<strong>Museen</strong> / 44Kutschenmuseum Laa/ThayaDIE HOHE SCHULEDie Kutschenmuseum Laa hat nun einen neuen Standort im Zentrum von Laa.Über 100 Fahrzeuge erzählen ihre Geschichte.Leder. „Als ich die Victoria bekommen habe,waren es Funder-Platten.“ Die Lederkotflügelhat er selbst genäht, nämlich zwiefach. Damitdas Leder geschmeidig bleibt, wird es mitSeehundtran gefettet.Was die Wagenfabrikanten Cooper in England,waren die Brüder Binder in Paris. InWien war es die k. u. k. HofwagenfabrikSebastian Armbruster. Eine der letzten WienerCoupés von Armbruster, gebaut 1880,steht im Kutschenmuseum und stammt ausdem Schloss Atzenbrugg. Aus den Wagenbauernwurden um 1900 Automobilherstellerwie Cooper in England oder Lohner in Österreich.Die Trittstufen sind versenkt und klappen mit dem Öffnen des Wagenschlags aus.Kein Hufgeklapper, kein Schellengeläute, keinFluchen der Kutscher, kein Aufreißen desWagenschlags war zu hören. 110 Kutschenund Schlitten wurden mit einem Tiefladerübersiedelt – von der Peripherie in das Zentrumvon Laa an der Thaya.„Möbelhäuser sind mein Schicksal“, sagtWolfgang Satzer. Sein Kutschenmuseum warin einer ehemaligen Möbelhalle im Einkaufszentrumuntergebracht und hat nun imStadtkern von Laa seinen neuen Standort.Auch hier ein ehemaliges Möbelhaus, dafürdoppelt so groß. Tief im Inneren des Hausesbefinden sich alte Stallungen – hier stehennun die Prunkstücke: Kaleschen, WienerCoupés, Schlitten, Postkutschen, Victorias,Pirschwägen und Phaetons, Berlinen undZeiserlwagen, Landauer und Chaisen.Victoria und Klapp-PhaetonEin besonders feines Stück ist die Victoria,gebaut 1850 von den Gebrüdern Binder inParis, aus dem Besitz der Grafen Bardeau. Dagibt es einige Extras: die Hartgummireifen,ein Novum der damaligen Zeit, die achtfacheFederung mit elliptischen und C-Federn undeine besonders leichte Bauweise. So sind dieKotschirme nicht aus Blech, sondern ausHier ein Klapp-Phaeton, gebaut von derFirma M. Keslar um 1892. „Auf dem zweisitzigenWagen saß der Herr gemeinsam mitseiner Verlobten. Er hielt die Zügel und sieden Sonnenschirm. Und hinten“, Herr Satzerklappt aus der rückwärtigen Holzkiste einenNotsitz, „hier saß der Kutscher. Wenn dieHerrschaften dann ins Café gingen, um heißeSchokolade zu trinken, dann übernahm derKutscher das Gespann. Natürlich musste erpünktlich gestellt sein, dafür gab es die Kutscheruhr.“Livreen und Hüte, Fellsäcke undStrohüberschuhe der Bierkutscher (natürlichaus der Laaer Brauerei), mit Briketts geheizteReiseöfen, Bärenfellmäntel, Engelsgeläut unddas ganze Rundherum aus der „guten, altenZeit“ fehlen nicht. Das Engelsgeläut sind versilberteSchellen. Maria Theresia ordnete an,dass auf jedem Schlitten der Sicherheit wegenmindestens eine Schelle angebracht seinmusste.schaufenster / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>Juli</strong>/<strong>August</strong> <strong>2013</strong>
<strong>Museen</strong> / 45Achtfach gefederte Victoria mit vielen Extras.Die Schlitten sind besonders aufwändig undschön gestaltete Stücke, wie der Carousellschlitten,gebaut um 1790, aus Schloss Bautzenin Deutschland. „Der hat mich ein Jahrmeines Lebens gekostet“, bemerkt WolfgangSatzer. Die Schlitten wurden für den Schlittenkorsozur Faschingszeit aus der Remisegeholt. Die geschnitzten Köpfe machen siezu Figurenschlitten.LandauerHinter jeder Kutsche verbirgt sich eineGeschichte. Da gibt es jenen Wagen, derHühnern als Nachtlager diente. Als der pensionierteSchuldirektor Wolfgang Satzer ihnaus einem Waldviertler Stall holte, musste erzuerst ein paar Tage lang den Dreck wegkratzen.Zum Vorschein kam ein Glaslandauer.Die Bezeichnung Glas deutet auf dieFensterscheiben des viersitzigen Wagenshin.Die meisten Arbeiten macht er selbst. Tischlerarbeiten,Tapeziererarbeiten, Näharbeiten,löten, drechseln, schleifen, lackieren.„Ich hatte das Glück, alten Meistern auf dieFinger schauen zu können.“ Denn als er beiseiner ersten Kutsche ein Jahr auf das Radwartete, das er dem Wagner gebracht hatte,war ihm klar geworden, die Reparaturenlieber selbst zu machen. So ist es bis jetztgeblieben. Allein für das Nähen einer Nahtder ledernen Kotflügel braucht er manchmalmehr als einen ganzen Tag. Apropos Nähen:Auch über Litzen und Borten und dasGewerbe der Posamentierer weiß er genauBescheid.Bei genauer Betrachtung ist jede Kutschehohe Schule des Handwerks. Das beginntbeim Wagenrad bis über die Aufhängungdes Wagenkastens, von der Federung bis zurFührung der Riemen, von den Laternen biszur Aufstiegshilfe für den Kutscher – diesebefindet sich an der Radnabe und nennt sich„Haufen“ –, von den geschliffenen Scheibenbis zu der Rautentapezierung im Inneren.Messingleisten verdecken die Nägel, mitdenen das Leder fixiert wird. Um diese Messingleistenzu rollen, hat Wolfgang Satzereine eigene Maschine gebaut.HalbberlineDie Halbberline des Bischofs von Trnava/Tyrnau hat versenkbare Fensterscheiben,Kartentaschen, eine prunkvolle Lakaienbrücke,jede Menge Quasten und Borten undeinen dunkelblauen Himmel. „Mit Leintüchernhabe ich drei Tage das Faltenlegengeübt“, erklärt Satzer, bevor er sich an dieBespannung der Kutschenhimmels heranwagte.Die Berline ist ein voll durchgefederter,viersitziger Reisewagen, der ab dem17. Jahrhundert gebaut wurde. Die Halbberlinehat zwei Sitze. Der Wagenkasten hängtüber Langbäumen an leichten Federn sehrhoch über dem Erdboden und war nur miteiner kleinen Leiter erreichbar. Wenn WolfgangSatzer den Wagenschlag öffnet,schwenkt die Aufstiegshilfe heraus. AlleKutschen sind einsatzbereit.Hochzeiten und Begräbnisse, Firm- undFirmenausflüge bringen dringend benötigtesGeld. Coupé und Co. finden sich inzahlreichen Filmen wieder. Einer der größtenEinsätze war in Schloss Weinern imWaldviertel, das als Schloss Possenhofen imFilm „Sophie – Sissis kleine Schwester“ zusehen ist – Wolfgang Satzer rückte mit 18Kutschen aus: „Da hat sogar die alte Gräfinergriffen ausgerufen: ,Wie in alten Zeiten!‘“Wenn Wolfgang Satzer von seinen Kutschenerzählt – und das tut er mit nie versiegenderLeidenschaft –, dann hört man es: das Hufgeklapperund Schellengeläute, das Fluchender Kutscher und das Aufreißen des Wagenschlags./Text: Mella WaldsteinFotos: Herbert JaitnerKUTSCHENMUSEUM———————————————————2136 Laa/ThayaBürgerspitalgasse 4ÖffnungszeitenBis Ende Oktober,Sa, So und Fei 14.00–17.00 Uhr,Haupteingang Bürgerspitalgasse 4Mo–Fr 9.00–17.00 Uhr undSa 9.00–12.00 Uhr,Eingang Stadtplatz durch den„BuchLAAden“www.kutschenmuseum-laa.atschaufenster / <strong>Kultur</strong>.<strong>Region</strong> / <strong>Juli</strong>/<strong>August</strong> <strong>2013</strong>