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Musik im Kontekt, Lehrerband - Helbling Verlag

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Klangrede des Glaubens1650Christoph Spetner (1617–1699): »Heinrich Schütz <strong>im</strong> Alter von 70 Jahren«Im Gegensatz zu Rembrandts angeblichem Schütz-Porträt gibt Spetners Bild Schütz authentische Züge wieder.Aberdie Ähnlichkeit mit Rembrandts <strong>Musik</strong>er-Porträt macht verständlich, wie es zu der Fehlzuweisung kommen konnte.Spetners Werk zeigt den von einem langen Leben müden und von schweren persönlichen Schicksalsschlägengequälten Komponisten (Tod seiner ersten Frau, einer Tochter und vieler Verwandter und Freunde, mühsamer Kampfum seine Pensionierung, die ihm erst nach 19 Eingaben zugestanden wird). Das Notenblatt in seiner Hand weistaber zugleich auf seinen ungebrochenen Schaffenswillen hin.ZUSÄTZLICHE MATERIALIENEine historische Analyse:Carl von Winterfeld zu Schütz’ Motette »Saul, Saul, was verfolgst du mich«Ein sechsst<strong>im</strong>miger Hauptchor bildet den Kern des Ganzen. Zweierlei hat der Meister in diesen Worten unterschieden,den Ruf des Herrn an die Verfolger und die warnende Mahnung, die an ihn ergeht; durch den Gegensatzder beiden Teile und die <strong>im</strong>mer reichere, bedeutsamere Entfaltung hat er sein Tonbild gestaltet. In den tiefstenTönen der Bässe beginnt der ernste Ruf an den sorglos Dahinstürmenden. Schärfer, eindringlicher hebt er<strong>im</strong>mer mehr in die Höhe sich empor, wiederholt sich unerwartet mit voller Kraft, in dem Vereine aller dreizusammenwirkenden Chöre. Dem Beginn liegt der 3/1-Takt zugrunde; der Ruf lässt sich nun anfangs auf demzweiten Teil dieses Taktes, dann auf dem ersten und dritten vernehmen und ruht endlich mit dem höchsten Nachdruckwieder auf dem ersten Teil. Auf die gleiche Weise wiederholt er sich so in den einander folgenden St<strong>im</strong>menpaaren.Sobald aber die Chöre sich vereinen, erscheint dieses Verhältnis des St<strong>im</strong>meneintrittes in denzusammenklingenden [St<strong>im</strong>menpaaren] in umgekehrter Ordnung; und so hören wir denn mit wachsenderStärke, mit erhöhtem Nachdruck jenen Ruf auf jedem Teil des Taktes, von wechselnden Seiten her, ertönen. DieWorte »Was verfolgst du mich« schließen mit der vollen Kraft aller drei Chöre sich ihm an, dann schweigen dieuntergeordneten, nur der Hauptchor wiederholt sie zwe<strong>im</strong>al noch in abnehmender Stärke und verkürzten Rhythmen,welche den 3/1-Takt zum 3/2 umgestalten. Nunmehr tritt der 4/4-Takt anstelle des bisher ungeraden. Diewarnende Mahnung beginnt: »Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken«; und auch sie wird <strong>im</strong>Fortgang <strong>im</strong>mer nachdrücklicher eingeprägt. Denn so hören wir sie anfangs von dem Tenor und Alt des Hauptchorsallein, nacheinander, vorgetragen. Nachdem der vorangehende Ruf in allen Chören sich wiederholt hat,werden zwei St<strong>im</strong>men (der erste Sopran und der Bass des Hauptchores) zu jener Mahnung vereint. In den Hauptzügenihrer Gesangsweise greifen nun auch die vier tieferen St<strong>im</strong>men dieselbe auf, die höchsten gesellen sichebenfalls dem vollen Zusammenklange. Nachdem die warnenden Worte auf diese Weise lauter und stets gewaltigervernommen worden sind, scheinen sie endlich in der tiefsten St<strong>im</strong>me verhallen zu wollen. Da dringen Rufund Frage abermals, und unerwartet, hinein in diese vereinzelten Töne. Drei andere St<strong>im</strong>men nehmen die Mahnungwieder auf, allein sie wird überwältigt durch die wachsende Macht, mit welcher jene früheren beiden sichwiederholen, durch die neue und unerwartete Weise dieser Wiederholung. Nur dem Tenore des Hauptchoresnämlich hat Schütz von der beschriebenen Stelle an noch den Ruf »Saul, Saul« zugeteilt. In gehaltenen Tönen, in<strong>im</strong>mer wachsender Stärke steigt er mit diesem Ruf die Tonleiter hinan. Von den übrigen St<strong>im</strong>men hören wir dagegendie Worte »Was verfolgst du mich«. Während aber ihr Gesang allmählich verklingt, tönt, zu stets größererKraft gesteigert, der Ruf des Tenors drohender, mächtiger, erschütternder uns entgegen, scheint mit der Frage»Was verfolgst du mich« das Ganze enden zu wollen. Aber noch einmal greift er seinen früheren Ruf unerwartetauf und verhallt in seinen leisesten Tönen, denen nur die des Altes hinzutreten, mit verlöschendem Hauchedas Ganze.Gegenwärtig, anschaulich bringt der Meister die ganze Gewalt einer übernatürlichen, das tiefste Innere ergreifendenErscheinung uns durch seine Töne vor das Gemüt. Die erschütternde Kraft einer St<strong>im</strong>me, die, einem fernenDonner gleich, aus der Tiefe sich erhebt, wie eine zurückgedrängte Ahnung in der Höhe zu verhallen scheint,dann mit voller Macht wiederkehrt, das Innerste erbeben macht, ihren Ruf steigernd, dem sündigen, verblendetenVerfolger näher tretend, bis sie zwar verklingt, nun aber in dem erschütterten Gemüte eine völlige Umkehrbewirkt, das für die Außenwelt erblindete Auge nach innen gekehrt hat, um es dann mit hellerem Blick wiederzu eröffnen, dass es Ort und Zeit zu erschauen vermöge, wo der unbekannte Gott, der sich ihm offenbart, auchanderen Irrenden zu verkünden sei. (Aus: »Johannes Gabrieli und sein Zeitalter«, Berlin, 1834)(W. S.)MUSIK IM KONTEXT 13

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