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Neue Medien in der Lehrerausbildung

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<strong>Neue</strong> <strong>Medien</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />

am Beispiel des Faches Deutsch<br />

Volker Fre<strong>der</strong>k<strong>in</strong>g<br />

Warum <strong>Neue</strong> <strong>Medien</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrerbildung? Warum gerade<br />

im Fach Deutsch? Warum Literatur und Literaturunterricht<br />

am bzw. im Computer – und nicht nur mit dem Buch? Ich<br />

möchte mich <strong>der</strong> Beantwortung dieser Fragen vermittels<br />

e<strong>in</strong>er medientheoretischen und medienhistorischen Verortung<br />

annähern. Diese nimmt den medialen Wandel als<br />

Phänomen <strong>in</strong> den Blick. Beson<strong>der</strong>e Beachtung werden dabei<br />

medienskeptische Positionen f<strong>in</strong>den – denn diese sollen<br />

<strong>in</strong> den Lehrerzimmern unserer Tage immer noch recht verbreitet<br />

se<strong>in</strong>. Auf dieser Grundlage sollen im Fortgang des<br />

Artikels Inhalte und Vermittlungsmöglichkeiten mediendidaktischer<br />

Kompetenzen im Fach Deutsch vorgestellt und<br />

erläutert werden.<br />

1. Theoretische Grundlagen<br />

Der mediale Paradigmenwechsel und <strong>der</strong> Diskurs um se<strong>in</strong>e<br />

Gefahren<br />

Beg<strong>in</strong>nen wir grundsätzlich – mit e<strong>in</strong>em Zitat des <strong>Medien</strong>philosophen<br />

Vilem Flusser: „Irgend etwas ist dabei, sich<br />

ziemlich grundsätzlich zu än<strong>der</strong>n. Wenn wir dies etwas<br />

eleganter ausdrücken wollten, könnten wir sagen, daß wir<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Paradigmenwechsel stehen. Was sich än<strong>der</strong>t, ist<br />

zwar überall fühlbar, aber deshalb nicht unbed<strong>in</strong>gt greifbar.“<br />

(Flusser 1991, S. 190)<br />

Mit diesen Worten leitete Flusser e<strong>in</strong>en 1991 entstandenen<br />

Artikel über die durch die digitalen <strong>Medien</strong> bed<strong>in</strong>gten<br />

grundlegenden Verän<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>. An <strong>der</strong> Richtigkeit<br />

se<strong>in</strong>er Diagnose hat sich auch siebzehn Jahre später, im<br />

digitalen Zeitalter e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Ewigkeit, nichts geän<strong>der</strong>t.<br />

Im Gegenteil – die These vom medialen Paradigmenwechsel<br />

ist <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>ere Bewusstse<strong>in</strong> gedrungen. Se<strong>in</strong><br />

augenfälligster Indikator ist die Vielzahl technischer<br />

Innovationen. Dennoch erschließt sich damit lediglich die<br />

Oberflächenstruktur <strong>der</strong> gegenwärtigen medialen Revolution.<br />

Aufschlussreicher s<strong>in</strong>d die Tiefenschichten – vor<br />

allem die Reaktionen <strong>der</strong>jenigen, die diesen revolutionären<br />

Prozess unmittelbar erleben bzw. von ihm betroffen<br />

s<strong>in</strong>d. Die wissenschaftshistorisch gebrauchten Begriffe<br />

Paradigma bzw. Paradigmenwechsel, auf die Flusser <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Statement rekurriert, stammen bekanntlich von<br />

Thomas Kuhn. Folgende Def<strong>in</strong>itionen s<strong>in</strong>d damit verbunden:<br />

„Der Ausdruck ‚Paradigma‘ [...] steht für die ganze<br />

Konstellation von Me<strong>in</strong>ungen, Werten, Methoden usw.,<br />

die von den Mitglie<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>er gegebenen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

geteilt werden.“ (Kuhn 1962, S. 123) Dabei gehört Wi<strong>der</strong>stand<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase des Paradigmenwechsels zum Wesen<br />

des Paradigmas, wie Kuhn verdeutlicht. „Die Übertragung<br />

<strong>der</strong> B<strong>in</strong>dung von e<strong>in</strong>em Paradigma auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es ist<br />

e<strong>in</strong>e Konversion, die nicht erzwungen werden kann.<br />

Lebenslanger Wi<strong>der</strong>stand, beson<strong>der</strong>s von solchen, <strong>der</strong>en<br />

produktive Laufbahn sie e<strong>in</strong>er älteren Tradition […] verpflichtet<br />

hat, ist ke<strong>in</strong>e Verletzung wissenschaftlicher<br />

Normen, son<strong>der</strong>n […] unvermeidlich und legitim.“ (Kuhn<br />

1969, S. 187)<br />

Wi<strong>der</strong>stände <strong>in</strong> Zeiten e<strong>in</strong>es Paradigmenwechsels zeigen<br />

sich auch und gerade im Zusammenhang mit den so genannten<br />

neuen <strong>Medien</strong>. Computer und Internet treffen<br />

auf e<strong>in</strong>e breite Vorurteilsstruktur. Warnungen vor dem<br />

Computer f<strong>in</strong>den sich allerorten. Körperliche Schäden stehen<br />

ganz oben auf <strong>der</strong> Gefahrenliste. Da wird vor den<br />

Folgen von Mausarmen, Haltungsschäden und Muskelerkrankungen<br />

gewarnt, die durch die neuen Digitalmedien<br />

entstehen. Und was e<strong>in</strong>st hoffnungsvoll im Evolutionsprozess<br />

begann, sche<strong>in</strong>t mit dem Computer se<strong>in</strong> jähes<br />

Ende zu f<strong>in</strong>den, wie die Karikatur <strong>in</strong>s Bild setzt (vgl. Abb. 1).<br />

Conclusio: Computer s<strong>in</strong>d gefährlich, gerade für unsere<br />

Heranwachsenden!<br />

Im historischen Rückblick entlarven sich diese und an<strong>der</strong>e<br />

Warnungen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Teilen als kulturgeschichtlich<br />

sich wie<strong>der</strong>holen<strong>der</strong> Reflex gegen jede neue Technik und<br />

gegen jedes neue Medium. Interessanterweise lässt sich<br />

das auch und gerade an e<strong>in</strong>em Bereich exemplifizieren,<br />

<strong>der</strong> viele pr<strong>in</strong>tverzückte Kritiker erstaunen wird – an <strong>der</strong><br />

Geschichte des Lesens. Denn Warnungen vor den körperlichen<br />

Gefahren des Lesens waren vor fast 200 Jahren<br />

durchaus verbreitet und trieben son<strong>der</strong>bare Blüten: So<br />

mahnte beispielsweise Karl Georg Bauer 1791 <strong>in</strong> aller<br />

Deutlichkeit: „Die erzwungene Lage und <strong>der</strong> Mangel aller<br />

körperlichen Bewegung beym Lesen, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

<strong>der</strong> so gewaltsamen Abwechslung von Vorstellungen und<br />

Empf<strong>in</strong>dungen [erzeugt] Schlaffheit, Verschleimung,<br />

Blähungen und Verstopfung <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>geweiden, mit<br />

e<strong>in</strong>em Wort Hypochondrie, die bekanntermaaßen bey<br />

beydem, namentlich bey dem weiblichen Geschlecht,<br />

recht eigentlich auf die Geschlechtstheile wirkt, Stockungen<br />

und Ver<strong>der</strong>bniß im Bluthe, reitzende Schärfen und<br />

Abspannung im Nervensysteme, Siechheit und Weich-<br />

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