13.07.2015 Aufrufe

Apolda

Apolda

Apolda

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

APOLDAER AMTSBLATT 04/13 Seite 41Nichtamtlicher Teil: InformationenAus dem Stadtarchiv: <strong>Apolda</strong>s Lokale und ihre Entwicklungsgeschichte<strong>Apolda</strong>s schrägstes Lokal – Ernst Kochs „Raritätenheim“Gegenüber den anderen <strong>Apolda</strong>er Wirtenfiel Ernst Koch (1860–1915) schon durchseine äußere Erscheinung etwas aus demRahmen. Ein Lebemann mit ausgefallenenIdeen, ausgestattet mit dem Schalk einesTill Eulenspiegel und den Phantasien einesBarons Münchhausen. Typisch für Menschenmit rhetorischem Talent und Hangzur Selbstdarstellung (im Foto vorne linkssitzend).Bereits als Inhaber des Kalten Backofens inder Schleiergasse machte er von sichReden. Seltsame Artefakte und Gegenstände,die er angeblich von seinen vielenReisen mitgebracht hatte, zierten Wändeund Ablagen in der Gaststube. Zu jedemAusstellungsstück konnte er eine passendeGeschichte erzählen, was die Zuhörer jedesMal faszinierte.Auch kommunalpolitisch trat er in Erscheinung.Als neu gewähltes Gemeinderatsmitgliedreichte er sofort den Vorschlag ein,Gelder für die Erbauung eines neuenRathauses zu sammeln, was bei der hiesigenBürgerschaft auf sehr zwiespältigeMeinungen traf. Nur der frühere StadtbaumeisterRudolf Ulrich befürwortete diesenAntrag.Am 14. August 1900 berichtete das<strong>Apolda</strong>er Tageblatt, dass Ernst Koch, Wirtdes Kalten Backofens, das „Restaurant zurBörse“ am Markt 14 käuflich erworben hat.Die alte Börse krempelte Koch vollkommenum und machte daraus sein „Raritätenheim“.Seit dem Tag der Eröffnung des„Lokals mit angeschlossenem Museum“am 6. Oktober 1900 gelang es dem Wirtimmer wieder, mit Attraktionen oder originellenWerbeanzeigen Gäste ins Haus zulocken. So hieß es z.B. beim Bockbierfestvom 1. bis 4. Februar 1901: Es spielt dieKapelle „Fiddelino“, halb bzw. ein viertelbekleidete Personen haben keinen Zutritt,im Angebot sind delikate Bockwürste undhochfeiner Bockstoff aus Herressen. Oderder Aufruf am Hundemarkttag, dem 11.Juni 1901: Wer sich statt eines Hundes lieberein Äffchen zulegen möchte, ist bei mirrichtig!Ständig war Ernst Koch auf der Suche nachweiteren Kuriositäten für das Museum.Von seinem Bruder, der in Iowa Hill/Kalifornien wohnte, erhielt er u.a. indianischeKult- und Gebrauchsgegenstände.Aber nicht nur Dinge aus vergangenenZeiten gab es für die Gäste zusehen, auchneueste Unterhaltungstechnik stand zurNutzung bereit. So präsentierte der Meisterab 26. Mai 1904 den Besuchern das Kaiser-Panorama (Gerät mit stereoskopischenBilderserien), musikalisch Interessiertekonnten sich aus dem Musikautomaten„Verdi“ nach Geldeinwurf beschwingteLieder oder zackigeMärsche anhören.Selbst vor Vermarktungseiner eigenenPerson machte dergelernte Wirkernicht halt. Vom „1.Direktor des Kaiser-Panoramas“ überden „Professor derunentdeckten Wissenschaften“biszum „SchönstenMann der Welt“(auf Postkarten verewigt),war ihmkein Titel zu schade.Doch bald bekamKochs heile WeltRisse. Ursache dafürwaren abgelehnteBauanträge, dieer trotzdem umsetzte,wie die Erhöhungdes Nebengebäudesund diezusätzlich in der II.Etage errichtete Abortanlage.All dasführte zum Zankmit dem NachbarnFoto: Archivund zu langwierigenStreitereien mitdem städtischen Bauamt. Wegen angeblichverschwundener Bauzeichnungen beschuldigteKoch das Amt der Korruption, woraufhindie dortigen Angestellten gegen ihnStrafantrag wegen Beamtenbeleidigungstellten. Seine Unnachgiebigkeit bescherteihm eine Geldstrafe nach der anderen.Völlig unerwartet erschien am 12. März1911 eine Meldung im Tageblatt: „In <strong>Apolda</strong>wird auch ein Automatenrestaurant eingerichtetwerden und zwar im Raritätenheim,das schon an eine Aktien-Gesellschaftverkauft worden ist.“ Am Abend desersten Öffnungstages, dem 15. April 1911,hörte man, dass im „Zentral-Automaten-Restaurant“ am Markt alle Behälter geleert,d.h. 1.000 belegte Brötchen sowie 500Würstchen gegessen und alle sieben Bier-,Wein- und Likörhähne durchweg in Betriebwaren. Für den neuen Geschäftsleiter BernhardKallensee ein Anfangserfolg. Unbeachtethatte sich am gleichen Tag ErnstKoch in einer kleinen Zeitungsanzeige beiseinen treuen Gästen für das ihm lange entgegengebrachteVertrauen bedankt undleise verabschiedet. Schnell verflog bei den<strong>Apolda</strong>ern das Interesse an dieser ArtLokal mit Selbstbedienung, ein gepflegtesBier aus der Hand eines Wirtes war ihnendoch lieber als aus dem Automaten.So vergingen nicht ganz zwei Jahre undPaul Koch, ältester Sohn von Ernst, holtedas Restaurant im März 1913 für kurze Zeitals Raritätenheim zurück in den Familienbesitz.Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges musstenPaul sowie auch dessen jüngerer BruderErnst zum Heer. Als Ernst jun. im Ostenvermisst wurde, meldete sich Vater Kochfreiwillig an die Front. Er war mit 54 Jahrenältester Feldwebel in der 5. Kompanie des94er Reserve-Infanterie-Regiments. Gleichbei der ersten nächtlichen Erkundungspatrouilletraf ihn am 13. Juli 1915 eine tödlicheKugel. Schwiegersohn Georg Becker,bei der Aktion selbst schwer verwundet,war bei ihm. Kochs geliebtes „Raritätenheim“überlebte ihn um drei Jahre.Aus den Gaststuben wurden zwei Lädenfür den Kaufmann Willy Jakob, der sichhier niederließ und die Schokoladenhandlung„Jakob und Meinhardt“ gründete.Familie Walter Finke übernahm 1928nicht nur die Räumlichkeiten, sondernauch die Produktpalette der JakobschenFirma. Heute teilen sich ein Optiker undein Mobilfunkanbieter die Läden.gez. Detlef Thomaszczyk

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!