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CORE Nr. 04 (PDF) - Heyne Hardcore

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Sparring mitDavid PfeiferDass Boxen mehr ist als sich gegenseitig dieFresse einzuschlagen, das weiß man irgendwie.Dass sich hinter den Boxern oft unglaubliche Lebensgeschichtenund Schicksale verbergen, daskennt man aus Kinofilmen. Dass Boxen aber nochsehr viel mehr sein kann, das beweist der JournalistDavid Pfeifer mit seinem Roman Schlag weiter,Herz, einer knallharten Liebesgeschichte, die imBoxmilieu spielt. Hier gibt er schon einmal ersteEinblicke in eine – für viele – fremde WeltBoxen ist eine Weltsprache ohne Worte. JederBoxer weiß, dass drei Minuten Sparring drei StundenGespräch ersetzen. Wenn man sich schlägt, erkenntman sich. Ob einer mutig, ängstlich, fair oder link ist,stolz, lustig, eitel oder verwegen, zeigt sich im Ring.Man verständigt und begreift sich, ohne einen Satzgesagt zu haben. Waldimir Klitschko, einer der wenigenBoxer, die ihren Beruf gut erklären können,drückt es so aus: »Boxen ist so alt wie die Philosophieund im Grunde hat es sich nicht verändert seit demalten Griechenland – ein Boxer kann sich nirgendwoverstecken. Er ist nackt. Die zwei Boxer sind Partner,keine Gegner. Sie führen eine uralte Konversation,und wer am Ende die schlagenderen Argumente hat,hatte recht.«Dabei ist es egal, ob man seine Argumente in RafaelTrejos Boxschule austauscht, die sich in HavannasAltstadt zwischen zwei verwitterte Häuser und Tribünenquetscht. Oder im »Wild Card Boxing Club«, denMickey Rourke sich in einem Hinterhof in Los Angeleseinrichtete, als er lieber Profi-Boxer statt Schauspielersein wollte, und den er dann an Freddie Roachverschenkte, der dort nun den Box-Superstar MannyPacquaio trainiert. Auch beim Post SV in Berlin-Mitte, dessen Box-Abteilung den Fall der Mauer überlebte,die Wiedervereinigung und die Gentrifizierungdes Viertels – überall baumeln Säcke, sirren dieSpringseile, hauen sich Männer und manchmal auchFrauen, um sich näher kennenzulernen.8 9Ob man das westliche Boxen in seiner heutigenForm nun auf die Griechen oder die Engländer zurückführt– auf jeden Fall wurde es in Deutschland352 Seiten, Hardcover19,99 € [D] / 20,60 € [A] / 28,50 CHF (UVP)ISBN 978-3-453-26885-2September 2013erst 1918 erlaubt, nach dem Ende des Ersten Weltkriegsund des Kaisers, der Boxen als barbarisch angesehenhatte. Die ersten deutschen Meister lerntendie Kampfkunst als Kriegsgefangene von den Engländern.Auch eine Form des Kulturaustausches. Bereitsin den 1920er-Jahren gab es in Berlin ein Kunstmagazinnamens Querschnitt, herausgegeben von AlfredFlechtheim, einem jüdischen Galleristen, den dieNazis später vertrieben. Der Querschnitt positioniertesich laut Untertitel als »Magazin für Kunst, Literaturund Boxsport«. Im Querschnitt stand zu lesen, das Magazin»hält es für seine Pflicht, den Boxsport auch inden deutschen Künstlerkreisen populär zu machen.In Paris sind Braque, Derain, Dufy, Matisse, Picasso,de Vlaminck begeisterte Anhänger und Rodin fehltbei kaum einem Kampf.« Flechtheim hatte sich inseiner Galerie-Wohnung einen Boxring aufbauen lassen,Bertholt Brecht war häufig in der Redaktion zu© Erik WeissGast und brachte Paul Samson-Körner mit, den deutschenSchwergewichtsmeister. Was die beiden sichzu erzählen hatten? Um Politik und Gesellschaft wirdes nicht gegangen sein – während Brecht später vorden Nazis floh, stellte Samson-Körner einen Aufnahmeantragbei der SA.Vielleicht gibt es eine tiefere Gemeinsamkeit zwischenBoxern und Künstlern, einen inneren Wahnsinn,der Verbündete sucht. Boxer und Künstler sindaufsich gestellt, arbeiten sich ab an einer Sache,deren Sinn nur sie allein erkennen, bis sie es zu einerPerfektion gebracht haben, für die andere Menschenzu zahlen bereit sind. Nur wenige schaffen es so weit.Dann stehen sie plötzlich unter Beobachtung, sehensich einem Hagel ungebetener Ratschläge ausgesetztund agieren weiter mit dem Selbstverständnis derer,die stets an sich geglaubt haben, gegen jede Logik.Denn bis sie dahin gekommen sind, mussten sie sichso quälend lange die immer selben Handlungen einimpfen,immer und immer wieder üben, sich prüfen,wiederholen, bis jeder Handgriff saß. Aus Gedankensind dann Reflexe geworden. Die Handlungen sindins Vegetative übergegangen, der Kopf wird nichtmehr gebraucht, um zu handeln, sondern kann freigestalten. Im besten Fall Außergewöhnliches schaffen.Der leidvolle Weg, der zum Boxen wie zur Kunstgehört, macht beide Disziplinen so wertvoll. Es setzteine sonderbare Mischung aus Demut und Größenwahnvoraus, so lange immer weiter zu gehen und ansich zu glauben, bis man es zur Meisterschaft bringt.Es gehört praktisch ins Portfolio von Oscar-Gewinnern,einen Boxer zu spielen (Robert De Niro, ChristianBale, Daniel Day-Lewis, Denzel Washington, HilarySwank usw.), weil sich im Boxring eben die großenDramen abbilden lassen – nicht nur im Film. GeorgGrosz malte Max Schmeling, Muhammad Ali undMike Tyson waren Betrachtungsgegenstand zahlloserBilder, Filme, Dokumentationen und Fotos, erwähntsei hier das »Sportfoto des Jahrtausends«, die Muhammed-Ali-Studievon Neil Leifer. Simon & Garfunkelhuldigten 1969 dem einfachen »Boxer« und ReverendAnd The Makers sangen 2007:I could‘ve been a contenderI could‘ve been a someoneCaught up in the rat raceAnd feeling like a no-oneCould‘ve been me in the papersWith the money and the girlsI could‘ve been the HeavyweightChampion of the WorldSo wie Zerrissenheit, das Leiden an sich selbstund Scheitern zur Künstler-Folklore gehören, prägendiese existentialistischen Pfeiler auch die Biografiedes Boxers. Es geht eine besondere Strahlkraft vonder Idee aus, sein Leben einer Sache zu verschreiben,die nur wenig Chancen auf Erfolg verspricht. Werboxt, mag größenwahnsinnig sein, doch wer nichtboxt, sehnt sich nach der Außerordentlichkeit, dievielleicht möglich wäre, würde man sich nur trauen.Die polnische Lyrikern und NobelpreisträgerinWislawa Szymborska erfasste diese Sehnsucht ineinem Gedicht:Muse, Kein Boxer zu sein, bedeutet gar nicht zu sein.Das brüllende Publikum hast du uns nicht gegönnt.Wer schreibt, will gelesen werden, wer boxt, will gesehenwerden. Boxkämpfe sind ein voyeuristischer Exzess.Noch heute, selbst in der tausendsten Wiederholung,läuft einem ein Schauer über den Rücken,wenn man sieht, wie Muhammad Ali und Joe Fraziersich 1975 in Manila bekämpften. Ein Ereignis wie eineMondlandung, aber mit dem Grusel des Gewaltaktes.Vielleicht fand der zarte Bertolt Brecht in Samson-Körnereine körperliche Entsprechung seiner Ausdruckshärte.Das würde auch erklären, warum der ebenfallsschmächtige Wolf Wondratschek sich Jahrzehnte späterin vielen Geschichten Im Dickicht der Fäuste mit Boxernbefasste. In diesem Sinn befindet sich ErnestHemingway durchaus in einer Linie mit Sylvester Stallone,der Rocky ja nicht nur gespielt, sondern ebenauch geschrieben hat. Schreiber kennen die Frustrationdes einsamen Schaffens, des elenden Sich-Abarbeitensan den immer gleichen Übungen. Sie spürendie Verbindung zum Boxen und suchen naturgemäßnach Worten dafür. Und was haben die Boxer umgekehrtdavon? Im besten Fall einen Ausdruck für das,was sie sonst nur fühlen. Worte, um das Glück zu beschreiben,das darin liegt, etwas so dämliches zu tun,wie sich freiwillig zu schlagen.

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