<strong>Schultheater</strong> der Länder 2007 in Wolfsburg„Ih wiel, dass des genau so wird, wie ihmia desvorgstellt huab.“Unerfüllbare VerpflichtungEr kehrt heim und die Heimat ist nicht mehr da. (...) Mit denProblemen des Sich- Nicht-Einfügen- Könnens und derTraumatisierung der Kriegsheimkehrer beschäftigt sich dieInszenierung des Ludwigsgymnasiums Straubing.Dabeiwerden die Rituale, auf die Franz stößt, auf besondere Weisebetont. Die meisten Handlungen,die von den Bewohnerndes Dorfes ausgeführt werden, geschehen in ausgesuchterLangsamkeit. Die Eröffnungsszene, ein Familienessen, beidem die Familienhierarchie dargelegt wird, ist ein Zelebrierender Zeitlupe.Das synchrone Löffel- Zum- Mund-Führenwird über Momente hinweg allein unterbrochen durch Schlürfenund Schmatzen. Dazu wird in tiefstem Bayrisch gesprochen.(...)Die Schluss- Szene bildet den Höhepunkt des Stückes. InVarianten wird Franzens Unfähigkeit zur Wiedereingliederungin die Gesellschaft dargestellt: Was ist denkbar?Aber was die Realität? Bringt Franz seinen Sohn, den Stammhalter,um, damit ihm ein Schicksal wie das seinige erspartbleibt?Schüler-Redakteurin Britt Schlünzin der Festivalzeitung „Sprungbrett“ (Auszüge)Eindruck durch Ausdruck„Ih wiel, dass des genau so wird wie ihmia des vorgstellthuab.“ Mit Dialekt und Intellekt, Trachten und einer TrachtPrügel präsentierte dieTheater- AG aus Bayern das Stück„Stammhalten“. (...) Der Dialekt und die Kostümierung tretenin den Vordergrund, von den grandiosen schauspielerischenFähigkeiten wird in keiner Weise abgelenkt. Klatschund Tratsch der Frauen sowie harte Männlichkeit der Männerwerden authentisch vermittelt. (...)Eine Änderung der Beleuchtung und schwarz gekleideteDarsteller im Hintergrund gewähren einen Einblick in denHauptdarsteller Franz, indem sie dessen Gedanken laut äußern.Mit Gelächter hindern sie Franz, seine persönlichenGrenzen zu überwinden. Gekonnt eingesetzt, bleiben durchdiesen Effekt keine Fragen zu Franz´ Person offen.Jedoch mussten trotz der ernsten Inszenierung des Stücksdie Lachmuskeln des Publikums nicht erschlaffen. Der Vaterdes Hauptdarstellers erinnert an Ekel Alfred aus „Ein Herzund eine Seele“ und lässt die ältere Generation im Saal somanches Mal schmunzeln.Schüler-Redakteur Maximilian Oehmein der Festivalzeitung „Sprungbrett“ (Auszüge)Bayern: „Stammhalten“Theater-AG des LudwigsgymnasiumsStraubing, <strong>Spiel</strong>leitung: Karlheinz Frankl„War guat, dös guate Essen!“Eine Kurzgeschichte (Alexander Häusser: „Der Stammhalter“)war der Ausgangspunkt der Arbeit, die da so dicht, alswärs ein frühes Kroetz-Stück, und so magisch verlangsamtauf Bayrisch zum mal grotesken, mal beklemmenden, malanrührenden <strong>Spiel</strong> wird.In die gnadenlos patriarchalische Familiensituation, dargestelltim chorischen Suppeessen, kommt der aus dem Kriegheimkehrende älteste Sohn zurück, ein Fremder , „von denRussen“, aus einer anderen Welt. Wie die Mädchen dasinteressant finden, wie die Jungen das bedrohlich finden,das könnte auch das Schicksal des Ausländers inFassbinders „Katzelmacher“ sein, das macht deutlich, dassdie ferne Geschichte der Kriegsheimkehrer für <strong>Spiel</strong>er undPublikum auch übertragbar ist in andere Situationen desFremdseins.Mit dem frappierenden Mittel, das passagenweise ganz realistische<strong>Spiel</strong> plötzlich durch Stilisierungen zu brechen, gewinntder Zuschauer die Perspektive des gestörten, vonseinen traumatischen Erinnerungen verfolgten Mannes, dernicht nur von den anderen an einer Rückkehr in ein normalesLeben und in so etwas wie Heimat gehindert wird, sondernauch von den unbewältigten Erlebnissen. Da ist er auchein Stück Woyzeck.Er hört Stimmen, wo seine neue Freundin keine wahrnehmenkann, sie verhindern die aufkeimende Zärtlichkeit, indem sieals Lauschermauer (ein großartiger Wald aus Leibern undStühlen hinter der für des Mädchen scheinbar so idyllischenBank im Park) dazwischenbrüllen. Franz (so heißt er auchnoch) sieht hinter die freundliche Fassade beim Dorftanz.Die stumm gespielten Standbild-Sequenzen von Tanzposengeraten nach Lichtwechsel plötzlich zu brutalen Schlägereien,bis sein Mädchen ihn arglos fragt: „Geht’s Ihnen nichtgut?“ Da wechselt das Licht zurück und die Paare gehenwieder von einer lächelnden Tanzpose in die andere.Als das neue Paar, dann doch geduldet, ein Kind bekommt,setzt bei Franz die Verweigerung der Rollen neu ein. Nachdemer den Hausmann für seine Verkäuferin- Frau gemachthat, will er auf keinen Fall einen Jungen, einen neuen Stammhalter,sondern eine Tochter. Es wird aber ein Junge. Männer„müssen töten“, ruft der Männerchor, „Ihr seid wie Tiere!“ruft der Frauenchor.Und nun bietet die <strong>Spiel</strong>gruppe eine neue Stilisierung an:Aus den Leibern der <strong>Spiel</strong>er werden zwei Räume gebaut, ineinem sitzt die Freundin der jungen Mutter und erleidet dieBefürchtungen, die im anderen Raum in drei Möglichkeitenhintereinander gespielt werden: Franz ersticht sich selbst,oder Franz ersticht seine Frau, oder Franz erstickt das Kind,bevor es ein solcher Mann werden kann. Blackout.Ein starker Abend, den die <strong>Spiel</strong>erinnen und <strong>Spiel</strong>er mit erstaunlicherPräsenz und durchgearbeiteter Sprachgestaltungzu einem Erlebnis machen.Dierk RabienSchul Theater Info Niedersachsen Nr. 30 11/2007 Seite 18
<strong>Schultheater</strong> der Länder 2007 in WolfsburgDer Heimkehrer als Fremder. Kein vergangenes Thema, wenn man dünnhäutig wie ein Woyzzeck ist. Derb und anrührendzugleich: Bayerns Dialekt-Geschichte von der Unmöglichkeit, als Andersartiger in die Gemeinschaft zu finden.( „Stammhalten“ , s.Vorseite)Dancing is it! Körperausdruck durch Tanztheaterformen und den Verzicht auf Sprache zu steigern war das Ziel derGruppe aus Saarbrücken. Ungewohnte „Begegnungen“ waren es für das Schülerpublikum, aber allemal spannende.(s. Folgeseite)Schul Theater Info Niedersachsen Nr. 30 11/2007 Seite 19