ObjekttheaterDie Fachtagungoder:Die Lücke des ObjektsWas soll uns das Theater mit Objekten? Wir habendoch Schüler zu bewegen. Die sollen sich doch selbst erstmal entdecken im <strong>Spiel</strong>. Also Theater mit Subjekten. Oderhaben wir eine Theatermarktlücke verpasst? Ist das vielleichtdie Tücke des Objekts? So sitzt da vielleicht mancherkritische Zuhörer.Was dann aber Enno Podehl, Professor an der Ev. FachhochschuleHannover, in seinem Impulsreferat zu Beginnder Tagung klar macht, ist spannend genug zu bedenken.Eine zweite EntfremdungEine zweite Entfremdung hat sich breit gemacht, sagt Podehl.Nachdem wir die Dinge um uns nicht mehr selbst herstellenoder ihre Herstellung auch nur verstehen können, geht unsjetzt auch zunehmend die Fähigkeit verloren, mit ihnen umzugehen.Schon Grund genug sich mit Dingen näher zu befassen. „<strong>Spiel</strong>mit den Dingen“ ist für Podehl daher auch die Chance der„Wiedergewinnung der Erlebnisfähigkeit“.In Abgrenzung zum herkömmlichen Requisitentheater, in demein Ding gewöhnlich nur für einen bestimmten Zweck voneiner <strong>Spiel</strong>figur „requiriert“ wird, gewinnt das Ding auf derBühne im Objekt-Theater Bedeutung an sich, „als Metapherfür Raum, Atmosphäre, Erinnertes, Gedanken, Gefühle“.Objekttheatermacher gehen daher auf die Suche nach Dingen,ohne einen bestimmten Funktionsbedarf im Hinterkopfzu haben. Sie versuchen sich von Dingen ansprechen zulassen, auf dem Schrottplatz, auf dem Flohmarkt, am Straßenrand,im Supermarkt oder im Baumarkt. Erst im <strong>Spiel</strong>raumwird dann die Ausbeute gesichtet und reduziert.Es entwikkelnsich erste Improvisationen (die sollten dann im praktischenTeil der Fachtagung erprobt werden).Improvisation als „Verlernvorgang“Daraus entsteht ein langsames „Sich-Frei-<strong>Spiel</strong>en von Erwartungen,Vorwissen, Kenntnissen.“ Improvisation wirderfahrbar als „Verlernvorgang“, als Loslösung von funktionalenZuordnungen. So wird der <strong>Spiel</strong>er „den eigenen Gewohnheitenuntreu“ und erfährt Neues.Wie kann man nun Schüler z.B. mit Arbeitsanweisungen zudiesem Erlebnis führen, dessen Nützlichkeit für die medialso massiv in Trends und Konventionen geschickten Jugendlichenwohl niemand bezweifelt? Podehl gibt folgendeÜbungs- Anregungen:1. Probiert der Reihe nach möglichst viele Arten, dasDing aufzuheben, weiterzugeben, abzustellen2. Versucht mit dem geringstmöglichen eigenenBewegungsimpuls die längstmögliche Eigenbewegungdes Dings zu erreichen3. Zeigt mit dem Ding Luft, Schwere, Raum4. Geht mit dem Ding um bei künstlicher Selbstbehinderung(z.B. einen Arm auf den Rücken binden)oder in Zeitlupe>Forts.nächste SeiteSchul Theater Info Niedersachsen Nr. 30 11/2007 Seite 6
<strong>Schultheater</strong> der Länder 2007 in WolfsburgSpannung zwischen <strong>Spiel</strong>er und DingDie Ausarbeitung von <strong>Spiel</strong>sequenzen besteht dann im Auswählenvon Momenten, im Entwickeln einer choreografischenForm und im Einüben der Wiederholbarkeit, wobei„der Rest des Fremden, der Unkontrollierbarkeit“ bestehenbleibt und wie im Zusammenspiel zweier Akteure auchdie Spannung zwischen <strong>Spiel</strong>er und Ding ausmacht.Hamburg: „Die Box“„Animationsvorgang“David Reuter, Juniorprofessor für <strong>Darstellendes</strong> <strong>Spiel</strong> undKunst in Aktion an der Hochschule für Bildende KünsteBraunschweig, betonte als zweiter Impuls-Referent den„Animationsvorgang“, der aus dem unbeseelten Ding durchden Umgang mit ihm ein beseeltes Objekt macht.Dabei sprechen die bespielten oder in der Performance benutztenDinge und Vorgänge für sich. Es ist nicht nötig (undfür Enno Podehl ein Graus), dass ein Ding seine Comic-Stimmeerhebt und ruft „Was machst du mit mir?“, sondern esgenügt, aus der Aktion und der Wiederholung etwa als ZuschauerSchlüsse zu ziehen, die auch nicht vom Performererklärt werden.Beispiel war ein vielgezeigtes Video (von Meyer-Keller), indem 35 Kirschen auf verschiedene Weise vernichtet werdenund damit so etwas wie das Thema Tod demonstrieren.Die Tücke des ObjektsIn der Geschichte theatraler <strong>Spiel</strong>weisen gibt es natürlichschon lange das Objekt in mehr als nur dienender Funktionfür die „Allmacht“ des <strong>Spiel</strong>ers. Schon im Krimi entwickelnGegenstände als Indizien ein meist bedrohliches Eigenleben.Im absurden Theater werden etwa die Stühle zum titelgebendenHauptdarsteller, die Komiker aller Zeiten habensich der Tücke des Objekts als sichere Publikumswirkungbedient.Reuter wies aber auch auf verschiedene Auffassungen imhervorgehobenen Umgang mit Dingen hin, z.B. in Chaplinsberühmten Brötchen-Tanz (in dem Film „Goldrausch“), woCharlie mit Gabeln und aufgespießten Brötchen einenTabledance hinlegt, der aus seinem Gesicht und den Brötcheneinen sozusagen dingmenschlichen Kopffüßler entstehenlässt. Auf andere Weise leihen sich Puppen von ihrem<strong>Spiel</strong>er die Stimme aus.Der Nachmittag der Fachtagung gehörte dann fünf praktischenWorkshops zum Thema, während die Schülergruppenin eigenen Workshops ganztags mit verschiedenen Aspektendes Objektstheaters arbeiteten. Ergötzliche und erhellendeWorkshopergebnisse wurde am Abend vorgestellt.Ergänzend zur Fachtagung gab es wie immer intensivereNachbesprechungen der Aufführungen und mehrereFachforen, die sich mit den in den Aufführungen sichtbarenAnsätzen von Schülertheater kritisch auseinandersetzten.Die ganze Woche mit nicht weniger als 17 Aufführungen,Gesprächen, Workshops und Fachtagung: ein geballterBildungs- „Urlaubs“- Marathon, der für jede(n)TheaterlehrerIn zur Pflicht erklärt werden sollte.Dierk RabienDas Ding an sich hat’s in sichWann ist ein Gegenstand auf der Bühne ein „Ding“,wann ein „Requisit“ und wann ein „Objekt“? Darüberließ sich trefflich streiten und in einen bei Lehrern nichtganz zu unterdrückenden Definier-Wetteifer geraten.Das war auch gutes Recht angesichts des Themas derFachtagung.Problematisch wurde es dann in den Fachforen, wo dieTelnehmer verständlicherweise versuchten, die Thematikanhand der gesehen Aufführungen zu analysieren.Aber siehe da, wie das mit einem Motto so ist – dieAufführungen, die die Bundesländer geschickt haben.,entstanden meist fern von der Vorgabe Objekttheater.Manche boten gewissermaßen zufällig Anschauungsmaterial,weil mit Gegenständen bewusst, symbolisch,metaphorisch, vor allem achtsam und dramaturgischbedeutungsvoll gespielt wurde, aber es gab auch Gruppen,die nichts auf die Bühne brachten als sich selbst imschwarzen Trainingsdress. Da war dann schwer ein Bezugzum Thema Objekt herzustellen.Und es wäre vielleicht auch besser, einfach zu diskutieren,ob die <strong>Spiel</strong>mittel für die Absicht der Gruppe angemessen,wirkungsvoll, beherrscht, ästhetisch geformtwaren.Indem die Fachtagung Impulse geben wollte zum Thema,sollen ja auch die frisch animierten Theaterschaffendenin die Länder ausschwärmen und hinfortden Gegenständen auf der Bühne so viel Aufmerksamkeitentgegen bringen wie ihren spielenden Subjekten.Insofern galt es nicht, Beispiele zu sehen und abzuhaken,sondern zu beobachten, wo sich da dramaturgischsinnvoll etwas entwickeln ließe, aber auch, wo nicht.Dierk RabienSchul Theater Info Niedersachsen Nr. 30 11/2007 Seite 7