziehen.
Ein Wald wie im Märchenbuch ist
der Hainich. Eine Wildnis zum Verlieben.
Wo findet man noch mehr geschützten
und so reichhaltigen Laubwald
in Deutschland? Wo so viele
Rotbuchen, eine 1000-jährige Betteleiche
oder 40 Meter hohe Linden?
In diesem Totholzreich, das an der
Schwelle steht, von der UNESCO
als Weltnaturerbe anerkannt zu
werden, ist die Wildkatze zu Hause
und der seltene Mittelspecht. Hier
hat man 14 Fledermaus - und 22 Orchideenarten
dokumentiert, 221 verschiedene
Moose und 134 Flechten
zeigen eine beeindruckende Vielfalt
der Flora. Der Hainich ist auch ein
sicheres Refugium für 260 Pilzarten,
die auf der Roten Liste
stehen.
Und dann der Baumkronenpfad
am Forsthaus
Thiemberg. 300 Meter
lang ist der Steg auf den
stählernen Stelzen, die
sich bis zu 24 Meter hoch
über dem Erdboden ausbreiten.
Tausende von
Besuchern strömen jahraus
jahrein herbei, um in
Augenhöhe mit den Wipfeln
von Buchen, Eichen, Eschen
und Elsbeeren zu sein. Und die beste
Sicht ins Land hat man von einem
Turm, der einem Flughafen-Tower
ähnlich ist. Im Süden erkennt man
die Silhouette der legendären Wartburg.
Im Norden ruht der Blick bald
auf Mühlhausen, wo einst der Bauernkrieg
tobte und man 1525 den
Prediger und Revolutionär Thomas
Münzer, dessen Aufstand gegen die
Reichen von Martin Luther verraten
wurde, hingerichtet hat.
Es lohnt sich, ein Blick in das
Buch „Vom Wandern“ des Journalisten
Ulrich Grober (Verlag Zweitausendeins)
zu werfen. Der passionierte
Wanderer, ein Anhänger der
Entschleunigung, hat im Hainich
„ein wunderbares Gefühl und Geräusch
beim Gehen“ erlebt. Hier ein
kleiner Ausschnitt seiner Naturerfahrungen
in dem Nationalpark: „Gegen
Mittag beginnt der Hainich zu leuchten.
Die Sonne steht im Zenit. Ihre
Lichtbahnen fallen vertikal durch
das schüttere Kronendach. Ich gehe
über eine Lichtung, eine von hohen
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Bäumen gesäumte Waldwiese. Beherrscht
wird sie von einer solitär
stehenden, bestimmt 40 Meter hohen
Sommerlinde. Der mächtige Stamm
verzweigt sich auf halber Höhe in
drei dicke Schäfte. Die weit ausladenden
Äste bilden mit ihrem noch
vollen Laubwerk die wunderbar gewölbte
Gestalt einer Linde perfekt
aus. Ich bin schon vorbei, wende
mich dann aber noch einmal um und
bleibe wie angewurzelt stehen. Voll
ausgeleuchtet steht der Baumriese
vor mir in der Sonne und entfaltet
ein grandioses Farbenspiel. Gelb in
allen Tönungen und Schattierungen:
blassgelb, zitronengelb, quittengelb,
goldgelb, safrangelb.
Die Augen tasten den Umkreis ab,
blicken von Baum zu Baum. Da steht
eine Wildkirsche in purpurnem Rot.
Dort eine junge Esche, deren Blätter
ihr Grün bis zum Schluss unverfärbt
bewahren. Ein Feldahorn strahlt
in einem unwahrscheinlich zarten,
hellen Gelb. In dieser durchsonnten
Mittagsstunde beginnt für mich die
Galavorstellung des Herbstwaldes.“
Diese faszinierende Wildnis bei
Bad Langensalza, die man zu Fuß,
mit dem Rad oder hoch zu Ross auf
markierten Wanderwegen erkunden
kann, bietet auch Entdeckertouren
für behinderte Menschen. Die Wege
im Wald sind barrierefrei angelegt
worden. Mit Rangern und Ornithologen
an der Seite findet man sich
schnell in dieser Mythenwelt zurecht.
Hugo Molter